Wunstorfer Auepost
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Nächster schwerer Unfall am Bahnübergang Hohes Holz scheint vorprogrammiert

06.09.2022 • Daniel Schneider • Aufrufe: 2250

Stoppschilder, 10 km/h Höchstgeschwindigkeit – doch es hält sich kaum jemand daran. Und die neuen Markierungen schaffen wieder neue Probleme, statt die alten zu lösen. Die Auepost beobachtete für eine Stichprobe den Verkehr am Bahnübergang Hohes Holz. Das Ergebnis ist erschreckend.

06.09.2022
Daniel Schneider
Aufrufe: 2250
Unbeschrankter Bahnübergang Hohes Holz | Foto: Daniel Schneider

Wunstorf (ds). Allmählich kann von einer Posse gesprochen werden: Bei der Suche nach den besten Sicherungsmaßnahmen für einen unbeschrankten Bahnübergang in Wunstorf (nachdem dort ein Auto mit einem Zug kollidierte) werden nacheinander die verschiedensten Maßnahmen angewandt – unter anderem Bodenschwellen installiert, die zu mehreren schweren Verletzungen bei Radfahrern führten. Diese Schwellen sind inzwischen wieder verschwunden, und weitere Maßnahmen sind nachgerückt. Doch auch diese schaffen wieder neue Probleme bzw. lösen das Grundproblem nicht: die Verkehrsteilnehmer lassen sich nicht dazu bewegen, sich dem Bahnübergang in angemessener Geschwindigkeit zu nähern.

Auto- und Radfahrer ignorieren die Stoppschilder

„Die Leute rechnen einfach nicht damit, dass hier ein Zug fahren könnte“, sagt etwa Dietmar O, der selbst Opfer der Sicherungsmaßnahmen wurde, und liefert damit eine mögliche Antwort, weshalb sich der Straßenverkehr am Bahnübergang so risikoreich verhält. Zwar fahren seit der begonnenen Verfüllung des ehemaligen Bergwerks Sigmundshall mit Abwässern wieder verstärkt Güterzüge auf der Kleinbahnstrecke, die inzwischen von der SInON betrieben wird, doch in den Jahren zuvor waren die Transporte eher sporadisch. Was Anwohner mittlerweile stark belastet, hat sich in der allgemeinen Wahrnehmung jedoch offensichtlich noch nicht verfestigt. Der Bahnübergang am Feldrand könnte durchaus wie eine aufgegebene Strecke wahrgenommen werden.

Gelbe Temposchwellen, die fast über die gesamte Fahrbahnbreite reichten, verhinderten bislang, dass Autos ohne Reduzierung der Geschwindigkeit über den unbeschrankten Bahnübergang am Hohen Holz fuhren. Die Schwellen zwangen Fahrzeuge zum starken Abbremsen, denn sie waren mehrere Zentimeter hoch und steil angelegt. Nach mehreren Unfällen mit Radfahrern wurden sie wieder demontiert und durch Stoppschilder und ebenerdige Bodenmarkierungen ersetzt.

Daher sollen nun Stoppschilder und weiße Streifen auf der Fahrbahn die Aufmerksamkeit am Bahnübergang erhöhen und den Straßenverkehr zum Anhalten bringen, damit keine sich nähernden Züge übersehen werden. Allerdings: auch das funktioniert nicht wie vorgesehen.

Wieder mit 30 km/h direkt über den Bahnübergang

Das zeigt eine Stichprobe der Auepost vor einigen Tagen am Bahnübergang: Eine Stunde lang wurde das Verhalten des den Bahnübergang querenden Straßenverkehrs beobachtet und protokolliert. Das Ergebnis fiel eindeutig aus: Fast ausnahmslos werden die neuen Regeln ignoriert. Auto- wie Radfahrer fuhren wieder wie früher mit unverminderter Geschwindigkeit über die Schienen.

