Wunstorfer Auepost
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Amazon macht sich bemerkbar

07.01.2020 • Daniel Schneider • Aufrufe: 1371
07.01.2020
Daniel Schneider
Aufrufe: 1371

Seit Ende Oktober 2019 hat Amazon sein neues Verteilzentrum in Wunstorf nun in Betrieb. Die Wunstorfer merken es seitdem vor allem an den vielen Lieferwagen, die grüppchenweise das Industriegebiet Süd anfahren und wieder verlassen. Wir wollten wissen: Wer fährt da eigentlich, und wo gibt es Probleme?

Andrang an der Tankstelle

Lieferwagen tanken vor ihren Touren stoßweise an den nahegelegenen Tankstellen | Foto: Daniel Schneider

Wunstorf (red). Amazon Logistics, eine Tochterfirma des Internetriesen, wollte in diesem Herbst das neue Paketverteilzentrum in Betrieb nehmen – und hat dieses Ziel wie geplant noch rechtzeitig vor dem Weihnachtsgeschäft erreicht. Seit einigen Wochen wimmelt es auf dem Gelände des ehemaligen Lidl-Zentrallagers in Luthe – und drumherum – von Lieferfahrzeugen.

Ein Verkehrschaos ist bislang nicht ausgebrochen, stockenden Verkehr oder gar Staus auf den Straßen gibt es deswegen nicht in Wunstorf. Der zusätzliche Verkehr durch die vielen weißen Sprinter und Kastenwagen ist in der Stadt jedoch wahrnehmbar, und selbst ein Amazon-Mitarbeiter gibt zu: Gerade am Vormittag, wenn die Auslieferungsfahrer in Wellen anrücken, dann wird es ziemlich voll auf den angrenzenden Straßen im Industriegebiet Süd.

(Un-)Ordentlich Bewegung

Im Verteilzentrum und auf dessen Gelände hat alles genau seinen Platz, nichts wird dem Zufall überlassen. Einweiser, die rund um das Amazon-Gelände stehen, helfen den neuen Fahrern, die richtigen Wege zu finden – und haben ein Auge darauf, dass auch außerhalb des Geländes alles möglichst geordnet abläuft.

Drumherum ist es dafür umso chaotischer. Schaut man etwas weiter, dann sieht es schon nicht mehr so geordnet aus. Denn die vielen Fahrer, die vor Ort am Paketzentrum gebraucht werden, fahren staffelweise aufs Amazon-Zentrum, bis zu 40 Fahrer beladen in einer Viertelstunde ihre Fahrzeuge und machen erst dann wieder Platz für die nächste Schicht. Bis dahin müssen die Fahrer aber irgendwo warten, und das tun sie derzeit „wild“, wo eben gerade Platz ist in der näheren Umgebung.

Anfahrt zum Amazon-Verteilzentrum

Die Lieferwagen fahren immer im Pulk zur Paketaufnahme | Foto: Daniel Schneider

„Die Fahrer“ gibt es dabei eigentlich gar nicht, denn es sind zahlreiche verschiedene Subunternehmer, die für Amazon die Auslieferung übernehmen. Firmen aus halb Deutschland haben den Zuschlag bekommen und weisen nun ihrerseits ihr eigenes Personal in die neuen Gegebenheiten vor Ort ein. Alle Fahrer müssen gelbe Warnwesten tragen, auf denen auch der eigentliche Firmenname der Lieferdienste steht, die nun für Amazon die Pakete ausfahren.

Aber auch die Crew des Verteilzentrums selbst setzt sich zumindest derzeit noch zu einem großen Teil aus Leiharbeitern zusammen – und Leiharbeitsfirmen suchen nach wie vor kräftig nach Personal für den Einsatz in Wunstorf. Das dürfte auch mit dem anstehenden Weihnachtsgeschäft zusammenhängen.

Staffellauf der Paketfahrer

Obwohl Amazon durch einen eigenen Lieferdienst, der in Konkurrenz zu DHL oder Hermes tritt, mehr Kontrolle über die „letzte Meile“ gewinnen will, hat es die eigentliche Auslieferung outgesourct: Die Fahrer der Lieferflotte, die die Pakete am Verteilzentrum abholen und zu den Kunden an die Haustür bringen, sind somit gar nicht bei Amazon angestellt, sondern bei den Subunternehmen.

Das Amazon-Logo taucht trotzdem schon auf vielen der Fahrzeuge auf. Aber selbst diese gehören oft nicht den Subunternehmen selbst, sondern sind von Autoverleihern langfristig angemietet. Das ist auch der Grund, warum derzeit so viele Fahrzeuge mit Münchner oder Hamburger Kennzeichen durch Wunstorf rollen.

