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Der Fliegerhorst Wunstorf: Drehkreuz für die größte Nato-Übung der Geschichte

15.05.2023 • Schneider / Süß • Aufrufe: 8601

Die Nato steht kurz vor der größten Übung ihrer 74-jährigen Geschichte. Buchstäblich mittendrin: der Fliegerhorst Wunstorf. Das Mammut-Manöver kostet Millionen und wird den Luftraum über Deutschland und Europa im Juni in Beschlag nehmen.

15.05.2023
Schneider / Süß
Aufrufe: 8601
A400M im Air-Defender-Design | Foto: Bundeswehr

Wunstorf (as/ds). Flugmanöver mit Kampfjets sind bei „Air Defender 23“ über der Stadt nicht vorgesehen, Wunstorf ist nicht Übungsraum. Aber der Fliegerhorst ist das zentrale Drehkreuz. 220 Flugzeuge werden eingesetzt, und viele von ihnen werden Wunstorf anfliegen. Dutzende Starts und Landungen stehen bevor, der Lärmpegel wird stundenweise erheblich ansteigen. Die Wunstorfer sind zwar an Flugbewegungen des A400M auch im Tiefflug gewöhnt, aber dessen Lärm ist nicht vergleichbar mit Düsenflugzeugen.

Schon in diesem Monat beginnen die ersten Nationen damit, Flugzeuge und Einheiten nach Deutschland zu verlegen. Das Zentrum Luftoperationen der Bundeswehr in Kalkar wird das Kommandozentrum hochfahren. In Schleswig wird währenddessen der Hauptgefechtsstand aufgebaut und die Infrastruktur für die Übung „finalisiert“, wie es im Bundeswehr-Sprachgebrauch heißt. Eine Woche vor Übungsbeginn im Juni wird es Briefings geben, die die Teilnehmer mit den örtlichen Gegebenheiten vertraut machen sollen. Viele Soldaten werden in Schleswig-Holstein in eigens errichteten Zeltanlagen untergebracht. Die Piloten aus den USA, die in Wunstorf eingesetzt werden, logieren in Hotels in der Region.

In Wunstorf nicht auf eine Woche beschränkt

Besonderheit des Standortes Wunstorf beim Manöver: Der erhöhte Flugverkehr wird sich nicht auf die Tage des eigentlichen Manövers zwischen 12. und 23. Juni beschränken. Denn der Fliegerhorst ist vorgesehen für die zentralen Verlegeoperationen dieser reinen Luftwaffenübung. Schon eine Woche zuvor und auch eine Woche nach Air Defender werden dort deutsche und verbündete Maschinen starten und landen. Soldaten und Material werden eingeflogen. Dabei werden nicht nur die Militär-Airbusse der Bundeswehr eingesetzt.

Im Juni 2023 findet die größte Luftübung der Nato statt | Bildquelle: Bundeswehr

Die US National Air Guard ist mit ihren Transportflugzeugen vom Typ Hercules ebenso dabei. Während der Übung werden zehn als Tanker ausgerüstete Hercules in Wunstorf stationiert und immer wieder starten und landen. Sie werden wie die Tanker aus der deutschen Airbus-Flotte von Wunstorf aus für die Luftbetankung der Kampfjets eingesetzt. Nach Wunstorf kommt auch die riesige Globemaster III – sie misst acht Meter Spannweite mehr als der A400M.

10.000 Mann aus 24 Staaten

24 Staaten mit insgesamt 10.000 Soldaten beteiligen sich an der Übung über Nord-, Süd- und Ostdeutschland, über Nord- und Ostsee und über Osteuropa: Belgien, Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Italien, Kroatien, Lettland, Litauen, Luxemburg, Norwegen, Polen, Rumänien, Schweden, Slowenien, Spanien, Tschechien, Türkei, Ungarn, USA, Großbritannien und Griechenland.

Die Globemaster III wird Wunstorf ansteuern | Foto: U.S. Air Force/Jacob N. Bailey

Trainiert werden zunächst die Verlegung von Menschen und Material aus den USA nach Europa – in der größten derartigen Operation der US Air Force seit Gründung der Nato. Allein die USA verlegen 1.000 Soldaten und 100 Flugzeuge über den Atlantik. Zweiter Schwerpunkt: die Luftoperationen der Streitkräfte im Verbund, das Üben dort, wo die Nato an ihrer Ostgrenze Konflikte erwartet. Die Bundeswehr ist „leading nation“ bei diesem Manöver, man will Führungsstärke zeigen.

