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Stolpersteine: Meros wirft Wunstorfern Ignoranz vor – eine Wunstorferin widerspricht

11.04.2023 • Redaktion • Aufrufe: 1456

An der Wunstorfer Entscheidung pro Stolpersteine kommt weiter Kritik von prominenter Stelle. Eine Jüdin in Wunstorf sieht die Sache gelassener – und eine Initiatorin der Idee lässt die Gegenargumente nicht gelten.

11.04.2023
Redaktion
Aufrufe: 1456
Gabriella Meros | Foto: privat/Michael Leis

Wunstorf/Tel Aviv (red). Nachdem Gabriella Meros vom Verein Respect and Remember, der sich für ein würdiges Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus einsetzt und sich klar gegen die Verlegung von Stolpersteinen positioniert, von den Stolperstein-Plänen in Wunstorf erfahren hatte, hatte die Münchenerin sich mit persönlichen Schreiben an die Wunstorfer Funktionsträger gewandt, um die Idee zu stoppen. Ihre Einwände verhallten jedoch scheinbar ungehört, die Parteien waren sich schließlich fraktionsübergreifend einig. „Große Einigkeit ohne Würde“, nennt Meros in einem Schreiben, das der Auepost vorliegt, nun dieses Abstimmungsverhalten.

Es sei erstaunlich, dass sich die Wunstorferinnen und Wunstorfer bei „so viel Informationen und Fakten“ einstimmig für unwürdige Stolpersteine entschieden hätten, statt in Würde und mit Wissensvermittlung zu erinnern. „Ist das Ignoranz?“, fragt Meros, und gibt gleich die Antwort mit: „Da wird unverbesserlich durchgezogen, bequem ohne Bedenken, ohne Fragen, ohne Auseinandersetzung, und das in einer sogenannten Demokratie.“ Wenn Stolpersteine „eine Zierde sein“ sollten, dann hätte man von der Shoah nichts verstanden.

„Wenn Stolpersteine eine Zierde sein sollen, dann hat man wahrlich von der Shoah und diesem unendlichen Menschheitsverbrechen nichts verstanden“

Gabriella Meros

Der Begriff „Zierde“ sei dabei äußerst unpassend und unsensibel noch dazu. Passend sei hingegen, Eike Geisel zu zitieren: „Die wieder gut gewordenen deutschen Gedenkweltmeister lassen sich ungerne von den ‚Störenfrieden der Erinnerung‘, also den Juden, ihr deutsches Handwerk erklären.“

Ganz aufgegeben hat Meros die Hoffnung noch nicht, dass es in Wunstorf zu keiner Verlegung kommt. „Es wurde schon viel abgestimmt, und dann doch das Gegenteil gelebt“, so Meros. Sie hofft, dass nun die Hausbesitzer und Sponsoren sich noch querstellen und sich für eine Erinnerung ohne Stolpersteine entscheiden könnten. „Es gibt Tafeln und Stelen in Augenhöhe, die informativ und zukunftsweisend sind, nur zu“, schreibt Meros.

Von den Grundstückseigentümern wird unterdessen jedoch bereits Unterstützung zugunsten der Steine signalisiert: ein halbes Dutzend sei bereits zu ihrer Meinung befragt worden, heißt es aus dem Arbeitskreis – und alle stünden dem Vorhaben positiv gegenüber.

„Man findet immer irgendetwas, was dagegen spricht“

Selbst unter jüdischen Wunstorfern wird Meros‘ Standpunkt nicht unbedingt geteilt: Friedlies Reschke ist jüdischen Glaubens, lebt in Wunstorf – und sieht die Sache etwas anders. Als sie vor einigen Jahren nach Wunstorf gezogen sei, habe sie sich vielmehr gewundert, dass es hier in der Stadt noch keine Stolpersteine gegeben habe, berichtet Reschke im Gespräch mit der Auepost. Auf ihre Frage, warum das so sei, habe es aus der Ortspolitik geheißen: „Wir brauchen das hier nicht.“ Diese Antwort stützte sich erstaunlicherweise damals auf die Argumente, die nun auch von Meros stammen könnten: Es gebe schon viele Erinnerungsorte in der Stadt, und mit dem Mahnmal an der Abtei habe man einen sehr würdigen Platz geschaffen.

