Wunstorfer Auepost
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Von Fahrradparkhäusern, Toiletten und anderen Innovationen

01.12.2019 • Daniel Schneider • Aufrufe: 363

Wunstorfs Bürgermeister Rolf-Axel Eberhardt im monatlichen Auepost-Interview

01.12.2019
Daniel Schneider
Aufrufe: 363

Rolf-Axel Eberhardt

Retax-Bussystem, öffentliche Solar-Smartphoneladebank, Elterntaxizonen, jetzt der vollautomatische Fahrradparkturm. Wunstorf ist oft ganz vorne mit dabei, wenn es um innovative Projekte geht. Wie kommt das?
Das R-Bus-Projekt kam nur, weil der Bundesforschungsminister die Gelder gegeben hat. Da gab es einen Herrn Kutzer, damals Vorsitzender des Großraumverbandes für den Öffentlichen Personennahverkehr – und er war Wunstorfer. Wie sehr Kutzer Einfluss genommen hat, kann ich nicht sagen, aber er wird es sicherlich befürwortet haben. Wenn Sie gut vernetzt sind, dann haben Sie auch die Chance, solche Projekte zu bekommen. Und wir haben einen aufgeschlossenen Rat und Kontinuität in der Stadt: Politiker bauen sich Netzwerke auf, und durch diese sieht man Projekte auf sich zukommen – bei denen man dann auch mal die Hand heben kann.

Beim Fahrradturm gab es viel Kritik. Warum braucht Wunstorf ein Radparkhaus?
Beim Fahrradturm hat die Lage eine große Rolle gespielt, weil wir viele Fahrräder am Bahnhof haben. Wunstorf ist einer der wichtigsten Bahnhöfe in Norddeutschland, auf Platz 3 oder 4 im Bahnranking. Daher liegt der Fokus auch immer auf Wunstorf. Der Turm ist ein Forschungsprojekt der Bundesregierung und der Region Hannover, Wunstorf übernimmt später nur die Wartung. Erst muss aber noch geklärt werden, wie der Ablauf ist, wenn z. B. durch eine Störung das Fahrrad nicht mehr runterkommt. Der große Vorteil ist: Man kann die Fahrräder wegschließen, sie werden nicht gestohlen und beschädigt. An den normalen Fahrradständern ist ein Rad schnell demoliert. Die Abstellanlagen sind völlig überfragt, wir haben Wartelisten mit 200 bis 300 Leuten. Zudem haben wir zu wenig Abstellplätze, da zu wenig Fläche, alles steht ungeordnet herum. Für einen Fahrradturm gibt es wirklich gute Argumente.

Steht schon fest, was die Benutzung kosten wird?
Nein, bislang waren die Abstellanlagen aber immer kostenlos. Wahrscheinlich wird man nur eine Registrierung brauchen und eine Schutzgebühr zahlen müssen bei Vorlage der ÖPNV-Dauerkarte, wie bei den Fahrradkäfigen.

Bei der privaten Fahrradstation wurde im Oktober innerhalb kurzer Zeit zweimal eingebrochen. Wie will man sowas beim Fahrradturm verhindern?
Womöglich wird es Videoüberwachung geben. Der Turm selbst als geschlossenes System soll auch sicher sein.

Werden Sie den Fahrradparkturm selbst nutzen?
Wenn ich nach Hannover fahre, klar. Ein Problem ist manchmal die Zuverlässigkeit der Züge bei bestimmten Terminen, da ist man mit dem Auto leider schneller, aber da werde ich mich in Zukunft ein wenig umstellen, weil wir gerade im Nahverkehr attraktiver werden wollen, und da haben wir Bürgermeister eine gewisse Vorbildfunktion. Wolfsburg ist die Autostadt, und Wunstorf soll die Fahrradstadt werden. Wir werden noch viel nachbessern müssen, aber das ist die Vision.

Also ist der Fahrradturm nur der Auftakt?
Ja, es geht weiter. Fahrradwege spielen eine große Rolle, jede Ortschaft macht sich gerade Gedanken, wie man das Fahrradnetz verbessern kann, das fügt sich vielleicht zu einem großen Ganzen zusammen.

