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„Das ist schon kurios“ – Design-Experte rät zum Erhalt der Wunstorfer Olympiabänke

16.02.2022 • Daniel Schneider • Aufrufe: 2250

In anderen Städten werden sie gerade aufgebaut, aber Wunstorf will sie loswerden. Dabei sieht man den berühmten grünen Sitzbänken ihr Alter nicht an – und ihr Erhalt wäre ein Statement für Nachhaltigkeit, meint Designer Achim Schaffrinna im Auepost-Interview.

16.02.2022
Daniel Schneider
Aufrufe: 2250
Achim Schaffrinna, Sitzbankdesign
Achim Schaffrinna, Olympia-Bänke | Foto: privat/Auepost

Auf den Straßen Wunstorfs hört man eine recht eindeutige Meinung, wenn man stichprobenhaft nach den Olympia-Sitzbänken fragt: Sie sollen erhalten bleiben. Das Argument, dass sie zu niedrig seien, wird dabei nicht gelten gelassen – schließlich könne man doch die Haltestützen einfach erhöhen, so eine oft gehörte Äußerung. Doch was ist mit dem Design-Aspekt? Dass die grünen Sitzbänke vor 50 Jahren konzipiert wurden, ist ein Fakt. Passen diese Formen wirklich noch in eine Fußgängerzone, die modern sein will? Die Auepost hat dazu einen Experten befragt und ihn um eine Einschätzung der Wunstorfer Situation und seine Sicht auf die Olympiabänke gebeten: den hannoverschen Designer Achim Schaffrinna.

Herr Schaffrinna, was verbinden Sie persönlich mit den Olympiabänken?
Schaffrinna: Ich kannte die Bänke unter dieser Bezeichnung zwar nicht, aber gesessen habe ich darauf schon, wenn auch nicht auf denen in Wunstorf. Das Konstruktionsprinzip ist über die Grenzen Deutschlands hinaus weit verbreitet. Für mich vermitteln die aus grünem Drahtgitter bestehenden und zu den Kanten abgerundeten Bänke Erholung. Auch weil man dieses Modell und diese Art sehr oft in Parkanlagen antrifft.

Ist das Verschwinden dieses Bankmodells aus dem öffentlichen Raum aus Designersicht ein Verlust oder kein Verlust?
Auch wenn die „Olympia“-Bänke jetzt vielleicht keine Designikone sein mögen wie etwa der „Barcelona Chair“ von Ludwig Mies van der Rohe oder der „Freischwinger“ von Marcel Breuer, wäre der Abbau ein Verlust. Ganz einfach deshalb, weil sie ja meines Wissen noch voll funktionsfähig sind. Praktisch, pflegeleicht und bequem sind die Sitze obendrein. Wohl auch aus diesen Gründen hat man sich beispielsweise in Köln für ein ganz ähnliches Modell entschieden, um unter dem Motto „1000 Bänke für Köln“ Grünanlagen damit auszustatten. Im Rheinland setzt man sich dafür ein, den öffentlichen Raum mit grünen Drahtgitterbänken aufzuwerten, und in Wunstorf sollen die Bänke ausrangiert werden, da sie seitens der Verwaltung offenbar als altmodisch angesehen werden. Das ist schon kurios.

Die einen sagen, die Bänke sind zeitlos, die anderen sagen, sie folgen der Formensprache der 70er Jahre. Lässt sich dieser Widerspruch auflösen?
Wenn ich an die 1970er-Jahre denke mit ihren kräftigen Farben, geschwungenen Plastikmöbeln (Verner Panton) und geradezu psychedelischen Tapetenmustern, ist „zeitlos“ das letzte Adjektiv, das mir dazu einfiele. Offen gestanden sehe ich in den Olympiabänken keinen Widerspruch. Sie sind funktional und lassen nicht erkennen, dass ihr Design, anders als bei den zuvor genannten Objekten, in den frühen 1970er-Jahren entstanden ist.

Wann kann man eigentlich von „zeitlos“ sprechen im Design?
Wenn Design mit „zeitlos“ beschrieben wird, soll damit in aller Regel zum Ausdruck gebracht werden, dass etwas Trends und Moden überdauert. Von der Form her bewusst schlicht gehalten. Das Gegenteil von stylischer, modischer Gestaltung also. Oftmals wird die Bezeichnung „zeitloses Design“ im Marketing verwendet, um Nachhaltigkeit/Langlebigkeit zu suggerieren. Mittlerweile wissen Verbraucher, dass nicht alles stimmt, was einem in der Werbung angepriesen wird, und das gilt auch für dieses Attribut.

