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„Halten Sie bitte inne“ – Wunstorf erntet drastische Kritik für Stolperstein-Pläne

06.02.2023 • Redaktion • Aufrufe: 2480

Gabriella Meros kämpft dafür, dass Wunstorf nicht demnächst auch zu den Städten gehört, in denen Stolpersteine liegen. Die Jüdin sieht in den Wunstorfer Plänen mangelnde Empathie für die Opfer des Holocaust und hofft, dass man sich in der Auestadt noch rechtzeitig besinnt.

06.02.2023
Redaktion
Aufrufe: 2480
Appelliert an die Wunstorfer Politik, Stolpersteine zu verhindern: Gabriella Meros | Foto: privat/Michael Leis

Wunstorf (red). Nach lange währender Ablehnung will sich Wunstorf nun doch einreihen in die Liste der Städte und Gemeinden, die Stolpersteine verlegt haben. Die in den Boden eingelassenen kleinen Mahnmale, die an die von den Nationalsozialisten verfolgten und getöteten Menschen in Europa erinnern, sind mittlerweile fast überall auf dem Kontinent zu finden und lenken die Aufmerksamkeit auf die NS-Opfer direkt an den Orten, an denen die Verfolgten früher gelebt haben. Die Erinnerung an sie wird nicht „weggeschoben“ an bestimmte Gedenkorte, sondern macht auch sichtbar, an welchen Stellen in der Stadt die Opfer aus der Gesellschaft herausgerissen wurden.

Kunst, Erinnerungskultur oder Geschäft?

Über 75.000 Stolpersteine sind bislang allein in Deutschland verlegt worden. Doch das Projekt ist nicht unumstritten: Es gilt als übergreifendes Kunstwerk, ist aber auch markenrechtlich geschützt und generiert Einnahmen. Kritiker werfen dem Schöpfer der Stolpersteine deswegen auch vor, mit dem Gedenken an NS-Opfer Geld zu verdienen. Doch die Kritik entzündet sich in erster Linie an der Art des Gedenkens: Dass die Namen vor allem der verfolgten und ermordeten Juden im Boden eingelassen werden und in der Folge auf ihnen herumgelaufen wird, dass die Opfer des Holocaust sinnbildlich wieder mit Füßen getreten und in eine Opferrolle zementiert werden, das führt zu heftigen Kontroversen.

Charlotte Knobloch, ehemalige Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, soll die Befürworter von Stolpersteinen deswegen sogar einst als „Gedenktäter“ bezeichnet haben. In München etwa werden aufgrund der Kritik bis heute auf öffentlichem Grund keine Stolpersteine verlegt. Der Stadtrat hatte mit SPD-Mehrheit entsprechende Pläne verhindert. In der bayerischen Landeshauptstadt hat man sich danach für ein anderes Projekt entschieden, bei dem kleine quadratische Namenstäfelchen an Hauswänden angebracht werden.

Gabriella Meros ist Berufsfotografin in der Mode- und Werbefotografie und u. a. bekannt für ihre Star-Porträts. Sie stammt aus einer alten deutschen jüdischen Familie und engagiert sich im Verein Respect & Remember Europe, dessen Gründungsmitglied sie ist, für ein würdiges Andenken an Holocaust-Opfer. Ihre Familie flüchtete 1939 vor den Nationalsozialisten nach Palästina. Ihr Großvater war im Konzentrationslager Dachau interniert. Als Kind, zurück in Deutschland, wurde sie selbst Ziel antisemitischer Gewalt. Sie zählt zu den prominentesten Gegnern von Stolpersteinen.

