Die Hindenburgstraße wurde am vergangenen Donnerstag zum Hindenburgpfad. Damit ist nicht die Herabstufung von einer in Wunstorf wichtigen Straße zum unbedeutenden Verkehrsweg gemeint, sondern die Nutzung der Straße nun auch als öffentlicher Lehrpfad zur Geschichte – der Geschichte, weshalb der Namensgeber der Straße heute kritisch gesehen wird.
Vier Tafeln gibt es, die Auskunft geben über Paul von Hindenburg, seine Rolle in der Geschichte und die Spuren, die er in Wunstorf hinterlassen hat. Die Infos hinter Plexiglas sind lesefreundlich nach hinten geneigt auf anderthalb Meter hohe Ständer aus Cortenstahl montiert.
Die erste Tafel, die vor dem KRH-Gelände aufgestellt ist, führt an das Thema heran, die zweite, vor der St-Bonifatius Kirche, enthält eine Chronik zu Hindenburg, die dritte vor dem Hölty-Gymnasium beschäftigt sich mit dem historischen Wunstorfer Blick auf den Reichspräsidenten, und die vierte Tafel, die die heutige Sicht auf Hindenburg beschreibt, ist vor dem Regiobus-Gelände aufgestellt. Die erste Tafel, die mit den Einstiegsinformationen, ist dabei doppelt vorhanden: Sie steht ein zweites Mal am östlichen Ende der Hindenburgstraße, damit der Pfad auch vom Bahnhof aus begonnen werden kann. Alle Tafeln sind mit einem QR-Code versehen, dessen Link zu Webseiten der Stadt führt, über die man vertiefend ins Thema einsteigen kann.
Gestaltet, mit Inhalten bestückt und das Konzept dafür erarbeitet hat das Wunstorfer Stadtarchiv unter Stadtarchivar Klaus Fesche zusammen mit Hölty-Schülern – die graphischen Finessen wie das von Tafel zu Tafel zum Thema variierte Pickelhauben-Piktogramm, das symbolisch für Hindenburg steht, hat Fesche selbst umgesetzt.
Variiert werden auch die kreisrunden, aber unterschiedlich großen Löcher, die auf der rechten Seite der Halterungen in den Stahl geschnitten sind. Es sind keine dekorativen Verzierungen oder Belüftungsöffnungen, wie Stadtarchivmitarbeiter Hinrich Ewert erklärt, und sie sind auch nicht zufällig angeordnet: Von oben nach unten gelesen, zeigen sie den jeweils aktuellen Standort der Tafeln im Informationspfad an.
Beim kurzfristigen Aufstellen der Tafeln in der Hindenburgstraße war allerdings ein Fehler passiert: Zwei der Tafelhalterungen waren in der falschen Reihenfolge einzementiert worden – und wurden dann noch einmal getauscht.
Die feierliche Einweihung begann in der Pausenhalle des Hölty-Gymnasiums. Vor dem Schulgebäude ist nun eine der Infosäulen aufgestellt. Anwesend waren neben Politik, Verwaltung, Historikern, Anwohnern, Sponsoren und Interessierten auch eine Schulklasse und ein Geschichtskurs des Hölty-Gymnasiums. Die Idee zum Hindenburgpfad war aus der Schule heraus initiiert worden, als man sich mit einer möglichen Umbenennung der Hindenburgstraße beschäftigt hatte.
Der 9. November als eines der bedeutsamsten Daten der deutschen Geschichte war nicht zufällig gewählt. Bürgermeister Carsten Piellusch (SPD) nahm in seinen Worten Bezug auf Republikausrufung, Hitler-Ludendorff-Putsch, Reichspogromnacht und Fall der Berliner Mauer, um dann zu Hindenburg überzuleiten, der auch in Wunstorf seit 1933 mit einer nach ihm benannten Straße geehrt wurde – ein Teil der ehemaligen Bahnhofstraße sei dafür umbenannt worden. Der Bürgermeister umriss die Hintergründe der Problematik der Straßenbenennung. Verknüpft sei der Name mit der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler und dem Eintritt in die NS-Herrschaft.
Piellusch begründete, weshalb man den „Wunstorfer Weg“ gehe und historisch belastete Straßennamen nicht ändere. Davon gibt es in Wunstorf einige. Die Diskussionen darüber, ob die Namen bleiben dürften, gebe es auch in der Stadt, aber man habe sich entschieden, Straßen nicht umzubenennen, sondern stattdessen die Geschichte hinter der Person und ihr Verhältnis zur Stadt sichtbar zu machen.
„Unsichtbarmachung von Personen und Geschichte wird verhindert“
Carsten Piellusch
Die Umbenennung von Straßen und Plätzen fördere die öffentliche Debatte nicht, es fände keine aktive Auseinandersetzung statt. „Wenn wir das nicht machen, verschwindet ein Name in den Tiefen der Geschichtsbücher“, so der Bürgermeister. Wünschenswert sei öffentliches Debattieren, der Blick darauf, was die Menschen für eine Rolle gespielt hätten in der Stadt. Das stärke Demokratie und Erinnerungskultur.