Glauben Sie, dass in 20 Jahren das Fahrrad im Gegensatz zum Auto eine sehr viel größere Rolle spielen wird als heute?
Das wird immer individuell zu entscheiden sein. Aber wenn man einen attraktiven Bahnverkehr hat und mit Bussen viel länger braucht, fahr ich doch lieber mit dem Fahrrad vom Düendorfer Weg zum Bahnhof als mit dem Auto. Eine Sache wird auf jeden Fall kommen, da bin ich mir sicher: In 10 Jahren werden in den Innenstädten nur noch Elektroautos fahren. Wenn man nicht wie die Heringe sitzt, dann werden die Leute auch in die Züge steigen. Asiatische Verhältnisse, wo Autos vor lauter Fahrrädern gar nicht mehr fahren können, wollen wir nicht, aber es soll ein so attraktives Angebot sein, dass die Leute von sich aus Fahrrad fahren. Wir haben ja bereits viele Fahrradfahrer in der Stadt, vor allem an den Schulen. Dort wollen wir attraktive Fahrradabstellplätze, die Schüler sollten nicht mit dem Auto kommen, und die Lehrer auch nicht.

Bürgermeister auf Solarladebank

Bürgermeister Eberhardt auf Wunstorfs Solar-Smartphoneladebank | Foto: Daniel Schneider

Ist es dann nicht kontraproduktiv, wenn man Elterntaxizonen baut?
Da gebe ich Ihnen recht. Aber es gibt keine Alternative. An der Stadtschule z. B. fahren die Eltern bis auf den Schulhof, blockieren die Kinder, die mit dem Fahrrad kommen, haben es eilig und fahren zu schnell, Kinder kommen nicht mehr über die Straße. Da gibt es das totale Verkehrschaos. Durch die Bringzonen hoffen wir diese Situation zu entspannen, damit keine Unfallschwerpunkte entstehen. Das ist aber kein Wunstorfer, sondern ein gesellschaftliches Problem. Hier muss ein Umdenken erfolgen, damit die Eltern bereit sind, ihre Kinder nicht mehr mit dem PKW zu bringen. Man kann nicht Kinder von jeglichem Risiko befreien, wenn man sie nur in Watte packt, dann haben sie es im Leben auch nicht einfacher. Mit den Risiken in unserer Gesellschaft, und dazu zählt auch der Straßenverkehr, müssen Kinder umgehen können.

Das heißt, die Stadtschule bekommt auch noch eine solche Zone?
Ja, die Bringzone an der Stadtschule kommt.

Ist das nur ein Problem in der Kernstadt oder auch der Ortsteile?
Aus Steinhude kam ebenfalls ein Hilferuf der Schulleitung. Dort will man auch eine Bringzone, und wir werden sie einrichten. Es fehlen auch Fahrradständer. Keine Fahrradständer haben und gleichzeitig fordern, dass die Kinder mit dem Fahrrad kommen, geht nicht. Da werden wir nachbessern.

In den 90er Jahren gab es Pläne, „Verwaltungssäulen“ aufzustellen. War das Ihre eigene Idee?
Ja. Das war 1997, als ich noch Erster Stadtrat war. Kontoauszugsdrucker waren richtig in, Online-Banking ging allmählich los. Da war die Idee: Warum nicht an der Sparkasse noch einen weiteren Automaten aufstellen, so dass man nicht auf die Öffnungszeiten im Bürgerbüro angewiesen ist? Da hatte die Stadt noch nicht einmal einen Internetauftritt. Nicht mal E-Mail-Adressen. Es gab nur eine halbe Stelle für EDV, kaum jemand hatte Computer.

Wie war das gedacht? Hätte dann in jedem Ortsteil so eine Säule gestanden?
Ja, in den Bankfilialen neben den Geldautomaten, wegen der Zugänglichkeit rund um die Uhr. Man hätte Verwaltungsvorgänge erledigen, Beschwerden einreichen oder Formulare ausdrucken können. All das, was heute über E-Mail und Internet läuft.

Was ist daraus geworden?
Die Idee hatte sich durch die Digitalisierung natürlich überholt. In den 90er Jahren war aber mir noch nicht bewusst, dass sich das alles so rapide mit dem Internet entwickeln würde. Der Grundgedanke ist aber geblieben. Wir werden bald Online-KFZ-Anmeldung haben. Auch Pässe und Reisepässe werden online beantragt werden können. Man braucht nur keine Säulen mehr. Die Säule ist heute der PC im Haus.

„1.000 Hackerangriffe pro Tag“

Wird aktuell mehr online erledigt oder kommen die Wunstorfer lieber noch persönlich?
Wir sind genau an der Schwelle. Noch kann man nicht alles von zuhause aus machen, es scheitert oft an der nötigen Unterschrift. Aber online ist die Zukunft. Beim Antrag von Kindergartenplätzen geht das bereits heute, das ist ein völlig automatisierter Verwaltungsvorgang. So soll es auch in den anderen Bereichen laufen.

