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Der Sigmundshaller allein im Regen

15.06.2018 • Vanessa Schön • Aufrufe: 7253

Vanessa Schön reißt nach der Betriebsversammlung die Hutschnur. Aber ein letzter Funken Hoffnung lässt das Licht dennoch weiterleuchten.

15.06.2018
Vanessa Schön
Aufrufe: 7253
Kaliwerk Sigmundshall

Das Kalibergwerk „Sigmundshall“ in Bokeloh wird Ende des Jahres geschlossen. | Foto: Markscheider –   CC BY 3.0

Am 29. November des vergangenen Jahres habe ich hier das erste Mal etwas zur Schließung des Kali- und Salzwerkes Sigmundshall geschrieben. Viele Menschen, vor allem Bergleute, haben mir damals mit warmen Worten gedankt, dass ich ausgesprochen habe, was so vielen von ihnen auf dem Herzen lag.

Etwas mehr als  sechs Monate ist das nun her, und ich hätte nicht gedacht, dass ich noch einmal zu diesem Thema öffentlich das Wort ergreifen würde. Im Gegenteil. Ich habe so manches Mal gedacht, dass es für uns als Familie eines Werksangehörigen sicher besser ist, in dieser Situation nichts zu sagen. Den Ball flach zu halten. Was weiß ich denn schon vom Umgang mit Konzernen? Ich bin die Basteltante aus dem Dorfkindergarten, die zufälligerweise vor 13 Jahren einen Bergmann geheiratet hat. Ich bin kein Global Player. Ich bin Ehefrau, Mutter und sozusagen Betroffene. Nichts sagen war der Plan, und doch ist es nun mal wieder so ganz anders gekommen, als ich dachte – wenn auch nicht anders, als ich es erwartet habe.

Mehr als sechs Monate wissen die mehr als 900 Mitarbeiter nun schon, dass es ihren Arbeitsplatz, so wie sie ihn kennen, bald nicht mehr geben wird. Wir haben, wie wohl viele betroffene Familien, in diesen sechs Monaten jedes erdenkliche Szenario durchgespielt. Das ist durchaus nicht angenehm. Befragen Sie mich gern zum nordrheinwestfälischen Schulsystem und bezüglich der Immobilienpreise rund um Fulda, Duisburg   und Grasleben. Fragen Sie mich nach Zugverbindungen und Fahrzeiten, Mietspiegel  und dem Arbeitsmarkt im Erziehungswesen. Ich kann Ihnen darüber ebenso Auskunft geben wie zum aktuellen Marktwert unseres Einfamilienhauses, den finanziellen Verbesserungsmöglichkeiten meiner aktuellen Arbeitsstelle und dem ortsnahen Arbeitsmarkt für fachfremde Arbeitnehmer. Wir verbringen einen Großteil unserer freien Zeit nämlich seit Ende November damit, uns zu informieren und abzuwägen, was menschlich und finanziell für unsere Familie vertretbar ist und wie es weitergehen kann. Die restliche Zeit machen wir uns Sorgen.

Das alles hätte ein schnelles Ende finden können und sollen, wenn der Konzern, bei dem mein Mann beschäftigt ist, endlich mal den lang versprochenen Sozialplan vorgelegt hätte. Wenn man wüsste, für wen es innerhalb des Konzerns noch Verwendung gibt – und wo. Wenn man dann ggf. entscheiden könnte, ob man bleiben will oder nicht – und zu welchen Konditionen. Hat der Konzern aber nicht. Nicht nach zwei, nicht nach vier und auch nicht nach sechs Monaten. Bislang war es anscheinend nicht möglich, eine Einigung zwischen Konzern und Betriebsrat zu erlangen und den Mitarbeitern wenigstens ein wenig Planungs- und eben auch Zukunftssicherheit zurückzugeben. Mit dem Juni verstrich die auf den Termin der Werksschließung abzielende  Kündigungsfrist der Mitarbeiter mit mehr als 20 Jahren Werkszugehörigkeit, und nun, im Juni, wird es auch keine Kündigungen für die kürzer beschäftigten Mitarbeiter (mit 6-monatiger Kündigungsfrist) geben. Es gibt Gerüchte.

