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Lehrstunde ohne Publikum: Jagau und Eberhardt beim blauen Sofa

18.06.2021 • Achim Süß • Aufrufe: 1492

Kaum jemand wollte am Mittwochabend verfolgen, wie sich Bürgermeister Eberhardt und Regionspräsident Jagau zur Gesprächsreihe „blaues Sofa“ in der Wunstorfer Abtei trafen. Dabei waren Begegnung wie Themen alles andere als uninteressant.

18.06.2021
Achim Süß
Aufrufe: 1492
Blaues Sofa Abtei
Rolf-Axel Eberhardt auf dem blauen Sofa | Foto: Achim Süß

Wunstorf (as). Ein Roter, ein Schwarzer, eine blaue Couch – und maximal 16 Zuschauer gleichzeitig: Hauke Jagau (SPD), der Präsident der Region Hannover, und Rolf-Axel Eberhardt (CDU), der Wunstorfer Bürgermeister, unterhalten sich am Mittwochnachmittag eine Stunde lang vor der Videokamera über Geschichtliches und Aktuelles – die Region setzt in der Abtei ihre Talk-Reihe „Blaues Sofa unterwegs“ fort. Als 16. Station ist Wunstorf an der Reihe.

Anlass ist das 20-jährige Bestehen der Region als Verwaltungseinheit und das 1150-jährige Bestehen des Wunstorfer Stifts. Eberhardts und Jagaus Amtszeiten enden im September mit der Kommunalwahl, und beide haben viel zu erzählen. Bevor die Übertragung beginnt, berichtet Eberhardt über den Stand der Dinge bei der Flutung des Kali-Schachts. Jagau stellt ein paar Fragen und offenbart, dass er mit den Details des Vorhabens nicht vertraut ist. Das folgende Gespräch wird aber zu einer Lehrstunde über Kommunalpolitik im Ballungsraum. Da plaudern zwei Praktiker, die das Geschäft kennen.

Parteipolitik bleibt (beinahe) draußen

Der improvisierte Gedankenaustausch wird von Christina Kreutz moderiert, der Leiterin der Presseabteilung der Region. Die frühere HAZ-Redakteurin lenkt die beiden redegewandten Altgedienten souverän von Frage zu Frage, kenntnisreich und mit angenehmer Stimme, unaufgeregt, als habe sie es gelernt. Überhaupt ist das eine kleine, friedliche Runde. Keine Spur von Wahlkampf oder Wettkampf. Nur einmal kann Jagau sich nicht zurückhalten, die Genossen Olaf Scholz und Per Steinbrück zu loben. Da geht es um die Bewältigung der Finanzkrise, die Deutschland besser als andere überstanden habe. Und so werde es auch wieder sein nach Corona. Bei allen Schwächen, die die Krise offenbart habe, bei allen Fehlern auf allen Ebenen: „Wir stehen gut da, trotz allem. Wir werden wieder die
Gewinner sein.“

Eberhardt geht nicht darauf ein. Jagau und er kennen sich seit Jahrzehnten. Freunde sind sie nicht, aber sie respektieren sich. Auch wenn sie nicht einer Meinung sind, wie bei der weitgehenden Sperrung von Steinhude vor ein paar Wochen, sprechen sie auf Augenhöhe. Nicht zuletzt deshalb, weil Eberhardt Sprecher der Bürgermeister in der Region ist. In der Abtei betonen sie mehrfach ihr gutes Verhältnis und ihr häufiges Zusammenwirken. Eberhardt macht im September den Bürgermeisterstuhl nach 22 Jahren und spektakulären Wiederwahlergebnissen frei. Jagau kann auf 15 Jahre als Präsident der Region verweisen. Zuvor war er zehn Jahre lang Laatzener Bürgermeister.

Blaues Sofa Abtei
Wunstorfs Bürgermeister ins Bild gesetzt | Foto: Achim Süß

Solche Männer werden gern Urgesteine oder Dinosaurier genannt – Eberhardt, ganz in Weiß auf dem blauen Sofa, und Jagau, mit hellem Hemd und Jeans im Corona-Abstand auf einem Sessel daneben, sind am Mittwoch quicklebendig und beweisen Kenntnisse, die im Tagesgeschäft leicht untergehen. Jagau erweist sich als guter Kenner der Geschichte vieler Städte wie Wunstorf, die von Bischöfen, Klöstern oder den Päpsten gegründet worden seien. Plastisch schildert er auch die Vorgeschichte der Region und den Weg zu ihrer Gründung. Ein gedanklicher Ausflug führt ihn später in die Finanzwelt. Er geißelt die großen Geldhäuser und lobt die kleinen. Die hätten jetzt zu leiden unter strengen Auflagen, ohne je zur Krise des Bankwesens beigetragen zu haben. Sein Loblied auf Regionalisierung und Föderalismus ist nach Eberhardts Geschmack. Er sei wie der Präsident von der ersten Stunde an ein Befürworter der Region gewesen. Anders als prominente Wunstorfer Kommunalpolitiker – Eberhardt lässt den Namen Georg Beier fallen – habe er das Modell eines Regionalverbands stets für richtig gehalten. Das Modell habe sich über 20 Jahre bewährt, ergänzt Jagau: „Viele schauen auf uns.“ Die anfängliche Skepsis habe sich nicht bestätigt, und vor allem sei die befürchtete Steigerung der Ausgaben nicht eingetreten.

