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Über das Hamstern, irre Bahnhofstoiletten und warum Stadtmitarbeiter im Notfall Lebensmittel an die Haustür bringen

24.05.2020 • Daniel Schneider • Aufrufe: 356

Wunstorfs Bürgermeister Rolf-Axel Eberhardt im monatlichen Auepost-Interview

24.05.2020
Daniel Schneider
Aufrufe: 356

Rolf-Axel Eberhardt

Die Stadt hat bereits Anfang März auf ihrer Website über das Coronavirus informiert, als die jetzige Entwicklung noch nicht absehbar war. Was war der Grund?
Es hatten sich bereits viele Leute erkundigt, ob Veranstaltungen abgesagt werden müssen.

Gehen Sie privat selbst in den Supermarkt? Haben Sie Ihre Toilettenpapiervorräte erhöht?
Nein. Meine Frau geht einkaufen. Aber wir haben keinerlei Vorkehrungen getroffen, Nahrungsmittel anzusammeln. Aber wir haben etwas mehr Desinfektionsmittel gekauft, weil es knapp wurde.

Es ist nicht die Pest!

Haben Sie dieses Ausmaß an Hamsterkäufen erwartet?
Ich habe es befürchtet. Aber es ist völlig übertrieben. Wenn Sie wirklich unter Quarantäne stehen, dann haben wir hoffentlich in vielen Straßen Wunstorfs eine ordentliche Nachbarschaft. Dann kommt der Nachbar und geht für Sie einkaufen. Falls das nicht klappt, dann springt die Stadt ein. Wenn jemand in Not ist, würden wir helfen. Dann kann man sich bei der Stadt melden. Das ist unsere Aufgabe. Es darf niemand verhungern. Außerdem gibt es ja Lieferdienste.

Wer ordnet in Wunstorf eine Quarantäne an?
Das Gesundheitsamt in Hannover. Wir stehen mit diesem in enger Abstimmung. Es wird Erkrankungen geben, aber ich hoffe, dass sie ablaufen wie eine normale Grippe.

Wie steht es mit der Nordumgehung?
Der Anwalt des Klägers hat Rechtsmittel gegen die nicht zugelassene Revision eingelegt, diese liegt jetzt beim Bundesverwaltungsgericht. Der Anwalt der Straßenbaubehörde hat seinerseits um Fristverlängerung gebeten, weil es ein umfangreiches Schriftwerk ist.

Wann wird mit einer Entscheidung gerechnet?
Vielleicht Ende des Jahres, vielleicht nächstes Jahr wird es eine Entscheidung geben.

Wann könnte der Spatenstich dann erfolgen?
Im Frühjahr 2021. Das ist ein optimistisches Szenario, aber nicht ganz ausgeschlossen. Es kann aber auch ganz anders kommen.

Während der jüngsten Ortsratssitzung hatten Sie den Vertretern der OHE bezüglich des zu errichtenden Bahnübergangs am Ortsausgang nach Bokeloh gesagt, es könne noch 5 Jahre dauern mit der Umgehungsstraße.
Selbst wenn nächstes Jahr Baubeginn wäre, gehe ich davon aus, dass die gesamte Maßnahme noch mindestens 5 Jahre dauert, vielleicht auch 6 Jahre, bis dort das erste Auto fährt. Diese Zeit ohne Schranke muss abgewogen werden. Die OHE war nur von 2 oder 3 Jahren Bauzeit ausgegangen und wollte deshalb keinen Bahnübergang mehr bauen.

Wird der Bahnübergang kommen?
Wenn dort 12 Züge am Tag entlangfahren, ist es nicht ausgeschlossen, dass man auch eine Schrankenlösung braucht. Die Leute fahren dort schneller als an der „Sölterkreuzung“ in der Innenstadt.

Aber die Schranke am Medicum kommt sicher?
Der Antrag ist gestellt worden und liegt jetzt bei der Landesbehörde. Das Problem, das ich sehe, ist die Signaltechnik. Der Flaschenhals dabei ist nicht die OHE, sondern die Landesbehörde, die eine neue Signalanlage freigeben muss. Dort fehlen die Personalkapazitäten. Es könnte daher sein, dass alles gebaut wird, aber am Ende nicht eingeschaltet wird, weil die Freigabe fehlt. Der Leiter des Landesamtes konnte es aus heutiger Sicht nicht zusagen. Da müssen wir bis zum 1. Juli 2021 ran, das muss gemacht werden. Alles andere wäre nicht vermittelbar. In dieser Sache habe ich bereits Herrn Althusmann angeschrieben.

Schnell kam jetzt aber doch die Abschaffung der Straßenausbaugebühren. Ab wann zahlen Anlieger nicht mehr?
Die Beteiligung wird zum 1. Juli 2020 abgeschafft. Für alle Straßenausbaumaßnahmen, die bis dahin abgerechnet sind bei der Stadt, können wir noch Forderungen erheben. Faktisch können wir Baumaßnahmen, die seit dem 1. Januar begonnen haben, aber nicht mehr abrechnen. Das ist zeitlich nicht möglich. Der Veilchenweg ist die letzte Straße, die wir abrechnen werden.

Die Eigentümer im Veilchenweg ärgern sich also richtig.
Wir mussten eine Stichtagsregelung machen. Sonst wäre es noch ungerechter gewesen. Diejenigen, die noch bezahlen müssen, profitieren aber von einem reduzierten Satz und bekommen die Möglichkeit der Ratenzahlung über 20 Jahre.

