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Mit der Dampflok direkt am Wunstorfer Rathaus vorbei

19.02.2020 • Daniel Schneider • Aufrufe: 6132

Einst fuhren Züge mitten durch Wunstorf und verbanden die Stadt mit der Steinhuder-Meer-Region bis über die Weser hinaus. Die Geschichte der Steinhuder Meer-Bahn.

19.02.2020
Daniel Schneider
Aufrufe: 6132
Steinhuder Meer-Bahn fährt über Brücke
Die Steinhuder Meer-Bahn fährt über eine der extra neu errichteten Auebrücken | Foto: Stadtarchiv Wunstorf

Wunstorf war ganz vorn mit dabei, als die Eisenbahn sich im 19. Jahrhundert anschickte, die Welt nachhaltig zu verändern. Der Bahnhof Wunstorf ist eine der ältesten Bahnhofsanlagen in Niedersachsen. Der bis 1848 errichtete Bahnhof für die Königlich Hannöversche Staatseisenbahn, später preußische Staatsbahn, war Ausgangspunkt für die Bahnstrecke nach Bremen. Der Bahnbau brachte Wunstorf Bedeutung und Wohlstand und wirkt bis heute nach. Auch in unseren Tagen ist der Bahnhof Wunstorf noch einer der wichtigsten in Norddeutschland. Doch neben der Staatsbahn gab es vor über 100 Jahren eine Privateisenbahn, die Wunstorf und Umgebung nachhaltig veränderte. Vor allem Steinhude wurde durch sie vom einstigen kleinen Fischerort praktisch über Nacht zum Touristenmagneten: es war die Steinhuder Meer-Bahn.

Gründung und Bau der Eisenbahn

Schon 1872 versuchte ein Berliner Investor, eine private Bahnlinie von Wunstorf Richtung Rehburger Berge zu errichten. Zum Glück für Steinhude scheiterte er jedoch, denn die geplante Strecke hätte direkt nach Hagenburg führen sollen. Nun aber schalteten sich die Steinhuder ein und wollten selbst eine Eisenbahn ins Fischerdorf holen. Denn die Eisenbahn wurde im anbrechenden Industriezeitalter zum wichtigsten Faktor für den schnellen Transport für Waren. Für den Personenverkehr hatte sie zunächst untergeordnete Bedeutung. 1881 schätzte der damalige Steinhuder Bürgermeister, dass es vielleicht 4 bis 5 Reisende täglich gebe, wenn die Meer-Bahn gebaut würde. Doch damit sollte er sich gewaltig verschätzen.

Historischer Fahrplan
Historischer Fahrplan | Foto: Daniel Schneider

1895 gab das Fürstentum Schaumburg grünes Licht, und im darauffolgenden Jahr wurde im Wunstorfer Hotel „Zum Ritter“ durch Vertreter der Landkreise und Orte die Gründung der Aktiengesellschaft „Steinhuder Meer-Bahn“ beschlossen. Die Hagenburger waren nicht glücklich über die nun angedachte Streckenführung nach Steinhude, doch die Steinhuder brachten umso mehr finanzielle Mittel auf. Somit gehörten nicht nur die an der Strecke gelegenen Kommunen, sondern auch Gastronomen und Fabrikanten zu den Aktionären.

Das Dampfroß, schön geschmücket
durcheilet deine Flur
O Seeprovinz beglücket
Nun folge seiner Spur

(Vers aus einem zur Eröffnungsfeier 1898 vorgetragenen Gedicht)

Baubeginn für den ersten Streckenabschnitt bis nach Bad Rehburg war zwei Jahre später, 1897. In diesem Jahr wurde die „Steinhuder Meer-Bahn Actiengesellschaft“ mit Sitz in Wunstorf auch ins Handelsregister eingetragen. Neben der Verwaltung wurde auch die Werkstatt in Wunstorf angesiedelt. Der Bau der Strecke dauerte ein gutes Jahr. Viel Handarbeit war dabei erforderlich, Maschinen kamen kaum zum Einsatz. Am 20. Mai 1898 konnte die Jungfernfahrt von Wunstorf nach Bad Rehburg mit der Dampflok „Steinhude“ durchgeführt werden, einen Tag später begann der reguläre Bahnbetrieb.

