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Die Infizierte

07.07.2020 • Daniel Schneider • Aufrufe: 579
07.07.2020
Daniel Schneider
Aufrufe: 579

Eine Wunstorferin erkrankt nach einer Urlaubsreise. Während auch einige andere erkranken und die Infektion durchstehen, übt sich der Großteil der Wunstorfer in Abstandhalten und fährt den Alltag zurück – wie etwa Familie T.

Birgit P.

Birgit P. (Name geändert), erholt sich im Garten | Foto: Achim Süß

„Das ist ja jetzt blöd, hab ich gedacht.“ Birgit P. (Name geändert) fühlt sich an einem Abend vor vier Wochen schlapp. Gerade von einem Kurzurlaub an der See zurück, hat die 69-Jährige plötzlich Halsschmerzen und Schüttelfrost. „Corona war im Anzug, und ich hatte gleich so ’n bisschen die Sorge, dass was sein könnte.“ Ihr Gefühl ist richtig, denn in der Nacht bekommt sie hohes Fieber. Fast 40 Grad – und es wird fast drei Wochen lang anhalten. Die erfahrene Krankenschwester und ihr Mann, ein Arzt im Ruhestand, zögern nicht lange. Ihre Hausarztpraxis in Wunstorf organisiert ihnen einen Termin im Corona-Testzentrum auf dem Messegelände in Laatzen – am selben Tag um 21 Uhr. Nach einer halben Stunde Warten in der Autoschlange ist P. an der Reihe. „Aber ich hab gar nichts hinten im Rachen gemerkt“, berichtet sie über die Prozedur beim Abstrich. Sie hat Zweifel, dass die Kontrolle richtig ausgeführt worden ist. Wie sich später zeigen wird, ist ihre Skepsis begründet.

Eine Woche lang erfährt sie zunächst nichts vom Gesundheitsamt. Ihre Halsschmerzen sind nur schwer zu ertragen, die Gliederschmerzen nehmen zu. Das Fieber bleibt sehr hoch. „Ich hatte starke Kopfschmerzen, ich konnte nicht mehr riechen, ich konnte nicht mehr schmecken. Ich habe richtig abgebaut“, sagt sie. In der Familie wird überlegt, ob etwas ganz anderes diese Erkrankung ausgelöst hat. Aber P. sagt: „Was soll ich denn haben?“ Als die Ungewissheit zu groß wird, ihr Fieber weiterhin hoch bleibt, wendet sich ihr Ehemann an eine Freundin im Gesundheitsamt und bittet um Hilfe. Die forscht nach den Proben von Birgit P. und ihrem Mann. Schließlich berichtet sie Gutes und Schlechtes: Der Test ist negativ, bei beiden. Aber auf einem Teströhrchen fehlt das Geburtsdatum, auf dem anderen ist es falsch. P. weiß inzwischen, dass das kein Einzelfall zu sein scheint. Sie will auch keine Vorwürfe erheben: „Die waren einfach alle völlig überfordert. Da waren an dem Wochenende 6.000 Leute zum Testen, wurde uns berichtet.“

Die waren einfach alle völlig überfordert Birgit P.

Ihr Gesundheitszustand bleibt kritisch, und so organisiert eine Kollegin ihres Mannes einen zweiten Abstrich. Birgit P. geht es schlecht, und nun kommt eine neue Sorge hinzu: „Ich hatte wirklich Angst, dass mein Herz das nicht aushält.“ Sie hat seit Jahren Herzprobleme, und diese verstärkten sich während der Krankheit. Drei Tage nach dem zweiten Test kommt die Nachricht: „Positiv.“ P. überlegt gründlich mit ihrem Mann und spricht auch mit ihrer Tochter, die als Ärztin arbeitet. Alle sind sich einig: Die Kranke ist am besten zu Hause aufgehoben. Das Gesundheitsamt ist nach gründlicher Beratung einverstanden, macht eine Ausnahme wegen der besonderen persönlichen Verhältnisse und verhängt eine Quarantäne für weitere 14 Tage. Jede Woche gibt es einen Rückruf, wie sich die Situation entwickelt hat. Alles, was zur Betreuung nötig ist, hat die Familie zur Verfügung – und ihr Mann hat sehr viel mehr Zeit als die Schwestern im Krankenhaus. „Da kann ich nicht alle fünf Minuten rufen, weil ich zur Toilette muss oder was anderes brauche“, sagt P. „Aber hier zu Hause geht das gut.“

