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23.05.2022 • Daniel Schneider • Aufrufe: 6290

Im kleinen Dörfchen Idensen liegt Wunstorfs weltweit bekanntester Hafen: der Yachthafen Idensen. Die Anlage ist ein reiner Familienbetrieb. Hier machen Dauergäste und Kurzzeitbesucher fest. Manche schaffen sich sogar eine Wohnalternative.

23.05.2022
Daniel Schneider
Aufrufe: 6290
Der Yachthafen Idensen | Foto: Daniel Schneider

Wer an die touristisch geprägteste Stelle in Wunstorf denkt, der denkt unweigerlich an Steinhude. Hierhin zieht es die Naturhungrigen und Wasserbegeisterten aus nah und fern. Doch noch internationaler geht es an einer ganz anderen Stelle zu, die man vielleicht nicht sofort als Ziel für Besucher aus aller Welt vermuten würde: der kleine Ortsteil Idensen. Denn dort liegt der Yachthafen der Familie Radermacher/Schatz direkt am Mittellandkanal.

Der Mittellandkanal ist eine der wichtigsten Wasserstraßen Deutschlands, der längste künstliche Bau dieser Art im Lande und bildet das Herzstück der Ost-West-Verbindung für die Schifffahrt vom Rhein bis zur Oder. Wer Europa mit dem Schiff bereist und dabei mit dem Boot bis zur Spree will, oder umgekehrt über Berlin mit dem Boot in den Westen, der befährt den Mittellandkanal. Das tun nicht wenige Schiffe. Der Mittellandkanal selbst beginnt bei Hörstel in Nordrhein-Westfalen als Abzweigung des Dortmund-Ems-Kanals und reicht bis nach Magdeburg in Sachsen-Anhalt zum Elbe-Havel-Kanal an der Elbe. Dabei durchquert er auch einmal Niedersachsen und führt bei Kolenfeld durch Wunstorfer Gebiet – und eben auch an Idensen vorbei. Während der gewerbliche Schiffsverkehr jedoch im Kolenfelder Hafen festmacht, kann seit 1982 in Idensen auch privat angelegt werden. Zu dieser Zeit wurde das erste Becken fertig, offiziell eröffnete der Hafen drei Jahre später, als die Arbeiten 1985 komplett waren. Die Gastronomie kam 1989 hinzu.

Rehe und Boote

Auf deren Terrasse sitzen nun an einem Augustnachmittag drei Generationen und erzählen uns von ihrem Arbeitsalltag. Lutz Schatz, 59 Jahre alt, ist der Hafenmeister und zugleich Gastronom der „Schatzinsel“, wie das Restaurant natürlich nicht zufällig heißt. Eine „Hafenklause“ gebe es schon unzählige Male, erzählt er, an derart Banales wollte man nicht anknüpfen und machte stattdessen den Familiennamen zum Aushängeschild. Auf die zündende Idee kam damals die Steuerberaterin. Piraten-Flair findet man hier also keinesfalls. Die Schatzinsel ist ein gutbürgerliches Lokal – mit einer Besonderheit: Auf der Karte stehen neben den üblichen Speisen auch Wildgerichte. Geweihe hängen jedoch nicht im Gastraum. Neben Wildgulasch und -bratwurst gibt es Hirschkeule an Sahne- oder Orangensauce.

Damwild lebt direkt am Hafen

Das Fleisch dafür kommt direkt von nebenan: Der Yachthafen Idensen ist der weltweit wohl einzige Hafen mit angeschlossenem Damwildgehege. 40 bis 50 Tiere werden jährlich geschlachtet. Dass der Hafenmeister persönlich hier auf einer Fläche von ca. 4 Fußballfeldern 140 Tiere hält und auch selbst schießt und verarbeitet, ist dabei sogar vielen Wunstorfern nicht bekannt. Andere wiederum gehen mit den Enkeln extra zum Füttern vorbei: Trockenes Brot, Äpfel, Eicheln werden gerne gefressen.

Viele Ausflügler kommen am Wochenende, viele mit dem Fahrrad, um einzukehren, Hafenflair zu genießen und ein- und auslaufenden Booten zuzuschauen. Sehen und gesehen werden gehört im Yachthafen dazu. Man ist dazu auf schönes Wetter angewiesen, sagt Lutz Schatz. Dann kommen die Gäste auch aus Stadthagen oder Seelze. Aber auch bei Feiern und Veranstaltungen wird die Schatzinsel voll. Unter den Yachtbesitzern gibt es hingegen zwei Arten von Gästen. Da sind zunächst hauptsächlich die Nutzer der Dauerliegeplätze: Bootsbesitzer, die Idensen als ihren Heimathafen gewählt haben und hier ihre Wochenenden verbringen oder im Urlaub von hier aus starten. Die Eigner kommen am Freitag, starten ins Wochenende, setzen sich aufs Boot oder würden ein wenig auf dem Kanal fahren.

