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Derbe Entgleisungen beim Jugendfußball – eine Mutter berichtet

11.10.2022 • Redaktion • Aufrufe: 9251

Fußballeltern zerstören das Fairplay: Ende vergangener Woche wurde eine Wunstorferin Zeugin eines „unterirdischen“ Fußballspiels. D-Jugend-Spieler wurden übelst beleidigt und der Schiedsrichter bedroht.

11.10.2022
Redaktion
Aufrufe: 9251
Kunstrasenplatz
Fußball (Symbolbild)

Wunstorf (red). Simke Rose ist immer noch fassungslos: In der vergangenen Woche war die Wunstorferin dabei, als ihr Sohn, der in einem Wunstorfer Verein in der Fußball-D-Jugend spielt, auf dem Rasen stand und eine Partie gegen eine andere Mannschaft ausgetragen wurde. Die Gäste siegten, doch was dann passierte, soll mehr als verstörend gewesen sein. Rose nennt es „einen schlechten Film“: Die siegreiche Mannschaft widmete den Verlierern einen „Loser Dance“, Eltern und Trainer stimmten ein und gingen darüber hinaus: Sie beleidigten die Wunstorfer heftig. Auch der eingreifende Schiedsrichter, ein erfahrener Unparteiischer, sei schon während des Spiels verbal attackiert worden und hätte nach Abpfiff von den Wunstorfer Eltern geschützt werden müssen. Ein auch mal rauerer Umgangston gehöre beim emotionalen Spiel dazu, doch das Erlebte habe allseits schockiert – die Wunstorfer Mannschaft habe zuvor auch keinen Anlass geboten, der solche Entgleisungen erklären könnte, berichtet Rose im Gespräch mit der Auepost.

Auf Vereinsebene wurden entsprechende Schritte eingeleitet, der Fall soll nun vor dem Sportgericht landen. Dabei will es Rose nicht belassen. Sie hat noch am Abend des Vorfalls ihre Gedanken zu Papier gebracht und wendet sich nun aus eigener Initiative mit diesem Brandbrief an die Eltern fußballspielender Kinder. „Ich finde es wichtig, dass auch besorgte Stimmen am Spielfeldrand Gehör finden“, so die Spielermutter. Wir geben den Text hier wieder:


Fußballeltern, wir müssen reden!

Heute Abend wurde ich Zeugin unzähliger Situationen, die mich sprachlos und wütend gemacht haben. Vor allem haben sie mich aber sehr nachdenklich gemacht. Mein Sohn nahm an einem Spiel in der D-Jugend teil. Während des Spieles wurden von Begleitpersonen der gegnerischen Mannschaft schon diverse Beleidigungen Richtung Schiedsrichter und Mannschaft gerufen – auch auf dem Spielfeld ging es nicht immer „fairplaymäßig“ zu, ebenso war die Aufstellung der Mannschaft nicht regelkonform.

Rose
Simke Rose | Foto: privat

Was sich danach jedoch ereignete, fühlt sich retrospektiv wie ein schlechter Film an: nach Abpfiff rannten Eltern und Trainer mit Handykameras auf den Platz und filmten den unseren Kindern gewidmeten Loser Dance, anstatt, wie es üblich ist, das Abklatschen. Die Mannschaft gewann, dies sei ihr gegönnt und dafür darf sie sich auch feiern lassen. Aber Eltern und fatalerweise Trainer beleidigten unsere Kinder aufs übelste: „f*k deine Mutter“ , „H*sohn“ – die Betreuer wurden massiv angegangen, und aus der Distanz beobachtet hatte man das Gefühl, Zeuge von Unfassbarem zu sein. Der Schiedsrichter brauchte nach Abpfiff Begleitschutz von Vätern, um das Spielfeld verlassen zu können.