Der Hintergrund

Deutschland hat sich 2018 bereit erklärt, gemeinsam mit Nato-Partnern fliegende Großverbände aufzustellen. Die Einsatzbereitschaft soll jetzt erstmals nachgewiesen werden. Nach vierjähriger Vorbereitung und mehrfacher Modifikation der Übungsansätze soll Air Defender 23 nun Erfahrungen bringen – und Signale senden: „Mit der Übung schreiben wir ein neues Kapitel transatlantischer Geschichte“, sagte Generalleutnant Ingo Gerhartz, der Inspekteur der Luftwaffe, bei einer Pressekonferenz in der deutschen Botschaft Anfang April in Washington D.C. Gerhartz gehört zu den Initiatoren und Organisatoren des Manövers.

Auf dieser und der anderen Seite des Atlantiks wird viel Aufwand betrieben, damit alles erfolgreich verläuft. Ein A400M aus Wunstorf war kürzlich extra zu einer PR-Reise nach New York und Washington gestartet. Die Maschine in Spezialbeklebung warb für das gemeinsame Manöver vor allem zwischen den USA und Deutschland. Die Aktion hat herausragende Bedeutung in der derzeitigen geopolitischen Lage – der Krieg in der Ukraine hat den Handlungsdruck erheblich erhöht.

Mammut-Manöver ohne Vorbild

Das Mammut-Manöver orientiert sich an einer Großübung der USA, die 2020 eine ganze Heeres-Division mit 20.000 Soldatinnen und Soldaten samt Ausrüstung nach Europa verlegt haben. Dieser logistische Kraftakt ließ in der Deutschen Luftwaffe den Wunsch nach einer entsprechenden Übung laut werden. Die Idee der deutschen Generäle fand Zustimmung bei den USA. Nach Angaben der Initiative „Kein Aufmarschgebiet gegen Russland“ hat das Manöver vor drei Jahren mehr als 340 Millionen Dollar gekostet. Die Übung 2020 stellte den Höhepunkt der mehr als sechsjährigen Arbeit des US-Militärs zum Wiederaufbau seiner Fähigkeit zu Bodenoffensiven in Europa dar. Sie markierte eine Neuorientierung der US-amerikanischen Militärpolitik. 2013 waren die letzten schweren Waffen der US-Streitkräfte aus Europa abgezogen worden. Große Bodenkriege schienen in den Doktrinen in West und Ost keine Rolle mehr zu spielen. Dies änderte sich, als die Nato den Ausbau ihrer Streitkräfte in Polen und im Baltikum begann.

62 deutsche Maschinen

Die Luftwaffe beteiligt sich mit 62 Flugzeugen und Hubschraubern an der Übung: 30 Eurofighter, 16 Tornados, fünf Airbusse A400M, drei Airbusse A330, zwei Learjets, zwei Skyhawks und vier Unterstützungshubschrauber. Die Übungen finden vor allem in drei Flugkorridoren über Deutschland statt. Die Flugzeuge sind während Air Defender in Wunstorf, Jagel (Schleswig-Holstein), Lechfeld (Bayern), Spangdahlem (Rheinland-Pfalz), Laage (Mecklenburg-Vorpommern), Volkel (Niederlande) und Čáslav (Tschechische Republik) stationiert. Die Lufträume werden abwechselnd genutzt.

Manöver als Feldlabor: Air Defender 23 ist wie andere Manöver in der Regel auch ein Feldlabor für die Ausrüstung. Die Bundeswehr testet diesmal sogenannte Exoskelette - eine Konstruktion aus Gurten, Federn und Stangen, die an Torso und Oberschenkeln befestigt wird und das Tragen schwerer Lasten rückenschonend begünstigen. Federführend ist das Referat Zukunftsentwicklung und Digitalisierung im Kommando Streitkräftebasis. Laborstandort: Wunstorf. Um die 220 Flugzeuge während der Übung zu betanken, entsteht auf dem Fliegerhorst zudem ein Feld-Tanklager. Errichtet wird es von einem Spezialpionierregiment. Zum Lager gehört auch eine Rohrleitung. Bei deren Verlegung setzen die Soldaten die Exoskelette ein.