Zu denjenigen, die gegen Stolpersteine sind, gehört auch Gabriella Meros. Die in Tel Aviv geborene Münchenerin kämpfte schon gegen Stolpersteine in ihrer Stadt, vielen weiteren Städten – und nun auch gegen die Verlegung in Wunstorf. Meros hat die Entwicklung verfolgt und sich zuletzt mit Schreiben an die Wunstorfer Politik positioniert – mit dem Ziel, dass es nicht zur Verlegung von Stolpersteinen in der Auestadt kommt. Dass der Ortsrat in einem ersten Schritt nun einstimmig grünes Licht gab, sorgt bei ihr für Entsetzen. Warum, das schreibt Meros in einem offenen Brief an die Wunstorfer Politiker, den wir hier auszugsweise wiedergeben:


Es ist nicht zu verstehen, dass die Informationen über die Stolpersteine bei der Kommune Wunstorf auf taube, ignorante, vielleicht bequeme Ohren erstmal gestoßen sind. Haben Sie den Mut, darüber weiter zu diskutieren und nicht zu tabuisieren wie bei Ihrer Abstimmung.

Die Gegenstimmen zu den Stolpersteinen im Wunstorfer Stadtparlament, werden sie gehört? Es gibt kein Argument, was die Stolpersteine als würdiges Andenken an Shoah-Opfer rechtfertigt. Man kann nicht ehren – in Fußsohlenhöhe, im Straßendreck, da, wo Menschen zu Opfern wurden, damals gedemütigt und ermordet wurden – heute dort ihre Namen. Dabei ein Mini-Text, der an NS-Deportationslisten erinnert.

Warum Stolpersteine/Trittsteine 2023? Ein Projekt unterstützen, das spaltet und keine Brücken baut? Viele Menschen von Anfang an sind verletzt durch den Habitus der Stolpersteine – darunter Shoah-Überlebende, ihre Familien, genauso sensibilisierte Nicht-Juden. Warum schlussendlich so wenig Empathie für die Shoah-Opfer in Wunstorf? Es gibt die Hoffnung – wie in vielen Kommunen bereits –, dass nach dieser Abstimmung doch keine Steine verlegt werden, Gunter Deming nicht eingeladen wird und man sich für würdiges, informatives, individuelles Erinnern entscheidet.

Wenn die Kommune das Selbstbewusstsein hat, würdiges Erinnern in Augenhöhe mit Inhalten individuell zu schaffen, wäre eine gute und weise Wendung für die Erinnerungsarbeit, die gerade heute bei wachsendem Antisemitismus wichtig ist. Sie hätten die Möglichkeit, bitte nutzen Sie diese, anstatt weitere Verletzungen zu leben. Es geht um die letzte Ehre an die Shoah-Opfer, wie man an SIE erinnert und wie man Wissensvermittlung in der Erinnerung würdig weitergibt und damit tatsächlich versucht, Brücken zu bauen – gestern – heute – morgen. Halten Sie bitte inne.

Gabriella Meros und Respect & Remember Europe e. V.

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Kommentare


  • TehPeh sagt:

    ETZ CHAIM – Baum des Lebens. Goldene Gedenkschilder an den schönsten Bäumen Wunstorfs… Oder besser noch, neue Bäume Pflanzen, benannt nach unseren ehrenwerten jüdischen Mitbürgern / Vorwunstorfern… Shalom für alle und damit meine ich alle!

  • Basti g. sagt:

    Diese Steine wären eine geldvernichtung

  • Andreas R. Niepel sagt:

    Die AfD Wunstorf hat dieses Schreiben von Fr. Meros nicht erhalten, so dass eine Auseinandersetzung mit den nachvollziehbaren Argumenten vor der Abstimmung im Ortsrat nicht möglich war.
    So habe ich der Verlegung der Stolpersteine mit Bauchschmerzen zugestimmt.

    Letztlich wird der Stadtrat am 22.03.2023 darüber entscheiden.
    Bis dahin überlegt sich die AfD-Fraktion, wie sie dann abstimmt.

