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Neues Glück beim anderen Geschlecht

22.10.2020 • Andreas Bauer • Aufrufe: 1000

Sie lernen sich über das Studium kennen. Sie verlieben sich, heiraten und kaufen ein Haus in Wunstorf. Kurz darauf folgt jedoch die Trennung, weil Nadine sich dem gleichen Geschlecht hingezogen fühlt und sich in eine Frau verliebt.

22.10.2020
Andreas Bauer
Aufrufe: 1000

Sie lernen sich über das Studium kennen. Sie verlieben sich, heiraten und kaufen ein Haus in Wunstorf. Nadine ist 37 Jahre, Steve 41. Kurz darauf folgt jedoch die Trennung, weil Nadine sich dem gleichen Geschlecht hingezogen fühlt und sich in eine Frau verliebt.

Neues Glück beim anderen Geschlecht

Nadine und Steve haben sich getrennt, fühlen sich aber noch immer verbunden. | Foto: Mirko Baschetti

Im Jahr 2006 lernen sich die beiden während des Jura-Studiums kennen. Steve verguckt sich in Nadine, doch „anfangs wurden meine Bemühungen in einer steten Regelmäßigkeit abgeschmettert“, sagt er schmunzelnd. Im Folgejahr werden er und Nadine ein Paar, und Steve wohnt zu Beginn noch in Nadines Studenten-WG, bevor sie in eine gemeinsame Wohnung ziehen.

Nach dem Studium arbeiten die beiden Juristen im gleichen Finanzinstitut. 2012 ist die Hochzeit, und das Glück scheint vollkommen. Doch der Bund fürs Leben hat unsichtbare Risse, denn Nadine hadert mit ihren Gefühlen. Sie fühlt sich schon immer zu Frauen hingezogen, hat sich jedoch nie ernsthaft mit dem Thema oder ihrem Empfinden zum gleichen Geschlecht auseinandergesetzt. „Ich komme aus einem Dorf im Osten, und dort sah man keine homosexuellen Paare.“ Auch im Schulunterricht wurde es nicht behandelt. Es schien im öffentlichen Leben nicht sichtbar zu sein – und eine öffentliche Auseinandersetzung nicht stattzufinden.

Dann stehe ich halt auf beide Geschlechter

Auch wenn Nadine sich ihrer Neigung durchaus bewusst war, startete sie keine ernsthaften Annäherungsversuche, und mehr als romantische Gefühle gestand sie sich nicht ein. „Dann stehe ich halt auf beide Geschlechter“, sagt sie. Freunden oder der Familie hatte sie sich nicht anvertraut. „Ich habe es mit mir selbst ausgemacht und hatte vermutlich auch nicht den Mut, diese Gefühle offen auszusprechen“, sagt Nadine. „Das eher wertkonservative Elternhaus tat ein Übriges“, ergänzt Steve. „Über allem schwebte die Heteronormativität“, ist sich Nadine sicher. „Wenn du später mal heiratest mit dem Mann deiner Träume. Das verfestigt fremde Gedankenmuster in deinem eigenen Kopf“, sagt sie. „Doch wenn man anders fühlt, scheint man anders zu sein.“

Die letzten Jahre ihrer Ehe sind eher von einer zweckdienlichen Wohngemeinschaft denn von romantischen Gefühlen geprägt. „Als Team funktionierten wir super“, sagt Steve, „aber als Liebespaar nicht mehr.“ Dennoch entschließen sie sich dazu, 2018 ein Haus in Wunstorf zu kaufen. Ein Kinderwunsch ist nur kurz ein Thema. „Wir haben viel dafür getan, dass es nirgends wieder aufploppt“, sagt Steve.

Doch etwas fehlt zum perfekten Glück. „Ich fragte mich, ob ich so bis an mein Lebensende leben möchte“, sagt Nadine, „mit einem Mann, der mich liebt, aber meine Sehnsucht nie erfüllen kann.“ Als ihr Verlangen nach dem gleichen Geschlecht Überhand nimmt und im gleichen Maße ihre Unzufriedenheit wächst, will Nadine ihre innere Stimme nicht länger ignorieren. Sie vertraut sich einer Freundin an. „Das war für mich schon ein relativ großer Schritt“, sagt sie, und zu diesem Zeitpunkt scheut sie die Aussprache mit ihrem Ehemann. Wenige Monate später bricht sie ihr Schweigen und offenbart sich. „Das war eher kurz und schmerzlos“, sagt sie.