Schul- und Krankenhausschließungen machen nicht glücklich

Beide nennen das Gesundheitswesen der Region als ausgezeichnet. Das sei einer der Bereiche, in denen Kommunen nicht mehr allein agieren könnten, bei Nahverkehr und Tourismus ebenfalls. Die regionalen Lösungen seien nicht immer leicht zu finden, aber ohne Alternative. Manche Entscheidungen seien in zähen, belastenden Prozessen zustande gekommen. Jagau nennt auf eine Frage von Kreutz hin die Schließung des Krankenhauses Springe, Eberhardt die Aufgabe des Schulzentrums Steinhude. Da sei er nicht nur kritisiert worden. Einige persönliche Angriffe seien so heftig gewesen, dass er sich die Frage gestellt habe, ob er weitermachen solle. Beide gehen auf die früheren Pläne des Landes ein, die psychiatrischen Krankenhäuser zu privatisieren. Seite an Seite hätten sie das verhindert. Das Landeskrankenhaus sei zum Teil des Klinikums Hannover geworden, und die Betreuung seelisch Kranker sei eine staatliche Aufgabe geblieben. Eberhardt: Gemeinsam mit dem Lüneburger Oberbürgermeister Ulrich Mädge (SPD) habe er sich in der Staatskanzlei gegen die Privatisierung ausgesprochen, und Ministerpräsident Stephan Weil sei „baff“ gewesen angesichts dieser überparteilichen Initiative.

Jagau nutzt die Gelegenheit zu einem Rat an alle, die sich um besondere Ämter bewerben: „Man kann nicht everybodys darling sein.“ Und dürfe es auch nicht sein wollen. Es sei nötig, rationale Grundlagen für die Entscheidungen zu erarbeiten, und dann konsequent in der Umsetzung zu sein. Das habe sich auch während der Pandemie gezeigt. Die vergangenen eineinhalb Jahre seien „extrem belastend“ und herausfordernd gewesen. Er deutet an, dass ihm manche Einschränkung zu weit gegangen sei. „Das ist ein total schmaler Grat“, sinniert er und schiebt Systemkritik nach: In „gutem Glauben“ würden in Berlin Projekte beschlossen und neue Gesetze. „Wir müssen das dann unten umsetzen“, und das sei in vielen Fällen nicht möglich oder brauche viel Zeit. Berlin, so Jagau, sei „eine Blase“ ohne Bezug zur Realität in den Regionen und Kommunen. Eberhardt ergänzt, er sei „sprachlos“ gewesen, als zum Beispiel aus dem Kanzleramt der Einbau von Luftfiltern gefordert worden sei. Mit einem „schönen Gesetz“ werde Hoffnung geweckt, die sich vor Ort nicht erfüllen lasse. Er schildert den Strauß von Auflagen und Schwierigkeiten, die auch in Wunstorf wirksam seien: europaweite Ausschreibung von Arbeiten – mit dem entsprechenden Zeitverzug, Ingenieurgutachten für große Gebäude in einer Zeit, in der Fachleute fehlen, Handwerker keine Zeit haben und Material knapp sei.

Screenshot Youtube
Zu Beginn unter 10 Zuschauer – viel mehr wurden es auch im Verlauf der Sendung nicht mehr | Screenshot: Auepost

Zwischendrin wendet sich Christina Kreutz an das Publikum, von dem sie noch nicht weiß, wie dünn besetzt es ist. Sie ermuntert die Zuschauer, „doch fix noch ’ne Mail zu schicken“ mit einer Frage. Die Einladung bleibt unbeantwortet, und sie beendet schließlich die Runde. Nicht mehr als 16 Personen haben sich zu Spitzenzeiten eingeloggt und zugehört, erfährt die Runde. Das kommentiert niemand, das technische Team baut die Ausrüstung ab, und die beiden Hauptpersonen richten ihre Schritte zum nahen Italiener.

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