Wunstorfer Auepost
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Ein letzter Besuch

05.05.2020 • Daniel Schneider • Aufrufe: 715
05.05.2020
Daniel Schneider
Aufrufe: 715

Redaktionsblog 02 / 2020

Mit der ersten gedruckten Ausgabe der Auepost im vergangenen Herbst wurde er auf uns aufmerksam. Ein älterer Herr mit grauer Jacke und Stoffhose, schätzungsweise Ende 70, rüstig wirkend und mit wachen Augen, einen Rollator vor sich herschiebend. Eines Tages stand er plötzlich in der Redaktion und beschwerte sich, dass das ja „alles falsch“ sei, was wir da geschrieben hätten.

Es ging um den Stadtgeschichte-Text zum Bürgerpark, zu dem wir zuvor wochenlang recherchiert, Archive durchstöbert, alte Akten gewälzt und Zeitzeugen von früher und noch viel früher befragt hatten. Doch Ludwig Heidorn wusste es noch besser. Er kannte die Details bis in den letzten Winkel, und er legte Wert darauf, dass diese Kleinigkeiten exakt wiedergegeben wurden – solche, die wir bewusst allgemeiner gehalten hatten, damit die Artikel nicht zu akademisch wurden und auch für die weniger Geschichtsinteressierten interessant blieben.

Als „Ur-Wunstorfer“ war Wunstorf seine Stadt, und er kannte jeden Winkel genau. Über die Jahrzehnte hatte er zudem viele Infos und Materialien über die Stadtgeschichte gesammelt und war so zum heimlichen Chronisten der Stadt geworden. Aus dem sich entrüstet beschwerenden Senior wurde schnell ein freundlich gesinnter, gern gesehener Gast im Quartier No. 6. Immer wieder schaute er vorbei, um zu grüßen oder uns mit neuen Ideen zu versorgen. Freudestrahlend und begeistert erzählte er uns von der Vergangenheit. Um uns Details zu zeigen, brachte er bei seinen Besuchen manchmal Bücher und Bildbände über Wunstorf mit. Die hatten wir zwar auch im Schrank, aber das wusste er entweder nicht oder wollte vielleicht sichergehen, dass wir nichts übersahen.

Nun nahmen wir ihn auch öfters in der Fußgängerzone wahr, wo er spazieren ging. Auch er erkannte uns stets, ging sofort in den Erzählmodus über und handelte mal eben die Geschichte des Hauses und seiner Bewohner, vor dem er gerade stand, aus dem Stegreif ab. Sein Zeitzeugenwissen floss dann sogar tatsächlich in den nächsten Artikel zur Stadtgeschichte in der Dezemberausgabe mit ein.

Zuletzt haben wir ihn im November gesehen, im Dezember vermissten wir seine Besuche. Anfang Januar standen dann seine Angehörigen im Quartier und wollten ein Buch abholen, das er bei uns liegengelassen hatte. Wir wissen nicht, ob er „seinen“ Artikel noch gelesen hat. Ludwig Heidorn ist am 1. Januar gestorben. Er wurde 91 Jahre alt. Wir werden ihn nicht vergessen.


Dieser Text erschien zuerst in Auepost 02/2020.

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