… oder Sie können sich ein Boot kaufen, und ein anderer mäht Rasen

Lutz Schatz

Der Idenser Hafen ist dabei ein rein gewerblicher Sportboothafen. Andere „Marinas“, wie die Häfen für die Freizeitschifffahrt genannt werden, werden auch von Vereinen gemeinschaftlich betrieben, doch in Idensen muss man nicht „mit anpacken“, sondern kann den Service des Familienbetriebs ganz genießen. Denn letztlich sind die meisten Yachten schwimmende Wochenendhäuser, erklärt der Hafenmeister: „Sie können sich ’ne Gartenlaube kaufen und müssen Rasen mähen. Oder Sie kaufen sich ein Boot, binden das hier fest, und ein anderer mäht Rasen“, bringt Lutz Schatz den Vorteil der schwimmenden Zuflucht auf den Punkt. Gegenüber Wohnmobilen käme das Freiheitsgefühl hinzu: „Ich steh die ganze Woche im Stau, warum soll ich das auch noch am Wochenende machen?“ Das sagt Lutz Schatz jedoch nur rhetorisch stellvertretend für seine Gäste, denn er selbst ist nicht mit dem Boot unterwegs. Das ist das Los des Yachthafenbesitzers: Urlaub ist nur im Winter möglich. Die Dauerlieger kommen bei Weitem nicht nur aus Wunstorf und Umgebung. Die Boote gehören Skippern aus Gütersloh, Dortmund, Kassel, Nienburg, Schwarmstedt oder Peine, um nur einige Städte zu nennen.

Festgemacht in Idensen

Zur zweiten Gästekategorie zählen die Durchreisenden: Im Urlaub fahren die Bootsbesitzer gern weitere Strecken, und auch die Dauerlieger aus Idensen machen sich auf den Weg: In anderthalb Tagen ist man in Bremen, in Berlin in vier Tagen. „Rauf auf den Kanal, Schlüssel umdrehen, mit nichts mehr zu tun haben.“ Der Weg sei das Ziel. Die Boote aus anderen Häfen machen dann in Idensen Station – als „Übernachtungsgäste“ oder für einen Zwischenstopp. Anlegen können Yachten in allen Sportboothäfen und den öffentlichen Liegestellen, bei Letzteren darf man allerdings nur maximal 48 Stunden festmachen. Aber die Regel ist, dass man sich für die Übernachtung einen Yachthafen sucht, nicht nur, um die Infrastruktur wie sanitäre Anlagen und Steckdosen zu nutzen. In der Nacht will der Großteil nicht an irgendeiner Spundwand liegen, wo jeder vorbeilaufen kann. Ein Hafen bietet Ruhe, Gemeinschaft und Sicherheitsgefühl. Die meisten gehen auch zum Essen ins Restaurant und sind keine Selbstversorger – man ist schließlich im Urlaub. Damit ist der Yachthafen letztlich so etwas wie eine Autobahnraststätte für Wasserfahrzeuge. Mit dem Unterschied, dass hier viele nicht nur vorübergehend „parken“. Zumindest in Richtung Westen hat man auf dem Mittellandkanal nicht mehr viele Gelegenheiten zum Zwischenstopp – der nächste Yachthafen kommt erst wieder nach 34 Kilometern in Minden. In der Gegenrichtung ist Seelze die nächste Marina.

Drei Generationen: Daniel Schatz, Lutz Schatz und Dieter Radermacher

Der große nautische Fahnenmast vor dem Hauptgebäude zeigt neben der deutschen Flagge die Flaggen der Länder, aus denen die meisten ausländischen Gäste stammen: Niederlande, Schweiz, Norwegen. Auch bootsreisende US-Amerikaner und Australier hat man schon in Idensen begrüßt, erzählt Daniel Schatz, der wie sein Vater Lutz den roten Schatzinsel-Schriftzug am blauen Hemdkragen trägt. Der gelernte Landmaschinenbauer repräsentiert mit seinen 34 Jahren die dritte Generation und wird den Yachthafen irgendwann von seinem Vater übernehmen. Doch schon jetzt ist es sein Vollzeitberuf: Gemeinsam mit dem Vater leistet er die Hauptarbeit im täglichen Betrieb. Vor vier Jahren wurde auch für Daniel Schatz der Hafen zum Lebensinhalt. Den Yachthafen hatte er da schon längst im Blut. Man merkt ihm an, dass er hier aufgewachsen ist.

Hafenmeisterei

Die internationale Klientel stellt auch Anforderungen an die Sprachkenntnisse des Hafenmeisters. Mit den fremdsprachigen Gästen spricht Lutz Schatz ein Deutsch-Englisch-Gemisch. Irgendwie reiche es immer, um sich zurechtzufinden, sagt er. Er spreche genügend Englisch, und die Gäste genügend Deutsch. Hafenmeister einer Marina kann jeder werden, es gibt keine Ausbildung, man braucht nicht einmal ein Zertifikat oder Ähnliches. Aber dafür viele Fähigkeiten – und natürlich einen Hafen. Lutz Schatz wirkt zupackend und direkt heraus, hat einen trockenen Humor. Systemverständnis sei hilfreich, sagt er, und Fingerspitzengefühl. Das braucht er auch, wenn er etwa die tonnenschweren Boote am Kranausleger dirigiert.

Schiffskran
Hafengastronomie

Den Kran gibt es seit knapp 15 Jahren im Hafen, und wird nicht nur dazu genutzt, Schiffe erstmalig zu Wasser zu lassen oder für dringende Inspektionen aus dem Wasser zu holen. Die Hochsaison für das Kranen beginnt zum Winter, wenn die meisten Boote aus dem Wasser geholt werden für Reparaturen und Pflege. Elfeinhalb Tonnen kann der Kran heben. Im hinteren Teil des Hafengeländes reihen sich dann die trockengelegten Boote auf. Im Hafenbecken bleiben meist nur noch gut zwei Dutzend Yachten liegen. Bewegt werden können diese im Winter aber auch nicht mehr, denn der Hafen schließt in den kalten Monaten. Im November wird die Hafeneinfahrt dichtgemacht, die Ausfahrt zum Mittellandkanal unterbrochen, indem eine Stahlplatte hochgezogen wird, die dort liegt. Das schützt den Hafen vor unnötiger Verschlammung, hat jedoch den Nebeneffekt, dass das Hafenbecken auch schneller zufriert. Deshalb müssen alle im Winter im Wasser verbleibenden Boote auch zur Westseite umparken, nur dort kann man sie dann bei eingefrorenem Hafen im Notfall noch mit einem Kran erreichen. Ab März kehren auch die trockengelegten Boote wieder ins Hafenwasser zurück. Zwischen November und April bleibt man im Hafen somit unter sich.

