Die Freien Wähler spielten bislang keine nennenswerte Rolle in der Stadt, weder personell vor Ort noch bei Wahlkämpfen. Doch auf einmal gibt es auch Orange-Blau in Wunstorf. Nicht nur das: In Rekordzeit ist auch ein Ortsverband in Wunstorf neu entstanden. Das ist das Werk der Vorsitzenden: Kerstin Obladen. Die Mitstreiter, die sie um sich geschart hat, waren bislang parteipolitisch nicht aktiv – sie hat sie überzeugt, mit ihr gemeinsam für Wunstorf bürgernahe Politik zu machen. Das Kernteam ist noch klein: Zu siebt sind sie nun.
Zum Gespräch nimmt sie keinen Kaffee, sondern entscheidet sich für einen Kräutertee, nachdem sie das Teeangebot im Studio studiert hat. In der Kommunalpolitik hat man die Steinhuderin bislang als streitbar erlebt, als jemanden, der gern entschlossen nachhakt und auch einmal den Finger in die Wunde legt – und sich so nichts gefallen lässt. Damit fiel sie im Stadtrat auf: Wenn die „Groko“ geschlossen für Anträge stimmte, dann waren es neben der Grünen-Fraktion oft nur Klaus-Jürgen Maurer von der FDP, der Kritisches beisteuerte – oder Obladen.
„Bau- und Steuerrecht sollten auch mal so milde angewendet werden“
Auch jetzt im Bundestagswahlkampf gibt sie so schnell nicht klein bei: Als sie in der Tagespresse bei der üblichen Kandidatenvorstellung zunächst ignoriert wurde und dann nach Protest verkürzt dargestellt, war sie kurz davor, gerichtliche Schritte einzuleiten.
Beruflich ist sie tatsächlich auch im Recht zuhause: Als Immobilienverwalterin und rechtliche Betreuerin ist sie unterwegs. Gelernt hat sie einst Rechtsanwaltsgehilfin, arbeitete später in der Rechtsabteilung der Gilde-Brauerei. Als Autodidaktin sieht sie sich nicht, aber Obladen eignet sich neue Themenfelder auch immer wieder selbst an. Um etwa die Mechanismen in der Pressearbeit besser zu verstehen, hat sie gerade erst eine Fortbildung im Bereich Journalismus absolviert.
Von den Medien würden insbesondere die Freien Wähler totgeschwiegen, es gebe eine einseitige Berichterstattung, sagt sie. Das jüngste Erlebnis mit der Tagespresse hat sie in dieser Sicht wieder bestätigt.
Freiheit ist ihr wichtig. Liberal bis konservativ beschreibt sie ihre politische Heimat, „in der Mitte“. Sich einer der anderen in Wunstorf bestehenden Parteien anzuschließen, stand für sie außer Frage. Aber wieso sind es nun die Freien Wähler geworden? Sie habe sich intensiv mit den Parteiprogrammen beschäftigt, erzählt Obladen, und das der Freien Wähler habe sie am meisten überzeugt. Hier hätte sie die Positionen gefunden, die sie auch selbst vertritt: Bürokratieabbau, Chancengleichheit – und der „gesunde Menschenverstand“, den die Partei oft als Schlagwort verwendet. Politik aus Perspektive der Bürger, das ist ihr vertraut.
Gegen Ja-Sager in der Politik hat sie eine besondere Aversion. Obladen hinterfragt alles. Zum Beispiel, weshalb der Staat beim Steuerrecht oder Baurecht so unnachgiebig sei, aber das Strafrecht so lasch angewendet würde. „Bau- und Steuerrecht sollten auch mal so milde angewendet werden wie Strafgesetze“, sagt sie. Als Unternehmerin wisse sie, wovon sie rede – der Wirtschaft würden oft viel zu viele Steine in den Weg gelegt. Bürokratieabbau steht für sie daher ganz oben auf der Wunschliste – aber davon würden alle profitieren, ist sie überzeugt.
Der Skandal um Parteichef Hubert Aiwanger ärgert sie immer noch – und glaubt an ein böses Spiel: So kurz vor der Landtagswahl eine solche Info aus Kindertagen zu veröffentlichen, da könne doch etwas nicht gestimmt haben. „Politik ist ein schmutziges Spiel“, sagt sie. Dagegen tritt sie an, will mehr Transparenz und Ehrlichkeit in die Politik bringen.
„AfD – im Leben nicht!“
Aber auch Obladen selbst stand schon öfter in der Kritik: Als sie nach Differenzen aus der FDP ausgetreten und als Parteilose weiterhin im Stadtrat saß, war sie dafür kritisiert worden, nicht auch ihr Mandat zurückgegeben zu haben. Auch mit der CDU in Steinhude war sie aneinandergeraten, als sie die dortige „Koalition“ platzen ließ – bis dahin war sie stellvertretende Ortsbürgermeisterin in Steinhude gewesen. Ebenso wird ihr in der Öffentlichkeit vorgeworfen, Parteienhopping zu betreiben und ständig die politische Farbe zu wechseln. „Unsinn, das stimmt nicht“, sagt Obladen. Sie habe sich in ihrem Leben bisher genau ein einziges Mal eine neue Partei gesucht: Nach der FDP die Freien Wähler.
