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Hexenjagd in Blumenau: Familie wird irrtümlich für „Täterfamilie“ gehalten und terrorisiert

04.02.2023 • Redaktion • Aufrufe: 29222

„Warum beschäftigen Sie die Mutter eines Mörders?“ – Mit solchen Anrufen darf sich zurzeit die Arbeitgeberin einer Blumenauerin befassen – nur weil deren Sohn zufällig denselben Namen trägt wie der festgenommene Wunstorfer Jugendliche. Die Familie fürchtet nun um ihre Sicherheit.

04.02.2023
Redaktion
Aufrufe: 29222
Der Ortseingang von Blumenau | Foto: Daniel Schneider

Blumenau (red). Wunstorf kommt nach dem Tod des 14-jährigen Schülers nicht zur Ruhe. Die Spekulationen über die Todesumstände des Jugendlichen nehmen nicht ab, Medien berichten weiter fast täglich über die Tat – obwohl es nichts Neues zu berichten gibt. Was aus weitergetragenen Gerüchten und Fehlannahmen entstehen kann, erlebt unterdessen Familie Ludwig aus Blumenau. Das ist auch der Grund, weswegen wir eine selbstauferlegte Nachrichtensperre nun, nach nur acht Tagen, bereits revidieren müssen. Die Auswirkungen auf Unbeteiligte lassen es notwendig werden:

Ein 16-Jähriger in Blumenau wird mitsamt seiner Familie gerade zur Zielscheibe von Hass und Bedrohungen. Sein einziges „Vergehen“: er trägt zufällig denselben Vornamen wie der mutmaßliche Täter – und sein Nachname hat zufällig ebenfalls denselben Anfangsbuchstaben. Verschiedene Medien hatten in der vergangenen Woche den Vornamen des Tatverdächtigen samt abgekürztem Nachnamen genannt. Das hat offenbar ausgereicht, um nun eine regelrechte Hexenjagd ausbrechen zu lassen.

Selbstjustiz am Telefon

Die Mutter des Betroffenen arbeitet in einem Blumenauer Friseursalon – und dort hört nun das Telefon nicht mehr auf zu klingeln. Am vergangenen Dienstag fing es an. Beschimpfungen, Anschuldigungen und Telefonterror zielen nun auf das berufliche Umfeld der vermeintlichen Familienangehörigen. Einmal klingelte das Telefon gleich 20 Male hintereinander mit unterdrückter Rufnummer – ohne dass sich jemand meldete. Es wurde sofort wieder aufgelegt.

Klarstellung auf der Facebook-Seite des Friseursalons | Screenshot: Auepost

Am Mittwoch nahm dann eine Kollegin einen Anruf entgegen: Warum man denn die Mutter eines Mörders beschäftigen würde, wollte eine ebenfalls anonyme Anruferin wissen. In dieser Form ging es ähnlich weiter. Die Anrufe haben ein solches Ausmaß angenommen, dass der Salon die Vorkommnisse in den sozialen Medien jetzt publik gemacht hat.

„Schau mal, sind die das?“

Aber auch die übrigen Familienmitglieder werden ins Visier genommen: Inzwischen musste Familie Ludwig erfahren, dass Fotos von ihnen herumgereicht werden, dass damit Erkundigungen nach ihnen angestellt werden. Nach dem Motto „Schau mal, sind die das?“ kursiere ihr Bild – und das nicht nur in Blumenau, wo die Tat geschah. Die Verwechslung zieht zunehmend weite Kreise. Familienvater Torsten Ludwig berichtet im Gespräch mit der Auepost, dass er auch aus umliegenden Städten gehört habe, dass seine Familie diejenige des mutmaßlichen Täters sei. Sein Familienname wird nun teilweise weit über die Grenzen Wunstorfs für den Täternamen gehalten – was jederzeit die Gefahr birgt, eine Eigendynamik zu entwickeln.

Terrorisierende Telefonanrufe hat Torsten Ludwig – anders als seine Frau – noch nicht erhalten, obwohl er in Blumenau durch seine Vereinstätigkeit sogar in der Öffentlichkeit steht. Aber auch er rechnet nun jederzeit damit. Die Sorge geht um in der Familie, was passiert, wenn weitere Menschen der Verwechslung glauben. Auch für den 16-jährigen Sohn wird die Situation zunehmend belastend. Bislang haben die Eltern versucht, ihn von den Geschehnissen abzuschirmen, doch inzwischen ist auch er im Wesentlichen informiert.

Vater Torsten will sich nun die kommenden Tage freinehmen, seine berufliche Tätigkeit in Hannover zurückstellen, um vor Ort sein zu können. Seine Kinder begleitet er derzeit zur Schule und zu Terminen. Die Befürchtung ist groß, dass es infolge der Verwechslung zu Konfrontationen kommen könnte.

Auch der echte Name kursiert

Auch wenn die Initialen und die Vornamen übereinstimmen – die Nachnamen sind unterschiedlich, und der Junge in Blumenau ist 16 Jahre alt, nicht 14 wie der Tatverdächtige. Er geht ebenfalls auf die IGS, aber nicht im 8., sondern im 10. Jahrgang. Mit solchen Unterschieden halten sich die anonymen Anrufer natürlich nicht auf, für sie scheint festzustehen, dass sie es hier mit der Familie eines Mörders zu tun haben. Aber selbst wenn das der Fall wäre – es bliebe trotzdem eine Form von Selbstjustiz.

