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Landesregierung wollte nahezu vollständiges Besuchsverbot anordnen

06.04.2020 • Daniel Schneider • Aufrufe: 281
06.04.2020
Daniel Schneider
Aufrufe: 281

Beinahe unbemerkt hat Niedersachsen am Freitag eine neue Verordnung erlassen, die massiv in das Grundrecht der Unverletzlichkeit der eigenen Wohnung eingreift.

Gesperrtes Spielgerät

Gesperrtes Spielgerät auf Wunstorfer Schulhof | Foto: Daniel Schneider

Wunsstorf (ds). Es gibt in Niedersachsen bislang keine „Ausgangssperren“, die Menschen sollen sich im Freien bewegen – wenn auch idealerweise allein. Grüppchenbildung ist nur noch mit Haushaltsangehörigen erlaubt. „Bleiben Sie zu Hause“ ist damit letztlich ein Appell, aber keine allgemeine Vorschrift. Nicht betroffen von Einschränkungen waren bislang die eigenen vier Wände – private Feiern ausgenommen. Doch das wäre am vergangenen Wochenende fast anders geworden.

Baumärkte auf, eigene Wohnung tabu

Am Freitag wurde eine Anpassung der geltenden Verordnung veröffentlicht. Mit der neuen Verordnung zur Beschränkung von sozialen Kontakten wurde z. B. die Öffnung der Baumärkten für Privatleute wieder gestattet – und auch Blumenläden dürfen seitdem wieder öffnen. Doch mit dieser partiellen Rücknahme der Öffnungsverbote wurde gleichzeitig auch ein neuer Passus in die Verordnung eingefügt, der eine massive Verschärfung der Kontaktverbote bedeutet. § 1 Absatz 2 lautet derzeit:

„Kontakte innerhalb der eigenen Wohnung und auf dem eigenen Grundstück sind auf die Angehörigen des eigenen Hausstandes beschränkt (…)“ Nds. GVbl. vom 3.4.2020

Empfangen von Besuchern wäre Ordnungswidrigkeit geworden

Ausnahmen sind nur vorgesehen z. B. für berufliche Tätigkeiten und bei Betreuung hilfebedürftiger Personen. Im Wortlaut hätte das bedeutet, dass z. B. Eltern eine Ordnungswidrigkeit begangen hätten, die von ihren ausgezogenen Kindern besucht worden wären. Selbst einzelne Bekannte oder Freunde hätten die Wohnung nicht betreten dürfen.

RA Holger Kleine-Tebbe

Rechtsanwalt Holger Kleine-Tebbe | Foto: privat

Dies hätte einen massiven Eingriff in das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung bedeutet – und das durch Verordnung durch die Regierung, ohne Beteiligung des Landesparlaments. Bei einer unverhältnismäßigen Verschärfung wäre die Verordnung zudem verfassungswidrig, eine Flut von Eilklagen vor den Verwaltungsgerichten würde drohen.

Die Auepost hat Holger Kleine-Tebbe, Rechtsanwalt in Wunstorf, um eine Einschätzung gebeten. Der Fachanwalt für Strafrecht sieht ebenfalls Bedenken bei der Verhältnismäßigkeit: „Die Freiheit der einzelnen Person muss sicher dort zurückstehen, wo diese möglicherweise andere Menschen infiziert und damit gefährdet. Das darf ganz sicher nicht dazu führen, dass jemand, der aus begründetem Anlass einen persönlichen Besuch unternimmt oder empfängt, Gefahr läuft, denunziert zu werden und sich einem Bußgeld ausgesetzt zu sehen, einmal abgesehen davon, dass Derartiges tatsächlich auch gar nicht umsetzbar wäre.“

„Das darf ganz sicher nicht dazu führen, dass jemand, der Besuch (…) empfängt, Gefahr läuft, denunziert zu werden“ RA Holger Kleine-Tebbe

Allerdings sieht der Wunstorfer Anwalt derzeit auch die Notwendigkeit von möglichst weitreichenden Sozialkontaktbeschränkungen. „Es gibt zurzeit aber, auch wenn einige dies nicht verstehen können oder wollen, wirklich Wichtigeres als das Gefühl, nicht alleine sein zu können“, so Kleine-Tebbe weiter.

Gesundheitsministerium rudert zurück

Die neue Verordnung mit diesem Passus hat inzwischen mächtig Unruhe z. B. bei den Landkreisen hervorgerufen, in den Medien spielte es jedoch kaum eine Rolle. Der NDR etwa berichtete erst am Sonnabend, einen Tag später, über die massive Verschärfung der Vorschriften im Rahmen des Infektionsschutzes. Zu diesem Zeitpunkt war das Niedersächsische Gesundheitsministerium jedoch schon zurückgerudert. Offenbar hatte man auch hier nun die Tragweite der neuen Verordnung erkannt. In einer dazu veröffentlichten Erklärung heißt es:

„In einem Punkt schießt die Verordnung jedoch über das Ziel hinaus und muss korrigiert werden (…) die (…) gestern veröffentlichte Regelung [ist] zu weitgehend. Sie wird zeitnah dergestalt geändert werden, dass Besuche im engsten Familienkreis und unter Lebenspartnerinnen und Lebenspartnern sowie mit wenigen engen Freunden oder sehr guten Bekannten zulässig sind. Verboten bleiben Feierlichkeiten in der eigenen Wohnung. Selbstverständlich werden bis dahin Verstöße gegen die zu ändernde Regelung nicht geahndet.“ Nds. Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung

Damit bleibt es beim Status quo in Niedersachsen. Wer privaten Besuch empfängt, muss weiterhin nicht damit rechnen, dass die Nachbarn die Polizei rufen.

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Kommentare


  • G. Decker sagt:

    Schwierige- ganz schwierige Lage, die gerade zu den bevorstehenden Ostertagen so manchen von uns in eine Situation bringen wird, die eine Entscheidung im Hinblick auf ein Treffen mit sehr (!) nahestehenden Menschen ausgesprochen schwierig bis unmöglich machen wird.

    Ich werde mit Sicherheit weder zum „Ja“ noch zum „Nein“ des Treffens mit engen Angehörigen und/oder Freunden raten; das steht mir nicht zu.
    Das ist einer der Bereiche, in denen es im eigenen und ganz persönlichen Ermessen liegt, was getan werden will, oder eben auch nicht.

    Der Verstand wird uns sagen „lasse es bleiben“ die Gefühle hingegen in Richtung „wenigstens an den Ostertagen normales Leben“.

    Okay:
    durch meine sehr zurückgezogene Lebensweise stecke ich nicht im Entscheidungs-Dilemma: hier ein großer und nicht von der Hand zu weisender Vorteil.
    Diejenigen hingegen, die ein im Hinblick auf soziale zwischenmenschliche Kontakten ein aktives bis sehr aktives Leben führen, haben die sprichwörtliche „Ar***-karte“ gezogen.
    Und in deren Haut möchte ich grundsätzlich und hier im Speziellen nicht stecken.

    Egal, ob die Ostertage alleine, im ganz (!) engen Kreis oder gemeinsam mit den liebsten nahestehenden Personen verbracht werden:

    ALLEN wünsche ich ob der Situation, die sich niemand wird gewünscht haben, dass diese- in welcher Hinsicht auch immer- sich vom regulären Tagesgeschehen abhebenden Tage mit ganz vielen als schön erlebten Stunden verbunden sein werden.

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