Für viele ist es einfach nur ein normaler Dienstag nach dem Pfingstwochenende. Für eine Wunstorfer Mädchenfußballmannschaft ist es ein Traum: Die C-Juniorinnen des 1. FC Wunstorf steigen an diesem Tag von der Kreisklasse in die Bezirksliga auf.
Die Saison ist zuvor gut gelaufen für die Wunstorferinnen: Beim letzten Spiel gegen die JSG Bordenau/Poggenhagen reicht jetzt ein Unentschieden, um Meister zu werden. Ein einziger gegnerischer Treffer – und der Traum könnte platzen. Und die Gegnerinnen sind nicht zu unterschätzen.
Aber die Zuschauer am Spielfeldrand – Eltern, Geschwister, Freunde und Familie – sind natürlich nicht für ein Unentschieden gekommen. Sie wollen mehr sehen. Und sie werden mehr sehen.
Die Anspannung ist greifbar. Trainerinnen, Einwechselspielerinnen und Zuschauer ereifern sich auf Wunstorfer Seite gemeinsam über die Schiedsrichterentscheidungen, die ganz nach dem Geschmack der „Blauen“ gegenüber zu sein scheinen. „Schiri, was soll das?“, ruft jemand aus der Wunstorfer Fankurve über den Platz. „Lasst den Schiedsrichter in Ruhe“, kommt direkt die Retourkutsche vom JSG-Trainer.
Aber man bremst sich bei den Wunstorfern auch sofort selbst wieder ein: „Jetzt alle hier hinter die Markierung“, pfeift Trainerin Lysan ihre Ersatzbank an und verteilt Plastikhütchen auf dem Rasen, hinter der die Mädchen nun in einer Reihe stehen müssen. Sie ergänzt: „Der Schiedsrichter hat entschieden, lasst gut sein.“ Dann beißt sie sich selbst wieder auf die Hand. Auch die Eltern beschwichtigen sich gegenseitig: „Ruhig, die Mädchen sollen Spaß haben“, fasst es ein Vater zusammen. Der Schiedsrichter wird in Schutz genommen.
Am Spielfeldrand steht Andreas von Rönn mit seiner Frau. Die beiden haben gleich zwei Gründe, an diesem Tag dabei zu sein – die Zwillingstöchter sind gemeinsam in der Mannschaft. Auch der jüngere Sohn schaut noch ein paar Minuten zu – bevor er selbst zum eigenen Fußballtraining nebenan muss. Von Rönn erzählt aus der Historie der Mannschaft: Als D-Juniorinnen habe die Truppe vor 3 Jahren gemeinsam angefangen, jetzt stehe man hier in der ersten C-Saison. Die Jahrgänge 2010 und 2011 sind vertreten.
Wie sind die Töchter zum Fußball gekommen? Über Freundinnen, die damals in Luthe schon im Verein gewesen wären, erzählt der Familienvater. Seine Idee sei das nicht gewesen. Er selbst habe zwar auch einst mal etwas gekickt, aber habe dann jahrelang von Fußball nichts wissen wollen. Bis die eigenen Kinder damit anfingen. Nun bleibt für eigene sportliche Hobbys am Wochenende ohnehin keine Zeit mehr: Mit drei Familienangehörigen in zwei Mannschaften ist man andauernd auf Achse. Dem Fußball gehören die Wochenenden.
Die erste Halbzeit verläuft unterdessen ausgeglichen. Beide Teams schenken sich nichts. Wunstorf spielt offensiver, bekommt mehr Torchancen, doch die JSG-Torhüterin ist gut. Anerkennung von Wunstorfer Seite gibt es auch für den gegnerischen Sturm: „Die sind nicht schlecht“, hört man zwischen all den Anfeuerungsrufen für die eigene Mannschaft.
Die zweite Halbzeit hat noch nicht lange begonnen, da fällt das erste Tor für Wunstorf. Jubel auf der einen Seite, Entsetzen auf der anderen. Entspannter wird das Spiel damit keinen Meter. Die JSG gibt weiter alles und kommt dem Wunstorfer Tor immer wieder gefährlich nahe, und auch der 1. FC schaltet keinen Gang zurück. Nur die Trainerinnen auf Wunstorfer Seite sehen schon richtig glücklich aus.
Man spielt 7 gegen 7, auf der Hälfte des Platzes quer im Barnestadion. Eine verbreitete Aufstellung in der Kreisliga-C-Jugend, in der viele Vereine melden. Wenn es klappt mit der Bezirksliga, wird man als 9er-Mannschaft antreten. „Wäre toll, wenn dann noch mehr Spielerinnen dazukämen“, sagt Andreas von Rönn. Denn aktuell stehen noch genügend Einwechselspielerinnen am Rand – auch bei 9er-Gruppierung bekommt man noch keine Probleme. „Aber krank werden oder auf Klassenfahrt sein darf dann niemand großartig.“
Dann fallen in kurzer Folge auch noch Tor 2 und 3 für Wunstorf. Die Sache ist gelaufen. Schon vor dem Abpfiff packen die Trainerinnen den großen mitgebrachten Karton aus: Einen Satz Meisterschafts-Oberteile für die C-Juniorinnen. Schlicht „Meister“ steht groß auf der Vorderseite. Auf der Rückseite die Namen der Spielerinnen. Auch Trainerinnen und manche Eltern schlüpfen in neue Oberteile mit Meister-Schriftzug.
Kurz vor dem Spielende kassiert Wunstorf noch eine gelbe Karte: Der Schiedsrichter hat nicht auf Abseits erkannt. Die Wunstorfer Spielerin, die sich bereits den Ball zum Weiterspielen geschnappt hat, schießt ihn frustriert in die Gegend. Gelb wegen unsportlichem Verhalten.
Als der Schiedsrichter abpfeift, fallen sich die Spielerinnen in die Arme. Es ist einer von diesen Momenten, die einmalig sind. Bei der abschließenden Aufstellung gibt man den Gegnerinnen noch einmal die Hand – und dann wird nur noch gefeiert.
Doch plötzlich nähert sich noch ein Mann einer der Trainerinnen bedrohlich. „Ich will den Namen der Spielerin!“, sagt er nachdrücklich und deutet auf eines der Mädchen. „Warum?“, fragt die Trainerin irritiert und schaut genauso verdutzt wie das Mädchen selbst, auf das gezeigt wird. Die Spielerin habe auf dem Rasen eine obszöne Geste zu einem anderen Mädchen gemacht, kommt die Erklärung. Es gehe um den Respekt.
„Den Namen gibt es nicht“ ist alles, was der Mann von der Trainerin als Antwort bekommt – und wirkt nun selbst einschüchternd. Der Mann verabschiedet sich mit „Dann schau ich halt in den Spielbericht“.
Das weiteste Ziel für die von Rönns als Kreisklasse-Reisende war bislang Exten bei Rinteln. Nun, in der Bezirksliga, wird der Radius leicht größer werden. Schaut er deshalb mit einem weinenden und einem lachenden Auge auf den Erfolg der Meisterinnen? Andreas von Rönn lächelt und steht voll hinter den Fußballtöchtern: „Absolut lachendes Auge“.
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