Alte Hydraulik an der Kanalseite
Hafenausfahrt zum Mittellandkanal – hier ziehen auch die langen Binnenschiffe vorbei

Lutz Schatz hat zunächst Maurer gelernt, später noch zum Autolackierer umgeschult. Das Hauptgebäude hat er selbst gemauert. Der heutige Hafenmeister hat im Grunde eingeheiratet im Yachthafen: Sein Einstieg in den Betrieb war erst nebenberuflich mit der Familie, irgendwann wurde es dann zum Hauptjob. Denn geschaffen hat den Yachthafen Idensen einst sein Schwiegervater, Dieter Radermacher. Dieser hat sich inzwischen zurückgezogen und dürfte das Rentnerleben genießen, ist aber weiterhin die gute Seele seines Lebenswerks und gibt den Seniorchef im Hafen: Mit Strohhut und gepflegtem weißen Backen- und Kinnbart wirkt er ein wenig wie ein verdienter Kapitän und begrüßt die Gäste – oder vertröstet sie, wenn sich etwa Fahrradfahrer vor Restaurantöffnung zum Hafen verirrt haben. Denn von Landseite gibt es ebenso viel Zuspruch für die „Schatzinsel“ wie aus Richtung des Kanals. Oder er schaut mit kritischem Blick auf die Umbauarbeiten im Südosten des Hafens, wo gerade ein neuer Wendeplatz gebaut wird. Auf der anderen Seite des Kanals fragt zur selben Zeit ein Radfahrer in der prallen Sonne einen Spaziergänger, ob die Hafengaststätte wohl geöffnet habe. Doch Schatz öffnet unter der Woche erst ab 17 Uhr. Nur der Yachthafen an sich hat durchgehend geöffnet.

Reinfahren und Anmelden

Ein Bootseigner unterbricht und fragt über den Zaun, ob er sein Wasserfahrzeug slippen könne. Damit ist das Zuwasserlassen eines Bootes gemeint. Er zahlt 10 Euro und darf dann die Hafenanlage zum Einstieg in den Mittellandkanal nutzen. Das Boot wird auf dem Autohänger ans Wasser gerollt und gleitet hinein ins Hafenbecken. Auch das passiert täglich mehrmals und gehört zum normalen Hafenbetrieb.

Doch das Hauptaugenmerk liegt auf den Booten, die bereits im Wasser sind. Das Hafenbecken ist nicht zu klein bemessen: 118 Schiffe haben hier Platz, in vier Reihen legt man in Idensen an. Damit ist Idensen einer der größeren Yachthäfen am Kanal. Schwimmende Stege braucht man in Idensen nicht, aber auch der Mittellandkanal, der die Wasserhöhe im Hafen vorgibt, hat bisweilen unterschiedliche Pegelstände. Bei starker Sonne verdunstet Wasser, bei starkem Ostwind wird das Wasser in den Dortmund-Ems-Kanal gedrückt. Bei Sturm aus westlicher Richtung kann es steigen.

Eine Beschilderung von Wasserseite gibt es nicht, das wäre auch nicht nötig, erklärt Schatz. Der Hafen sei in allen Verzeichnissen eingetragen, die Bootsführer wüssten, wo sich welche Häfen befänden. Einzig eine Werbefahne eines Mineralwasserherstellers sorgt gerade für einen gewissen Werbeeffekt und weist darauf hin, dass hier auch ein gastronomisches Angebot vorgehalten wird. Aber auch ohne die Fahne wäre der Hafen nur schwer zu übersehen. Nicht zuletzt prangt in großen Lettern „Idensen“ auf dem Schiffshebekran.

Die Schatzens selbst fahren nur ihren Arbeitskahn im Hafen, und haben keine eigene Yacht. Dafür bliebe gar keine Zeit. Mit dem Yachthafen habe man sich einem Rund-um-die-Uhr-Job verschrieben, und wenn andere Ferien machen, ist in Idensen eben Hauptsaison. Im Winter geht man daher zum Skifahren, aber Strandurlaub im Süden ist nicht drin. Das wäre auch gar nichts für ihn, sagt Lutz Schatz, er brauche das Individuelle. Das genießt er auch bei der Arbeit, denn individueller kann man kaum arbeiten: Er ist sein eigener Chef in einem Hauch von Freiheit und maritimem Flair – der Blick aufs Wasser mit den Bootsbewegungen wäre wie der Blick an einer Küste.

Das maritime Flair wird architektonisch unterstrichen durch alte Anker, Bojen oder eben die Beflaggung. Auch Möwen habe man im Hafen – allerdings nur im Winter, schmunzelt Lutz Schatz. Im Sommer sei es diesen hier zu trubelig. Automatisierung ist hier noch nicht eingezogen, der Hafenbetrieb wird noch ganz traditionell organisiert. Die Liegepläne werden händisch auf Papier aktuell gehalten, den Stromverbrauch liest der Hafenmeister von Hand ab. Tanken – außer Strom – oder einkaufen kann man im Yachthafen allerdings nicht.

