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Sehr smart, Mama!

30.11.2019 • Redaktion • Aufrufe: 347

Früher, als man die Tasten auf dem Handy noch erfühlen konnte und der Akku ohne Aufladung ein halbes Jahr hielt, war meine Mutter eine glückliche Mutter. Heute hat sie vom permanenten Hin-und-her-Gewische auf ihrem Smartphone wunde Finger.

30.11.2019
Redaktion
Aufrufe: 347

Der Ziegenbändiger. Sehr smart, Mama.

Früher, als man die Tasten auf dem Handy noch erfühlen konnte und der Akku ohne Aufladung ein halbes Jahr hielt, war meine Mutter eine glückliche Mutter. Heute hat sie vom permanenten Hin-und-her-Gewische auf ihrem Smartphone wunde Finger.

Das gute alte Nokia hatte ausgedient. Moderne Technik musste ins Haus. „Damit kannste alles machen“, gaukelten die Enkel ihr vor, „whatsappen, youtuben, googeln, skypen, chatten, twittern, sharen, posten und reposten. Oder du holst dir Apps im Playstore.“ Meine fast 80-jährige Mutter nickte bedächtig und sagte nur: „Aha.“ In Wahrheit kam sie sich vor, als würde ihr jemand die Bedienungsanleitung für einen Atomreaktor vorlesen. Auf Japanisch.

Ihr gefiel jedoch die Möglichkeit, dass sie in Windeseile Bilder an ihre Freundinnen senden konnte. Also machte sie mit der Kleinbildkamera Fotos des blühenden Gartens, ließ den Film 24 Klicks später in der Drogerie entwickeln, holte die Fotos eine Woche später, knipste sie zuhause mit ihrem neuen Handy ab und schickte diese dann per WhatsApp Freundin Erika … Ja, der Smartphone-Anfang war kein leichter. Nach einer kurzen Einweisung durch die Enkelkinder tauchte sie wagemutig in die neue vernetzte Welt ein.

Der digitale Wecker hatte ihre Neugierde geweckt: Schlummerfunktion, mehrere Weckzeiten mit der Lieblingsmusik, Meeresrauschen, Urwaldgeräuschen oder zirpenden Grillen. Doch kürzlich eskalierte die Situation nachts um 3.27 Uhr. Beethovens 5. Sinfonie trompetete meine Mutter mit voller Wucht aus ihren Träumen. Der müde Körper schnellte in die Vertikale und versuchte verzweifelt, den Wecker abzuschalten. Doch weder der Fingerabdrucksensor noch wildes Gewische halfen. Sie nahm eine Decke, umwickelte das Handy mehrmals, legte es in den Backofen und sich selbst wieder schlafen.

Als sie eine Woche später eine Freundin in Köln besuchen wollte und ich sie zum Hauptbahnhof Hannover begleitete, begann das nächste Drama. Sie hatte einen falschen Zug reserviert, und die Zeit war knapp. Ich hastete zum 150 Meter entfernten Kartenschalter ans Ende der Bahnhofshalle, um den Zug umzubuchen. Doch immer, wenn ich meine Mutter von dort anrief, legte sie auf. Auch eine Whatsapp-Nachricht oder ein Anruf konnte nichts an ihrer Unerreichbarkeit ändern. Als ich sie später fragte, warum sie denn immer aufgelegt habe, antwortete sie: „Ich habe wohl in die falsche Richtung gewischt.“

Dennoch bewunderte ich ihre Aufgeschlossenheit Neuem gegenüber – auch wenn es anfangs Rückschläge gab. Nachdem ihr zahllose Male die Bedienung des Smartphones erklärt wurde, vertraute sie irgendwann den Youtube-Erklärvideos mehr als uns. Binnen kürzester Zeit nutzte sie dann Google Maps fürs Auto als Navigationsgerät (auch wenn es sie in die Pampa führte), gründete eine WhatsApp-Familiengruppe (wirklich interessant, was es im Elternhaus täglich zu Essen gibt), tauschte täglich ihr Profilbild (auch Senioren können Duckface) und wechselte regelmäßig das Hintergrundbild ihres Displays (es gibt wirklich sehr viele bunte Papageien).

Die permanente Bedienung des Smartphones hinterließ jedoch unbeabsichtigte Spuren. „Seitdem ich das neue Handy habe, kribbelt mein Zeigefinger immer so komisch“, sagte meine Mutter und streckte ihn mir entgegen. „Der ist ja ganz wund“, stellte ich erschrocken fest. „Das kommt wohl vom vielen Gewische“, antwortete sie und überlegte kurz. „Dagegen müsste es eine Salbe geben.“ Meine Mutter liebt Salben. Salben gegen Hornhaut, gegen Falten, für straffe Haut, gegen Augenringe, gegen Muskelschmerzen, gegen dieses und für jenes. Aber ob sich gerade dieses Nischenprodukt durchsetzen wird, wage ich zu bezweifeln. Smartphonewischfingerwundsalbe liegt vermutlich einfach nicht im Trend.

Diese Kolumne erschien zuerst in Auepost 11/2019.

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