Die Züge und Waggons

Waggon
Wagen Nr. 9 | Foto: Daniel Schneider

Der Betrieb startete mit sechs Schmalspur-Dampflokomotiven, die in Düsseldorf gebaut worden waren. Es waren einfache, aber robuste Lokomotiven, die jeweils knapp 15 Tonnen wogen. Alle erhielten die Namen von Orten an der Strecke. In den folgenden Jahren kamen weitere hinzu, bis es schließlich 11 Dampflokomotiven waren. Manche der ersten Loks, darunter die „Steinhude“ waren bis weit in die 1950er Jahre in Betrieb. Nur die „Wunstorf“, als 7. Lok angeschafft, wurde schon 1936 verschrottet. Zuletzt wurden in den 30er Jahren neue Dampfloks in Dienst gestellt, doch ab diesem Jahrzehnt kamen auch die ersten Triebwagen mit Otto- und Dieselmotoren zum Einsatz. Nachdem ein Schienenbus erfolgreich im Einsatz war, beschaffte man auch Triebfahrzeuge, an die weitere Waggons angehängt werden konnten. Die Lokomotiven blieben, wurden aber nach und nach durch Triebwagen verdrängt. Ab den 50er Jahren wurden die Waggons dann kaum noch von Lokomotiven gezogen. Durch die Triebwagen erhielt die Steinhuder Meer-Bahn nun auch im Erscheinungsbild eher den Charakter einer Straßenbahn. Ebenfalls in den 50ern kamen Normalspur-Dieselloks für die Strecke nach Bokeloh hinzu. Die letzte verbliebene Dampflok, die „Uchte“, wurde 1960 verschrottet.

Holzklasse
Sitzbänke und Holzboden im Waggon der 3. Klasse | Foto: Daniel Schneider

Während die Geschichte der Lokomotiven gut überliefert ist, weiß man über die ersten Waggons für den Personentransport weniger. Auch sie wurden in Düsseldorf extra für die Steinhuder Meer-Bahn gebaut, von der Waggonbaufabrik Weyer. In der Anfangszeit hatte man 15 Personenwaggons im Einsatz. Später in den 1920er Jahren zog eine Lok allein bis zu 18 Waggons mit Ausflüglern nach Steinhude. Anfänglich war Dunkelgrün die typische Meer-Bahn-Farbe, später, wohl ab den 30er Jahren, wurde zweifarbig in Weiß und Rot lackiert. Nachdem 1935 der Streckenabschnitt Rehburg – Uchte stillgelegt worden war, wurden einige Waggons verkauft und kamen z. B. nach Langeoog, wo sie seitdem bei der Langeooger Inselbahn fuhren. Nach dem Ende der Personenbeförderung bei der Steinhuder Meer-Bahn fanden weitere Waggons ihren Weg in den hohen Norden.

Salonabteil
Salonabteil | Foto: Daniel Schneider

Eine erste Wagenklasse gab es nicht, nur Abteile der 2. und 3. Klasse – die „Holzklasse“. Aber bereits die ersten Waggons hatten eine Heizung eingebaut – natürlich dampfbetrieben. Klappen auf Beinhöhe spendeten Wärme an kalten Tagen. Als Beleuchtung dienten Öllampen. Fahrräder wurden auf den dazu mitgeführten Gepäckwagen mitgenommen – oder einfach auf den Zustiegsplattformen der Passagierwaggons. Manche Abteile der 2. Klasse waren als Salon eingerichtet, mit Beistelltischen und gepolsterten Sesseln. Einer dieser Waggons landete auch auf Langeoog und erhielt dort wegen des luxuriösen Salonabteils den Spitznamen „Ministerwagen“.