Ich hatte wirklich Angst, dass mein Herz das nicht aushält Birgit P.

Wie sich zeigt, ist es die richtige Entscheidung gewesen. Auch als in der dritten Woche noch eine Lungenentzündung hinzukommt. Medikamente, ständige Kontrolle des Blutdrucks und des Sauerstoffgehalts im Blut zeigen nach gut drei Wochen Wirkung. Die Fürsorge ihres Mannes und vollständige Ruhe haben P. geholfen, auch die Verschlimmerung zu überstehen. „Aber zwei Mal war es kritisch. Da war ich kurz davor, doch ins Krankenhaus zu müssen.“ Inzwischen hat das Gesundheitsamt die Quarantäne aufgehoben, Birgit P. hat ihren ersten kleinen Gang „in Freiheit“ gemacht. Das sei herrlich gewesen, sagt sie. Wo und wann sie sich angesteckt hat, weiß sie nicht. „Ist ja auch egal. Was nützt mir, das zu wissen?“

Auf engstem Raum

Während einige die Krankheit schon überwunden haben, ist der Großteil dabei, die Ansteckungsraten zu senken – durch Verzicht und Abstand. Die öffentliche Debatte konzentriert sich seit Beginn des „Shutdown“ oft darauf, dass man „die Alten“ als Risikogruppe nicht isolieren könne. Drastisch umstellen mussten sich im Alltag bislang aber vor allem die Jüngsten: Die Freunde aus dem Kindergarten sind auf einmal weg, und selbst mit den Nachbarskindern darf man nicht mehr gemeinsam auf die Straße. Während alle auf Abstand gehen, rücken insbesondere Familien mit Kindern jetzt noch näher zusammen – erst recht, wenn auch die Eltern nun im Home-Office arbeiten.

Gesperrte Spielgeräte

Gesperrtes Spielgerät an der Stadtschule | Foto: Mirko Baschetti

Die Welt beschränkt sich hier nun vorübergehend ganz auf das eigene Domizil. So geht es auch Familie T. aus Wunstorf. Die Patchworkfamilie mit vier schulpflichtigen Kindern von der 2. bis zur 5. Klassenstufe lebt in einem Haus mit Garten in der Nordstadt. Man bringe Home-Schooling, Home-Office und Kinderbetreuung aber gut unter einen Hut, berichtet uns die Mutter, mit Jobs im Vertrieb und in der IT sei das gut machbar. Man genieße das gemeinsame Mehr an Zeit, aber vor allem die Organisation beim Arbeiten und Lernen zu Hause sei herausfordernd: Scanner, Drucker, Internet etc. müssen bereit sein und entsprechend geteilt werden. Vieles war bereits vorhanden, die Arbeitgeber haben das Equipment etwas aufgerüstet.

Bis zu den Osterferien lernten die Kinder noch fleißig zu Hause, danach sei die Sache etwas eingeschlafen. Gelernt wurde zu festen Zeiten. Dabei mussten die Eltern zusätzlich zu ihrer eigenen Arbeit – bei der feste Zeiträume eingehalten werden müssen – auch noch die Arbeit der Lehrer übernehmen, denn selbständiges Arbeiten der Kinder war nicht möglich. Es musste nicht nur wie in einem Klassenraum für Ruhe und Konzentration gesorgt werden, auch neue Themenfelder waren mit den Kindern zu erarbeiten. Die Kinder nehmen das Zuhauselernen ernst, auch deshalb, da die Eltern die eher lockeren Anforderungen durch die Schule nicht an die große Glocke hängen. Hier hätten sich Mutter und Vater mehr Verbindlichkeit seitens der Schulen gewünscht.

