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Ein Mann des Wortes verstummt: Erinnerungen an Peter Bertram

28.07.2022 • Achim Süß • Aufrufe: 2876

Hölty-Direktor, Reformer, Wunstorfer SPD-Grande und moderner Heimatfreund: Peter Bertram ist mit 88 Jahren gestorben.

28.07.2022
Achim Süß
Aufrufe: 2876
Foto: privat

Der Bus der Steinhuder Meer-Bahn kurvt durch das nächtliche Oberfranken. Eine gut gelaunte Abordnung der Wunstorfer SPD ist in einem Sommer Ende der 1970er Jahre auf dem Rückweg von einer Feier – einem feucht-fröhlichen Treffen mit Freunden aus Aufseß. Freunden aus der CSU! Fränkisches Bier und Wein haben allen gut geschmeckt, die Stimmung ist gut. Zu spät wird klar: Der Busfahrer gehört ins Bett, nicht ans Steuer. So kämpft einer unermüdlich gegen die Müdigkeit des Mannes am Volant. Er redet auf ihn ein wie ein gütiger Vater und hält ihn irgendwie wach, reicht ihm pausenlos angezündete Zigaretten und Kaffee – ein Auge auf den Mann, ein Auge auf die nächtliche Straße.

Dieser Nothelfer ist Peter Bertram, Leiter des Hölty-Gymnasiums, Ratsherr der Wunstorfer SPD und Initiator der Beziehungen zu Aufseß. Die Zigaretten-Kaffee-Episode beschreibt ihn perfekt. Verantwortungsgefühl ist es, was ihn kennzeichnet. Peter Bertram ist jetzt gestorben, an den Spätfolgen eines Verkehrsunfalls im Mai. Er wurde 88 Jahre alt. Wie wenige Kommunalpolitiker hat er in Wunstorf Spuren hinterlassen, nicht zuletzt bei der Einrichtung der Fußgängerzone. In 28 Jahren als Direktor hat er das Hölty-Gymnasium geprägt. Heute würde es heißen: transformiert. Im Heimatverein Wunstorf hat er Zeichen gesetzt, sich nicht den Mund verbieten lassen und unerschütterlich auch verbrannt.

Bertram stammt aus Leuna, lebt aber seit 1947 nicht mehr im Schatten des späteren größten Chemiekombinats der DDR. Sein Vater ist kein Arbeiter, sondern Schulleiter in Leuna und Melle, später Schulrat in Hannover. Als Elf- und Zwölfjähriger ist Peter in der Hitler-Jugend. Das verschweigt der Erwachsene nicht, ein Thema in Wunstorf ist es nie. Aber: Antisemitismus hat er nicht nur im Blick gehabt, sondern mit seinen Möglichkeiten abzuwehren versucht. Anders als seine beiden Brüder folgt er dem Weg des Vaters. In Erlangen und Göttingen studiert er Germanistik, Geschichte, Archäologie, Kunstgeschichte, Pädagogik, und Philosophie. Er engagiert sich im Philologenverband, seit 1965 in der SPD, und immer mal wieder fällt sein Name, wenn ein Kultusminister gesucht wird.

Junger Schulleiter in knöchernem Gymnasium

Als 38-Jähriger wird er Leiter des Hölty-Gymnasiums. Die Schule besteht schon fast ein halbes Jahrhundert und gilt vielen als eines der besten Gymnasien im Land. Bertram kommt in eine traditionell geführte „Bildungsanstalt“, geführt von einem eher knöchernen Oberstudiendirektor alter Schule. Das Kollegium ist noch nicht frei von Lehrern, die die sogenannte Nazizeit und den Weltkrieg erlebt haben. In fast 30 Jahren wird „das Hölty“ unter Bertram eine hochmoderne Großschule. Er führt sie durch die problematische Einführung des Kurssystems in der Oberstufe, die Einrichtung der Berufspraktika, organisiert die erste Wunstorfer Hochschulwoche 1993. Er will vorlesungsartige Veranstaltungen, die den Vorgeschmack auf das Studium bieten. Er propagiert – und mit ihm die Schule – akademisches Niveau mit Anspruch. Er fordert Digitalisierung, als kaum jemand davon gehört hat.