Die Anwohner in der Lütjen Deile müssen also nicht mehr zahlen?
Das ist komplizierter. Man muss unterscheiden zwischen Straßen, die bereits ausgebaut sind – wie im Veilchenweg –, die nun wiederhergestellt werden. Für diese Straßen sind die Gebühren abgeschafft. Aber sie sind nicht abgeschafft für Straßen, die erstmals hergestellt werden. Das ist in der Lütjen Deile der Fall.

Wie viele Außenstände gibt es noch?
Acht oder neun Straßen sind noch nicht abgerechnet. Erst wenn die letzte Schlussrechnung eingeht, also z. B. für das Pflanzen von Bäumen, dann entsteht die Beitragspflicht.

Wie wurde es in der Vergangenheit gemacht, wenn jemand wirklich nicht zahlen konnte? Das typische Beispiel: die mittellose Rentnerin in ihrem kleinen Häuschen.
Das Beispiel ist konstruiert. Das gab es so nicht. Es gibt sicher Menschen, denen es schwerfällt, aber die Finanzierung hat immer irgendwie funktioniert. Wir haben auch schon mit Stundungen gearbeitet oder Bankkrediten, aber es ist deswegen noch nie ein Haus in Wunstorf unter den Hammer gekommen.

Was macht die Bahnhofstoilette?
Es scheitert jetzt an den Verträgen mit der Bahn. Wir sollen die volle Haftung für Wasserschäden übernehmen. Das lässt sich aber nicht versichern. Wenn Signaltechnik der Bahn bis Seelze beschädigt wird, kann das richtig ins Geld gehen. Das können wir nicht machen. Dann verzichten wir lieber auf die Toilette und stellen ein Dixi-Häuschen hin. Auch der Toilettenschlüssel darf nicht wie geplant beim Kiosk hinterlegt werden.

Mit welcher Begründung?
Die Bahn sagt: Das haben wir noch nie so gemacht.

Zu wie viel Prozent ist der Bau der Bahnhofstoilette noch wahrscheinlich?
60 Prozent. Der Verwaltungsaufwand ist irre.

Hat sich bei der Situation bezüglich Amazon etwas Neues ergeben?
Ich habe das Gefühl, es ist besser geworden. Wir haben ein längeres Gespräch gehabt, auch mit dem Eigentümer der Immobilie – die Brachfläche neben Amazon wird nun zum Parkplatz. 850 Parkplätze werden dort geschaffen, damit die Mitarbeiter auch dort parken können. Auch in Kolenfeld ist die Eigentümerin im Gespräch mit dem Lieferdienst. Es entspannt sich jetzt.

Es ist also rechtlich nicht in Ordnung, dass sich im alten Kolenfelder Volksbankgebäude ein Subunternehmer angesiedelt hat?
Nein. Ich habe erhebliche Zweifel, dass das Transportgewerbe mit Umladen bei Tag und Nacht in dieser Intensität dort genehmigungsfähig ist. Büronutzung wäre dort möglich, aber nicht 20 bis 30 Fahrzeuge mit 40 Mitarbeitern in den kleinen Räumlichkeiten. Das ist nicht abgedeckt.

Gab es viele Beschwerden in Kolenfeld deswegen?
Ja, und zwar berechtigte. Amazon ist auch bemüht, unseren Beschwerden nachzugehen. Der Leiter ist sehr kooperativ. Aber es dauert alles seine Zeit.

Auch auf den Park-and-ride-Parkplätzen am Bahnhof sollen öfters viele weiße Lieferwagen die Stellplätze belegen. Haben Sie dort eine Handhabe?
Nein. Aber gegen Amazon. Wir rechnen die Subunternehmen Amazon zu, und das alles muss auf dem Betriebsgelände von Amazon stattfinden.

Bekommen Sie viele Hinweise auf Missstände in der Stadt?
Ja, heute war schon wieder jemand da. Oft sind es auch anonyme Hinweise, aber dort gehen wir den Hinweisen nur im Ausnahmefall nach. Denunzianten mag ich nicht.

Da machen wir aber nicht mit

Worum geht es dabei am häufigsten?
Grenzabstände, illegale Anbauten. Auch bei den Schützenfesten gibt es immer mindestens einen, der sich darüber beschwert. Lärm ist ein extremer Beschwerdegrund geworden, die Leute fühlen sich gestörter.

Wann schreitet die Stadt ein?
Es gibt Fälle, da wurde 30 Jahre lang etwas geduldet, und jetzt ärgern sich die Leute untereinander, und dann werden wir nach 30 Jahren aufgefordert, einzuschreiten. Dann sage ich: Wenn ihr 30 Jahre in Frieden gelebt habt, dann machen wir da nichts mehr. Es gibt Fälle, bei denen ich fassungslos davorstehe und sage: Warum vertragen sich die Leute nicht? Das nimmt zu, und die Stadt wird gerne als Vehikel genutzt, um Nachbarschaftskonflikte auszutragen. Da machen wir aber nicht mit. Wenn natürlich eine Gefahr für Leib und Leben besteht, wie beim Brandschutz, dann müssen wir einschreiten. Das hat sich völlig verändert. Die Nachbarschaft hat nicht mehr den Stellenwert, den sie eigentlich haben sollte. Vielleicht ändert sich das aber jetzt wieder durch den Coronavirus.


Die Fragen stellte Daniel Schneider
Dieses Interview erschien zuerst in Auepost #7 (04/2020).

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