Geländewandel

Auf die Idee, einen Yachthafen in Idensen zu errichten, darauf kam der heute 81-jährige Dieter Radermacher Ende der 70er Jahre. Er hatte selbst ein Boot in Seelze liegen, das inspirierte ihn. Auch damals war es schon schwierig und langwierig, die nötigen Genehmigungen zu bekommen, doch es klappte. Aus dem Nichts einen Hafen bauen, das wäre für einen Einzelnen heute wohl gar nicht mehr möglich. Drei Jahre baute die Familie mit viel Eigenleistung am Yachthafen, 1985 wurde mit Fertigstellung des letzten Beckenabschnitts offiziell eröffnet. Das Wasser entnahm man damals direkt dem Mittellandkanal, natürlich gegen Gebühr: 4 Pfennig pro Kubikmeter Wasser berechnete das Wasser- und Schifffahrtsamt. Bei 150 Metern Hafenbeckenlänge kein so kleiner Betrag, wie es auf den ersten Blick wirkt. Da kam eine Summe im mittleren vierstelligen Bereich zusammen. Immerhin damals noch in D-Mark.

Beim Bau war das Hafenbecken 4 Meter tief, an der Gaststätte wird diese Tiefe auch heute noch erreicht, doch weiter zum Kanal hin haben Boote aktuell nur noch 2,5 Meter Wassertiefe, um einzutauchen – schlammbedingt, bis wieder ausgebaggert wird. Der Kiel der meisten Boote liegt aber nur zwischen achtzig Zentimetern und ein Meter dreißig im Wasser, sagt Schatz – das sei noch genügend Spielraum. Etwa alle zehn Jahre wird entschlammt, damit das auch so bleibt.

Bevor der Hafenbau begann, gehörte das Gelände mehreren Bauern, war landwirtschaftliche Fläche und eher sumpfige Wiese. Denn quer über das Areal führte auch ein Graben, der noch heute im Wildtiergehege sichtbar ist. Ebenfalls noch sichtbar sind die Überreste der alten Badeanstalt hinter den großen Eichen: Denn bis in die 90er Jahre gab es hier zwei Schwimmbecken. Die Familie übernahm das kleine Freibad von der Stadt, betrieb es weitere 14 Jahre, doch dann wurde es abgerissen. Die Region verlangte große Investitionen in Filteranlagen, was das Aus für die traditionsreiche Badestelle in Idensen bedeutete. Als Privatanlage waren die Becken dann doch zu groß: 25 × 12 Meter maß das Schwimmbecken, daneben gab es noch ein kleineres Lehrschwimmbecken.

Überreste der alten Badeanstalt

Lutz Schatz vermutet, dass auch die Stadt damals ein Interesse daran hatte, dass das Freibad Bokeloh keine kostenlose Konkurrenz in Idensen hatte. Denn Eintritt zahlte man in Idensen nicht. Die Becken waren mit Trinkwasser gefüllt und gechlort, die Besucher setzten sich meist aus der Dorfjugend und einigen wenigen Hafenbesuchern zusammen. 40 oder 50 Schwimmer hätten dort täglich in den Sommerferien gebadet, erinnert sich Lutz Schatz. Übrig geblieben von Wunstorfs einst kleinstem Schwimmbad ist nur noch das kleine Häuschen mit den Umkleiden, das nun gut versteckt in der Vegetation darauf wartet, vielleicht einmal wieder einer anderen Nutzung im Hafen zugeführt zu werden. Schatz will es allein schon aus diesen Gründen erhalten. Das ehemalige Becken ist nicht mehr erkennbar, auch darüber wächst inzwischen hohes Gras.

Ein Hausboot im Selbstbau

Auch zwei Hausboote liegen als Dauerlieger im Yachthafen, ein weiteres ist an Land aufgebockt. Der Besitzer hat es vor wenigen Wochen in den Hafen gebracht und baut es gerade zum Wohnquartier aus. Wir vermuten naiverweise zuerst, dass derjenige in dem Boot an Land leben will, doch Lutz Schatz bringt uns lachend schnell von der Vorstellung ab, dass jemand in seinem Hafen dauerhaft in einem angelandeten Boot wohnen könnte.

Aufgeständertes Hausboot | Foto: Daniel Schneider

Beim Hausbootkonstrukteur, dessen Boot gerade auf dem Trockenen liegt, handelt es sich um René Herbart. Der Mittdreißiger hat das Boot Anfang das Jahres gekauft und über den Wasserweg nach Idensen in den Yachthafen der Schatzens bringen lassen. Den hafeneigenen Kran konnte er allerdings nicht nutzen. Denn die „Prinzess“, wie die Yacht derzeit noch heißt, war zu schwer und musste mit einem 130-Tonner-Autokran aus dem Wasser geholt werden. Nun steht sie hoch aufgeständert auf der Wiese am westlichen Hafenrand – die einzige Stelle der Anlage, die von schwerem Gerät befahren werden kann. Paletten bilden eine provisorische Treppe zum Achterdeck, eine Pumpe befördert dröhnend Dieselreste aus den Tanks in ein Ölfass. Es sieht hier gerade aus wie in einer kleinen Schiffswerft, und der Vergleich trifft durchaus zu: Denn Herbart baut sich an dieser Stelle sein eigenes Hausboot.

