Wenn die heutige Polizei einen Verdächtigen in Gewahrsam genommen hat, dann bleibt er es normalerweise zunächst auch. Vor 100 Jahren war das noch etwas anders: Da konnte ein Verhafteter durchaus noch einmal fliehen, wenn er einen günstigen Moment ausnutzte. Jedenfalls vorübergehend, denn die alten Wunstorfer waren auf Zack. Da half auch Rundenlauf und Flucht durch die Wasserzucht nicht. Heute vor 100 Jahren, am 25. Mai 1921, berichtete die Leine-Zeitung Folgendes:
Eine aufregende Diebesjagd spielte sich vor einigen Tagen laut der Wunstorfer Zeitung in den frühen Morgenstunden ab. Der Sicherheitsmann Brunschön beobachtete gegen 2 Uhr nachts verdächtige Gestalten. Zuerst waren es ihrer zwei, die bei seinem Näherkommen auswichen. Später war noch ein dritter dazu gekommen. Als Brunschön ihnen wieder entgegentrat, flüchteten sie ins Feld. Gegen Morgen fand sich einer davon mit einer schweren Kiste auf dem Bahnhofe ein, wurde von Brunschön verhaftet und zum Rathause geführt; dort warf er seine Kiste plötzlich zur Erde und entfloh. Es entspann sich dann eine tolle Jagd mehrere Male um die Stadtkirche, dann durch die Wasserzucht auf die Brücke. Dort sprang der Verbrecher über das Geländer in die Aue, aus der er dann schließlich von mehreren Personen herausgeholt wurde. Die Kiste enthielt Fleischwaren, die dem Hofbesitzer Hepke in Luthe gestohlen waren. Der zweite der Diebe konnte auf dem Bahnhof verhaftet werden. Von dem dritten fehlt vorläufig jede Spur.
Wir schreiben das Jahr 1921. Wunstorf ist eine kleine, landwirtschaftlich geprägte Ortschaft in der preußischen Provinz Hannover. Das Ende des Ersten Weltkriegs liegt noch nicht lange zurück, die Menschen erleben viele Umbrüche in der ersten deutschen Demokratie. Man ist auf dem Weg in die „Goldenen Zwanziger“. Es ist das Geburtsjahr der späteren Widerstandskämpferin Sophie Scholl – und Adolf Hitler wird Parteivorsitzender der noch jungen NSDAP.
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