Von der sexuellen Ausrichtung seiner Ehefrau ahnte Steve nichts. „Es gab für mich keine Anzeichen“, sagt er. Wenn es um sexuelle Phantasien oder gedankliche Vorlieben in der Ehe ging, hätten bei Nadine zwar stets Frauen eine Rolle gespielt, doch offen darüber gesprochen habe sie nicht. „Ich war verklemmt genug, nicht darüber zu reden“, sagt Steve. „Sie war unzufrieden mit der jetzigen Situation und wollte gerne Frauen daten”, fährt Steve fort, der bis dato noch an den Erhalt der Beziehung glaubte. „Wir treffen beide Frauen, bleiben aber verheiratet“, glaubte er da noch.

Das Paar versucht sich an einer offenen Ehe. Oberflächlich wähnt es sich sicher in der schnellen Entscheidung und dem neuen Arrangement. Doch darunter schwelt die Unzufriedenheit weiter, und der Bruch wird nur aufgeschoben. Etwas Bleiernes liegt über der Ehe, und die Endgültigkeit muss ausgesprochen werden. Denn die Erkenntnis reift schnell in ihnen, dass das Konzept einer offenen Ehe für sie nicht funktioniert. „Es nahm uns die Möglichkeit, in einer anderen Beziehung glücklich zu sein“, erklärt Nadine. Die körperliche Distanz war für beide wesentlich einfacher als die emotionale, aber „erst die offizielle Trennung gibt Raum für wirklich Neues“, glaubt Steve. Diese war letztlich für beide befreiend. „Der Ballast der letzten Monate war abgefallen“, sagt Steve.

Kurz darauf greift Nadine zum Hörer und ruft ihre Eltern an. „Ich habe gesagt, dass wir uns trennen, und den Grund genannt. Da muss man nix schönreden.“ Gleichzeitig berichtet Steve seinen Eltern von der Trennung. „Auch wenn sie es ziemlich cool aufgenommen haben, brach das Luftschloss mit Enkeln erst einmal zusammen.“

Was macht ihr mit dem Haus, was mit der Katze?

Nach der Bekanntgabe, dass die beiden sich trennen, ähneln sich die ersten Bemerkungen sehr. „Vorrangig ging es um Fragen wie ‚Was macht ihr mit dem Haus? Was macht ihr mit der Katze?‘ Erst anschließend kamen Fragen zum emotionalen Befinden“, erzählt Steve.

Seit etwa zehn Monaten ist Nadine in einer neuen Beziehung. Auch Steve kennt die neue Frau an Nadines Seite, die auch im noch gemeinsam bewohnten Haus Gast ist. „Ich bin froh, dass Nadine jemanden gefunden hat“, sagt Steve, der ein gutes Verhältnis zur neuen Freundin seiner Frau hat. „Ich mag sie.“ Mit einem neuen Mann an ihrer Seite hätte Steve Schwierigkeiten gehabt. „Vermutlich wäre ich damit nicht klargekommen und sehr eifersüchtig gewesen. Aber einen Kampf um eine Frau hätte ich nie gewinnen können.“

Anfangs hat Nadine noch Hemmungen, ihre Zuneigung öffentlich zu zeigen, auch und gerade Steve gegenüber. „Ich wollte ihn nicht gleich vor den Kopf stoßen.“ Die neue Situation stellt sie vor neue Herausforderungen. „Es war zu Beginn schon ungewöhnlich, mit einer Frau Hand in Hand durch die Stadt zu gehen“, sagt Nadine. „Manchmal gucken die Leute blöd. Ich versuche, nicht darauf zu achten, aber ein komisches Gefühl habe ich manchmal schon.“

Wir haben an dieser Ehe festgehalten, weil wir uns nicht verlieren wollten

In der neuen Intimität mit dem gleichen Geschlecht erlebt Nadine vieles neu, anders und frisch. „Früher waren es nur Phantasien, und nun kann ich es auch leben“, sagt sie freudig. Sexuell ausgetobt hat sie sich nicht, denn es gehe ihr weniger darum als um ihre innersten Gefühle. „Ich bin jetzt ein glücklicherer Mensch und muss nichts mehr verbergen.“

Das Haus ist mittlerweile verkauft, Nadine und Steve ziehen beide nach Hannover – in getrennte Wohnungen. Das Loslassen der langen Beziehung und der Ehe war für beide schwierig. „Wir gingen ja nicht im Streit auseinander, sondern sind bereits durch dick und dünn gegangen, das verbindet“, sagt Nadine. „Ich bin zwar kein Mensch für die ganz großen Emotionen, aber die Trennung schmerzte schon und machte traurig“, ergänzt Steve. „Wir haben an dieser Ehe festgehalten, weil wir uns nicht verlieren wollten.“

Sie bleiben auch weiterhin in Kontakt und teilen sich das gemeinsame Auto. Ob die beiden nochmals heiraten werden, wissen sie nicht. Es gilt vorrangig, das alte Kapitel zu beenden. Und ein neues aufzuschlagen.

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