René Herbart | Foto: Daniel Schneider
Herbarts Boot | Foto: Daniel Schneider

Wir dürfen an Bord kommen. Auf dem Oberdeck werkelt der Hannoveraner an seinem Traum vom günstigen Wohnen mit Blick aufs Wasser. Ein Hausboot zu haben sei derzeit wieder in Mode, bestätigt auch Lutz Schatz, der den Trend zum dauerhaften Wohnen auf dem Wasser verfolgt. „Alle wollen jetzt ein Hausboot haben“, lächelt er.

Doch René Herbert will so gar nicht zum Klischee eines impulsiven Hausbooterwerbers passen. Er ist kein Romantiker, der sich unbedacht in ein Abenteuer stürzt, und auch kein Aussteiger im klassischen Sinne. Er sucht hier nicht den alternativen Lebensentwurf, sondern schafft sich schlicht Wohnraum. Das Seegrundstück eines Bekannten habe ihn einst fasziniert, erzählt er. An ein solches Domizil käme man aber nicht aus eigener Kraft, und so fasste er ein Hausboot als Alternative ins Auge. Denn noch einen anderen Vorteil bietet ein Hausboot: Umbauten sind relativ unkompliziert. Wenn ein Boot einmal zugelassen ist, kann man es unproblematischer verändern, als das unter Baurecht bei einem Eigenheim der Fall wäre. Theoretisch könnte er sich ein Sprungbrett oder Mississippi-Raddampfer-Schaufelräder an die Bootswand bauen.

Auf die Details kommt es an | Foto: Daniel Schneider
Entkernter Steuerstand | Foto: Daniel Schneider

Umbauten wird es durchaus einige geben, allerdings weniger extrovertierte. Herbart hat den genauen Plan schon im Kopf. Im Moment ist das Boot jedoch nur eine einzige große Baustelle, Rumpf und Deck entkernt. Das alte Cockpit wurde entfernt, der neue Steuerstand – der bei einem vertäuten Hausboot die meiste Zeit über unnütz ist – soll später in die Küche integriert werden. Die kommt nämlich vorne ins Oberdeck, mit einem herrlichen Blick durch die Panoramascheiben. Im Unterdeck entsteht das Wohnzimmer mit Schlafbereich und ein großes Badezimmer. Der Motorblock, ein Volvo 6-Zylinder aus dem Jahr 1973, wird als Wohnzimmertisch dienen. Aufs Dach kommt eine Sonnenterrasse, aufs Vordeck ebenfalls eine Sitzgelegenheit. Dabei achtet er auf Details. Er möchte Komfort, Unabhängigkeit – aber auch ein ansprechendes Ambiente. Die Patchwork-Einrichtung des Vorgängers soll sich nicht wiederholen. Eine Dusche wird eingebaut, auch eine Waschmaschine. „Ich dusche gerne lange“, sagt Herbart, und das würde nicht mit den typischen 120-Liter-Tanks für Wasser und Abwasser funktionieren. Daher werden auch eine Wasseraufbereitung und eine Kläranlage nachgerüstet. Das Oberdeck wird etwas tiefergelegt, um mehr Raumhöhe zu schaffen, und auch die Dachaufbauten müssen etwas eingekürzt werden – denn unter manchen Brücken wird es im Moment sehr knapp. Vier Meter ragt die Yacht über der Wasserkante auf.

Blick aufs Vorderdeck | Foto: Daniel Schneider

Die Prinzess ist eine Schwedin, ihr Vorbesitzer holte sie nach Hamburg. Dort kaufte Herbart das heruntergekommene Schiff zum Schnäppchenpreis von 16.000 Euro. „Komplett runtergerockt“ sei sie gewesen, sagt er, das Dach undicht. Im Grunde war es trotzdem nur ein symbolischer Preis – denn allein der Materialwert der Yacht dringt in diesen Bereich vor. Das Besondere an der Prinzess ist nämlich, dass sie komplett aus Edelstahl besteht. Üblicherweise werden derlei Boote entweder aus einfachem Stahl oder Glasfaser gebaut, erklärt Herbart. Eine moderne Yacht aus Kunststoffen wollte er aber nicht. Das Material ziehe Wasser und müsse für Revisionen immer einmal wieder aus dem Wasser gehoben werden, außerdem sei das Platzangebot bei vergleichbaren Yachten geringer. Herbart will auf dem Boot jedoch ganzjährig leben, braucht Platz und Zuverlässigkeit. Auch deswegen wurde es dieses Boot und kein anderes. Wie er heizen will, das steht noch nicht fest. Im Sommer sollen Solarpanels auf dem Bootsdach unabhängig machen. Gekocht soll mit Gas werden.

Auf der Elbe havariert

Bevor es ans Eingemachte gehen konnte, musste die Yacht aber erst einmal nach Idensen überführt werden. Ein Transport über die Straße war wegen der Höhe und Schwere der Prinzess unmöglich. 14 Tonnen wog das Boot bei seinem Kauf inklusive Einrichtung. Doch wirklich fahrtüchtig war es auch nicht. Trotzdem blieb nur der Wasserweg, um in die Heimat zu kommen. Herbart wagte mit zwei Freunden die Überführung. Man fuhr los im Hamburger Holzhafen, doch kurze Zeit später auf der Elbe riss die Treibstoffleitung. Man improvisierte, aber dann streikte auch noch der Antrieb. Es kam beinahe zur Kollision mit einem Tanker, man rief die Wasserschutzpolizei zu Hilfe. Die kam mit dem Schlauchboot und schleppte die Prinzess zum Holzhafen zurück.