Auch für den Eintritt bei den Freien Wählern gab es schon wieder Kritik: „Ach, noch ’n Nazi im Bundestag!“, habe sie einmal zu hören bekommen. Die Flugblattaffäre um Aiwanger wirkt nach. Obladen kann das nicht ernst nehmen, von rechtsaußen sieht sie sich meilenweit entfernt. „AfD – im Leben nicht!“, sagt sie. Was nicht heißt, dass sie deshalb eine Brandmauer ziehen würde – sie spricht grundsätzlich mit allen politischen Akteuren, auch ohne politische Zusammenarbeit. Auch das gehört für sie zur Ehrlichkeit dazu.
Mit dem Eintritt bei den Freien Wählern ist ihr nebenbei gelungen, nicht nur quasi von null auf hundert Bundestags-Direktkandidatin für den Wahlkreis 43 zu werden – ihr Name steht bei den Zweitstimmen auch auf Platz 3 der niedersächsischen Landesliste. Sie hätte auch Platz 1 haben können, erzählt sie, doch sie habe die Spitzenkandidatur bewusst ausgeschlagen und um einen Platz weiter hinten gebeten. „Dafür ist es zu früh“, sagt Obladen, sie will sich in der neuen Partei erst zurechtfinden.
„Dafür ist es zu früh“
Im Wunstorfer Stadtbild gibt sie dagegen schon Vollgas: Kaum eine Straße, in der nicht ihr Gesicht von den Plakaten lächelt. Auch große Aufsteller der Freien Wähler gibt es. 200 Plakate hat Obladen aufhängen lassen – die meisten davon selbst. Persönlich war sie bei Wind und Wetter unterwegs.
200 weitere sind in Reserve. Tatsächlich hat auch sie schon zerstörte Plakate ersetzen müssen – aber der Vandalismus bleibt überschaubar. Im Kofferraum hat sie immer Nachschub dabei, dazu Kabelbinder – und einen langen Besen. So lassen sich auch spontan einmal Plakate an den Laternen reparieren und wieder in Position bringen, auch wenn gerade keine Leiter zur Hand ist.
Bei den Wahlkampfständen in der Wunstorfer Fußgängerzone zeigte sie, was sie sich unter bürgernaherer Politik vorstellt: Unzufrieden mit dem von der Stadt zugeteilten Platz ganz am Rande des Wochenmarktes, ergriff sie Privatinitiative: Sie fragte beim Eiscafé Martino, ob sie ihre Aufsteller dort platzieren dürfte, bekam das Okay und sogar noch Stromanschluss angeboten – und saß dann ganz gechillt mit einer Kaffeetasse an der Ecke zum Säulenbrunnen im Außenbereich, das Wahlkampfmaterial um sich herum auf dem Cafétisch ausgebreitet, während die politische Konkurrenz mit Einwegkaffeebechern in der Hand im Stehen auf Stimmenfang ging.
In welchem Berliner Stadtteil würde sie ihre Zweitwohnung nehmen, wenn sie wirklich für die Freien Wähler in den Bundestag käme? Das weiß sie noch nicht, aber für ihr Haustier müsste sie eine Lösung finden: „Was mache ich mit dem Hund, wenn ich nach Berlin muss?“
Frau Obladen (FW) sollte ihre Chance haben. Jedenfalls dürfte bei i h r als Person das Demokratieverständnis erfreulich ausgeprägter sein als bei den FW als Bundespartei. Meiner Erinnerung nach besteht bei den FW (Bundespartei) ein Kooperationsverbot hinsichtlich der AfD. Soll auf einem Bundesparteitag beschlossen worden sein. Ich hoffe, dass Frau Obladen sich nicht zur reinen Parteisoldatin mausert.
Okay – JEDE Partei mit einem Kooperationsverbot zur irgendeiner anderen Partei – egal welcher – scheidet als demokratiefeindliche Partei von vornherein aus. Ganz einfaches Entscheidungskriterium.
Eine gute Ausgangsbasis.
Endlich die „Freien Wähler“ in Wunstorf, welche mit ALLEN Parteien reden möchten.
Genau DAS ist das Kennzeichen einer Partei, welche die Demokratie in Deutschland erhalten möchte.
Frau Obladen mag die AfD nicht, aber sie stellt sich der politischen und sachlichen Auseinandersetzung mit dieser Partei. Und genau das ist urdemokratisch und ein Vorbild für ALLE Altparteien.