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Wunstorf trauert und nimmt Abschied

07.02.2023 • Redaktion • Aufrufe: 3936

Am Ort der Tat beginnt sich ein Meer aus Blumen und Kerzen zu bilden. Die Stadt drückt ihre Trauer aus und nimmt Abschied von dem getöteten Wunstorfer Jugendlichen – auf ganz unterschiedliche Arten. Bei den Anwohnern am Tatort liegen zunehmend die Nerven blank.

07.02.2023
Redaktion
Aufrufe: 3936
Blumen und Kerzen auf dem Gelände in Blumenau, wo man den toten Jungen schließlich fand | Foto: Deppe/Dombrowski

Wunstorf (red). Am Sonntag fand eine öffentliche Andacht in der Corvinus-Kirche für den in Wunstorf getöteten Jungen statt. Die Zusammenkunft sollte des Opfers gedenken, Trost bieten und die Möglichkeit, das Entsetzen gemeinsam zu verarbeiten.

Es zeigt sich dabei erneut die Schwierigkeit der Frage, wie mit der Situation umzugehen ist. Viele Menschen möchten darüber sprechen, mit ihren Eindrücken und Gefühlen nicht allein sein, Halt finden in einem Geschehen, das nach wie vor kaum einzuordnen ist. Andere wiederum möchten in Ruhe gelassen werden, möchten still trauern und gedenken. In diesem Spannungsfeld bewegte sich auch die Corvinus-Andacht. Das Angebot sollte viele im betroffenen Stadtteil Blumenau und der angrenzenden Oststadt erreichen – aber allein die Ankündigung des Termins löste ein umfangreiches Medienecho aus. Wieder standen Fernsehteams in Wunstorf, wieder rückte die Tat in den Mittelpunkt statt der Umgang damit.

„Lassen Sie uns in Ruhe!“

Getrauert wird weiterhin auch unter freiem Himmel, direkt am Ort des Geschehens. Viele kommen zum Gelände der alten Baumschule, legen Blumen nieder, Stofftiere, Engelsfiguren, bemalte Steine oder Karten und stellen Kerzen auf. Andere bleiben einfach nur stehen, verharren still und und blicken mit Tränen in den Augen auf die Zeichen der Anteilnahme.

„Ist das hier, wo der Junge umgebracht wurde?“

Häufige Frage an Anwohner

Auf den kleinen Weg am Rande der Siedlung entlang des Brachgeländes verirrt sich sonst kaum jemand, nun herrscht fast reger Betrieb. Eine Anwohnerin berichtet der Auepost, dass sie an einer Stelle, wo sich die Blumen und Kerzen sammeln, im Vorbeigehen immer wieder von Reportern („Suchen Sie das Grab?“) angesprochen wird. Inzwischen meidet sie deswegen den Weg.

Kuscheltier zwischen Kerzen und Blumen | Foto: Deppe/Dombrowski

Tatsächlich versuchen Neugierige, die Stelle zu lokalisieren, an welcher der Junge gefunden wurde – und sprechen dann ebenfalls die Anwohner an: „Ist das hier, wo der Junge umgebracht wurde?“ Dabei ist es auch für Ortsfremde nicht besonders schwierig, das Gelände zu finden. Selbst im öffentlich-rechtlichen Rundfunk wurde der Standort genau markiert, und eine Regionalzeitung hatte unmittelbar nach der Tat sogar eine ganze Reportage nur über den „Lost Place“ veröffentlicht.

Nicht zur Andacht aus Angst vor den Medien

Der Massenauflauf, den einige befürchtet hatten, blieb in der Corvinus-Kirche aus – womöglich gerade wegen dieser Befürchtung. Die Gemeinde hatte darum gebeten, nicht zu filmen oder zu fotografieren, keine Teilnehmer anzusprechen oder Interviews zu erbeten, dennoch war ein Kamerateam vor Ort und machte vor der Kirche einige Aufnahmen. Als Alternative wurden dann in der Wunstorfer Fußgängerzone wieder Passanten interviewt. Die verregnete Lange Straße lieferte die entsprechend traurige Kulisse.

Die Medienpräsenz hatte offenbar tatsächlich abschreckend gewirkt. „Ich wäre gern hingegangen, aber ich hatte Angst“, das war von mehreren Menschen in der Stadt zu hören. Angst vor der Möglichkeit, am Ende im Fernsehen zu landen – aber auch Angst, die eigene Trauer in die Öffentlichkeit zu tragen. Rund einhundert Menschen, alte wie junge, hatten schließlich in die Kirche gefunden. Sie war etwa zur Hälfte gefüllt. Darunter waren auch Bürgermeister Carsten Piellusch mit Ehefrau und Wunstorfs Ortsbürgermeister Thomas Silbermann.

Pastorin Oberheide entzündet in der Corvinus-Kirche eine Kerze zum Gedenken | Foto: privat/Nancy Heusel, Landeskirche Hannovers

Pastorin Franziska Oberheide und Blumenaus Ortsbürgermeister Frank Zülich wechselten sich vortragend ab. Es war eine feierliche, würdige Andacht – nicht anklagend, sondern nachdenklich, ergreifend. Aber auch das Mobbing, unter dem zurzeit eine unbeteiligte Familie aus Blumenau wegen einer Namensähnlichkeit leidet, kam wie geplant zur Sprache.

Oberheide kleidete das Unerträgliche in Worte: „Auch mir verschlägt es die Sprache, wenn ich die Berichte der letzten Tage lese. Wenn ich in den Nachrichten Details höre, die ich nicht aushalten kann. Und meine Vorstellungskraft mir Gedanken liefert, die ich eigentlich nicht denken möchte. Ich stehe hier. Und ich halte mich an den alten Worten fest. Die Worte sind es, die mir Halt geben.“

An verschiedenen Stellen rund ums Gelände werden Blumen abgelegt und Kerzen angezündet | Foto: Deppe/Dombrowski

Man wolle verstehen, unbedingt verstehen, so Oberheide. Aber man merke: Es sei nicht möglich. Mit dieser Unmöglichkeit umzugehen, dafür gebe es drei Wege: Schuldige zu suchen, das Vergessen und Übergehen zur Tagesordnung – oder das Zusammenhalten und gemeinsame Ertragen. Für Letzteres waren die Menschen in die Kirche gekommen. Zum Ende der Andacht wurde gemeinsam das Vaterunser gebetet.

Abschied genommen

Die eigentliche Trauerfeier für den getöteten Jungen fand am heutigen frühen Nachmittag in der katholischen St.-Bonifatius-Gemeinde statt. Kurz vor 14 Uhr begannen die Glocken in der Hindenburgstraße für den Jungen zu läuten. Die hell scheinende Sonne tauchte die Kirche in gleißendes Weiß. Kamerateams waren nicht zu sehen – die Polizei sicherte die Trauerfeier ab. Vor dem Wunstorfer Rathaus wehte die Stadtflagge auf halbmast.

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Kommentare


  • Wunni sagt:

    Die Presse (Auepost) regt sich also über die Presse/Medien und deren Berichterstattung auf. Das ist schon ein bisschen widersinnig – und es erinnert mich an die Berichterstattung der Polizei beim Anschlag auf dem Breitscheidplatz in Berlin. „Bitte sein Sie kein Gaffer und machen bloß keine Foto-/Videoaufnahmen. Wenn sie solche Aufnahmen haben, dann stellen Sie diese bitte der Polizei für die Ermittlungen zur Verfügung, diese sind nämlich sehr wichtig, je mehr, je besser.“

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