Paketfahrer auf dem Weg zum Amazon-Verteilzentrum

Stolz, für Amazon zu arbeiten: Ein Paketfahrer auf dem Weg zum Amazon-Verteilzentrum | Foto: Daniel Schneider

Die Stimmung unter den Fahrern ist gut, viele sind neu im Geschäft und extra für die Amazon-Touren eingestellt worden. Sie kommen tatsächlich oft aus Wunstorf oder Umgebung – nur ihre Chefs kommen aus allen Teilen der Republik und haben sich z. B. für die erste Zeit ein Hotelzimmer in der Stadt genommen. Sie sind es, die derzeit ihre Mitarbeiter für die neuen Aufgaben in Wunstorf fit machen. Die konkreten Einweisungen finden dabei oft direkt auf der Straße statt. Die „Arbeitssprache“ ist in der Regel nicht Deutsch oder gar Englisch: Die meisten Fahrer sprechen Türkisch oder Arabisch miteinander.

Die Stichstraße wird zum Aufmarschgebiet

Einen der Auslieferungstrupps treffen wir in einer der Stichstraßen des Industriegebiets an. Dort, wo normalerweise LKW-Fahrer ihre Gespanne abstellen, steht an diesem Morgen eine kleine Armada von weißen Lieferfahrzeugen. Der „Vorarbeiter“, der seine Fahrer gerade mit letzten Anweisungen versorgt, ist zufällig Wunstorfer und klärt uns auf, dass auch hier mit Fahrzeugen von Mietwagenfirmen gefahren wird. Für 6 Monate seien sie angemietet, und die Fahrer nähmen sie nach der Schicht einfach mit nach Hause und parkten sie vor der eigenen Haustür. Ein Start jeden Tag von der Firmenzentrale aus wäre auch schwierig – das Unternehmen hat seinen Sitz in Hessen. Man fahre derzeit die Pakete bis hinter Neustadt aus, berichtet der Chef. Die Belastungsprobe stünde erst noch bevor, wenn das Weihnachtsgeschäft richtig losginge. Dann würde es erst richtig voll werden, schätzt er. Danach würden sie wahrscheinlich wieder weniger fahren.

Es ist so etwas wie Aufbruchstimmung wahrnehmbar, und damit sind nicht die Minuten gemeint, bevor es gleich losgeht mit der Tagestour. Es ist eine besondere Situation, das Neue, was hier zu spüren ist, die ersten Tage bei einem neuen Job, der sich als Gewinn für alle erweisen soll. Viele Fahrer sind sichtlich stolz, dabei zu sein, man identifiziert sich stark mit Amazon.

Müll

Vermüllter Grünstreifen im Industriegebiet | Foto: Friedlies Reschke

Als unser Blick auf die zugemüllte Böschung fällt, wo Flaschen und Verpackungsmüll das Gras bedecken, wird sofort beteuert, dass der Abfall nicht von ihnen selbst stamme. Das seien Hinterlassenschaften von LKW-Fahrern, die an der Straße übernachteten. Das glauben wir sofort – Zeit, um so viel Müll zu erzeugen und loszuwerden, hätte hier gar niemand. Bevor alle in die Fahrzeuge steigen und Richtung Verteilzentrum aufbrechen, wird aber noch schnell eine kollektive Pinkelpause eingelegt – mangels Alternativen natürlich auch am Straßenrand.

Traumumsatz für die Tankstellen

Ortswechsel. Eine weitere Firma mit einem Dutzend Fahrzeugen hat sich auf dem Gelände der Shell-Tankstelle am Luther Weg breitgemacht und wartet nach dem morgendlichen Auftanken darauf, dass es losgehen kann zum Amazon-Verteilzentrum, um die Pakete an Bord zu nehmen. Getankt wird mit Tankkarte – immer 6 bis 8 Autos werden von einem Fahrer bezahlt. Solange geht kaum noch etwas für „normale“ Kunden. Wer es noch schafft, zu einer freien Zapfsäule vorzudringen, muss danach im Rückwärtsgang wieder vom Tankstellengelände herunterfahren, weil die bereits betankten Lieferwagen den Weg nicht freigeben. Wir selbst können gar nicht mehr auf die Tankstelle auffahren und parken am Rande.

Auch hier ist die Stimmung gut, man scherzt und klönt. Alle sind freundlich und aufgeschlossen, doch die erste Frage, als wir uns nähern, lautet: „Sind Sie von der Polizei?“ Auch hier gibt es einen Chef, der zwischen den wartenden Fahrern steht. Im Gegensatz zu anderen Paketversendern sei Amazon ein guter und fairer Arbeitgeber, berichtet er ungefragt. Er ist Bereichsleiter einer größeren Transportfirma und kommt selbst aus Süddeutschland. Für die Anfangszeit in Wunstorf hat er sich im Hotel einquartiert.