Nicht minder fatal: Nach Informationen der Auepost kursiert auch der tatsächliche Familienname des mutmaßlichen Täters längst in der Stadt – vor allem im Ortsteil, in dem dieser mit seiner Familie wohnt und wo praktisch jeder jeden kennt. Auch die Arbeitsstelle des Vaters scheint bekannt. „Die können nur noch weit wegziehen“, hört man derzeit als einhellige Meinung von vielen Wunstorfern.

Pastorin thematisiert die Verurteilung

Die Corvinus-Gemeinde hat unterdessen ihre Kirche geöffnet, um den Menschen in der Oststadt und Blumenau einen Ort für Trauer zu geben: Bereits gestern war das Gotteshaus von 11 bis 18 Uhr geöffnet, auch am heutigen Samstag und Sonntag von 11 bis 17 Uhr steht es allen offen, auch Seelsorger stehen teilweise zum Gespräch zur Verfügung. Kerzen können angezündet und Worte oder Gebete aufgeschrieben werden.

In der Corvinus-Kirche wird getrauert | Foto: privat

Am Sonntag um 11 Uhr hält Pastorin Franziska Oberheide dann gemeinsam mit Blumenaus Ortsbürgermeister Frank Zülich eine Andacht. Sie wolle darin auch die Situation thematisieren, in der sich Familie Ludwig nun befindet, sagte die Pastorin im Gespräch mit der Auepost. Es sei schlimm, dass die unbeteiligte Familie nun terrorisiert werde. Das gelte aber auch in Bezug auf die Familie des mutmaßlichen Täters: Es sei nicht die Aufgabe dieser Menschen, über andere Menschen zu richten.

Polizei ist eingeschaltet

Die Polizei ist über das Geschehen im Friseursalon und bei der Familie in Blumenau im Bilde, kann jedoch wenig ausrichten. Der Familie wurde geraten, offensiv damit umzugehen, dass man mit dem Fall nichts zu tun hat. Das wollen die Ludwigs nun auch tun und bei möglichst vielen Gelegenheiten darauf aufmerksam machen, dass der mutmaßliche Täter nicht aus ihrer Familie stammt.

Infolge der Tat kursierten bereits Gerüchte, dass der Getötete von dem mutmaßlichen Täter zuvor gemobbt wurde, dass Mobbing ursächlich sei – was jedoch noch genauso wenig feststeht wie die übrigen Hintergründe der Tat. Diejenigen, die nun vermeintlich die Gerechtigkeit in eigene Hände nehmen, indem sie sogar Unbeteiligte terrorisieren, machen damit ironischerweise genau das: Sie werden zu Mobbern – und verursachen damit noch mehr Leid.

Wir nennen an dieser Stelle nach Abwägung ausnahmsweise (und mit deren Einverständnis) den Nachnamen der betroffenen verwechselten Familie. Der Name der verwechselten Familie soll gefunden werden können, um dem Irrtum entgegenzuwirken.
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Kommentare


  • Powerfrau sagt:

    Ich bin sehr erschrocken über den Inhalt des Berichts. Was sind das für Menschen, dass nun die Angehörigen des Täters derart bedrängt werden sollen? Der Täter ist in Haft und wird für seine Tat bestraft werden. Wo kommen wir hin, wenn nun von einigen Selbstjustiz ausgeübt wird oder diese Hetze beginnt? Können sich diese Personen mal in die Lage der Eltern des Täter versetzen?

  • Cliff sagt:

    Gehts noch, leiden beide Familien nicht schon genug, das jetzt irgendwelche armselige Irre auch noch die Familie angreifen müssen??? Maan, was für eine perverse, abartige Welt haben wir eigentlich…..& in was für einer armseligen Zukunft leben wir??? Ach was solls

  • K.K sagt:

    Was für eine Kranke Welt, ich komme mir vor wie im wilden Westen. Das ist Rufmord und muss aufs schärfster verfolgt werden. Ihr zerstört Familien die nichts für eine Tat eines einzelnen können. Ich finde diese Tat auch schrecklich, aber ich verurteile niemanden dafür, noch nicht mal den Täter. Profis werden diese Aufgabe übernehmen und Herausfinden warum das passiert ist.

  • G.K. sagt:

    G.K.Was für ein Leid für die betroffenen Familien-reicht das nicht?
    Nicht noch neues Leid schüren.

  • Bernd-Michael Rosenbusch sagt:

    Schlimm, schlimmer, am Schlimmsten!!! Sucht diese Terroristen, die Unschuldige terrorisieren und sperrt sie ohne Gnade ein, wenn sie ausfindig gemacht wurden.
    Das sich aber ausgerechnet die Corvinuskirche auch noch einmischt, mit einer sicherlich gut gemeinten Trauerfeier, heißt nichts anders, als Öl auf die Mühlen zu gießen. Das ist ebenfalls gnadenlose Sensationsmache! Seite Tagen kusieren in den Medien der Hinweis auf diese Gedenkfeier. Die Kirche sollte in aller Stille den Angehörigen beistehen. Falls die Verantewwortlichern es nicht wissen: dass nennt man Seelsorge.
    Lasst die betroffenen Familien endlich – soweit möglich – zur Ruhe kommen und stellt jedwede Berichterstattung ein.

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