Gasbeleuchtung
Gasbeleuchtung am Waggon | Foto. Daniel Schneider

Genau dieser Waggon – „Wagen Nr. 9“ – wurde gerettet und fand 1995 seinen Weg zurück nach Steinhude. Es war tatsächlich einer der ersten Waggons, die damals auf der Strecke fuhren. Nun ist er begehbares Exponat im Steinhuder Freilichtmuseum. Die Restaurierung sei aufwändig gewesen, berichtet Nils Hoffmann vom Verein Steinhuder Meer-Bahn. Nachdem man die Verkleidungen und Aufbauten abgenommen hatte, stieß man großflächig auf von der salzhaltigen Luft zerfressene Teile. Der Waggon war von vorne bis hinten rostig, der Holzaufbau morsch. In jahrelanger Arbeit wurde der Waggon vollständig hergerichtet und vermittelt seitdem wieder das authentische Gefühl des Bahnreisens vor 120 Jahren. Neben Passagieren beförderte die Steinhuder Meer-Bahn natürlich auch viele Güter. Dazu gab es diverse Gepäck-, Post- und Güterwagen.

Die Gleise

Die Steinhuder Meer-Bahn war eine Kleinbahn, was nicht bedeutete, dass sie besonders klein war, sondern als Nebenbahn angesehen wurde. Gleichzeitig war sie aber auch eine Schmalspurbahn, da sie auf einer geringeren Spurweite als üblich fuhr. Nur einen Meter Abstand hatten die beiden Schienen der Meer-Bahn-Gleise zueinander. Im Wunstorfer Stadtbild sahen die schmalen Gleise der Meer-Bahn daher wie Straßenbahngleise aus. Die Haupteisenbahn in Wunstorf fuhr auf 1435 Millimetern Schienenabstand – der Normalspur, die auch heute noch in Gebrauch ist.

Für eine Schmalspurbahn hatte man sich damals aus Kostengründen entschieden: Der Bau der Gleisanlagen war bedeutend günstiger als bei der Normalspurweite, und man konnte die Schienen auch auf vorhandenen Wegen und Straßen verlegen. Da die Steinhuder Meer-Bahn autark auf ihren eigenen Gleisen fuhr, war das kein Problem. Es sollte sich erst später als Nachteil herausstellen, als Streckenerweiterungen auch für Normalspur gebaut wurden und dann zu höherem Aufwand führten: in das normale Gleis musste eine dritte Schiene extra für die Kleinspurzüge verlegt werden.

Gleise der Meer-Bahn
Der östliche Streckenabschnitt in Normalspur existiert bis heute | Foto: Daniel Schneider

Man fuhr in späteren Jahren von Wunstorf aus sozusagen tatsächlich „dreigleisig“. Innerhalb der beiden „normal breiten“ Schienen war die dritte Schiene so angelegt, dass die Meer-Bahn auf dem dritten und dem einen äußeren Normalgleis rollen konnte. Noch bis in die 60er Jahre konnte man daher in Wunstorf dreischienige Gleise bewundern. Eisenbahnschwellen gab es in der Innenstadt keine, die Schienen wurden in die Straßen integriert, wenn sie nicht wie außerorts neben der Fahrbahn lagen.

Die Strecke

Es gab zwei Strecken der Steinhuder Meer-Bahn in Wunstorf. Die ursprüngliche Streckenführung – heute kaum noch vorstellbar – verlief direkt durch die Altstadt. Die Gleise lagen auf der heutigen Hindenburgstraße, führten am jetzigen Hölty-Gymnasium vorbei zur Südstraße, dann entlang des Rathauses, überquerten den heutigen Marktplatz und verliefen dann weiter über die Nordstraße in Richtung Klein Heidorn. Dort, wo heute die Telekom ihr Ladengeschäft betreibt, befand sich die „Haltestelle Rathskeller“. Das Eckhaus gegenüber dem Wunstorfer Rathaus hat seine abgerundete Form nicht zufällig, es wurde mit Rücksicht auf die Gleise der Meer-Bahn so gebaut. Denn genau dort fuhr einst die Steinhuder Meer-Bahn um die Kurve.