Im Norden fliegen die Kampfjets nach bisherigen Informationen an der Nordseeküste entlang, im Osten von der Ostsee bis nach Sachsen, im Süden von Lechfeld bis Spangdahlem über die Bundesländer Bayern, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Saarland.

Mächtiges Arsenal

Die Air Force und die ihr angegliederte Air National Guard kommen mit einem mächtigen Arsenal nach Europa. Sie fahren das Beste auf, was westliche Militärtechnik zu bieten hat – in einer bislang einmaligen Massierung. Darunter sind allem voran die F 35, von Lockheed Martin gebaut. Die Maschine gilt als bestes und modernstes Kampfflugzeug der Welt, ein Mehrzweckjet der Extraklasse mit Tarnfunktion ausgerüstet, der senkrecht starten und landen kann. Wie viele Maschinen dieses Typs entsandt werden, ist derzeit nicht bekannt.

Eine Hercules C 130 fliegt über den Atlantik | Foto: U.S. Air Force/Howard Blair

Dabei ist auch die Hercules C 130, quasi ein Methusalem der Transportfliegerei, von Lockheed seit mehr als 60 Jahren gebaut und immer wieder modernisiert, ausgestattet mit vier Turboprop-Triebwerken und der signifikanten Nase, ein Packesel der Sonderklasse, der auf Sand, Gras und Eis landen und starten kann. Aufmerksamkeit wird auch die C-17 Globemaster III von Boeing hervorrufen, eines der größten Transportflugzeuge der Welt, 1991 nach langer Entwicklungszeit in Betrieb genommen, ein sogenannter Schulterdecker und sozusagen die „große Schwester“ des A400M. Die C-17 hat jedoch vier Düsentriebwerke und kann fast 80 Tonnen Last tragen.

Viele Maschinen werden auch Wunstorf ansteuern. Für Plain Spotter – mit ihren Kameras immer auf der Jagd nach ungewöhnlichen Fotomotiven – wird das Manöver ein gefundenes Fressen sein. Ganz sicher wird der Fliegerhorst auch zu ihren Zielen gehören, denn zum Beispiel die Globemaster wird nur über und in Wunstorf zu sehen sein. Nur der Heimatstandort des LTG 62 bietet Start- und Landebahnen in ausreichender Länge.

Siehe auch: Das bedeutet die NATO-Großübung für Wunstorf
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Kommentare


  • Birgit N. sagt:

    Schön zu sehen, mit Interesse erwartet, unser A400M trägt die entsprechende Folierung. Und irgendwie erinnert mich die Herkules C 130 an die gute Trall, die leider nur von unten zuschauen darf. Vielleicht zu romantische Gedanken, aber es ist so.

    Sicherlich ist es vorrangig eine militärische Übung. Aber dieses Aufgebot der Flugmaschinen zu sehen, ist ein Highlight der besonderen Art. Und hoffentlich gibt es immer gute Plätze zum Zuschauen, so ganz nah dran. Bitte!

  • Lydia Bertani sagt:

    Zum Glück ist das ja die bisher größte NATO-Übung und keinesfalls ein General-Mobilmachung, so dass Wunstorf nicht Gefahr läuft, ins Fadenkreuz zu geraten.

  • Nicole Vincenz sagt:

    Danke ,
    liebe Auepost für diese Information .
    Als Anwohner in Poggenhagen bekommt man leider nur Sie so Zeinah Informationen was in der Nachbarschaft so passiert .
    Ich wohne in unmittelbarer Nähe zum Fliegerhorst .

  • Basti g. sagt:

    Was da an Treibstoff verbrannt wird ! Unverantwortlich

  • Grit D. sagt:

    Herzlichen Dank für dieses ausgesprochen informativen Artikel zur Nato-Großübung.

    Ich bin nicht DER Fan des Militärischen.
    Doch spätestens seit Putins unsäglichen Angriffskrieg gegen die ukrainische Bevölkerung dürfte Allen klar geworden sein, dass es Übungen und des Trainings von Mensch und Materials bedarf.

    Zutiefst erschreckend, doch leider zur traurigen Realität geworden.

    • Lydia Bertani sagt:

      Meine Meinung dazu kann man nur in den Lücken zwischen den Wörtern herauslesen.
      Und das können sogar sehr viele selbstdenkende Menschen.

  • Inge Koch sagt:

    Unmöglich und grauenvoll

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