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„Reallabor“ an der Badeinsel: Barrieren, Busse, Bügel, Bobbycars

04.08.2022 • Achim Süß • Aufrufe: 1124

Wer A wie Absperrung sagt, muss auch B sagen: Barrieren, Busse, Bügel und Bobbycars gehören zur Laborausstattung, seit Verwaltung und Region das sogenannte Stadtexperiment gestartet haben. In Steinhude soll am Wochenende zum dritten Mal erprobt werden, wie Verkehrschaos, Parkplatzsuche und Auseinandersetzungen rund um die Badeinsel im Sommer verringert oder vermieden werden können. Die ersten Erfahrungen sind unterschiedlich – die Laboranordnung wurde angepasst.

04.08.2022
Achim Süß
Aufrufe: 1124
Millimeterarbeit: Die großen Shuttle-Busse schaffen nicht überall auf Anhieb die Kurven | Foto: Achim Süß

Steinhude (as). Der aktuelle Versuch – die Stadt nennt es „Reallabor“ – hat eine lange Vorgeschichte. Wie erwünscht, bringt der Sommer Tausende von Besuchern ans Meer. Was Gastronomie und Hotelgewerbe freut, bedeutet für viele Steinhuder Belästigung, Belastung und auch Streit. Seit Jahren klagen sie immer wieder über die Suchfahrten der Fremden, die ihre Autos abstellen wollen – ohne lange Fußwege. Hauptziel: die Badeinsel. Die Straßen in der direkten Umgebung werden zu Parkstreifen, Einfahrten und Gärten zu wilden Abstellflächen.

2.700 Stellplätze reichen nicht für Autolawine

Seit Jahren wird geschimpft, diskutiert, überlegt. Ein Arbeitskreis sucht nach Lösungen, ein Ingenieurbüro hat die Situation im Auftrag der Stadt dokumentiert und beschreibt Auswege. Die 30-seitige Arbeit der hannoverschen Firma SHP aus dem Jahr 2020 nennt Schwachstellen, von denen Steinhuder sagen, die seien alle seit langem bekannt: Wird der Besucherandrang zur Autolawine, reichen die 2.700 Stellplätze nicht aus. Auswärtige parken an den Straßen – auch, um Gebühren zu sparen.

Um das „wilde Parken“ zu vermeiden, beschreiben die Gutachten vier Szenarien: ein Parkdeck mit 200 Einstellplätzen am Bruchdamm, ein weiterer Großparkplatz außerhalb des Ortes, eventuell mit Pendelbusangebot, einen „Überlauf“-Parkplatz am Sölterweg für 250 bis 300 Fahrzeuge, eine Fläche nahe der „alten Mülldeponie“ für Fahrradtouristen, eventuell mit Servicestation.

Auf der Suche nach Lösungen ohne Autoverkehr

Ein Parkdeck würde nach dem Stand von 2020 etwa zwei Millionen Euro kosten. Die Idee wird im Rathaus allein deshalb jetzt nicht konkretisiert. Auch der Großparkplatz ist verworfen worden: „eher unattraktiv“ für Tagesgäste. Zudem sei der Grunderwerb kurzfristig kaum möglich. Das gilt auch für den Sölterweg.

Die Route zur Badeinsel soll auch gelaufen werden – Bobbycars sind entlang der Strecke aufgestellt | Foto: Malte Süß

Um dennoch voranzukommen, soll das Stadtexperiment weiterhelfen. Bürgermeister Carsten Piellusch (SPD) bezeichnete es bei der Vorstellung als „nicht selbstverständlich“ für eine Verwaltung, solche Wege zu gehen. Lange und intensiv sei der Versuch mit dem Mobilitätsnetzwerk der Region Hannover vorbereitet worden. Die Region beteiligt sich mit Plakaten, den LED-Hinweistafeln und mobilen Fahrradständern aus dem Programm „1000 Bügel“.

Piellusch versteht das Experiment als Angebot: Wer im Sinn der Verkehrswende auf dem Weg nach Steinhude noch nicht umgestiegen sei, werde jetzt direkt im Ort „zum Experimentieren und Umsteigen“ eingeladen. Die Straßensperrungen für Auswärtige seien nur ein Teil der Aktion, Steinhude vor dem Ersticken im Autoverkehr zu bewahren. Die Gutachter hätten eine Fülle von Anregungen gegeben, die es wert seien, erprobt zu werden. Das Angebotspaket sei differenziert und stelle umweltfreundliche Mobilität in den Vordergrund: Pendelbusse, Lastenräder, Leihräder und -roller, attraktive Fußwege mit Bollerwagenverleih.

