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Die Masken-Managerinnen

03.05.2020 • Daniel Schneider • Aufrufe: 1094
03.05.2020
Daniel Schneider
Aufrufe: 1094

Inzwischen gehört Mundschutz zum Alltag. Doch vor kurzem waren Masken noch ein rares Gut. Selbst medizinischem Personal und Pflegeeinrichtungen ging das Material aus. Es war die Stunde des Improvisierens. Zwei Frauen aus Wunstorf setzten sich dabei an die Spitze der Selbsthilfe-Bewegung.

Maskenmanagerinnen

Die Maskenmanagerinnen: Bettina Knauft und Henrike Blöthe | Fotos: privat

Der Einstieg in die Maskenproduktion war trotz Corona-Krise eigentlich gar nicht vorgesehen. Jedenfalls nicht, wenn es nach Henrike Blöthe gegangen wäre, die den Handarbeitsbedarfsladen in der Langen Straße, Ecke Bäckerstraße betreibt – und damit eigentlich an der Quelle für Selbstgenähtes sitzt. Persönlich war die Geschäftsinhaberin anfänglich sehr skeptisch gegenüber selbstgenähten Masken eingestellt. Sie wollte ihren Laden während des Shutdowns einfach komplett schließen. Blöthe bezweifelte den Nutzen der Masken aus denselben Gründen, die auch die Gesundheitsministerin als Nachteil nennt: Sie schützen nicht vor Eigenansteckung und können ein falsches Sicherheitsgefühl vermitteln.

„Tu Gutes, dann kommt Gutes zurück“ Henrike Blöthe

Doch ihre Meinung wandelte sich, als immer mehr Anfragen von Gewerbetreibenden kamen, ob sie solche Masken herstellen könne – denn medizinische Atemschutzmasken waren einerseits im Handel nicht mehr erhältlich bzw. noch nicht wieder zu bekommen, andererseits wurde die Verfügbarkeit für die einzelnen Gewerbetreibenden immer wichtiger. Blöthe ließ sich umstimmen und fertigte im März die ersten Behelfsmasken an. Die ersten Kunden waren ein Zeitungsladen in Luthe und ein Friseur.

Es muss Baumwolle sein

Henrike Blöthe verkauft natürlich auch an Privat – und bedient alle individuellen Wünsche. Auch ein Totenkopfmotiv auf dem Stoff war schon darunter. „Baumwolle muss sein“, sagt die Stoffexpertin. Das Material müsse ausreichend luftdurchlässig sein und auch gut in der Maschine waschbar. Bei der Bestellung von Nachschub stößt sie aber auch im Großhandel längst auf Lieferprobleme. Schwarze oder unifarbene Baumwolle sei in der gewünschten Menge nur schwer erhältlich. Letztens wollte sie 350 Meter neutralen Baumwollstoff bestellen. Statt der gewünschten 48 Ballen bekam sie aber nur 5 geliefert.

Behelfsmundschutz

Massenweise Behelfsmundschutz auf dem Esszimmertisch von Bettina Knauft | Foto: privat

Beim kommerziellen Maskennähen sollte es jedoch nicht bleiben: Blöthe fragte sich, warum man nicht auf freiwilliger Basis mehr nähen könnte, um Behelfsmasken an diejenigen zu spenden, die dringend Masken benötigten, für Fachkräfte im Gesundheitswesen bzw. Gefährdete aus Risikogruppen. Über WhatsApp oder Facebook organisierte sie sich ihre „Nähbienen“ – etwa 40 Frauen aus Wunstorf und Umgebung – die sich für den guten Zweck an die Nähmaschinen setzten. Die Gruppe kannte sich vorher untereinander nicht. Blöthe findet es traurig, dass den Pflegeeinrichtungen professionelle Masken fehlten und auf Selbstgenähtes zurückgegriffen werden musste. „Haben die das nicht kommen sehen?“, fragt die Wunstorferin in Bezug auf die generelle Versorgungssituation. Die Lücke füllten Blöthe und ihre Helferinnen. Neben Stoffspenden durch die Nähbienen und andere investierte Blöthe auch selbst Stoff für die Aktion, auch der Lions Club spendete.