Unsere Kinder sind 11–12 Jahre alt! Da endet ein Spiel, das letzte Spiel der Saison für die Kinder, auf sozial-emotionaler Ebene unterirdisch. Man muss nicht nur den gegnerischen Sieg auffangen, sondern bei den Kindern und jüngeren Geschwisterkindern auch noch für Erklärung und Aufarbeitung des Erlebten sorgen. Von Fairplay, Vorbildfunktion und überhaupt Anstand und Respekt war nichts zu merken, weder seitens der gegnerischen Betreuer noch der Eltern. Wo soll das zukünftig hinführen? Was nehmen die Beteiligten aus einer solchen Begegnung mit?

Ist das der Fußball, den es sich lohnt zu leben und zu unterstützen? Nein! Es ist ein erschütterndes Zeichen der Verrohung und gelebte Unfähigkeit auf vielen Ebenen. Anstatt sich über einen Sieg zu freuen, finden Aggressivität, Bedrohung und asoziales Gebärden Einzug auf dem Fußballplatz. Wollt Ihr Euren Kindern wirklich solche Vorbilder sein? Ist es das, was Ihr Euren Kindern als Erfahrung wünscht? Ist es Euer Verhalten, über das Ihr Euch mit Eurem Verein identifiziert?

Ich mag mir gar nicht ausmalen, was passiert wäre, wenn unsere Mannschaft gewonnen hätte. Ich wünsche mir, dass es zukünftig Wettkämpfe auf Augenhöhe und mit Fairplay gibt. Dass Ihr Euren Kindern vorlebt, anständig mit anderen Menschen umzugehen, und egal ob Sieg oder Niederlage: man sieht sich auch außerhalb des Fußballplatzes. Und ihr möchtet dann bestimmt nicht, dass wir Eure Kinder als H*söhne titulieren. Betreuer und v. a. Eltern: Besinnt Euch auf Eure Verantwortung – eine Verantwortung und ein Erziehungsauftrag, den wir alle unseren Kindern gegenüber haben! Dann muss ich meiner vierjährigen Tochter nach so einem Spiel hoffentlich nicht nochmal erklären, warum ihrem Bruder „f*ck deine Mutter“ von einer erwachsenen Frau an den Kopf geworfen wurde.

auf sozial-emotionaler Ebene habt Ihr heute haushoch verloren!

Fußballeltern – es ist nur ein Spiel! Aber auf sozial-emotionaler Ebene habt Ihr heute haushoch verloren! Ich bin 42 Jahre alt, Hebamme, derzeit Dual-Studierende der Sozialen Arbeit und vor allem Mutter dreier Kinder (von denen eines seit 2014 Fußball spielt – also kein Neuling auf dem Platz und ich definitiv keine „Helikopter-Soccer-Mum“). Auf beruflicher Ebene begleite ich schon immer Menschen in wichtigen Lebensphasen und unterstütze sie nicht zuletzt in der Entwicklung ihrer Bindungsfähigkeit und ihrer Sozialkompetenz – sei es in der Schwangerschaft, unter der Geburt, im Wochenbett oder aktuell im Rahmen der Heilpädagogischen Frühförderung. Ich betrachte diesen Vorfall nicht nur als besorgte Mutter, sondern auch aus dem fachlichen Kontext heraus und sehe massiven Handlungsbedarf – nicht nur im Umgang der Kinder miteinander, sondern vor allem in der Elternarbeit.

Ein Verein muss sich fragen, ob er sich auf diese beschämende Art und Weise repräsentieren lassen will. Gerade in Zeiten der Coronapandemie, wo viele Kinder noch deutlicher der sozialen Ungleichheit ausgesetzt sind und Verhaltensauffälligkeiten/ Entwicklungsverzögerungen zum Alltag gehören, ist es wichtiger denn je, dass wir uns der Bedeutung unseres sozialen Miteinanders und unserer Vorbildfunktion bewusst sind, aber ebenso für die Bedürfnisse unserer Kinder einstehen. Und dazu gehört auch, gewissen Verhaltensweisen Einhalt zu gebieten und laut zu werden. Das kann nämlich auch auf die leise Art geschehen!