Aushalten könne man diesen Zustand noch einige Monate, lautet die Aussage – vorausgesetzt, zumindest ein Teil der Kinder ginge bald wieder in die Schule. Die Kinder selbst finden „Corona-Ferien“ ansonsten toll. Nur die sportlichen Aktivitäten, der Fußballverein, Handball, Tanzen, sowie der Musikunterricht werden schmerzlich vermisst.

Geld zurück vom Sportstudio?

Die Beiträge für Musikunterricht und Sport zahlt die Familie aus Solidarität freiwillig weiter, dabei hätte sie wahrscheinlich Anspruch auf Rückerstattung. So eindeutig, wie die Rechtslage manchmal dargestellt wird (keine Leistung = keine Bezahlung), verhält sie sich allerdings gar nicht. Ob eine bereits über monatliche Mitgliedsgebühren bezahlte Dienstleistung erstattet werden muss, hängt einerseits vom Inhalt des zugrundeliegenden Vertrages ab. Hier könnte es Klauseln geben, die im Fall von höherer Gewalt, zu der man auch eine Pandemie zählen kann, die weitere Zahlungspflicht regeln. Fehlen eindeutige Vereinbarungen, ist umstritten, inwieweit das allgemeine Schuldrecht überhaupt anzuwenden ist. Andererseits gibt es im Bürgerlichen Gesetzbuch keine direkten Regelungen für den Fall einer Leistungsstörung bei Pandemien. Eine Umwandlung des Leistungsanspruchs in Gutscheine ist z. B. auch nicht vorgesehen. Knackpunkt ist die sogenannte Unmöglichkeit der Leistung (die nicht eindeutig definiert ist und ggf. im Einzelfall gerichtlich geklärt werden muss): Erst wenn ein Vertrag nicht erfüllt werden kann, weil es faktisch nicht möglich ist, muss auch die Leistung nicht bezahlt werden. Rechtlich unmöglich wäre der Musikschulunterricht z. B. gar nicht, wenn er auch über Videochat abgehalten werden kann, während ein persönlicher Besuch in der Musikschule nicht mehr möglich ist. Hier kommt es wieder auf den Einzelfall und auf die genauen Umstände an.

Nicht nur die Kinder vermissen in diesen Zeiten ihren Sport und die gewohnten Freizeitbeschäftigungen. Das Wunstorfer Vereinsleben liegt derzeit nahezu vollständig im Dornröschenschlaf. „Nein, Treffen in Kleingruppen gibt es nicht“, sagt zum Beispiel Torsten Faltinat, der Vorsitzende des Schützenvereins Luthe. Seit den Kontaktbeschränkungen ruhe das Vereinsleben komplett: „Neben dem Sport ist bei uns auch die Geselligkeit und das Miteinander ein wichtiger Bestandteil. Beides ist derzeit nicht möglich, und das fehlt vielen.“ Aber diese Krise könne nur miteinander bewältigt werden, wenn alle verantwortungsvoll damit umgingen und Risikogruppen so gut wie möglich schützten. Im Moment würden die Mitgliedsbeiträge unverändert gezahlt. Wenn der Vereinsbetrieb aber noch länger ruhen müsse, sei das ein Punkt, über den man sicherlich auch sprechen werde, sagt Faltinat.


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Teil 1: Wunstorf in Krisenzeiten
Teil 2: Die Infizierte
Teil 3: Die Wirtschaft im Ungewissen
Teil 4: Der Mediziner
Teil 5: Stadt und Tourismus
Teil 6: Die Helfer
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Dieser Artikel war Teil der Titelgeschichte in Auepost #8 (Mai 2020)

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