So viele, dass man damit Bücher füllen könnte. Aber aufgrund eines Gerüchts oder einer Vermutung fällt kein Mensch bei Verstand so weitreichende Entscheidungen wie einen Jobwechsel. Gerade wenn man den Job, den man hat, eigentlich liebt und nur mit großen finanziellen Einbußen woanders unterkommen könnte.

Aber kann dann eine unausgesprochene Kündigung nicht Grund zur Freude für alle Beschäftigten und ihre Familien sein? Aus meiner Sicht ganz klar: NEIN! Wer sich mal umhört und mit den Mitarbeitern spricht, findet schnell heraus, dass das „nichts wissen“ als noch schlimmer empfunden wird, als wenn man „endlich mal wüsste, dass man seinen Job los ist“. Sie kennen den Spruch ja: „Lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende!“

Wer nicht abwarten wollte oder konnte und sich für den Januar 2019 (nach Betriebsschließung also) schon nach Arbeit umgesehen hat, der wird nun entscheiden müssen, ob er selbst kündigt oder abwartet. Nun, wo eine fristgerechte Kündigung durch den Arbeitgeber zum avisierten Termin nicht mehr vorgesehen ist. Denn bei eigener Kündigung verzichtet er entweder auf eine eventuelle Abfindung zugunsten eines wahrscheinlich schlechter bezahlten Jobs. Oder er verprellt einen möglichen neuen Arbeitgeber und sitzt die Sache auf Sigmundshall weiter aus, ohne zu wissen, was danach kommt – und wann dieses „danach“ überhaupt eintrifft.

Das ist „großes Kino“ von Unternehmensseite. Es drängt sich der Verdacht auf, dass man darauf wartet, dass die Mitarbeiter den Kopf verlieren, um Abfindungen einzusparen. Ein bisschen wie ein Anstarr-Wettbewerb auf dem Schulhof.  Wer gibt eher auf? Nur dass es hier nicht um den Status des Klassenhechts geht, sondern um die Existenz von Menschen und ihren Familien.

Das manch einer  nicht ohne Abfindung gehen will, ist verständlich. Wir reden hier von jahrelanger Betriebszugehörigkeit. Von Arbeit unter extremen Bedingungen. Wir sprechen davon, dass sich das Renteneintrittsalter für diejenigen, die nicht in der Grube bleiben, schlagartig ein großes Stück weit nach hinten verschiebt. Egal, wie lange sie schon auf die knappschaftliche Rente mit 55 hinarbeiten. Die Leute gehen in schlechter bezahlte Jobs, hängen ihre spezifische Qualifikation ggf. an den Nagel und wissen ja auch gar nicht, ob sie dort, wo sie landen, als „ungelernte Kraft“ die Probezeit überstehen – wenn sie überhaupt etwas finden. Es sind ja nicht nur 10 Leute, die da jetzt Arbeit suchen werden. Es sind viele. Sehr viele.

Als die ersten Monate ohne Aussicht auf einen Sozialplan oder irgendeine verbindliche Aussage des Konzerns vergingen, hatte ich noch sozialromantische Bilder im Kopf. Davon, wie sich nun bald alle Würdenträger, sei es der Wunstorfer Bürgermeister oder der niedersächsische Ministerpräsident, einschalten würden. Wie damals Gerhard Schröder bei der  Phillip Holzmann AG. Erinnern Sie sich? Davon, wie man sich um die Bergleute kümmern würde, die Zeitungen nachfragen und Druck machen würden. Heute lache ich selbst über meine Naivität. Die paar Männekens da in Bokeloh sind nun wohl anscheinend nicht von großem und sagen wir mal „ortsübergreifendem“ Interesse. Zumindest bislang. Selbst im lokalen Käseblatt lese ich im Bezug auf Bokeloh weit mehr von der Idee des Dorfladens als von der Werksschließung  von einem der größten Arbeitgeber der Region und ihren Konsequenzen.

Und darum wollte ich mich heute nochmal zu Wort melden. Weil die Schließung von Sigmundshall zwar zeitungstechnisch gesehen schon ein  alter Hut, aber seit dem ersten Aufschrei Ende November 2017 für die Menschen auf dem Schacht so gut wie nichts passiert ist. Außer Zeitschinderei.