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Kommentare


  • Torsten sagt:

    Wow, ich bin sprachlos ! Super, dass Sie mal sagen was los ist. Die Vereine sollten sich mal hinterfragen, ob sie nur die Einnahmen sehen oder ob es noch ein Verein ist, der Kinder fördert und auf einen guten sozialen Weg bringen möchte. Nicht nur die Vereine sollten sich hinterfragen sondern auch die Verbände sollte genauer hinschauen und Vereine mit empfindliche Strafen belegen, dann werden die Vereine sicherlich genauer hinschauen und Konsequenzen aus solchen Verhalten ziehen. Danke Frau Rose, vielleicht (hoffentlich) erreichen Sie etwas mit den offenen Worten.
    Ich war Jugendleiter, 1. Vorsitzender, Vater und Freund des Fairen mit Spaßbehafteten Jugendfussballs.
    Fair geht vor !

    • P.F. sagt:

      Die Vereine sollen sich fragen, ob sie nur die Einnahmen sehen. Bei aller ähnlichen Haltung. Ich glaub kein Verein hier macht mit dem Kinder- und Jugendfussball die große Kasse! Ansonsten gebe ich Ihnen Recht, vor allem der Verband (das ist nur einer, um den es im diesem Fall geht – sofern man davon ausgeht, dass der Nds. Fussballverband Teil des DFB ist) hat hier sicherlich was zu tun. Aber auch der kann natürlich nicht für jedes Verhalten etwas. Mit der Veränderung des Kinderfussballs werden gute Schritte gegangen. Aber das ist für viele Eltern und Verantwortliche schwer auszuhalten, dass es eben nicht um das Ergebnis geht. Das kann ich aus ähnlichen Rollen als Vater, Trainer und Vereinsverantwortlicher durchaus auch sehen.

  • Anonymous sagt:

    Da hilft nur konsequenter Spielabbruch. Bei allem Ehrgeiz und Siegeswillen, keine Toleranz gegenüber asozialem Verhalten

  • M. Bitterlich sagt:

    Danke für die offenen Worte.
    Leider findet solche Verrohung nicht nur auf Amateurebene statt.
    Man kann nur hoffen, daß durch den Schiedsrichterbericht die Vereinsführung, die mitunter von diesen Entgleisungen gar nichts mitbekommt, mal in Kenntnis gesetzt wird und entsprechende (Straf-) Maßnahmen ergreift.

  • Grit D. sagt:

    @Simke Rose

    Von mir hier mehr als nur den „Daumen nach oben“ für deine/ihre offenen, deutlichen und den leider so notwendigen klaren Worten.

    Und mein dickes fettes Dankeschön, die unguten und mich verstörenden Vorfälle beim Namen zu nennen.

    Einen Mut, den ich UNS ALLEN wünschen möchte!

  • Fünf ng gut sagt:

    Echt traurig am besten solchen Vereinen die Spielerlaubnis entziehen und wenn Spieler mehrfach auffällig werden, lebenslanges Spielverbot!

    • P.F. sagt:

      Also bei aller Kritik. Aber es wäre doch schön, auch Relationen anzulegen. Sie wollen im Zweifelsfall wirklich einen Heranwachsenden lebenslang sperren? Einen ganzen Verein lahmlegen, weil sich eine Gruppe daneben benimmt? Nach meiner Ansicht muss der Trainer dieses Teams zur Verantwortung gezogen werden. Und das Team im Rahmen einer dem Alter angemessen Strafe auch. Aber bitte Maß und Ziel einhalten. Wir reden über ein Alter, in dem Kinder in unserem Rechtssystem noch nicht voll strafmündig sind.

      • netzwerkertom@gmail.com sagt:

        Eine nachträgliche Spielwertung mit ausführlicher Begründung in altersentsprechender Sprache hilft hier weiter.