Henrike Blöthe

Henrike Blöthe | Foto: privat

Bis heute wurden tausende Masken produziert und verteilt. Darunter waren nicht nur Pflegeeinrichtungen und Arztpraxen, und auch nicht immer hatte es direkt mit dem Coronavirus zu tun. Blöthe berichtet etwa davon, dass es einer Krebskranken durch die Masken erst möglich wurde, von ihren Angehörigen aus dem Krankenhaus nach Hause geholt zu werden. In den letzten Wochen hat Blöthe durch die Aktion auch viele Einblicke in die Situation von Risikopatienten bekommen. Das habe sie sehr bewegt, sagt sie.

Seit dem Zeitpunkt, als sie selbst mit dem Maskennähen begann, trug Henrike Blöthe auch beim Einkaufen freiwillig Maske – noch bevor es knapp einen Monat später für alle zur Pflicht wurde. Privat nahm sie die weitere Entwicklung damit vorweg: „Je mehr wir uns und andere schützen, desto besser“, sagt sie. Sie war damit eine der Ersten, die mit Maske in den Supermarkt gingen. Anfänglich sei sie erschrocken angesehen worden, die Leute hätten noch mehr Abstand zu ihr gehalten als nötig, erzählt sie. Man hätte sie wohl für eine Infizierte gehalten, mutmaßt Blöthe. Mittlerweile haben sich die Verhältnisse umgekehrt, es fällt sofort derjenige auf, der keine Maske trägt.

Aus Idensen quer durch die Republik

Von der Aktion, die quasi parallel in Idensen ihren Anfang genommen hatte, wusste Blöthe zu Beginn ihrer eigenen Hilfsaktion noch nichts. Dort hatte Bettina Knauft einen Aufruf des deutschen Hausärzteverbands zum Maskentragen und -selbernähen zum Anlass genommen, die raren Masken für medizinisches und Pflegepersonal anzufertigen und zu spenden. Der Aufruf war von den Jungen Landfrauen weitergetragen worden. Sie selbst befand sich da gerade unter Corona-Verdacht.

Bettina Knauft

Bettina Knauft | Foto: privat

Nähen kann Knauft, die bei den Landfrauen aktiv ist, selbst „überhaupt nicht“, wie sie sagt, aber sie ist ein Organisationstalent. Sie wartete nicht weiter ab, sondern handelte. In kürzester Zeit trommelte sie aus ihrem Umfeld auch außerhalb der Landfrauen weitere Mitstreiter zusammen, holte den Ortsbürgermeister und Mit-Landfrau Mareike Dworok ins Boot und vernetzte sich. Strukturen wurden aufgebaut, Spenden- und Sammelsysteme organisiert und die Aktion publik gemacht. „Nähen für den guten Zweck – Wir helfen den Helfern“ war geboren und stieß auf riesige Resonanz. Seitdem nähte das Netzwerk ohne Unterlass Masken. Ursprünglich machten etwa 150 Nähende rund um Wunstorf mit, doch schnell zog die Aktion Kreise. Die muslimische Frauenorganisation Lajna Imaillah schloss sich der Aktion an und gab dieser noch einmal einen gewaltigen Schub.

Maskenversand

Für den Postversand vorbereitete Sendungen auf dem Weg zur Post | Foto: privat

Stoffspenden und fertig genähte Masken wurden eingesammelt und weiterverteilt. Das Material für die Masken stammte ebenso aus Spenden von Privatleuten und örtlichen Handarbeitsgeschäften. Die „Fäden“ liefen unter anderem weiter bei Knauft zusammen: Einmal am Tag holte sie die fertigen Masken von der zentralen Sammelstelle in Idensen ab – auch aus Sicherheitsgründen – und machte sie bei sich zuhause versandbereit … während die Kinder Mittagsschlaf machten. Dworok organisierte den Postversand. Auch Großspenden an Pflegeheime und Organisationen werden von hier aus organisiert. Von morgens bis abends war Knauft im Einsatz. Spätestens als das Magazin Stern bei Knauft anrief und ihre Aktion kurz darauf bundesweit bekannt machte, ging im wahrsten Sinne des Wortes die Post ab.