Haus an der Strecke
Das Gebäude gegenüber des Rathauses wurde aufgrund des Streckenverlaufs abgerundet errichtet | Foto: Stadtarchiv Wunstorf
Gleise in der Bahnhofsstraße
Die Gleise führten links neben der Bahnhofsstraße zum Bahnhof | Foto: Stadtarchiv Wunstorf

Richtung Klein Heidorn lagen die Gleise neben der Landstraße, im Ort selbst lagen sie auf der Dorfstraße. Auch das sollte sich später noch als großer Nachteil herausstellen. Die nächste Haltestelle war dann auch in Klein Heidorn, zweimal wurde in Großenheidorn gehalten, und dann hatte man den Bahnhof Steinhude erreicht. Von dort führte die Strecke weiter nach Altenhagen, Hagenburg, Schmalenbruch, Wiedenbrügge und Winzlar bis nach Bad Rehburg. Bis 1899 wurde die Strecke über Loccum bis nach Uchte erweitert. Bis 1906 fuhren die Dampfloks so durch die Auestadt, danach wurde die Strecke an den Stadtrand verlegt, als auch die Nebenstrecke nach Mesmerode zum Kaliwerk gebaut wurde. Ab diesem Jahr ging es nicht mehr die heutige Hindenburgstraße hinunter, sondern weiter östlich über die Auewiesen. Von Wunstorf bis Uchte war die Strecke der Steinhuder Meer-Bahn nun fast 73 Kilometer lang.

Ende der Stadtstrecke

Stationstelefon
Stationstelefon im Museumswaggon | Foto: Daniel Schneider

Nach nur acht Jahren war das Ende der alten Strecke durch Wunstorf gekommen, die ursprünglichen Gleise wurden stillgelegt. Der Grund war, dass die Meer-Bahn in der Innenstadt nur Schrittgeschwindigkeit fahren konnte – und auch selbst zum Verkehrshindernis wurde. Eine neue Strecke wurde am Rand der Altstadt gebaut. Nun fuhr die Steinhuder Meer-Bahn vom Wunstorfer Bahnhof durch die Auewiesen über die Westaue und ihre damaligen Ausläufer zur späteren „Sölterkreuzung“ – und damit um das alte Wunstorf herum. Dieser Streckenteil besteht noch heute, dort fährt jedoch nur noch die Osthannoversche Eisenbahn (OHE) zum Kaliwerk.

Auf Wunstorfs Straßen blieben die alten Gleise teilweise noch lange liegen. Die letzten Schienen wurden erst nach dem Zweiten Weltkrieg abgebaut, als die Straßen asphaltiert wurden, erinnern sich alteingesessene Wunstorfer. Am längsten hätten die Gleise vor dem heutigen „Hölty“ in der Hindenburgstraße gelegen, sagt etwa Heimatchronist Ludwig Heidorn. Besonders Pferdefuhrwerke hätten bis dahin noch Acht geben müssen, damit die Tiere nicht auf den glatten Schienen ins Straucheln kamen, erzählt Heidorn. Elektrifiziert war die Strecke nie. Als die Dampfloks in Rente gingen, wurden sie durch Loks mit Verbrennungsmotoren ersetzt.

Die Bahnhöfe

In den ersten Jahren hatte die Steinhuder Meer-Bahn noch keine Verbindung zum Wunstorfer Bahnhof, sondern ihre eigene Endhaltestelle in Wunstorf: Ausgangspunkt war das Hotel „Zum Ritter“, dem heutigen Wunstorfer Festsaal, das somit gleichzeitig als Personenbahnhof und Bahnhofswirtschaft diente. 1905 war der Weg dann frei, die Gleise direkt zum Bahnhof Wunstorf zu verlängern, so dass es nun einen gemeinsamen Bahnhof für Staats- und Steinhuder Meer-Bahn in Wunstorf gab.

Auch die neue Strecke war inzwischen verlegt. Als Ersatz für den entfallenen Haltepunkt „Rathskeller“ kam dann der neue Haltepunkt an der heutigen „Sölterkreuzung“ hinzu: der Stadtbahnhof. Damit hatte Wunstorf nun zwei Bahnhöfe: „Wunstorf – Bahnhof“ und „Wunstorf – Stadt“ bzw. den Staatsbahnhof. Der Stadtbahnhof in der Nähe des jetzigen Medicum hat die Zeiten überdauert, das Gebäude beherbergt heute die Tafel Wunstorf, wurde von dieser erworben und saniert. Wo früher Reisende in die Bahnhofswirtschaft einkehrten, werden heute Lebensmittel an Bedürftige ausgegeben.