Verhalten am Bahnübergang Hohes Holz | Graphik: Auepost
Das Tempolimit wird ebenso ignoriert wie die Stoppschilder | Foto: Daniel Schneider

Von 73 Radfahrern hielt kein einziger an den Stoppschildern oder verringerte die Geschwindigkeit nennenswert. Der Übergang wurde meist in gleichbleibender Geschwindigkeit überquert. Anders sah es bei den Kraftfahrzeugen aus: von den 23 Autos verringerten immerhin 2 die Geschwindigkeit stark – doch es hielt ebenfalls kein einziges wie gewünscht vollständig am Stoppschild an. Zwei Wagen kamen nur deshalb zum Stehen, weil sie sich im Begegnungsverkehr auf dem Bahnübergang gegenseitig blockierten. Stattdessen schaffte es ein Autofahrer sogar, mit ca. 40 km/h ein langsameres Fahrzeug mitten auf dem Bahnübergang zu überholen. Die vorgeschriebenen 10 km/h fuhr keines der Fahrzeuge.

✖ Stoppschild ignorierende Radfahrer73
✔ Stoppschild beachtende Radfahrer0
✖ Stoppschild ignorierende Kfz23
✔ Stoppschild beachtende Kfz1
Überholvorgang am Bahnübergang1
✔ Tempolimit eingehalten0
Auswertung der Stichprobe | Quelle: Auepost

Nur ein einziges Fahrzeug verhielt sich so, als wäre tatsächlich ein Stoppschild wahrgenommen worden: ein Lieferwagen stoppte vollständig an der Haltelinie. Mit anderen Worten: Von knapp 100 Verkehrsteilnehmern verhielt sich nur einer umsichtig – 99 Prozent nicht. Hätte nicht die Auepost, sondern die Polizei an diesem Tag kontrolliert, wären dies theoretisch in einer Stunde 1.000 Euro Bußgeldeinnahmen für die Landeskasse gewesen – und der Verkehr von und nach Alten’s Ruh wäre vollständig zum Erliegen gekommen. Kontrollen sind bislang jedoch nicht durchgeführt worden und seien derzeit auch nicht geplant, teilte Stadtsprecher Alexander Stockum der Auepost mit.

Weiße Streifen stiften Verwirrung – und gefährden erneut Radfahrer

Neben den Stoppschildern wurden zusätzlich zur bisherigen Haltelinie auch noch weitere Streifen auf die Fahrbahn gemalt. Fährt man über die Linien, ergibt sich durch verschieden große Abstände der weißen Balken ein wahrnehmbar verengender Effekt, der in der Haltelinie mündet. Sie sollen als „optische Bremsen“ wirken, teilte die Stadt mit, ohne wie zuvor die physischen Schwellen den Radverkehr zu gefährden. Die Streifen sollen demnach „die Aufmerksamkeit steigern und die Dringlichkeit einer Fahrerreaktion unterstreichen“.

Mehrere Autofahrer interpretierten die Markierungen als Sperrfläche und fuhren links daran vorbei, während Radfahrer entgegenkamen | Foto: Daniel Schneider

Der Effekt scheint zumindest während der Stichprobe ausgeblieben zu sein – vorstellbar ist, dass die zusätzlichen Markierungen sogar die eigentliche Haltelinie unscheinbarer wirken lassen. Zu beobachten war jedoch auch ein wohl ungewollter Nebeneffekt: Die Streifen wurden von mehreren Autofahrern nicht als zusätzliche Warnung, sondern als Sperrfläche interpretiert. Die Autos umfuhren diesen Bereich und hielten dabei auch auf Radfahrer im Gegenverkehr zu. Damit scheint nach den ehemaligen Bodenschwellen nun womöglich auch durch die flachen Markierungen mittelbar eine weitere Gefahr für Radfahrer geschaffen worden zu sein.

Das Risiko ist zurück

Mit dem Abbau der Temposchwellen hat sich das unmittelbare Verletzungsrisiko für Radfahrer auf der Straße zwar reduziert – stattdessen muss jetzt mit plötzlich ausscherenden Autos an den weißen Markierungen gerechnet werden. Und das Risiko, dass es auf dem Bahnübergang zu einem weiteren schweren Unfall zwischen Zug und Straßenverkehr kommt, weil eine Lok übersehen wird, scheint nun wieder genauso hoch zu sein wie vor dem Unglück im vergangenen Herbst.