Das Steuerrad wird künftig ein Teil der Küche sein | Foto: Daniel Schneider
Schiffsmotor | Foto: Daniel Schneider

Beim zweiten Versuch kam man immerhin bis nach Uelzen. Hier musste erneut ein Zwangsstopp eingelegt werden, da die Vibrationen im Rumpf immer heftiger wurden – das Wasser schwappte schon aus den Kanistern. Diagnose: Antriebswelle endgültig unbrauchbar. Man versuchte noch, den Uelzener Yachthafen zu erreichen, schaffte es aber nicht einmal bis zum Industriehafen. Notgedrungen wurde am Rand des Elbe-Seitenkanals festgemacht und wieder der Notruf gewählt. Doch die Wasserschutzpolizei war zu weit entfernt. Die nahe Schleuse funkte schließlich die Binnenschiffer an, die daraufhin auf Langsamfahrt gingen – sonst wäre es auch hier womöglich zu einer Havarie gekommen. Zu allem Übel drückten die vorbeifahrenden Großgüterschiffe mit ihrem Bugsog die Prinzess auch noch auf die Böschung. Herbart und seine Helfer waren im Kanal gestrandet, das Schiff ließ sich keinen Zentimeter mehr bewegen. Ein Tanker leistete Nothilfe und bekam das Boot mit dem Bugstrahl wieder frei. Danach lag man zwei Wochen im Industriehafen Uelzen, bis man eine Schleppmöglichkeit nach Idensen fand. Statt wie geplant zwei Wochen hatte die Fahrt letztlich mit allen Unterbrechungen zwei Monate gedauert.

Auch wenn Herbart keinen alternativen Lebensentwurf sucht, hat er mit dem Hausbootbau doch seine Philosophie geändert. „Ich habe gelernt, es langsam angehen zu lassen“, schmunzelt er. Er nähme die Dinge, wie sie kämen, obwohl er eigentlich ein strukturierter Mensch sei, der ungern etwas dem Zufall überlasse.

Arbeiten im Bauch des Bootes | Foto: Daniel Schneider

Zur Verwirklichung der Wasserwohnung geht Herbart aufs Ganze: Er hat seinen gut bezahlten Job als Maschinenbauingenieur bei der Firma gekündigt, bei der er die vergangenen sieben Jahre gearbeitet hat. Auch seine 120-Quadratmeter-Wohnung in der hannoverschen Südstadt will er bald aufgeben. Irgendwann im nächsten Jahr möchte er in seinem Hausboot einziehen. Deshalb arbeitet er jetzt „Vollzeit“ am schwimmenden Eigenheim. Unter der Woche fährt er nach Idensen wie zu einem regulären Job, um an seinen Boot zu Werke zu gehen. Der Unterschied ist, dass er hier Zimmermann, Ingenieur, Werftarbeiter, Architekt, Schweißer und Mechaniker in einer Person ist. Er führt alle Arbeiten selbst durch. An den Wochenenden entspannt er in Hannover.

Statt einer Ein-Zimmer-Wohnung

Das nötige Kleingeld für das Projekt Hausbootbau hat Herbart sich angespart, lebt nun davon. 50.000 bis 60.000 Euro sind für den Hausbootbau eingeplant. „Für das Geld hätte ich mir auch irgendeine hässliche Ein-Zimmer-Eigentumswohnung zulegen können“, sagt er, doch er sucht das Besondere. Das scheint er mit der Prinzess gefunden zu haben, die viel Raum auf wenig Grundfläche bietet. Auf zwei Etagen und 40 Quadratmetern wird Herbart künftig wohnen können. Das Boot sei durchaus ein wenig „pummelig“, sagt er, aber das habe neben dem größeren Platzangebot noch weitere Vorteile: Die Hafenmiete falle durch die geringere Grundfläche z. B. geringer aus. Und er kann in jedem Raum aufrecht stehen. Einen „Schuhkarton“ wollte Herbart nicht. „Es kann nur noch teurer werden“, lacht er, sonst könne ihn aber eigentlich nichts mehr aufhalten.

Antrieb und Ruder | Foto: Daniel Schneider

Erfahrung auf dem Wasser bringt er nicht mit, bislang ist er nur Kanu gefahren. Auch selbst fahren darf er sein Boot noch nicht – dem Bootsführerschein kam Corona dazwischen. Gelegentlich helfen Freunde beim Umbau, die meiste Zeit arbeitet Herbart jedoch allein. Einen neuen Job hat er noch nicht in Aussicht, ist aber zuversichtlich, mit seinen Qualifikationen schnell wieder etwas Neues zu finden. Wenn ein Arbeitgeber besondere Mobilität verlangt, wäre das nun jedenfalls kein Problem mehr. Die Wohnung käme dann einfach mit. Nur Wasserstraßenanschluss müsste der neue Arbeitsort haben.

Auf dem Wasser funktioniert die Wasserwaage nicht

Ende dieses Jahres will er das Boot wieder zu Wasser lassen. Die groben Einbauarbeiten sollen dann zumindest abgeschlossen sein, denn das Ausmessen funktioniere nur an Land: Schwimmt das Schiff, führt jede kleinste Bewegung im Schiff zu einer Lageveränderung – die Wasserwaage wird nutzlos. Auch einen neuen Namen wird das Hausboot dann tragen. Aus der Prinzessin wird dann die Gelassenheit – oder ein Glühwürmchen: „Serenity“ oder „Firefly“ stehen derzeit zur Auswahl für den neuen Schriftzug am Bug. Ein Faible für Science-Fiction-Serien ist Herbart eigen.