Bobbycars

Einiges werde jetzt erprobt – als Ergänzung zu den Möglichkeiten, die Steinhude und Wunstorf ohnehin längst bieten: Die Wege für Fußgänger seien schön und nicht zu lang, Fahrradbusse seien am Bahnhof längst Standard, am Schützenplatz in Wunstorf gebe es kostenlose Stellflächen, die Radwege nach Steinhude seien gut und ansprechend. Es werde Zählungen, Befragungen und viele neue Erkenntnisse geben, sagen Piellusch und Stadtbaurat Alexander Wollny. Der Leiter der Bauverwaltung wörtlich: „Wir experimentieren. Das ist Neuland!“ Auswärtige Autos zu verdrängen, sei eine Sache, Alternativen anzubieten, eine andere. Dazu zählen beide auch die sieben Stellen für den „Bobbycar-Verleih“ und die Bollerwagen am Kutscherhaus. 50 Rutschautos wurden bereitgestellt. Sie stammen aus Spenden, einige Exemplare hat die Stadt gekauft.

Bei der Vorstellung der Stadtexperiment-Pläne im Werkraum Wunstorf | Foto: Achim Süß

Für Ortsbürgermeisterin Christiane Schweer (CDU) ist das Experiment die richtige Konsequenz aus einem „verschärften Problem“. In vielen Sitzungen sei darüber diskutiert worden, Lösungen zu finden gleiche der „Quadratur des Kreises“. Viele Bausteine seien nötig, aber der Weg sei der richtige. „Intermodal“ nennt das der Bürgermeister: Mit dem Bus, dem Rad und zu Fuß zur Badeinsel zu gelangen sei zeitgemäß.

Erste Änderungen am Experiment

Nach dem ersten Durchgang hat das Organisationsteam um Mareike Hansing und Christian Kohser von der Stadtverwaltung einige Veränderungen in die Wege geleitet. Zusätzliche Schilder sollen die Besucher informieren und lenken, vor allem zum Ausweichparkplatz am Bruchdamm. Die Einbahn-Regelung am Fischerweg betrachtet das Team nicht als „unglücklich“. Eine andere Möglichkeit gebe es nicht, wenn der Bereich an der Badeinsel nachhaltig geschützt werden solle. Die Befragungsaktion, so heißt es im Rathaus, zeige viel Zustimmung zum Experiment, auch zu den Bobbycars und dem Pendelbusangebot. Dazu gibt es unterschiedliche Darstellungen. Einige Steinhuder berichten, die Busse seien meistens leer, andere Augenzeugen sagen das Gegenteil. Ganz unterschiedlich bewertet werden auch die Bügel, die mobilen Fahrradständer. Die Beobachtungen reichen von „viel benutzt“ bis „immer leer“.

Das Stadtexperiment geht am 6. und 7. August zwischen 10 und 18 Uhr in die dritte und letzte Runde. Eine gründliche Auswertung der Erfahrungen soll sich anschließen.

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Kommentare


  • Birgit sagt:

    Es würde an Unverschämtheit gegenüber denen gelten, die ihren Fensterausblick, die Natur, Weiden mit Tieren schätzen und damit ihre Wohnqualität nehmen, würden Parkhäuser und noch mehr Parkplätze geschaffen, nur um dem Massentourismus Folge leisten zu wollen, ohne Rücksicht auf Anwohner und solche, die die Natur genießen wollen. Und der Krieg um Plätze würde sich nicht vermindern, im Gegenteil. Durch einen erweiterten Ansturm der Touristen, der sich zwangsläuig ergäbe durch mehr Platz für die Blechkarossen, würden neue Probleme geschaffen. Und – mal ehrlich – ist das noch im Sinn eines Entgegenwirkens vom Klimawandel, wenn wertvolle Natur zerstört wird durch Schaffung dieser Objekte? Ich kenne keinen Ferienort, wo so viel Unsensibilität und Rücksichtslosigkeit gegenüber Awohnern im Vergleich zur Touristensympathie gezeigt wird wie dieser hier. Deshalb: Bitte das Experiment weiterfahren, es ist ein guter Ansatz, wenn auch nicht für alle Anwohner in Nähe Badeinsel.

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