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Der mit dem Löwenherzen

31.03.2021 • Mirko Baschetti • Aufrufe: 2263

Yannick Kirchhoff kommt mit einem Lymphangiom zur Welt, einer gutartigen Gefäßfehlbildung im Gesicht. Seitdem wurde er zwanzigmal operiert und musste dreimal wiederbelebt werden.

31.03.2021
Mirko Baschetti
Aufrufe: 2263

Yannick Kirchhoff kommt mit einem Lymphangiom zur Welt, einer gutartigen Gefäßfehlbildung im Gesicht. Seitdem wurde er zwanzigmal operiert und musste dreimal wiederbelebt werden.

Yannick Kirchhoff

Yannick wurde zwanzigmal operiert und musste dreimal wiederbelebt werden | Foto: Mirko Baschetti

Seine Mutter führte intensiv Tagebuch über die Erkrankung ihres Sohnes. Sie berichtete auf Facebook ganz öffentlich von seinem Leidensweg, der auch der ihre war. Doch kurz nach Yannicks letzter, abschließender Operation im vergangenen Jahr haben die Einträge nahezu aufgehört. Dem nunmehr 18-Jährigen sieht man seine lange Leidenszeit nicht an. Die angeschwollene Wange und Lippe sind ebenso verschwunden wie die Kränkungen und Hänseleien.

Erste OP mit 3 Monaten

Yannick kommt 2002 mit einer immensen Schwellung im Lippen-Wangen-Bereich zur Welt. Mit drei Monaten wird er in einer hannoverschen Klinik das erste Mal operiert. Es kommt zu Komplikationen, Yannick muss reanimiert werden. Die nächsten Operationen finden in Berlin statt. Auch hier verläuft nicht alles nach Plan. Yannick stirbt. Und wird ins Leben zurückgeholt. Es wird nicht das letzte Mal gewesen sein. Auch in einem Marburger Krankenhaus, wo er sich mehreren Operationen unterzieht, wird Yannick nach Komplikationen wiederbelebt.

Es gibt nur wenige Kliniken, die sich auf diese Erkrankung spezialisiert haben. Den Ärzten in Hannover habe Mutter Monika nicht mehr vertraut, „also habe ich mich selbst auf die Suche nach Spezialisten gemacht“, sagt sie. In Eberswalde nahe Berlin ist sie fündig geworden. Je nach Wachstum und Verhalten des Lymphangioms musste sich Yannick hier zwei- bis sechsmal im Jahr einer Operation unterziehen. Doch bei seiner Vorgeschichte ist jede Narkose und jede Operation ein Risiko. „So wenig wie möglich, so oft wie nötig“ lautete daher die Devise der Mutter, die mittlerweile selbst Expertin der Erkrankung geworden ist. „Ich habe nur keinen Doktortitel“, schmunzelt sie. Ein starkes Band ist zwischen der vierfachen Mutter und dem Sohn zu spüren, sie sind gemeinsam durch viele Täler geschritten. Auch wenn manchmal Tränen flossen, haderten sie nicht mit dem Schicksal, sondern sahen es als Herausforderung an. „Nur starke Menschen bekommen schwere Wege“, sagt Monika Kirchhoff.
Es gibt Zeiten, in denen Yannick weniger unter dem körperlichen als dem seelischen Schmerz leidet. Es sind Lästereien über sein Aussehen, das Starren auf seine Deformation. Gerade die Grundschule ist eine Qual. Doch mit dem Übertritt in die weiterführende Schule hat sich vieles zum Guten entwickelt. Hier blüht Yannick neu auf, entwickelt ein starkes Selbstbewusstsein, reift zum jungen Mann heran.

Zu Gott gefunden

Yannick Kirchhoff

Deutlich sichtbares Lymphangiom | Foto: privat

Es mangelt nicht an Intelligenz, aber durch die vielen Fehlzeiten in der Schule macht er nach seinem Förderschulabschluss letztlich nach der 10. Klasse an der IGS Wunstorf seinen Hauptschulabschluss. Mittlerweile ist Yannick im zweiten Ausbildungsjahr zum KFZ-Mechatroniker. Mit 17 Jahren ist er bereits zu Hause ausgezogen und hat nun in der Barne seine eigene Wohnung ganz in der Nähe des Jugendtreffs „Projekt Kurze Wege“ bezogen. Hier engagiert er sich auch in der Jugendarbeit, und seine Erfahrungen als Tutor in der Schule bestärken ihn in seinem Vorhaben, später einmal Lehrer an einer Berufsschule zu werden.
Letztes Jahr fand der voraussichtlich letzte operative Eingriff statt. Nachdem Yannick ausgewachsen ist, gehen die Ärzte derzeit nicht davon aus, dass das Lymphangiom noch wachsen wird. Seine intensive Krankheitsgeschichte hat Yannick auch geholfen, den Platz im Leben zu finden, Ziele anzustreben und über den Tod nachzudenken, der mehr als einmal ganz nah war. „Die Zeit ist für mich einfach noch nicht gekommen, diese Welt zu verlassen“, sagt Yannick nachdenklich. Während des langen Krankheitsverlaufs habe er auch den Glauben zu Gott gefunden. „Ich gehe zwar nicht so oft in die Kirche, aber bete umso mehr ganz für mich alleine.“ Es könne ja kein Zufall sein, resümiert Yannick, mehrmals zu sterben und doch zurück ins Leben zu finden. „Ich glaube, dass ich noch hierbleiben und Aufgaben erfüllen soll.“

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Ein Lymphangiom ist eine seltene gutartige Tumorerkrankung der Lymphgefäße und tritt meist im frühen Kindesalter auf. Überwiegend findet man den Tumor an Hals oder Nacken vor. Die genaue Ursache ist bisher noch unklar. Da eine vollständige Entfernung selten möglich ist, ist oft eine Lasertherapie in Kombination mit Schnitt-Operationen notwendig. [/box]

Dieser Text erschien zuerst in Auepost #14 (12/2020).

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Kommentare


  • Ronja sagt:

    Es ist so schön diese Zeilen zu lesen! Was für ein Weg! Ich kann mich gar nicht oft genug dafür bedanken, dass sein Weg öffentlich gemacht wurde. So konnten wir mit unserem 1,5 Jährigen direkt nach Eberswalde und ihm den OP-Weg dadurch vielleicht etwas verkürzen!

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