Und ein bisschen hoffe ich immer noch darauf, dass der Politik auch ohne anstehende Wahl mal in den Sinn kommt, dass man zu dieser Zeit noch was anderes machen kann als Grußworte auf Schützenfesten zu sprechen, und dass das aktuelle Sommerloch in den Printmedien groß genug ist oder am Ende die Menschen dieser Region doch noch wichtig genug sind, um da in Kassel mal scharf nachzufragen, wann die Bergmänner und Arbeiter auf Sigmundshall endlich die Fakten kriegen, die man ihnen schon so lange verspricht. In diesem Sinne und hoffentlich zum letzten Mal in diesem Kontext:

Glück auf!

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Kommentare


  • Wahre Worte! Es ist eine Frechheit was da mit unseren Männern und Familien gemacht wird !

  • Toll geschrieben, Vanessa.
    Ich wünsche euch ganz viel Glück und Kraft die restliche Zeit zu überstehen. Und vorallem wünsche ich allen, dass sie eine Abschlussverwendung finden.

  • Simon Mann sagt:

    Sehr gut geschrieben, bin selbst davon betroffen und genau das was sie aussprechen ist der springende Punkt.
    Glück Auf âš’

  • Marion Nowak sagt:

    Ja, wo sind die Politikerinnen und Politiker um die Beschäftigten zu untertützen und zu beraten? Ihnen die Rücken zu stärken? 120 Jahre haben die Beschäftigten des Werkes Sigmundshall zu guten Steuereinnahmen und zu guter Infrastruktur in unserer Gemeinde beigetragen.

  • J.j sagt:

    Vielen Dank für die Wahrheit !

  • Nicole Lingner sagt:

    Danke, Vanessa!

  • HD sagt:

    Ich bin selbst betroffen und habe gestern auf der außerordentlichen Betriebsversammlung erfahren wie mit unserem Betriesrat ungegangen wird. Er sprach von behinderung der Betriebsratsarbeit. Der AG macht ein seitige unseriöse Angebote die schlechter sein sollen wie zur Zeit im Entwurf des SP verhandelt werden!

  • Maik Rauke sagt:

    Danke für die wahren Worte sehr gut geschrieben bin selbst betroffen. Glück Auf

  • Nora sagt:

    Mein Mann war auch betroffen, hat aber schweren Herzens den Absprung in eine andere Firma geschafft!
    Ohne werksschliessung wären wir immer mit sigmundshall verbunden gewesen und nicht auf den Gedanken gekommen nach einer anderen Arbeitsstätte zu suchen!
    Tud mir für alle betroffenen leid und den Artikel habe ich mit einem dicken Kloß im Hals gelesen!!!

  • A.G. sagt:

    Wahre Worte, die das „Chaos „für alle Betroffenen Kalikumpel und ihre Familien treffend beschreiben. Aber offensichtlich interessiert sich ein börsennotiertes Unternehmen eben doch nur für das Befinden der Aktionäre.
    Soviel zur vielbeschworenen „Anständigkeit und Moral“ und der „Sorge „um die Mitarbeiter.
    Im Übrigen stellt sich auch die Frage nach der Gewerkschaft.Wo ist denn da die Unterstützung? Von der Politik wird nichts kommen ….kein Wahljahr .
    Ich wünsche allen Sigmundshallern und ihren Familien weiter die Kraft ,dieses Kaspertheater durchzustehen . Und dem Betriebsrat weiterhin Standfestigkeit.

  • Heinz Hodann sagt:

    Der Bericht ist super geschrieben .

  • Daggi Telli, Arne Erik Telleria Marloth

  • Petra Sommer sagt:

    Klasse! Hoffentlich lesen das die Verantwortlichen!

  • HD sagt:

    Der AG hat das 0,7fache Monatsgehalt pro Dienstjahr als Abfindung angeboten mit Deckelung. Und ein Vorstandmitglied bekam 3,1 Mio für 3 Jahre nicht geleistete Arbeit. Für die 40gste Wochenstunde gabs auch noch keine Vergütung. Und zwar seit Januar 2017. Das ANÜ – Gesetz will die K+S mit hilfe unserer Gewerkschaft auch wieder aushebeln und schreit nach Facharbeitermangel. Ja ja die Kleinen klein halten, und die Großen größer machen. Das passt.
    Das ist unser Arbeitgeber.
    Ich kann den Betriebsrat verstehen wenn er zu manchen Themen vor Gericht geht.