Lieferwagen blockieren die Tankstellenausfahrt

Lieferwagen blockieren die Tankstellenausfahrt | Foto: Daniel Schneider

Die Mitarbeiter der umliegenden Tankstellen sehen es gelassen, und die Pächter dürften sich über den Umsatz freuen. Ungünstig wird es nur, wenn sogar die Tanklastfahrzeuge mit Dieselnachschub nicht mehr auf die Tankstelle kommen – und deren Fahrer Streit mit den Amazon-Fahrern beginnen … oder gleich wieder kehrtmachen.

Noch aber reißt der Strom nicht ab, und auch hier starten die Paketfahrer auf Kommando wieder gemeinschaftlich und machen sich in einer langen Schlange auf den Weg zum Verteilzentrum. Die nächste Flotte wartet bereits darauf, 15 Minuten später ihren Platz einzunehmen.


Dieser Artikel erschien zuerst in Auepost 12/2019.

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Kommentare


  • Basti g. sagt:

    Das Problem mit dem Müll könnte man mit mülleimern beheben die Stadt profitiert vom logistikstandort Wunstorf (Gewerbesteuer, arbeitsplätze) nur ohne lkw gäbe es keine logistik lkw Fahrern müsste schon die Möglichkeit gegeben werden ihren Müll zu entsorgen ! Also Stadt bitte reagieren

  • Grit Decker sagt:

    Hatte hierzu bereits in der Printausgabe der #Wunstorfer Auepost gelesen und durfte dadurch auch hinsichtlich der „weißen Flotte“ in ‚meiner‘ Straße ein Stückchen schlauer werden.

    Ich wage zu bezweifeln, dass all die über diverse Subunternehmen angestellten Faher*innen für Amazon den gesetzlich festgeschriebenen Mindestlohn gezahlt bekommen.
    Leider bin ich noch nicht im Wissen darum, wie es diesen Unternehmen -nicht ausschließlich bei Amazon im Übrigen- gelingt, diese Vorgaben auszuhebeln.
    Da wird noch so einiges an Informationsbeschaffung zu diesem ziemlich interessanten Thema auf mich zukommen…

    • Vanessa H. sagt:

      Definitiv nein. Aber Amazon ist ein Ami Riese, der hat leider anscheinend mehr Freiheiten. Wenn einer der Subunternehmen dagegen an stinken würde, dann würde Amazon einfach Tschau sagen und das nächste ins Boot holen Gibt leider genug Geschäftsleute, die da nur ans Geld denken

      • Grit Decker sagt:

        Die Aussagen im Kommentar von #Vanessa werden leider zutreffend sein:
        Je größer der hinter den einzelnen Subunternehmen stehende Konzern -da gibt’s neben dem Riesen #Amazon reichlich weitere-, desto mehr Macht und oftmals leider auch Druck wird auf’s „Fußvolk“ ausgeübt.
        Etwas von dem nicht wirklich Vielen, das mir den Kamm schwellen lässt
        *knurr*.

        Bei allem gebotenen Respekt:
        es fällt mir schwer zu glauben, dass die (Noch-!) Begeisterung der Mitarbeitenden über ihren Arbeitgeber #Amazon und die Glücksgefühle ein „Mitglied dieser Familie“ zu sein, von Dauer sein wird.

        Um Missverständnisse vorwegzunehmen: in keiner Weise möchte ich diesen Menschen ihren Job miesreden wollen.

      • Uwe sagt:

        Auch wenn Amazon ein „Ami“ ist, sind die Subunternehmer deutsche Speditionen/Firmen.
        Mit Geschäftssitz in Deutschland.

        • Basti g. sagt:

          Das mag ja so richtig sein aber wenn der Hauptsitz in einer anderen Stadt ist bekommt Wunstorf das Verkehrschaos und Müll von den lkw Fahrer aber keine Gewerbesteuer z.b.

    • Olaf Müller sagt:

      Die Fahrer verdienen mehr als manch andere Arbeiter in der Branche, man kann mit bist zu 2000€ NETTO monatlich rechnen!

      • Basti g. sagt:

        Ich habe mit Fahrern gesprochen die 2200 Euro netto bei Lohnsteuer 1 haben ! Das hat so manch ein ausgebildeter handwerker nicht !!!!!! Also respekt an amazon der seine subunternehmer so ordentlkch bezahlt das diese nkch so gute löhne zahlen können

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