        • P.F. sagt:

          Das wäre ein interessanter Punkt. Im Bericht ist ja aber in ganz wesentlicher Weise das Fehlverhalten des Trainers und der Eltern angesprochen. Da wäre es schwierig, jetzt die Kinder für deren Verhalten zu bestrafen. Anders sieht es mit dem Verhöhnen der Gegner aus. Das wäre ein Grund für Strafe. So wie ich die Fussballregeln kenne, wäre es eigentlich dann Aufgabe des Schiris Strafen auszusprechen. Das geht nach meinem Kenntnisstand auch nach Abpfiff noch. Was die Wertung angeht wäre es vermutlich besser gewesen, wenn der Schiri das Spiel abgebrochen hätte.
          Vernünftig fände ich – bei aller Schwierigkeit und Emotionalität – wenn mit den Beteiligten die Sache aufgearbeitet würde. Aber das ist eine hohe Hürde, dessen bin ich mir durchaus bewusst.

  • Birgit sagt:

    Erzieherische Kopetenz erliegt, wenn die Regelkonformität der Außenwelt gravierenden Schwankungen unterliegt oder nicht vorhanden ist.

    Sicherlich gibt es viele Kinder, die in geordneten Strukturen aufwachsend, zur Mitmenschlichkeit, Toleranz und eben Fairness gegenüber anderen erzogen werrden, in einer Musterwelt des häuslichen Umfeldes und gesichterten Habitates durchaus zu mitfühlenden und demokratisch Denkenden geprägt werden.

    Doch die Realsitutation ist oft eine andere. Es treffen Komponente aufeinander, Menschen unterschiedlicher Wurzeln, unterschiedlichem kindlichen Werdeganges und sozialen Begebenheiten.

    Den gewollten Konsens zu finden, das alles unter einen Hut zu bringen ist schwierig und erfordert Durchsetzungskraft und keine schlaffen, hohlen Worte. Klare Regeln und Ansagen, auch wenn es der psysischen Belastung, die ein Fußballspiel nun mal mit sich bringt, abträgig ist und nicht immer Folge geleistet werden kann, denn jeder Mensch ist anders. Und das geflügelte Wort der „Sozialkompetenz“ kennen Andersdenkende nur aus Büchern oder gar nicht.

    Die Frage, die sich stellt, ist, warum die Ausschreitungen nach dem Spiel diese Formen angenommen haben. Es scheint au0er übertriebener Siegerlaune auch viel unterschwelligen Hasses zum Ausdruck gekommen zu sein, der bislang unter der Oberfläche lag und der nun ein Ventil fand.

    Diese Reaktion nur unter der Prämisse der Überlegenheit durch ein gewonnenes Spiel zu sehen, wäre zu einseitig, vielmehr scheint sie adhärent anderen Faktoren geltend.
    Wertungen anzustellen, darf Jedem genehm sein. Ursachenforschung zu betreiben, ist müßig verlangt Kompetenz.

    Fußballübertragungen zeigen nicht selten Krawalle und Straftätigkeiten gegenüber Anderen, auch Unbeteiligten durch Erwachsene. Massenhysterie ist das Phänomen nicht nur beim Fußball. Das alles ist präsent und dient nicht als Beispiel eines friedvollen, tolerant-nachsichtigem Umganges miteinander. Die Vorbildfunktion ist gleich Null. Ausgetragen von Erwachsenen. Regeln gibt es nur bei den Anderen.

    Regelkonformität ist eine gute Sache. Sie verbindet ein Team gegen andere „Streiter“ und vermeidet Eskalationen der eigenen Seite.

    Sie ist jedoch keine Garantie, wenn geltende Gesetze durch andere ausgehebelt werden.

  • Heike Bartels sagt:

    Einfach nur krank und ekelhaft

  • Homberti sagt:

    Warum werden die Fußball-Vereine hier nicht namentlich genannt? Angst vor Repressalien?

  • Markus sagt:

    Danke an die Verfasserin für diesen Bericht, der leider heutzutage allzu oft Realität ist.

  • Lydia Bertani sagt:

    Da mein Kommentar gelöscht wird, sind Mutmaßungen über die Täter offensichtlich politisch unerwünscht.

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