  • Bernd-Michael rosenbusch sagt:

    Mit Stolpersteinen ist auch nichts gerettet, denn die sieht kaum einer. Hört damit auf. Lehrt lieber die grausame Geschichte sehr intensiv an den Schulen, damit auch jeder Rechte endlich mitbekommt, was Hass auf Andersgläubige und Minderheiten anrichten kann, damit sich diese Dinge nie wiederholen. Aber ständig das gesamte Deutsche Volk verantwortlich zu machen, ist auch nicht der richtige Weg. Wir müssen nicht immer nur auf diese unseelige Deutsche Geschichte zurückblicken, sondern auch nach Vorne schauen. Selbst der dümmste Rechte müsstge inzwischen wissen, dass eine Vielfalt der Kulturen unser Leben bereichert. Aber leider sind unsere Behörden immer noch auf „dem rechten Auge“ blind, als endlich gegen Reichsbürger und Hetzer mit den gesetzlichen Mitteln vorzugehen. Damit wir uns recht verstehen: Der Holcost darf nicht vergessen werden, aber wir dürfen uns auch nicht ständig davon vereinnahmen lassen. Deutschland ist nach dem zweiten Weltkrieg wohl mit eines der humanitärsten Ländern der Welt.Damit das auch so bleibt, müssen wir weiter daran arbeiten. Hass und Hetze helfen uns da nicht weiter. Ganz im Gegenteil! Für die rechten Dumpfbacken: Jesus und unsere Christliche Glaube ist sehr stark vom Jüdischen Leben geprägt, und das ist gut so.

  • G. Taro sagt:

    Es ist ein Stück Messingblech, in das einige wenige Daten zu Opfern des Nationalsozialismus eingestanzt sind. Es ist weder ein Grabstein noch ein spezifisches Mahnmahl. Und es findet durch die Setzung eines Stolpersteins auch keine Wandlung in einen Grabstein oder ein Mahnmal statt. Entsprechend wird hier auch nicht auf Menschen oder deren Gedenken herumgetrampelt oder das Erinnern an sie sonst wie beschmutzt.

    Stolpersteine sollen uns daran erinnern, dass es Mitbürger gab, die aufgrund ihrer Abstammung, Religionszugehörigkeit oder anderer durch die Nazis definierter Merkmale ausgegrenzt, verschleppt und ermordet wurden. Der Stolperstein bestimmt den Ort, wo die Menschen gewohnt, gelebt oder gearbeitet haben. Orte also, mitten unter uns bzw. mitten unter der damaligen wunstorfer Bevölkerung.

    Der Vorwurf von Frau Meros, dass es „schlussendlich so wenig Empathie für die Shoah in Wunstorf“ gäbe, mag zutreffen oder nicht. Die Setzung von Stolpersteinen auf öffentlicher Fläche ist für mich jedenfalls ein positives Zeichen, dass sich hier etwas hin zu mehr politischem Bewusstsein und geschichtlicher Verantwortung tut. Aber wir werden sehen; von mir ein klares „Ja“ zur Verlegung der Steine.

  • TehPeh sagt:

    … Dass mit den Bäumen meine ich völlig ernst… Wir Pflanzen neues Leben. Das ist das Mindeste. Und erinnern dabei an die, denen wir es genommen haben.

  • Lydia Bertani sagt:

    Stolpersteine machen sowieso erst Sinn, wenn mindestens 30-40% der Fußgängerzone wie Bürgersteige mit denen pflastert und zwar so, dass die Dinger mindestens 30cm aus dem Boden stehen. Andernfalls geht die wichtige Signalwirkung absolut unter.

  • Birgit Sasowski sagt:

    Ist das Ignoranz, Dummheit oder schlimmer noch Böswilligkeit? Das versteht doch jeder Mensch, wenn er nur einfach kurz innehält und nachdenkt. Ein Andenken, auf das man tritt und auf das Hunde urinieren, kann kein respektvolles Andenken darstellen. Ein respektvolles Erinnern muss auf Augenhöhe erfolgen – und das meine ich nicht nur im psychologischen, sondern auch ganz konkret im physischen Sinne.

  • U. Schmoll sagt:

    HIER WOHNTE: Ein Stein. Ein Name. Ein Mensch.