Dies dürfte sich erst ändern, wenn der Bahnübergang am Hohen Holz im Rahmen des Baus der Nordumgehung tatsächlich Schranken erhält. Auch wenn dies eine der ersten Baumaßnahmen sein soll, die im Rahmen dieses Projekts stattfinden, ist laut Auskunft der Stadt noch nicht absehbar, wann genau mit der Errichtung der Schrankenanlage zu rechnen ist.

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Kommentare


  • Birgit sagt:

    Da die Stadt Wunstorf dafür bekannt ist, vor Beginn einer Aktion immens lange Diskusssions- und Anlaufzeiten inklusive benötigt, kann wohl hier von schneller Abhilfe keine Rede sein. So bleibt abzuwarten, ob weiterhin Raser verunglücken, ein Selbstverschulden ist hier wohl klar erkennbar, oder die anscheinend notwendige Schranken gesetzt werden.

    In einer Situation, wo trotz erheblicher Maßnahmen zur Schadensbegrenzung immer noch einige glauben, ihre eigenen eigens aufgestellten Verkehrsrechte durchsetzen zu müssen, liegt es nahe, zu sagen, dann macht doch, das Risiko tragt ihr selbst. Das jedoch wäre ein Urecht gegenüber anderen Bürgern, z. B. Spaziergänger oder die jeweils mit in das Unglück gezogene Zugführer.

    Trifft es Unbeteiligte, ist hier von Fahrlässigkeit mit unabsehbaren Folgen die Rede, es greift das Recht zur Verurteilung der Verursacher. Aber die Beweislast dokumentativ erbringen zu können, würde hinken aufgrund anzunehmender Fahrerflucht. Und das Opfer stünde – wie so oft – allein da.

    Somit wäre die Schrankenlösung das Einzige, um Unbeteiligte nicht zu verletzen, Zugführer weiterhin in Ruhe ihren Dienst machen zu lassen und dämliche Raser sprichwörtlich „in die Schranken“ zu weisen. Und das gilt für alle. Nicht nur für die Autofahrer.

  • Wolfgang Stemme sagt:

    Tschuldigung für den Rechtschreibfehler, es muss IST heissen.

  • b.scholz@online.de sagt:

    Gibt es wohl die Überlegung, eine rot blinkende Warnanlage auf beiden Seiten bei Anfahrt eines Zuges zu installieren? Oder ist diese teurer als eine ganze Schrankenanlage?

  • Wunstorfer sagt:

    Die Sicht am Bahnübergang ist -verglichen mit manch anderer Stelle in Wunstorf (z.B. in Luthe an der Kreuzung Schloß-Ricklinger-Str. & K 322 wo man vom Verkehr aus Richtung Schloß Ricklingen wirklich gar nichts sieht und quasi auf gut Glück einbiegen muss)- wirklich gut, ein Anhalten in der Praxis daher weder für Autos, aber erst recht nicht für Radfahrer nötig – warum also sollten gerade die Radfahrer da auch anhalten und ihren „Schwung“ aufgeben, wo man doch in jede Richtung mehrere hundert Meter weit gucken kann?

    Nur weil EIN EINZIGER (!) Autofahrer hier einen Güterzug übersehen hat (wie auch immer man das schafft, wenn man auf die Straße schaut und die Verkehrsschilder wie hier eben Tempobeschränkung und das Andreaskreuz beachtet), wird ein riesen Bohei um diesen Bahnübergang gemacht.

    Keine Frage, das war unbestritten ein ganz schlimmer Unfall und zum Glück hat der Autofahrer ihn überlebt!

    ABER: Man kann nie für 100%tige Sicherheit sorgen, denn das ist schlicht nicht möglich! Selbst bei Bahnübergängen mti Blinkleuchten oder sogar Halbschranken gibt es Verkehrsteilnehmer, die meinen, sie können doch noch schnell durchfahren wie 2007 beim tragischen Unfall am Bahnübergang in Hohnhorst.