An laufenden Kosten wird Herbart dann nur die Liegegebühr und die Versicherungsprämie für das Boot haben – sonst nichts. Den künftigen Bootsbetrieb sieht er ganz pragmatisch und freut sich dennoch auf die Vorzüge: Mit dem ganzen Zuhause Urlaub machen, unangenehmen Nachbarn jederzeit aus dem Weg gehen können – und letztlich könne man das Hausboot auch einfach wieder verkaufen, wenn er es sich doch anders überlege. Dass er sein Boot so bald wieder verkauft, mag man sich bei der Liebe, die er ins Detail steckt, aber nur schwer vorstellen. Freunde und Eltern unterstützen ihn vorbehaltlos und sind begeistert. Kritische Stimmen habe er interessanterweise nicht zu hören bekommen, erzählt er. Sein schärfster Kritiker bei dem Vorhaben sei er selbst. Doch er habe jetzt genau das richtige Alter dafür – in späteren Jahren wäre er so etwas nicht mehr angegangen, ist er sich sicher. Also heißt es frei nach Udo Jürgens: Jetzt oder nie.

Beste Aussicht: Herbart im Yachthafen Idensen | Foto: Daniel Schneider

Auch in die Ferne zieht es ihn nicht. Er möchte gern in der Region bleiben, wieder etwas näher an Hannover heran, das ständige Pendeln zwischen Hannover und Idensen ist zeitaufwändig. Er könnte sich aber auch vorstellen, in Idensen zu bleiben. Vielleicht wird Lutz Schatz dann eine Ausnahme für ihn machen, denn an Hausboote vermietet er eigentlich nicht mehr, wie er sagt. Das liegt an den Präferenzen der anderen Gäste, erklärt der Hafenmeister: Wer mit einem Boot oder der Yacht im Hafen festmache, der wolle nicht neben einem Hausboot liegen – denn das wirke oft wie eine Wand eines normalen Hauses, was man gerade nicht sehen wolle, wenn man auf dem Wasser Entspannung und Flucht aus dem Alltag suche. Die Mehrheit der Yachtbesitzer schätze keine Hausbootatmosphäre im Hafen. Wie eine Hauswand wird die Prinzess-Firefly-Serenity jedoch ganz sicher nicht wirken: Herbart überlegt schon, ob er der Edelstahlhülle durch Aufpolieren einen dauerhaften metallischen Look verleihen kann.

Wenn das Boot durchrostet

Mit den Überführungsschwierigkeiten ist Herbart nicht allein, Pannen kennt man auch im Hafen selbst. Aber sie sind selten. Vor einiger Zeit sank ein Fahrschulschiff direkt im Hafen – die Feuerwehr musste anrücken. „Alarm im Yachthafen Idensen“ – die Auepost berichtete. So etwas passiert, wenn Boote wenig gepflegt würden und schlicht durchrosteten, erklärt Schatz. Denn einen Schiffs-TÜV gibt es nicht, Eigner sind alleinverantwortlich für den Zustand ihrer Boote. Nur Gasanlagen werden überprüft. Wenn kleine Undichtigkeiten im Rumpf entstehen, dringt kontinuierlich etwas Wasser ein, das Boot legt sich allmählich tiefer – und wenn dann eine Außenlüftung die Wasserkante berühre, könne man praktisch zusehen, wie das Schiff schnell volllaufe und sinke, erklärt Schatz.

Bugstrahlruder der Prinzess | Foto: Daniel Schneider

In diesem Fall bemerkten andere Bootsführer die Situation und informierten den Hafenmeister. Der verständigte den Bootsbesitzer, und der wiederum rief die Feuerwehr. Die lange „Meldekette“ hat Haftungsgründe: Denn wer die Feuerwehr für technische Hilfeleistung ruft, muss im Zweifel den Einsatz auch erst einmal bezahlen. Die Feuerwehr verhinderte ein Kentern und zog Ölsperren, damit kein Treibstoff ins Wasser gelangte. Später konnte das Schiff aus dem Wasser gehoben werden.

Aber auch beim Kranen können Malheure geschehen. Das ist ein einziges Mal vorgekommen, erzählt Schatz: Eine Yacht rutschte aus den Aufhängungen und fiel vom Kranausleger. Auch hier blieb es beim Sachschaden – und der Yachthafen ist natürlich versichert. Der Schaden wurde reguliert, und „alles war wieder gut“.

Von frühmorgens bis in die Nacht

Fünf bis sechs „Übernachtungsgäste“ hat der Hafen täglich, in Nicht-Corona-Zeiten seien es doppelt so viele. Dabei hätten wir eigentlich gedacht, dass während der Pandemie die Menschen erst recht Ferien auf dem Boot machen würden. „Aber das machen nur die Deutschen“, klärt Lutz Schatz auf: Die sonst zahlreichen niederländischen Skipper blieben weg, auch die Gäste aus Schweden, Finnland, Dänemark, Großbritannien, Belgien und der Schweiz sind sehr verhalten geworden. Besucher kommen derzeit daher eher aus dem Inland.

Viele Bootstypen machen im Hafen fest
Auch so können Hausboote aussehen

Ab morgens um halb acht geht es los. Die Hälfte der Yachten kommt unangemeldet in den Hafen, die andere Hälfte kündigt sich telefonisch an. Kurz und knackig „Schatz“ meldet sich Lutz Schatz dann am Telefon. Bisweilen gebe es dadurch „Gedächtnisminuten“ am anderen Ende der Leitung, es herrscht erst einmal Ruhe. „Hallo, sind Sie noch dran? Ich heiße so!“, löst Lutz Schatz dann die Verwirrung auf. Avancen hat er deswegen jedoch noch nicht bekommen, viele sind aber auch schlagfertig: „Na, das ist aber mal ’ne schöne Begrüßung“, bekommt Lutz Schatz des Öfteren zu hören.