Nach kurzem Zögern lässt er die Kunsterzieher ein Konzept für Leistungskurse entwickeln. Wenn es um Material geht, ist das Beste gerade gut für das Hölty. Seinem Kollegium ist Bertram kein leichter Chef. Umfassend gebildet, hat er strikte Grundsätze. Seinen Anspruch als hoch zu bezeichnen, ist eher eine Untertreibung. Wer ihn nicht kennt oder mag, hält ihn gern für distanziert oder arrogant. Weggefährten, Genossen. Freunde und Kollegen vermitteln andere Bilder. Sie wissen, dass er zerstrittene Musiklehrer umarmen konnte, kräftig und geradezu intim, um den Verdatterten anschließend klarzumachen, dienstlich hätten sie miteinander auszukommen. Sie wissen, dass er immer wieder Markbeträge spendet für den Hölty-Chor, aber auch Hunderter. Sie wissen, dass er alle Hebel in Bewegung setzt, den historischen „Musikraum“ des Hölty mit der Orgel zu renovieren, die Veranstaltungsreihe „Bei uns im Hölty“ initiiert. Er bringt Erinnerungsgravuren in den Eingangsstufen zum historischen Portal der Schule auf den Weg. Sprichwörtlich und mit Hintersinn. Die Aktion gilt den beiden Brüdern Lazarus, Kindern einer integrierten jüdischen Familie, die die Schule verlassen mussten und deren Spuren sich 1938 in Polen verliert.

Im zuvor autoritär geführten Institut legt Bertram Wert auf demokratische Prinzipien, fordert und ermöglicht Transparenz und Mitwirkung. Seine Durchsetzungskraft sei bemerkenswert gewesen, berichten Weggefährten. Das habe man von ihm lernen können. Und Solidarität. Mit dem Betrieb, mit der Gemeinde, der Gemeinschaft. Was ihn in der Schule ausmacht, zeigt Bertram über Jahrzehnte auch im Leben der Stadt: Verantwortungsbewusstsein für die Umgebung, in der er lebt. Bertram wird einer der führenden Sozialdemokraten in der Stadt, organisiert im Hintergrund und gleicht die Defizite anderer aus.

Kreativer Kopf der SPD

Im Rat ist er zwischen 1972 und 1980 neben seinem Genossen Werner Dreyer der kreative Kopf der SPD. Er ist weniger Ratsherr zum Anfassen, das Kumpelhafte liegt ihm nicht. Er ist der Prototyp des ernsten und gebildeten Politikers, der mit seiner Persönlichkeit, seiner Geschichte und seiner diplomatischen Art überzeugt. Distanziert, ohne schroff zu sein. Seine Redegewandtheit ist ebenso beeindruckend wie sein Scharfsinn. Seine Reden im Rat sind Sternstunden der Debattenkultur. So etwas gab es in seinen Jahren. Kundig, aber vor allem wortmächtig liest er seinem ewigen Kontrahenten Jürgen Hunke immer wieder die Leviten. Der Steinhuder Selfmade-Millionär bestimmt die Marschroute der CDU und zuweilen mit seinen Geschäftspraktiken auch die Schlagzeilen. Die Verwaltungsspitze – zerstritten und hauptsächlich mit sich selbst beschäftigt – ist ebenfalls immer wieder Ziel von Bertrams Kritik.

Eine völlig andere Seite zeigt er im Arbeitskreis Fußgängerzone. Mit unglaublicher Geduld und viel Geschick bringt er in diesem ungewöhnlichen Gremium die diversen Meinungen, Wünsche und Forderungen von Anliegern, Geschäftsinhabern, Rat, Verwaltung, Planern, Experten und Interessenvertretern unter einen Hut und führt das Projekt in die richtige Richtung. Er ist Motor hier und Bremser dort, Ideengeber, Moderator, Vermittler und oftmals auch Therapeut. Als das, was jetzt das Herz der Stadt genannt wird, mit einer Riesen-Tafel eröffnet wird, ist er schon nicht mehr im Rat, setzt seine Arbeit im Kreistag fort. Wie an der Fußgängerzone herumgedoktert wird, wie Werbung das Stadtbild verschandelt und Um- und Neubauten das Ensemble stören, treibt ihn um in späteren Jahren. Er thematisiert das, wo er kann. Nicht ohne Bissigkeit, nicht ohne Polemik, jedenfalls mit geringem Erfolg.

Weitgehend verborgen – unverdientermaßen – bleibt Bertrams Arbeit als Autor. Er wirkt an der städtischen Broschüre zur Fußgängerzone mit, schreibt über Goethe, Geist und Grohnde, Schaumburger Bauernhochzeiten und „Seine Minister“. Er gibt die Schriften selbst heraus in einem Kleinverlag. Peter Bertram zieht sich in den vergangenen Jahren immer mehr zurück und stirbt vor wenigen Tagen. Mit ihm verliert Wunstorf einen Motor und Mahner, einen kreativen, kritischen Geist, der seiner Schule und seiner Stadt gut getan hat.

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Kommentare


  • Heinrich Aller sagt:

    Danke Achim Süß!
    Ich wünschte, Peter Bertram könnte den Artikel über sich, den „Mann des Wortes“ lesen. So haben wir unsren Freund und Genossen Peter Bertram gemocht und respektiert. So werden wir ihn in Erinnerung behalten und versuchen, es in seinem Sinne gut zu machen!
    Heiner Aller, Seelze

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