    Würde sich jeder an § 1 StVO halten („Die Teilnahme am Straßenverkehr erfordert STÄNDIGE VORSICHT und gegenseitige Rücksicht“), gäbe es jedoch deutlich weniger solcher Unfälle, aber das wird wohl Wunschdenken bleiben…

    Hoffen lässt sich nur, dass mit der Umgehungsstraße die das idyllische Alten´s Ruh zum Autohof machen wird, endlich wirklich ein beschrankter Bahnübergang kommt (Warum eigentlich nicht jetzt schon? Die Bahngesellschaft oder zumindest K+S sollten das doch locker finanzieren können, immerhin finden die Bahnfahrten ja nur für K+S statt…).

    Solange es aber keinen beschrankten Bahnübergang gibt, wird jede „Verbesserungsmaßnahme“ nichts als Flickschusterei bleiben…

  • Robert Halbbeck sagt:

    Dass Radfahrer an dieser Stelle, insbesondere, wenn sie aus Richtung Hohenholz kommend die leicht abschüssige Strecke fahren, mit sportlichem Tempo und verwegener Ignoranz den Bahnübergang passieren, fällt auch mir regelmäßig auf.
    Und als ich dann noch letzte Woche in der Auepost las, dass die gelben Schwellen demontiert wurden, war mein erster Gedanke, wie schwer der nächste Unfall sein wird; vielleicht eine Kollision zwischen Radfahrer und Lokomotive…
    Mir blieb vor vielen Jahren leider nicht erspart, einst auf den Gleisen im Wunstorfer Bahnhof mal die Folgen eines Unfalls mit Personenschaden, wie es im (der Grausamkeit nicht gerecht werdenden) Bahndeutsch, heißt, zu sehen.
    Und dann fiel mir ein, dass ich 1989 eines Abends in Wunstorf vor dem ehemaligen Postamt von einer Polizeistreife angehalten wurde. Das Delikt: mein Fahrradlicht flackerte. Die Buße: 10 Mark.
    Heute gelten im Allgemeinen Autos als böse, umweltverschmutzend und nur als Lieblinge von ewig Gestrigen. Radfahrer hingegen… ja, das sind ja die Guten, Progressiven und Liebenswürdigen. Und wer a priori gut, progressiv und liebenswürdig ist, der kann doch erhaben auf dem Zweirad nun wirklich für sich in Anspruch nehmen, dass die anderen Verkehrsteilnehmer Regelverstöße tolerieren und ausgleichen….
    Leider ist das für andere Verkehrsteilnehmer nicht immer möglich und Lokführer haben erst gar keine Chance, den Radlerfehler durch eine Notbremsung auszugleichen.
    Vielleicht könnte ja das Wunstorfer Polizeikommissariat wieder mal nach mehr als 30 Jahren bei Radfahrern, zumindest an diesem Bahnübergang, etwas genauer hinschauen und wie damals mir mit einem geringen abverlangten Obolus damit helfen, zu erkennen, dass man auch als guter Radfahrer nicht unverletzlich ist….bevor etwas passiert.

  • Egon Behnsen sagt:

    Früher gab es mal ein Märchen von „Hans Guckindieluft“. Mit Radfahrern verhält es sich genau so. Die gucken sonst wo hin, nur nicht auf die Straße: da macht es keinen Unterschied, ob die ein Stoppschild nicht sehen, oder eine gelbe Schwelle oder ein Auto oder einen Güterzug. Und dann kommt es zu einem Unfall und die „Umwelt“ ist schuld daran. Und irgendwann müssen die Straßen und Schilder alle mit Watte abgepolstert werden, damit die Radfahrer wenigstens weich fallen.

  • Bernd-Michael Rosenbusch sagt:

    Man kann machen, was man will, gegen die Dimmheit der Menschen ist leider noch kein Kraut gewachsen.

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