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Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust

08.12.2020 • Mirko Baschetti • Aufrufe: 1459

Uwe Fabritz ist 59 Jahre alt und kann manchmal bedrohlich wirken. Dann wird sein Blick starr, die Stimme erhebt sich und sein gesamter Körper scheint auf Krawall gebürstet zu sein. So mancher Auestädter weiß darum, und in einigen Wunstorfer Geschäften bekommt er deshalb phasenweise Hausverbot.

08.12.2020
Mirko Baschetti
Aufrufe: 1459

Uwe Fabritz ist 59 Jahre alt und kann manchmal bedrohlich wirken. Dann wird sein Blick starr, die Stimme erhebt sich und sein gesamter Körper scheint auf Krawall gebürstet zu sein. So mancher Auestädter weiß darum, und in einigen Wunstorfer Geschäften bekommt er deshalb phasenweise Hausverbot.

Uwe ist so manches Mal in seinem Leben aus der Balance geraten

Uwe ist so manches Mal in seinem Leben aus der Balance geraten | Foto: Mirko Baschetti

Doch wer ihn näher kennt, weiß auch um seine andere Seite und schätzt Uwes zuvorkommende Freundlichkeit sowie seine Tier- und Kinderliebe. Diese Spaltung seiner Persönlichkeit trägt einen Namen: Schizophrenie. Für Uwe ist die Diagnose der Amtsärztin nur ein logischer Baustein in seiner persönlichen Biographie. Als jüngstes von drei Kindern zieht er mit seiner Familie im frühen Kindesalter von Rehburg nach Wunstorf. Bei einem tragischen Autounfall mit einem Frontalzusammenstoß nahe Luthe kommt der Vater ums Leben. Vier Tage nach Uwes 9. Geburtstag erscheinen zwei Polizeibeamte vor der Wohnung. „Meine Mutter hat meine Zimmertür geöffnet und schluchzte nur: ‚Euer Vati ist tot!‘ Wir waren geschockt.“ Und für Uwe, der seinem Vater besonders nahestand, bricht eine Welt zusammen, die nie ganz heil sein sollte.

Nach dem Besuch der Albert-Schweitzer-Schule lernt Uwe einen klassischen Handwerksberuf. Er wird in Gümmer zum Tischler ausgebildet und wirkt an vielen Ausbauten damaliger Banken mit. Doch kurz vor der Gesellenprüfung bekommt er vom Arzt eine niederschmetternde Diagnose. „Ich hatte ein verdrehtes Rückgrat und würde meinen Beruf nicht ausüben können“, erzählt Uwe. „Meinem Lehrberuf konnte ich nicht weiter nachgehen und musste abbrechen.“ Als er seinen Wehrdienst aus Überzeugung verweigern will, sieht Uwe sich mit zwei psychologischen Gesprächen vor der Kommission konfrontiert. Doch bevor das entscheidende dritte geführt werden konnte, wird Uwe an der Nasenscheidewand operiert und nachträglich ausgemustert. Er lernt anschließend Einzelhandelskaufmann und arbeitet in den unterschiedlichsten Betrieben: Nistac, Kettler, Marktkauf, Chopty, Mediamarkt. Die Reihe der Arbeitgeber ist lang und illuster. „Immer wo Bedarf war oder das Arbeitsamt mir ein Angebot machte, war ich zur Stelle“, sagt Uwe rückblickend.

„Exil“ in Österreich

Nach einigen beruflichen Serpentinen bewirbt er sich dann 1996 bei einem Baumarkt in Österreich. Und wird angenommen. „Ich habe sofort mein Säckel gepackt und bin rüber nach Krems gefahren“, grinst Uwe breit aus dem Gesicht. Er genießt diese Zeit sehr. Zweieinhalb Jahre lang leitet er unter anderem die Abteilung für Bilderrahmen, doch durch den Wechsel in der Marktleitung wird auch Uwe ausgetauscht. „Der Chef mochte keine Deutschen“, erzählt Uwe. „Jetzt weiß ich, wie man sich als arbeitsloser Ausländer fühlt.“ Er sieht keine weitere Zukunft im Nachbarland und kehrt nach Wunstorf zurück. In einem großen Elektronikgeschäft in Nienburg heuert er an und verkauft dort Autoradios. Die Anstellung hält nicht lange, und Uwe wird wieder arbeitslos. Und bleibt rastlos. Seine Zukunft sieht er erneut in der Alpenrepublik, wo in Wien Europas größter Mediamarkt entsteht. Im Jahr 2000 wird er angestellt und leitet dort die KFZ-Hifi-Abteilung.

Doch ein schicksalhafter Tag beendet seinen weiteren Aufenthalt in Österreich. Nach einem arbeitsreichen Tag geht er nach Feierabend nichtsahnend ins Parkhaus zu seinem Auto. Drei Männer werden auf Uwe aufmerksam, der sich kurz zuvor von einem Kollegen verabschiedet hat. An diesem Tag hält der rechtspopulistische Jörg Haider in Wien eine Rede und wettert auch gegen Ausländer. „Ich glaube, die waren bei der Kundgebung und haben mich Deutschen als Opfer auserkoren“, mutmaßt Uwe. Sie schlagen ihn nieder und treten mehrfach auf ihn ein. Blutüberströmt und schwer verletzt lassen sie ihn liegen. Eine Passantin kommt zufällig vorbei und leistet Erstversorgung.