Hallo, sind Sie noch dran? Ich heiße so!

(Lutz Schatz zu neuen Anrufern)

Anlegen kann man jederzeit, wenn Platz ist, auch, um nur einen Kaffee auf der Terrasse zu trinken. Sogar die Wasserschutzpolizei kommt gelegentlich vorbei auf ein Heißgetränk. Nur wer „übernachtet“, also den Hafen als Nachtquartier nutzen will, damit das Boot nicht an einem frei zugänglichen Haltepunkt am Kanal liegt, zahlt eine Liegegebühr. Man macht fest, kommt in die Gaststätte, füllt die Anmeldung aus und fragt, ob man am gewählten Platz liegen bleiben kann. Eine Nacht im Hafen kostet 1,20 Euro pro Schiffsmeter – im Schnitt 12 Euro zahlt man damit für einen Liegeplatz. Lutz Schatz findet das moderat – ihm sei wichtig, dass sich jedermann dieses Hobby leisten könne. Eine Summe, die man für den Einstieg in diese Form der Freizeitgestaltung aufwenden muss, nennt Schatz senior nicht. „Es ist wie bei Autos“, sagt er. „Es kommt drauf an, was man haben will.“

Er erzählt von dem älteren Ehepaar, das sich vor kurzem ein kleines Boot gekauft habe und seitdem mit Leidenschaft dem neuen Hobby nachgehe. Die „Krümel“ liegt seitdem am Mittelsteg und hat als Heimathafen natürlich Idensen. Wer einen Dauerliegeplatz hat, zahlt selbstverständlich nicht pro Übernachtung, sondern eine Jahrespauschale, auch bemessen u. a. nach der Bootsgröße. Wer einen Platz in Idensen hat, gibt ihn so schnell nicht wieder her – denn inzwischen gibt es zumindest für größere Boote eine Warteliste.

Die Zeiten ändern sich

Das Hafenflair wirkt anziehend. Vor fünf Jahren war der NDR für eine große TV-Reportage über den Mittellandkanal zu Gast im Yachthafen. Sie schwirrt unter dem Titel „die nordstory – Sommer am Mittellandkanal“ immer mal wieder durch die Mediatheken oder das dritte Programm. Der Familienbetrieb bekam knapp zehn Minuten Sendezeit und damit viel Raum in der Sendung. Was man im Film jedoch nicht sieht: Diesen zehn Minuten gingen fünf Tage Dreharbeiten voraus, erzählt Schatz. Von morgens bis abends sei gefilmt worden. So spontan, wie am Ende alles wirkt, sei es natürlich auch nicht gewesen, berichtet der Hafenmeister. Einige Szenen seien mehrmals gedreht worden, wenn etwa der Ton nicht stimmte, und die gezeigten Akteure kamen auch nicht ganz zufällig ins Bild.

Einfahrt zum Hafen von der Kanalseite aus gesehen | Foto: Daniel Schneider

Auch für die Dorfgemeinschaft war der Yachthafen immer wieder Anziehungspunkt auf die ein oder andere Weise, nicht nur durch die Existenz der ehemaligen Badeanstalt. Bis zum letzten Jahr fanden noch die „Hafenkonzerte“ statt, mit Shanty-Chören und viel Programm. Bis zu 3.000 Besucher kamen dann in den Hafen, Idensen war komplett zugeparkt. Auch dafür wurde kein Eintritt genommen. Die „Bühne“, zusammengebaut aus zwei ehemaligen Arbeitskähnen, zeugt noch von diesen Zeiten. Diese Tradition hat nun jedoch ihr Ende gefunden. Die Mitglieder des Idenser Männergesangsvereins, die verantwortlich zeichneten, sind älter und weniger geworden, und den logistischen Aufwand einer Großveranstaltung will die Familie Schatz allein nicht mehr stemmen. Es sei heute aber auch eine andere Zeit … und an jedem Wochenende irgendwo irgendetwas los.

Damit konzentriert sich der Yachthafen nun ganz auf seine Kernfunktionen: Yachtservice und Gastronomie. Diese Zeiten ändern sich nie: Der Mittellandkanal mitsamt der Freizeitschifffahrt bleiben die Konstante.

Diese Reportage erschien zuerst in Auepost Nr. 11 (09/2020).

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  • Basti g. sagt:

    Bier schmeckt dort lecker ! Essen geh ich lieber beim goldenem M

  • U. Schmoll sagt:

    Immer noch eine großartige Reportage!

  • H.Müller sagt:

    Weiß jemand, ob es sich momentan lohnt, mal am Wochenende einen Fahrradausflug nach Idensen zu unternehmen? Der Artikel ist ja schon von 2020 und inzwischen ist ja durchaus denkbar, dass die Bewirtschaftung gar nicht mehr aktiv ist. Auch die Kaffeestube wäre interessant.

  • Basti g. sagt:

    Wieso muss man ins Lokal mit maske wenn man nur draußen sitzen möchte ? Vielleicht gibt’s eine direkte Antwort von Herrn Schatz also man könnte ja auch direkt auf die terasse gehen und zum toilettengang eine Maske aufsetzen

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