    Die Lebensgeschichte, die vergessene und erschütternde Biographie von Opfern des NS-Terrors zu erforschen und zu erzählen – das kann Sinn eines solchen Steins sein. Übrigens nicht nur Lebensgeschichten von deportierten und in die Flucht getriebenen jüdischen Bürgern, sondern auch solche von Menschen aus der Psychiatrie in Wunstorf. Daran teilzuhaben, sollte Wunstorf mit Ansporn und Stolz annehmen. Alle ehrlichen Zweifler an diesem Projekt mögen bitte einmal über den Gartenzaun zu unseren Nachbarn schauen und deren Erfahrungen teilen.

    1) Neustadt am Rübenberge: nach anfänglichen Widerständen siehe (https://ak-regionalgeschichte.de) 2) Stadthagen: siehe https://stolpersteine-guide.de/map. 3) Rehburg-Loccum: Besonders aktuell und aktiv ist der dortige Arbeitskreis Stolpersteine (www.stolpersteine-rehburgloccum.de).

    Wir in Wunstorf sollten froh sein, dass eine über 17 Jahre lang währende stillschweigende, faktische Blockade der Verlegung von Stolpersteinen jetzt aufgebrochen werden kann.
    Das bisherige Gedenken an die Shoah-Opfer Wunstorfs am Mahnmal vor der Abtei wird dadurch mehr Sichtbarkeit bekommen und entscheidend vertieft werden. Viele Ansätze der Erforschung von Lebensgeschichten sind bereits vorhanden und können nutzbar gemacht werden. Sicher – viele in Wunstorf werden dann … über diese Steine stolpern, hinunterschauen und vielleicht zum Nachfragen gebracht werden. Einige werden diese Steine vielleicht als anstößig empfinden. Mit ihnen wird man ins Gespräch kommen, hoffe ich.

  • Andreas R. Niepel sagt:

    Am 07.02.2023 hatte ich geschrieben, dass die AfD-Fraktion den Sachverhalt noch einmal prüft.
    Nachfolgend unsere Stellungnahme:
    —————
    die AfD-Mitglieder haben sich zum Thema Stolpersteine mit den Argumenten von Gabriella Meros auseinandergesetzt.
    Die Dame hat in einem offenem Brief an Kommunalpolitiker appelliert, gegen die Stolpersteine zu stimmen.
    Sie hat dies mit den Möglichkeiten zur Besudelung begründet.
    Dieser Einwand ist nachvollziehbar.

    Weil kein AfD-Mitglied in Wunstorf die Aktion Stolpersteine als Betroffenener beurteilen kann, haben wir nachgefragt.

    Wir haben Mitgieder eines nahe liegendes Vereins gefragt.

    Es ist leider kaum bekannt, dass es einen Verein gibt, in dem sich Juden zusammengeschlossen haben, um für ihre politischen Interessen in Deutschland zu werben.
    Es handelt sich um den Verein „Juden in der AfD“, den wir um eine Stellungnahme gebeten haben.

    Wie zu erwartern war, gibt es keine eindeutige Antwort, denn auch dort gibt es Pro und Kontra.
    Leider gab es keine Antwort, die in die Kategorie „Rabbinerwitz“ fällt.

    Wir haben jedoch einige Überlegungen mitbekommen, die zu unserer Abstimmung führen.

    Es gibt in Los Angeles den „Walk of Fame“ – derzeit 2.752 Sterne – eingelassene Steine – mit denen Prominente geehrt werden, die eine wichtige Rolle vor allem in der amerikanischen Unterhaltungsindustrie spielen oder gespielt haben. (Quelle: Wikipedia)

    Es gibt in Bremen die „Mall of Fame“ in der Lloyd-Passage, wo Handabdrücke verschiedener Prominenter im Granitboden eingelassen wurden.

    Keiner dieser Prominenten, die in Los Angeles oder Bremen mit Symbolen im Boden geehrt wurden, hat(te) Bedenken, dass auf sein / ihr Andenken herumgetrampelt, uriniert oder gespuckt wird.

    Das kann auf die Aktion Stolpersteine übertragen werden.

    Die AfD-Fraktio Wunstorf stimmt dem Vorhaben daher zu.

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