Bahnhof Steinhude
Der Steinhuder Bahnhof | Foto: Stadtarchiv Wunstorf, Nachlass Armin Mandel

Noch älter war der Bahnhof Steinhude, der bereits 1897 noch vor Eröffnung der Strecke errichtet worden war. Er war der bedeutendste Bahnhof an der Strecke, ein schmuckes, repräsentatives, stattliches Gebäude am Rande von Steinhude, das auch als Bahnhofsgaststätte diente. Er wurde immer wieder erweitert. Noch 1956 vergrößerte man ihn zum letzten Mal. Nach dem Ende des Bahnbetriebs hatte man keine rechte Verwendung mehr dafür. Nachdem das Gebäude in seinen letzten Jahren lange leergestanden hatte, wurde es 2003 schließlich abgerissen – und damit eines der letzten großen baulichen Zeugnisse der goldenen Zeiten der Steinhuder Meer-Bahn. Heute befindet sich hier ein Kinderspielplatz, und nur wenige Schritte entfernt hat der Verein Steinhuder Meer-Bahn sein Freilichtmuseum errichtet.

Unfälle

Die Enge in Wunstorf und Klein Heidorn führte bisweilen zu Zusammenstößen oder Beinahe-Unfällen mit dem übrigen Verkehr. Auch gab es manche Entgleisung, die aber glimpflich verlief. Schon bei der Eröffnungsfahrt am 20. Mai 1898 sprang der vorletzte Wagen aus den Schienen, weil die Achslager überhitzten und Feuer gefangen hatten. Damit ging man ganz pragmatisch um: Die letzten zwei Waggons wurden einfach abgehängt, die Passagiere stiegen in die anderen Waggons um – und die Fahrt wurde fortgesetzt.

Am 6. April 1944 stießen zwischen Bad Rehburg und Rehburg Stadt jedoch wegen menschlichen Versagens ein Personen- und ein Güterzug zusammen. Ein Bremser im Güterzug wurde getötet. Der zweite große Unfall der Meer-Bahn geschah am 23. Februar 1957 in Wunstorf durch eine falsch gestellte Weiche. Ein Personenzug fuhr auf eine rangierende Lok samt Waggons auf. Viele Fahrgäste wurden dabei verletzt.

Der Erfolg

Waren bei Projektbeginn vor allem die wirtschaftlichen Aspekte in Form des Warentransports ausschlaggebend gewesen, so bekam der Personenverkehr Anfang des 20. Jahrhunderts nun eine immer größere Bedeutung. Vor allem die Touristen aus Hannover waren es, die die Waggons der Steinhuder Meer-Bahn füllten. Die Existenz der Bahnstrecke erwies sich für Steinhude nun als Glücksfall. Die Tagesgäste waren zuvor oft über Hagenburg zum Meer gekommen, jetzt kamen sie mit der Bahn und stiegen schon in Steinhude aus. Der Wettbewerb zwischen Hagenburg und Steinhude um die Vormachtstellung, das „Tor“ zum Steinhuder Meer zu sein, war entschieden.

Waggon im Freilichtmuseum
Museumswaggon an Museumsbahnsteigkante | Foto: Daniel Schneider
Streckenplan der Meer-Bahn
Streckenplan der Meer-Bahn | Foto: Daniel Schneider

Steinhude wurde durch die Meer-Bahn zum bedeutenden Fremdenverkehrsort. Konnten die Sommerfrischler aus Hannover das Steinhuder Meer zuvor nur mit dem holprigen Pferdefuhrwerk oder gar mit dem Fahrrad erreichen, so war nun die bequeme und vor allem schnelle Anreise mit der Bahn möglich. Von Wunstorf nach Steinhude fuhr man 20 Minuten, von Hannover aus hatte man insgesamt eine Dreiviertelstunde Reisezeit, um „ans Meer“ zu kommen.

Der Bahnhof Steinhude war an Ausflugstagen regelmäßig übersät von Menschen. Mitte der 1920er Jahre waren die Touristenströme so weit angestiegen, dass erstmals der vor Ort gefangene Aal aus dem Steinhuder Meer nicht mehr ausreichte. Er wurde nun für den Verkauf an die Touristen „importiert“ – natürlich ebenfalls mit der Meer-Bahn. Aus den einst prognostizierten 3 bis 4 Fahrgästen pro Tag waren 30 Jahre später eine Million Menschen geworden, die mit der Steinhuder Meer-Bahn fuhren. Der Berufspendler- und Schülerverkehr nahm sich dagegen fast bescheiden aus.