Nach einem kurzen Krankenhausaufenthalt bricht er wenig später seine Zelte in Österreich erneut ab. Mit Gelegenheitsjobs in Wunstorf und Umgebung hält Uwe sich nach der Rückkehr über Wasser. Doch der Angriff im Wiener Parkhaus hinterlässt tiefe Spuren, nicht nur körperliche. Er leidet unter Panikattacken und Angstzuständen. Aufgrund des Attentats und den psychischen Folgen stellt Uwe einen Antrag auf Frühberentung, dem 2002 stattgegeben wird. Die Sehnsucht nach Heimat und Ruhe in Österreich lässt ihm jedoch keine Ruhe. So wagt er ein drittes Mal die Ausreise und fängt bei einer Autoteilefirma an. Doch auch dieser Aufenthalt währt nur kurz. Seine psychische Verfassung lässt keine Festanstellung mehr zu. Resigniert kehrt er zurück, um seine Mutter zu unterstützen, die ihm selbst so viele Jahre Hilfe und Unterstützung war. „Aber so hat jeder seine Päckchen zu tragen, oder?“, stellt Uwe die Frage in den Raum.

Wieder einmal das Ziel von Tätlichkeiten

Kämpfe prägen auch sein weiteres Leben. 2015 wird er von einem ehemaligen Schulkameraden krankenhausreif geschlagen. „Angeblich habe ich beim Autowaschen zu laut Musik gehört“, erzählt Uwe. Seine Verletzungen sind schwer. Das Jochbein bricht, die Fontanelle platzt auf, er verliert viel Blut. Womit sein Gegenüber ihn traf, daran kann Uwe sich nicht erinnern. Er wollte in einen Bus einsteigen, doch der Fahrer wies ihn zurück. „Du kommst hier nicht rein. Du blutest mir die ganzen Sitze voll“, erzählt Uwe. In einer nahegelegenen Kneipe werden ihm Papiertücher angeboten, um die Blutung zu stillen. Anschließend wird er hinausgebeten. Erst auf der Straße nimmt sich jemand ernsthaft seiner an und ruft den Rettungsdienst. „Ich habe nur Scheiße erlebt in meinem Leben“, resümiert Uwe leise.

Auch innerhalb der Familie kommt es immer wieder zu Streitigkeiten. „Es gibt Kämpfe, die kannst du gewinnen oder auch fair verlieren. Aber gegen manche Gegner bist du einfach machtlos.“ Aufgrund seines desolaten psychischen Zustands wird Uwe in die Psychiatrie Rehburg-Loccum eingewiesen. In den kommenden Jahren bleibt die Einweisung steter Begleiter. Noch zwei weitere Male finden dort Therapien statt, und ein weiteres Mal wird er in der Wunstorfer Psychiatrie behandelt, um die Auswirkungen des Attentats und seine inneren Dämonen zu therapieren. Uwe werden Medikamente verabreicht, die ihm jedoch sehr zusetzen. Seine Leber und Nieren drohen langfristigen Schaden zu nehmen. In Rücksprache mit der behandelnden Ärztin wird die Dosierung gesenkt, und letztlich werden die Medikamente komplett abgesetzt.

Im Spätsommer 2018 ficht er seine nächste körperliche Auseinandersetzung aus. „Ich wurde bei einem Umtrunk mit Bekannten und weniger Bekannten an der Aue mit K.-o.-Tropfen betäubt und ausgeraubt“, erzählt Uwe. Mit einem spitzen Gegenstand wird seine Wange mehrfach durchstochen, sein Schädel weist etliche Stichverletzungen auf. „Und das Genick haben sie mir auch kaputtgekloppt“, führt er weiter aus. Nur wenige Monate später, am zweiten Weihnachtstag 2018, wird er erneut nieder- und zusammengeschlagen. Erst im Neustädter Krankenhaus kommt er zu sich. Die Umstände bleiben nebulös, und Uwe erinnert sich nur schemenhaft an die Umstände. Angstzustände beherrschen weiterhin Uwes Leben. Manchmal geht er damit offensiv um und wird laut, um diesen Zustand zu beherrschen. „Oder ich ziehe mich zurück und suche mir eine imaginäre Insel“, sagt er.

In den vergangenen Jahren sind Hunde stete Begleiter in Uwes Leben, auch, um ihn zu stabilisieren und auszugleichen. Doch Anita, seine letzte Hündin, muss er im Sommer vergangenen Jahres einschläfern lassen. Seine Mutter, die ihm zeitlebens engste Vertraute war, stirbt bereits ein halbes Jahr zuvor im Dezember 2018. Uwe wird Alleinerbe. Er will das Haus verkaufen und wieder nach Österreich, ein allerletztes Mal. „Ich werde einige Menschen vermissen. Aber ich blicke nicht zurück“, sagt Uwe. Vielleicht hat seine Rastlosigkeit dann ein Ende und er eine neue Heimat.

Dieser Text erschien zuerst in Auepost #11 (September 2020)

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