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Der für die Kunst trommelt

24.10.2020 • Mirko Baschetti • Aufrufe: 1634

Der Bordenauer Ingolf Heinemann studierte „Visuelle Kommunikation“ und war fast 40 Jahre Lehrer. Er leitete eine Fotogalerie, organisierte Ausstellungen, veröffentlichte seine Fotografien in Bildbänden, auf Plakaten und Postkarten und ist seit 2018 Geschäftsführer des Kunstverein Wunstorf.

24.10.2020
Mirko Baschetti
Aufrufe: 1634

Der Bordenauer Ingolf Heinemann studierte „Visuelle Kommunikation“ und war fast 40 Jahre Lehrer. Er leitete eine Fotogalerie, organisierte Ausstellungen, veröffentlichte seine Fotografien in Bildbänden, auf Plakaten und Postkarten, wurde in die Deutsche Gesellschaft für Photographie berufen, schrieb Fachartikel, hielt Reden und Vorträge und ist seit 2018 Geschäftsführer des Kunstverein Wunstorf.

Ingolf Heinemann

Der 72-jährige Kunstpädagoge Ingolf Heinemann ist seit 2018 Geschäftsführer des Kunstvereins Wunstorf | Foto: Mirko Baschetti

„Ich fühlte mich schon immer fasziniert von Bildern“, sagt der 72-jährige Kunstpädagoge. Bereits während seiner Schulzeit liebte er es, wenn er etwas unter seinen Fingern entstehen sah. Heinemann sah sich weniger als Theoretiker denn als jemand, der Praktisches formen und entstehen lassen wollte, bei dem Hand, Herz, Hirn zusammenwirkten. Dieser Leitgedanke prägte auch seine Tätigkeit als Lehrer. In vier Jahrzehnten vermittelte er seinen Schülern, dass „man über den eigenen Tellerrand schauen und ständig seinen Horizont erweitern muss, um zu einer ganzheitlichen Betrachtung zu gelangen, denn alles ist irgendwie miteinander verbunden“, so Heinemann.

Ich bin Lehrer geworden, weil ich kein Pastor werden wollte

Bereits 1973 in seiner ersten Dienststelle als Lehrer in Garbsen war ihm klar, dass er Fähigkeiten und Neigungen gleichermaßen einbringen und vermitteln wollte. „Hier war der Brotberuf, und dort der Künstler in mir.“ Heinemann kam gleich an einer „Brennpunkt-Schule“ zum Einsatz und unterrichtete Kunst und Deutsch. Mit  unkonventionellen Methoden und an den Möglichkeiten und Interessen seiner Schüler orientiert, nutzte er die pädagogischen Spielräume der Lehrpläne, um in einem schwierigen Umfeld Zugang zu den Schülern zu bekommen. Das zahlte sich aus, denn der Kontakt zu seinen ehemaligen Schützlingen besteht noch heute. „Ich verhalf ihnen zur Emanzipation, konstruktiv und kreativ handelnde Individuen zu werden, die Freude am Lernen, am Experimentieren und Entdecken hatten“, sagt er nicht ohne Stolz.

„Ich war kein typischer Lehrer“, erklärt Heinemann, „ich war Querdenker und eckte öfter bei Schulleitung und Kollegen damit an.“ Sein Engagement ging dabei über die verbindlichen Unterrichtsstunden hinaus, indem er für seine Schüler Freizeitangebote machte wie zum Beispiel Film- und Fotoprojekte. „Ich machte das, was heute zum Aufgabenbereich eines  Streetworkers gehört.“

In seiner letzten Dekade als Lehrer bis zu seinem Ruhestand im Jahre 2011 fühlte Heinemann sich jedoch immer mehr in der Ausübung seines pädagogischen Selbstverständnisses blockiert. „Es ging einfach zu viel Zeit mit Bürokratie und Administration verloren“, resümiert Heinemann enttäuscht. Evaluation, Schulinspektion und Dokumentationszwang schränkten den Gestaltungs­spielraum immer mehr ein.

„Schule muss sich grundlegend verändern und den heutigen gesellschaftlichen Herausforderungen stellen, sonst werden wir unsere Bildungsziele nie erreichen“, erläutert Heinemann kritisch. „Die Lehrer leiden an Überbelastung, unter einer zunehmenden Kontrolle und Bürokratisierung. Sie bekommen Aufgaben aufgebürdet, die ihnen zu viel abverlangen und auf die sie nicht vorbereitet sind.“ So sieht er auch die Inklusion als gescheitert an: „Die Idee war gut, aber die Umsetzung konnte unter den herrschenden Bedingungen nicht funktionieren.“

Der wichtigste Rohstoff, den wir haben, ist Bildung

Heinemanns Kritik an der Schule ist auch eine Kritik an der Politik, der er mangelnde Wertschätzung und schwere Versäumnisse vorwirft. „Es ist nicht die Politik, die die Gesellschaft am Laufen hält, sondern diejenigen, die jetzt während der Krise als Helden gefeiert werden, wie etwa Pflegekräfte, Kassierer, Erzieher.