Ab wann gilt ein Design als überholt?
Ich denke, dass man hier zwischen den technisch-funktionalen Aspekten und den formal-ästhetischen Gesichtspunkten im Design unterscheiden sollte. Überholt ist ein Design sicherlich, wenn die Nutzfähigkeit nicht mehr oder nur noch eingeschränkt gegeben ist. Wenn der Inhalt eines Webauftritts beispielsweise nicht für die Darstellung auf Smartphones optimiert ist, gilt das Design als überholt. Kindersitze für Autos und Fährräder, die nicht aktuellen Sicherheitsstandards erfüllen, sind in Bezug auf ihr Design veraltet und müssen aus dem Handel gezogen werden. Optisch überholt können auch Unternehmens- und Markenlogos sein, etwa wenn sie beispielsweise noch mit Glanz- und Schatteneffekten ausgestattet sind – eine Stilistik, die vor allem in den 2000er-Jahren verwendet wurde. Bei Design, das stark am Zeitgeschmack ausgerichtet ist, besteht stets die Gefahr, dass es schon nach wenigen Jahren als nicht mehr zeitgemäß angesehen wird. Denn der Geschmack wie auch die Wahrnehmung ändern sich. Kleidung ist hierfür ein gutes Beispiel. Manchmal muss man auch nur eine Weile warten, bis Altmodisches wieder als modern angesehen wird, wie man am 80er-Jahre-Kult erkennt.

Ließe sich auch ein altes Design sinnvoll in ein neues Konzept – wie hier in eine zu modernisierende Fußgängerzone – integrieren?
Im Nachkriegsdeutschland hat man vielerorts, auch in Hannover, vielfach bedenkenlos Altes abgerissen, um Städte autogerechter zu machen. Die Achtung vor der Geschichte der Stadt ist heutzutage eine andere, wie sich auch das Bewusstsein der Menschen hinsichtlich Nachhaltigkeit und Ökologie stark verändert hat. Händler wie Globetrotter werben dafür, Kleidung und Outdoor-Equipment bei ihnen reparieren zu lassen, statt sie durch neue zu ersetzen. Ich selbst habe schon öfters Wanderschuhe flicken oder neu besohlen lassen. So spart man nicht nur Geld und Ressourcen, Liebgewonnenes lässt sich so einfach weiternutzen. Im Kommunikationsdesign, das sehen wir an Marken wie Volkswagen, Burger King und vielen anderen, gibt es seit einigen Jahren einen starken Trend in Richtung Rückbesinnung.

„Modern bedeutet in diesem Kontext, an Früheres anzuknüpfen.“

Modern bedeutet in diesem Kontext, an Früheres anzuknüpfen. In einer sich rasch verändernden Medien- und Konsumwelt sehnen sich die Menschen, so jedenfalls würde ich diese Entwicklung deuten, nach bewährten und verlässlichen Werten und Produkten. Ich beobachte diesen Trend auch in anderen Bereichen, etwa auch in Bezug auf die Gestaltung des öffentlichen Raums. Kostenloses WLAN im Stadtgebiet, eine digitale Verwaltung (eGovernment) oder auch Gratis-Nahverkehr sind für mich Merkmale einer modernen Stadt. Modern kann auch heißen, die Monofunktionalität der Fußgängerzone aufzulösen und Menschen wieder zu befähigen, dass sie in Innenstädten nicht nur einkaufen, sondern auch arbeiten und leben können. Auch die Beteiligung von Bürgerinitiativen oder Klimaneutralität sind für mich Zeichen von Modernität. Dass sich altes Design sinnvoll in ein neues Konzept integrieren lässt, zeigen viele Beispiele, wie etwa die „High Line“ in New York, eine ungenutzte Hochbahntrasse, die zu einer Parkanlage umgebaut wurde.

Was würden Sie Kommunen raten, wie mit solchen Stücken zu verfahren ist? Sind sie erhaltenswert?
Gutes Design und gute Stadtplanung zeichnet aus, das haben sie gemeinsam, dass sie an den Bedürfnissen der Menschen ausgerichtet werden. Bevor also die Gestaltungsphase beginnt, sollte man wissen, was genau die Bedürfnisse sind. Und das erfährt man nur, indem man mit den Menschen spricht, Stichwort Partizipation. Das Nebeneinander von Alt und Neu und die damit verbundenen Stilbrüche können zudem generell sehr spannend sein. Im Interior Design ist dieser Mix omnipräsent. Solange keine gravierenden technischen Mängel vorliegen, würde ich dafür plädieren, Altes zu erhalten und zu bewahren. Nicht nur um der Wertschätzung der Geschichte Ausdruck zu verleihen, sondern auch, um als Kommune ein Statement in Sachen Nachhaltigkeit zu setzen.

Achim Schaffrinna ist Kommunikationsdesigner und Berater, Grimme-Online-Preisträger und begleitet Unternehmen regelmäßig im Rahmen von Designprozessen. Im deutschsprachigen Raum bekannt ist er zudem als Herausgeber des einflussreichen Fachblogs designtagebuch.de. 
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