Das Ende

Das Ende der Steinhuder Meer-Bahn war eines auf Raten. 1935 wurde der westliche Abschnitt Rehburg Stadt – Uchte aufgegeben und durch Busverkehr ersetzt. Auf dieser Strecke fuhren einfach zu wenig Passagiere. Aber auch auf der verbliebenen Stammstrecke gingen die Passagierzahlen später kontinuierlich zurück. In den 50er Jahren zeichnete sich ab, dass die Steinhuder Meer-Bahn zumindest als Schmalspurbahn keine gesicherte Zukunft haben würde. Vor allem die Durchfahrt in Klein Heidorn entwickelte sich zum Nadelöhr und Unfallschwerpunkt, weil die Bahn eng an Häusern und dem Straßenverkehr vorbeizuckelte. Autos und Bahn fuhren direkt nebeneinander.

Lokomotive
Aufs Abstellgleis gestellt | Foto: Daniel Schneider

Es gab Pläne, die Bahn auf Normalspur umzubauen und damit auch eine Direktanbindung nach Hannover ohne Umstieg in Wunstorf zu ermöglichen. Das erwies sich jedoch als unfinanzierbar. Unterdessen traten an Stelle der Bahnen immer mehr Busverbindungen, die nun als bequemer und moderner empfunden wurden als die alten Holzwagen der Meer-Bahn. Die Züge waren nur noch schwach ausgelastet. Die Meer-Bahn wurde zunehmend nicht mehr als Transportmittel zum Touristenziel Steinhuder Meer gesehen, sondern entwickelte sich selbst zum Ziel von Eisenbahnenthusiasten. Mit der Kleinbahn ums Steinhuder Meer zu fahren versprach lebendige Eisenbahnnostalgie.

Der Personenverkehr wurde noch bis 1964 aufrechterhalten, dann war Schluss. Der letzte Personenzug erreichte Wunstorf am 18. Januar 1965 um 16.22 Uhr. Der Busverkehr hatte sich als wirtschaftlicher erwiesen. Die Steinhuder Meer-Bahn stellte die Personenbeförderung auf der Schiene komplett ein und setzte fortan auf die beliebteren Busse. Nur der Güterverkehr wurde auf der Hauptstrecke noch bis 1970 weitergeführt. Erst im August 1970 wechselten auch hier die Signale endgültig auf Rot. Die Schienen in und nach Steinhude wurden abgebaut.

Gleise in der Südstraße
Noch gut erkennbar: Auf der rechten Seite der Südstraße lagen die Gleise | Foto: Stadtarchiv Wunstorf

In Wunstorf blieben die Gleise liegen, da die Nebenstrecke zum Kaliwerk in Betrieb blieb. Nur die dritte Schiene in der Mitte wurde ausgebaut. Die Steinhuder Meer-Bahn blieb als nunmehr Busunternehmen aktiv und stemmte neue Projekte wie z. B. den Retax-Bus. Zum 100-jährigen Jubiläum der Gesellschaft verlor die Steinhuder Meer-Bahn ihre Eigenständigkeit und verschmolz mit anderen Verkehrsunternehmen zu „Regiobus“.

Gegenwart und Zukunft

Auf der alten Teilstrecke der Steinhuder Meer-Bahn rollen noch immer Züge – jetzt die der OHE, die den Werksverkehr für das Kaliwerk übernimmt. In den nächsten Jahren werden auf dieser Strecke auch die Waggons rollen, die das Salzwasser für die Flutung der alten Stollen in Sigmundshall bringen werden. Was danach kommt, ist ungewiss.