In Heinemanns Leben gab es stets zwei Standbeine: den Beruf als Lehrer und seine künstlerischen Aktivitäten. Oft nutzte er die Möglichkeit, beides miteinander zu verbinden. Bereits 1978 fand seine erste Foto-Ausstellung im hannoverschen Aegi-Theater mit dem Titel „Kinder, Kinder“ große Beachtung.

Einige seiner Realschüler waren freiwillige Mitarbeiter in der Fotogalerie Bordenau, die er 1984 in seinem Haus eröffnete. Knapp zehn Jahre lang veranstaltete er dort über 50 Fotoausstellungen sowie mehr als 40 Konzerte, Vorträge und Lesungen. Bundesweit kamen Besucher und Künstler und waren gleichermaßen begeistert von dem kleinen, aber feinen Ambiente des ländlich gelegenen Kunst- und Wohnhauses. Für sein ambitioniertes Konzept, künstlerische Fotografie einem breiten Publikum zugänglich zu machen, wurde er 1986 von der Deutschen Gesellschaft für Photographie zum ordentlichen Mitglied berufen.

„Bei den Ausstellungen ging es mir stets um eine verständliche und nicht verkopfte Vermittlung von Kunst“, erklärt Heinemann. „Kunst mit allen Sinnen erfahren, war und ist meine Devise.“ Als sich Kunst und Wohnen mit mittlerweile zwei Kindern unter einem Dach jedoch nicht mehr verbinden ließen, schloss er dieses Kapitel 1993 ab und nahm sich eine Schaffenspause, um sich verstärkt der Familie widmen zu können.

Ich engagiere mich nicht in erster Linie für eine Stadt, sondern vor allem für die Kunst

2014 kam es durch seine Ausstellung „Auf einer Spur mit Caspar David Friedrich“ in der Wunstorfer Abtei zu einem vertiefenden Kontakt zum hiesigen Kunstverein, der ihn in der Folgezeit wiederholt als Experten für Fotografie zu verschiedenen Ausstellungseröffnungen engagierte. Vier Jahre später übernahm Heinemann schließlich die Geschäftsführung von Irene Probst, die ihn sich als Nachfolger gewünscht hatte. Auch wenn dem Neustädter vereinzelt „Fahnenflucht“ vorgeworfen wurde, ist er froh über seine neue Tätigkeit in Wunstorf.

„Ob ich in Neustadt oder Wunstorf oder sonstwo tätig bin, ändert nichts an meinem Engagement für die Sache selbst“, sagt er überzeugt. „Kunst ist grenzübergreifend und universell. Ich engagiere mich in erster Linie nicht für eine Stadt, sondern für die Kunst und ihre Vermittlung“. Als Geschäftsführer möchte Heinemann weiterhin an einem Programm arbeiten, das interessant und spannend ist, Denkanstöße liefert und Kunst als bereicherndes Erlebnis attraktiv für die Besucher macht.

„Wunstorf kann sich glücklich schätzen, ein solch wundervolles Gebäude wie die Abtei zu haben.“ Das historische Gebäude wird von Künstlern als außergewöhnlich geeigneter Ausstellungsraum wahrgenommen, und so nimmt es nicht Wunder, dass der Kunstverein im vergangenen Jahr 30 Bewerbungen aus dem ganzen Bundesgebiet bekam. „Aber stattfinden können nur drei pro Jahr“, sagt Heinemann. 

Seine fotografische Leidenschaft gilt nach wie vor der Landschaft. „Ich betreibe fotografischen Umwelt- und Naturschutz“, sagt Heinemann über sich selbst. „Es gibt einen Dialog zwischen mir und der Natur, und ich habe erkannt, dass ich dabei viel über mich verstehe.“ Zum Fotografieren gehöre sehr viel Geduld und das Innehalten und Einlassen auf die natürlich gegebene Situation. „Ich warte darauf, dass die Natur sich selbst inszeniert und ich zur rechten Zeit am rechten Ort bin, um diesen einen magischen Moment fotografisch festzuhalten.“

Heinemann ist dabei stets am Bild und weniger an der Technik orientiert. So verwundert es nicht, dass er erst 2011 den Umstieg auf eine digitale Kamera vollzog. „Nicht das Equipment hat Priorität, sondern die Vision, die Idee von dem, was ich rüberbringen will. Das Bild muss bereits im Kopf fertig sein, bevor ich es mit der Kamera festhalte“, erläutert er.

Neben seiner Kunsttätigkeit gibt er als Drummer in einer Rentner-Rock’n’Roll-Band den Rhythmus vor. Ganz ähnlich wie beim Kunstverein, wo er für die Kunst trommelt.

Dieser Bericht erschien zuerst in Auepost #8 – 05/2020.

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