Friedlies Reschke (Archiv) | Foto: privat

Reschke wundert sich, dass nun plötzlich nach so vielen Jahren ein Umdenken eingesetzt habe – alle Parteien im Ortsrat wollten auf einmal Stolpersteine. Angestoßen hätten es die Wunstorfer Grünen: Als diese begonnen hätten, den Stein wortwörtlich wieder ins Rollen zu bringen, habe sie das begrüßt, erzählt Reschke. Zu parteiübergreifendem Konsens hatte den Stolpersteinen schließlich der Arbeitskreis Erinnerungskultur unter Andreas Varnholt verholfen.

„Ich finde es besser als nichts“, sagt Reschke, die auch das Argument nicht gelten lässt, dass die Steine durch Unachtsamkeit und Schmutz zu unwürdigen Stellen würden. „In Frankfurt oder in Berlin gab es Hausbesitzer, die haben die Steine auch geputzt“, berichtet Reschke. Man trete auch nicht bewusst auf die Steine, sondern laufe eher drumherum. Das oft auch gehörte Gegenargument, dass die Stolpersteinverlegung ja nur ein Geschäft für den Künstler sei, findet Reschke ebenfalls nicht stichhaltig: „Ob damit Geld gemacht wird, ist mir egal. Es wird mit so vielem Geld gemacht.“

Problematisch findet die Wunstorferin ganz andere Dinge, nämlich dass in der Stadt zwar über die Juden getrauert werde – aber ohne Juden. Sie persönlich sei etwa noch nie zur jährlichen Gedenkveranstaltung eingeladen worden.

„Super Idee, endlich“

Friedlies Reschke zu den Stolpersteinplänen

Reschke sieht auch pragmatische Gründe – und darunter einen besonderen Aspekt: Für Hausbesitzer sei es wesentlich einfacher, einen Stein ins Pflaster vor dem Gebäude integrieren zu lassen, als direkt an der Fassade zu arbeiten. Goldene Steine im Fußboden fielen zudem eher auf als eine Platte am Haus. Letztlich würden die Menschen die Stolpersteine heutzutage auch als solche kennen. „Wenn es die Möglichkeit gibt in Wunstorf, dann finde ich das gut“, so Reschke.

Kritik zurückgewiesen

Anne Dalig, Grünen-Fraktionschefin im Wunstorfer Stadtrat, gibt Auskunft auf die Frage, weshalb die Argumente von Gabriella Meros zu keiner Abkehr von den Stolpersteinplänen führten. Sie könne die Einwände zum Teil verstehen, sagt Dalig im Gespräch mit der Auepost, doch dass Stolpersteine kein würdiges Gedenken seien, das sehe man nicht so. Sie seien vor allem geeignet, um den Blick direkt im Alltag auf die Orte zu lenken. Sie würden permanent in den Blick geraten – und nicht nur einmal im Jahr bei einer Gedenkveranstaltung. Daher sei man den Argumenten von Meros nicht gefolgt.

Anne Dalig (Archiv) | Foto: Deppe/Dombrowski

„Man beugt den Kopf und sieht: da haben die Leute gelebt“, sagt auch Birgit Mares. Die Grünen-Politikerin und dritte stellvertretende Bürgermeisterin hatte dafür gesorgt, dass die Stolpersteine ursprünglich sogar ins grüne Wahlprogramm aufgenommen worden waren.

„Man beugt den Kopf und sieht: da haben die Leute gelebt“

Birgit Mares

Die Steine würden nicht im Staub mit Füßen getreten, meint Mares und zitiert dazu direkt die AfD, die im Wunstorfer Stadtrat die Stolpersteine zu diesem Aspekt mit dem Walk of Fame in Hollywood verglichen habe – dort sehe man die Verlegung im Boden auch nicht als problematisch an. Zudem wolle man versuchen, ob man an den Wunstorfer Schulen Patenschaften für die Stolpersteine arrangieren könne, so dass von dieser Seite künftig auch auf die Sauberkeit geachtet werde. „Wenn das nicht klappt, dann putzen wir die Steine eben selbst“, sagt Mares.