Waggon Steinhuder Meer-Bahn
Aufschrift auf dem Waggon | Foto: Daniel Schneider

So, wie der letzte Waggon bei der Jungfernfahrt abgehängt wurde, muss sich in den 60er Jahren ganz Steinhude gefühlt haben, als die Ära der Steinhuder Meer-Bahn zu Ende ging. Die Hoffnung bleibt bei vielen, die die Meer-Bahn noch selbst erlebt haben, dass das Kapitel eines Tages wieder aufgeschlagen werden könnte. In und rund um Steinhude gibt es inzwischen wieder Bestrebungen, die alte Bahn als moderne Personenbeförderungsstrecke zu reaktivieren – um Steinhude wie vor 100 Jahren für den Tourismus, aber auch die Pendler besser erreichbar zu machen. Ein Gedanke, der in Zeiten des Klimawandels und der Alternativensuche zum Autoverkehr überlegenswert scheint. Keine historisierende Bimmelbahn soll es werden – doch gerade die wäre wohl ein Juwel für die Steinhude-Touristen, taugt die alte Steinhuder Meer-Bahn mit ihren kleinen Dampflokomotiven doch geradezu als ideale Stilisierung des frühen Eisenbahnzeitalters.

So dampfte Steinhuder-Meer-Bahn ca. 1920 durch die Innenstadt von Wunstorf. Die einst 52,7 Kilometer lange Schmalspureisenbahn erstreckte sich von Wunstorf über Steinhude, Bad Rehburg, Stolzenau und Uchte. Mit Beendigung des Güterverkehrs im Sommer 1970 wurde der Betrieb eingestellt | Foto: Stadtarchiv Wunstorf, Nachlass Armin Mandel
So dampfte die Steinhuder-Meer-Bahn bis 1906 durch die Innenstadt von Wunstorf. Die einst 52,7 Kilometer lange Schmalspureisenbahn erstreckte sich von Wunstorf über Steinhude, Bad Rehburg, Stolzenau und Uchte. Mit Beendigung des Güterverkehrs im Sommer 1970 wurde der Betrieb eingestellt | Foto: Stadtarchiv Wunstorf, Nachlass Armin Mandel

In Steinhude sind von der alten Meer-Bahn nur noch die Trassenverläufe sichtbar – aus ihnen wurden Geh- und Radwege. Schienen liegen dort längst nicht mehr. Auch im Hagenburger Wald ist mancher heutige Wanderweg eigentlich eine alte Bahntrasse. Dass die Eisenbahn aus Steinhude nicht gänzlich verschwunden ist, ist allein dem Verein Steinhuder Meer-Bahn zu verdanken, der gemeinsam mit Unterstützern einige Originale gerettet hat und Waggons und Lokomotiven aus einer verschwundenen Epoche bewahrt und wiederauferstehen lässt. Auf diese Weise kann man heute wieder hautnah in ein bewegendes Kapitel Eisenbahngeschichte in Wunstorf eintauchen.

~ Dank für die Unterstützung unserer Recherchen an: Steinhuder Meer-Bahn e. V., Stadtarchiv Wunstorf, Ludwig Heidorn ~

Dieser Artikel erschien zuerst in Auepost 12/2019

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Kommentare


  • Grit Decker sagt:

    Sehr ausführlich gehaltener Artikel, der mir ausgesprochen interessante Informationen verspricht.
    Mangels Zeit kann ich den jetzt leider nicht lesen *bedröppelt guck*.

    Digitale Technik und ich: naja…
    Doch zum Abspeichern reichen meine -zugegebenermaßen bescheiden- Kenntnisse dann zum Glück doch *erwartungsfroh schau*…

    • Grit Decker sagt:

      UPDATE 21.2.:
      Soeben mit der Lektüre geendet -und wie mein erster flüchtiger Eindruck gewesen ist:
      ausgesprochen lebendig geschriebene Historie vom Autor #Daniel Schneider.
      Ich bin nicht unbedingt „Hardcore-Fan“, doch die auf mich ansprechende Weise geschriebenen Informationen machen mir Appetit auf einen Besuch im Frühjahr des Freilicht-Museums.

      Inzwischen lebe ich 31 Jahre in Wunstorf und ich gebe offen zu, dass ich von der Geschichte unserer Stadt wenig -sehr wenig weiß.
      #Daniel hat mit seinem Artikel zumindest bei mir erreicht, an meinen Wissenslücken arbeiten zu wollen.
      Danke dafür!

  • Hans-Joachim Hauschild sagt:

    Wen man die Bahn wider reaktivieren will sollte man
    sich fragen wie soll sie den gebaut werden, und wie
    viel soll sie kosten, man muss die Strecke von Wunstorf
    bis nach Steinhude völlig neu bauen.

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