Online-Shop landfrauen-helfen.de

Kostenlose Maskenbestellung über einen eigenen Online-Shop | Screenshot: Auepost

Mitte April waren schon 25.000 Masken genäht und verteilt worden, davon gingen allein über 3.000 über Knaufts Esszimmertisch, darunter waren auch immer wieder welche von den Nähbienen. Geliefert wurde da schon längst nicht mehr nur an Einrichtungen in Wunstorf und Umgebung, sondern bundesweit. Da die Masken auch kostenlos unter landfrauen-helfen.de über einen Onlineshop bestellt werden konnten, kamen Anfragen aus allen Richtungen. Nur das Porto mussten die Besteller übernehmen.

Auch Blöthe war von den Dimensionen überrascht worden. Als sie am Morgen des 20. März den Aufruf gestartet hatte, ging ihr noch vor Mittag der Strom aus: „Um 11 Uhr war mein Handyakku platt“, sagt sie. Es sei „sofort losgegangen“, den ganzen Tag habe sie Fragen beantwortet und organisiert. Am Ende habe sie sich wie ein zerrupftes Eichhörnchen gefühlt, lacht sie.

„Tu Gutes, dann kommt Gutes zurück“, sagt sie außerdem, wenn man sie nach den Beweggründen für ihr Engagement fragt. Viele der kostenlos mit Masken Versorgten bestätigten diese Ansicht. Sie bedankten sich mit Kaffee und Schokolade – und von einem Fleischerbetrieb gab es Wurstkonserven. Einen riesigen Präsentkorb schickte ein Rettungs- und Pflegedienst aus Nienburg. Der wurde allerdings gleich an die Tafel weitergereicht, denn da das Ladengeschäft nur im Notbetrieb arbeitete, wusste man gar nicht, wohin mit den Dingen, und wollte sie nicht verderben lassen.

Sammelbox Maskenmaterialspenden

In solchen aufgestellten Kisten wurden Materialspenden gesammelt | Foto: Daniel Schneider

Bis jetzt sind allein durch „Wir helfen den Helfern“ 85.000 Masken genäht und verschickt worden – die meisten gingen nach Berlin und Frankfurt am Main – an Altenheime, Ärzte, Feuerwehren, Polizeidienststellen, Polizeistationen, Rettungsdienste, Physiotherapeuten und viele mehr. Doch nun soll Schluss sein, „Wir helfen den Helfern“ endet am 8. Mai. Die Aufgabe ist erfüllt, die schlimmste Not gelindert – und die persönlichen Ressourcen allmählich auch erschöpft. Inzwischen gilt Maskenpflicht in ganz Niedersachsen in Bussen und Bahnen und beim Einkaufen, die Lieferengpässe werden abgebaut, auch medizinischer Mundschutz ist bereits in manchen Apotheken wieder erhältlich, Organisationen werden wieder versorgt.

Nach 7 Wochen ist Schluss

Auch wenn eine der bekanntesten Aktionen – die unter Federführung von Bettina Knauft – nun endet, nähen die Landfrauen Niedersachsen, Lajna Imaillah und viele weitere Gruppierungen allerdings erst einmal weiter. Auch Blöthe sagt, dass sie zugunsten der Helfer solange weitermacht, wie die Aktion gebraucht werde. Der Maskenverkauf in ihrem Geschäft bedient weiter die private Nachfrage.

Idensen-Hauptsammellager

Bettina Knauft, Ortsbürgermeister Rolf Herrmann und Mareike Dworok vor dem Haupt-Maskensammellager in Idensen – die Garage des Bürgermeisters | Foto: privat

Für viele der Nähenden war die Aktion in Zeiten der Isolation auch ein Fenster nach draußen, ein bisschen Normalität. Die bricht jetzt wieder ein Stück weit ein, wenn die Aktionen enden. Doch es bleibt auch etwas: Durch das gemeinsame Nähen sind neue Freundschaften entstanden, es haben sich Cliquen und Kontakte gebildet, die die Chance haben, auch die Corona-Zeiten zu überdauern. Und es bleibt die Dankbarkeit der Abnehmer, die Anerkennung der Gesellschaft und das Gefühl, etwas getan zu haben gegen die Krise. Vielleicht sogar Leben gerettet zu haben.

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Kommentare


  • Rudolf sagt:

    „Doch vor kurzem waren Masken noch ein rares Gut. “
    Und von der BK als virenschleudern bezeichnet.
    Allerdings haben auch Top Fachleute wie Herr Dorsten sich kritisch zum mu na Schutz geäußert.

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