  • Eigentlich sollte jedem klar sein, dass der kleine Bergmann und der Fabrikarbeiter einem Weltkonzern ziemlich am Arsch vorbei geht! Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen! So einfach ist das! Ich hatte selbst über 20 Jahre Schacht aufm Buckel, bin aber (zum Glück) seit 10 Jahren weg… Herzlich willkommen in der Realität! Kein Konzern MUSS eine Abfindung zahlen oder einen Sozialplan aufstellen! Wer sich nun also nicht langsam auf die Suche nach nem neuen Job macht, der darf evtl. noch das Licht ausschalten… Traurig, aber wahr! Die fetten Zeiten in Bokeloh sind vorbei! Jahrelang 500-600% Gewinn pro Tonne Salz eingefahren, reicht nun scheinbar nicht mehr! Ich würde alles hinwerfen und die Restarbeit den Schlipsträgern aus Kassel überlassen!

  • Jenny Nülle sagt:

    Danke für ihre Worte Frau Schön!!! Wirklich! Ich hoffe sie finden beim richtigen Gehör…

  • Genau auf den Punkt gebracht! Die Männer waren immer für das Kaliwerk da, haben teilweise ihre Familien hintendrangestellt. Hier geht es um Menschen, sie sollten wertschätzender behandelt werden. Auch unsere Familie ist davon betroffen!

  • Michael Heinisch sagt:

    Es ist auch erstaunlich , das sich die Gewerkschaft mittlerweile komplett raus hält. Aber die haben ja noch nie wirklich was für uns getan

  • Dieser Text bereitet wirklich Gänsehaut und rührt ganz schön!

  • Inge Dralle sagt:

    Chapeau, Frau Schön!
    alles auf den Punkt gebracht. Leider wird es Ihnen nichts nutzen, die Verantwortlichen werden sich hinter Floskeln verstecken. Wie immer, wenn es um die „kleinen Leute“ geht.
    Ich habe ihren Bericht zufällig gelesen. Toll!

  • sabine K. sagt:

    Mein Mann war 27 jahre unter Tage ,dann wurde er schwer krank und wurde von K plus S abgefertigt .Der Betriebsrat war in 3 jahren Krankheit keine Hilfe ,haben sich einmal erkundigt wie es ihm ginge .Traurig sowas.
    Und dann als er für den Betrieb „““nicht mehr arbeiten konnte ,wurde er ohne Leistungen hängen gelassen.Die zustehende Urlaubsabgeltung musste man einklagen und dann hat K plus s einen Läppischen Vergleich von 50 % gezahlt. das nach 27 jahren ….solange man dem Schacht Geld einbringt ist man gut und sonst taugt man nichts. das werden die Arbeiter noch merken. Grosser Arbeitgeber mit wenig sozialen Adern.

  • Liebe Vanesse, Du hast super toll die Situation, die Euch betrifft, beschrieben und den Nagel auf den Kopf getroffen. Wenn Wahlen anstuenden, dann wuerden unsere Politiker auf der Matte stehen und Druck machen. Aber so……der Mohr hat seine Schuldigkeit. Kali und Salz wird es aussitzen und Ihr seid die Leidtragenden. Ich wuensche Dir, Deiner Familie und allen Leidtragenden ganz viel Kraft und Energie fuer einen Neuanfang.

  • Flachländer sagt:

    Es gibt Gerüchte, daß der Betriebsrat mehrfach bereits vereinbarte Teileinigungen wieder vom Tisch gefegt hat und generell irgendwo jenseits von „hartnäckig“ und nahe an „halsstarrig“ agiert. Inzwischen wurde bekanntgegeben, daß die Einigungsstelle angerufen werden mußte, um überhaupt noch Aussichten auf Sozialplan und Interessenausgleich zu behalten.
    Bei aller berechtigten Kritik am Arbeitgeber – anscheinend hat sich der Betriebsrat irgendwie verrannt und weiß nicht, wie er wieder in die Spur kommen soll. Ich hoffe, ich liege da falsch und es gibt bald eine gute Lösung für die Belegschaft!

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