Wird das Bürgerbüro dann abgeschafft?
Ganz abgeschafft sicher nicht. Es gibt z. B. noch viele, die eine digitale Unterschrift auf dem Personalausweis aus Datenschutzgründen ablehnen und keinen Fingerabdruck abgeben wollen. Die Kehrseite der Digitalisierung sieht man auch gerade in Neustadt, wo Emotet den Großteil der Verwaltung lahmgelegt hat. Wir haben in Wunstorf über 1.000 Hackerangriffe am Tag, die von vornherein gleich geblockt werden, aus China, aus Mexiko … Auch die Verwaltungshotline 115 wird kommen. Das nimmt uns zwar etwas den Bürgerkontakt, wird aber Informationsflüsse beschleunigen.

Wer eine Info aus dem Wunstorfer Rathaus will, wird also nicht mehr ins Rathaus durchgestellt?
Nein, das wird eine Zentrale in Hannover sein, die aber Zugriff auf die Strukturen des Rathauses haben wird.

Welche Vision, welches Zukunftsprojekt hätten Sie noch gern in Wunstorf?
Ein Erdwärmekataster, was schon in den Grundzügen existiert. Dann natürlich Ladesäulen an den Parkplätzen. Das Wichtigste ist allerdings … die Bahnhofstoilette (lacht). In den 80er Jahren gab es noch eine Toilette auf dem Bahnhof. Zur Expo hat man dann vieles umgebaut und gesagt, die Leute sollen in den Zügen auf Toilette gehen. Dann gab es beim ZOB eine Toilette, die haben die Leute nicht gefunden, und nach dem steigenden Unmut haben wir als Stadt beschlossen: Wir bauen sie selbst. Herr Varnholt (ehem. Baureferent, Anm. d. Red.) nahm sich damals der Sache an … und gab nach 3 Jahren wieder auf, weil „das mit der Deutschen Bahn nicht zu machen sei“.

Warum nicht?
Dort, wo die Toilette ursprünglich stand, lag ein Kabelstrang, der das gesamte Wunstorfer Stellwerk betroffen hätte. Wegen der Bedeutung bestand die Bahn auf besondere Absicherung gegen Vandalismus, das wäre jedoch gleich 6- bis 7-stellig geworden. Die Versicherungen winkten ab. Die Bahn selbst war nicht interessiert, erst jetzt mit dem derzeitigen Bahnhofsmanager ist eine Lösung in Sicht: Im ehemaligen Bundesbahnsozialwerk sind zwei große Räume frei, im Bahnhofsgebäude gegenüber dem Kiosk, die dürfen umgebaut werden. Die Bauverwaltung wird dort zwei Unisextoiletten errichten lassen, wenn der Rat für den Haushalt 2020 die entsprechenden Mittel bewilligt.

„Man kommt mit dem Fahrrad in den Fahrradturm und kann dann sogar noch auf die Toilette gehen“

Wie lange wird das dauern?
Das können wir nicht abschätzen bei der Bahn. Wir dürfen den Antrag nicht selbst stellen beim Eisenbahnbundesamt, sondern das muss der Bahnhofsmanager machen. Die Umbaumaßnahmen muss die Bahn veranlassen. Das Eisenbahnbundesamt prüft dann, ob der Eingriff dazu führt, dass der Bahnverkehr in irgendeiner Art gefährdet wird. Dazu gibt es ein Extra-Planungsbüro, das von der Bahn zertifiziert sein muss, das wird uns genannt, dann werden wir uns drei Angebote einholen, und der günstigste Architekt fertigt dann die Pläne für den Bahnhofsmanager. Der Bahnhofsmanager leitet das zum Eisenbahnbundesamt, das Eisenbahnbundesamt prüft maximal 32 Wochen, und wenn die Prüfung dann positiv ausfällt, gibt es einen Bescheid. Dafür gibt es dann eine Freigabe, und dann erst sagt die Bahn: „Liebe Stadt, jetzt kannst du einen Unternehmer beauftragen.“ Das müssen wir dann wieder ausschreiben.

Der Unternehmer muss dann aber nicht zertifiziert sein?
Nein, aber er wird von einem zertifizierten Planungsbüro beaufsichtigt. Und wenn dann die Toiletten fertig sind, brauchen wir noch eine formelle Freigabe. Und dann, erst dann, kann die Toilette auch vom Bürgermeister genutzt werden. 2021 wäre das, vielleicht eher Ende 2020.

Und dann hat Wunstorf nach 30 Jahren wieder eine Bahnhofstoilette.
Das hoffen wir. Wir sind eben innovativ.

Die Fragen stellte Daniel Schneider
Dieses Interview erschien zuerst in Auepost 11/2019.

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