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Kommentare


  • U. Schmoll sagt:

    Sie kann anscheinend nicht aufhören, den in München ausgetragenen Streit über das Stolperstein-Projekt mit ihrer Einmischung nach Wunstorf zu tragen, Gabriella Meros. Dies ist umso besser zurückweisen, je mehr Informationen wir haben.
    Der Stadtrat in München hat 2004 und nochmal 2015 beschlossen, der Verlegung von Stolpersteinen auf öffentlichem Grund nicht zuzustimmen. Daraufhin reagierte die „Initiative Stolpersteine für München“ des Wahlmünchners Terry Swartzberg mit der Ansprache von Grundstückseigentümern, auf deren Grund Stolpersteine verlegt werden konnten. Bis Juli 2022 wurden 147 Stolpersteine – verlegt -, 203 weitere in einem Keller – aufbewahrt – und 6 in Kultureinrichtungen – ausgestellt -.
    Einzelheiten zu den Menschen, an die mit den Steinen erinnert wird, finden sich auf der WIKIPEDIA-Seite „Liste der Stolpersteine in München“.
    Mehr zu der Initiative von Terry Swartzberg aus der liberalen jüdischen Gemeinde sind auf der Webseite – http://www.stolpersteine-muenchen.de – zu finden.
    Diese unbeirrte Initiative in München könnte Bestärkung für Wunstorf sein.

  • U. Schmoll sagt:

    Sie kann anscheinend nicht einhalten, den in München ausgetragenen Streit über das Stolperstein-Projekt mit ihrer Einmischung nach Wunstorf zu tragen: Gabriella Meros. Dies ist umso besser zurückweisen, je mehr Informationen wir haben.

    Der Stadtrat in München hat 2004 und nochmal 2015 beschlossen, der Verlegung von Stolpersteinen auf öffentlichem Grund nicht zuzustimmen. Daraufhin reagierte die „Initiative Stolpersteine für München“ des Wahlmünchners Terry Swartzberg mit der Ansprache von Grundstückseigentümern, auf deren Grund Stolpersteine verlegt werden konnten. Bis Juli 2022 wurden so 147 Stolpersteine – verlegt -, 203 weitere in einem Keller – aufbewahrt – und 6 in Kultureinrichtungen – ausgestellt -.

    Einzelheiten zu den Menschen, an die mit den Steinen erinnert wird, finden sich auf der WIKIPEDIA-Seite „Liste der Stolpersteine in München“.

    Mehr zu der Initiative von Terry Swartzberg aus der liberalen jüdischen Gemeinde sind auf der Webseite – http://www.stolpersteine-muenchen.de – zu finden.

  • Weileder sagt:

    Der Anblick dieser Steine ist dermaßen inflationär, dass Hinz und Kunz ihnen schon gar keine Beachtung mehr schenken. Das ist nicht der Sinn des Gedenkens.

    Gedenken setzt individuelles, persönliches Innehalten voraus. Das kann man nicht, wenn eine Reizüberflutung von außen stattfindet. Wenn man Tag für Tag die Straße entlang geht und immer dieselben Stolpersteine sieht, ignoriert man sie irgendwann. Sie haben dann höchstens einen touristischen Effekt. Das ist nicht der tiefere Zweck der Sache.

  • Wunni sagt:

    Habe auch meine Zweifel, ob das wirklich von Opfern so gewollt wäre, dass ihre Namen nun als Fußabtreter für die Nachfahren der Täter dienen sollen. Böse Zungen behaupten, dass die Leute im Stadtrat nur zugestimmt haben, um bloß nicht in den Verdacht geraten Antisemiten zu sein.. da erübrigt sich dann auch jede Diskussion über noch so kuriose Varianten des „Gedenkens“.

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