Gedankt wurde zudem den Geldgebern für den Hindenburgpfad: Finanziert haben die Tafeln der Ortsrat Wunstorf, die Stiftung Rotes Lehmhaus und Edeka Kappe. Die Gesamtkosten betrugen 7.000 Euro. Da die Tafeln teilweise auch auf nicht-städtischem Gelände stehen, ging auch Dank für die entsprechende Erlaubnis an die Katholische Kirche und die Regiobus GmbH.
Die Einweihung des „Informationspfades Hindenburgstraße“ zeigt, wie unterschiedlich mit dem Thema Straßenumbenennungen umgegangen werden kann. In Hannover beispielsweise wurde die dortige Hindenburgstraße im Frühjahr 2023 in Loebensteinstraße umbenannt. In Wunstorf wird an umstrittenen Namen stattdessen festgehalten, damit die (Straßen-)Geschichte im Stadtbild erhalten bleibt. Mit Ausnahmen: Die Adolf-Hitler-Straße und die Göringstraße erhielten schon 1945 ihre ursprünglichen Bezeichnungen zurück.
Schließlich wurde die vor dem Hölty-Gymnasium stehende 3. Tafel dann stellvertretend für den gesamten Pfad symbolisch enthüllt. Diese Tafel dürfte womöglich auch jene sein, die künftig am häufigsten beachtet wird – sie steht direkt neben einer Bushaltestelle.
Piellusch ergriff auch hier noch einmal spontan das Wort und sagte mit Blick auf Andreas Varnholt, der die Einweihung ebenfalls verfolgte, dass die Infotafeln kein Solitär seien – sie fügten sich ein in die Gesamtheit der Erinnerungskultur in Wunstorf.
Schulleiter Jobst Heizmann, vor dessen Schule eine der Infotafeln nun aufgebaut ist, nutzte den Termin, um auf die Straßensituation rund um die Schule aufmerksam zu machen. Geschichte auszulöschen funktioniere nicht, pflichtete der Schulleiter dem Bürgermeister bei. Bereits die römische Antike – als Kaiser nach ihrer Herrschaft von Bildern verbannt, ihre Statuen zerstört und die ihr Gesicht tragenden Münzen vernichtet worden waren – zeige, dass dies keinen Erfolg habe.
„So viel zum Tilgen von Erinnerung“
Jobst Heizmann
Gerade an die besonders grausamen römischen Herrscher erinnere man sich noch heute. „So viel zum Tilgen von Erinnerung.“ Dies sei kontraproduktiv, führe nur zur Mythenbildung – „und davon haben wir schon genug“, so der Schulleiter. Man sei am Hölty-Gymnasium, das die Anschrift Hindenburgstraße 25 hat, froh, dass nun der Informationspfad entstanden sei: „Das ist der richtige Weg“, sagte Heizmann.
Aber es gebe weitere Straßen, die Aufmerksamkeit verlangten. Man sei am Gymnasium umgeben von problematischen Straßennamen. Die Oswald-Boelcke-Straße sei problematisch, da nach diesem Namen das Kampfgeschwader benannt wurde, das 1941 die englische Stadt Coventry in Schutt und Asche gelegt habe. Außerdem habe Oswald Boelcke den „Roten Baron“ ausgebildet, sagte Heizmann, um dann als Pointe zu erklären: „Die Richthofenstraße ist schräg gegenüber.“
Die Gustav-Kohne-Straße sei ebenfalls problematisch. Der Schriftsteller sei NSDAP-Mitglied gewesen und durch ein Treuegelöbnis zu Adolf Hitler aufgefallen. Auch nach dem Krieg habe Kohne eine „positiv-kritische Einstellung“ zu Hitler gehabt. Heizmann regte an, mindestens auch hier über die Aufstellung von Infotafeln oder die Einrichtung eines Informationspfades nachzudenken.
Der „Wunstorfer Weg“. Ich mag mir nicht vorstellen, wie die Argumentation für die Beibehaltung des Namens Hindenburgstraße ausgefallen wäre, wenn die Südstraße immer noch „Adolf-Hitler-Straße“ hieße und die Nordstraße „Göringstraße“. Würde man Hitler und Göring, genau wie Hindenburg, nach wie vor „Ehrerbietung und Dankbarkeit“ zollen? Ich bin mir da nach den Wortbeiträgen vom 09. November im Hölty-Gymnasium nicht mehr so sicher. Würden die Wunstorfer dann auch versuchen, sich mit Informationstafeln zu exkulpieren, sich ihrer Verantwortung auf solch billige Art (monetär und moralisch) zu entledigen?
Dass wir heute eine Nord- und eine Südstraße haben, ist nicht das Ergebnis von politischer Einsicht oder eines Sinneswandels, der nach dem 08. Mai 1945 urplötzlich einsetzte, sondern war von außen initiiert. Demokratie musste erst mühsam gelernt werden, und manch eine, manch einer zeigte hier eine gewisse Lernschwäche.
Ein Beispiel für die Langlebigkeit von nationalsozialistischem Gedankengut ist das Scheingrab am Ehrenmal für die Opfer der beiden Weltkriege:
Ein rechteckiges Kenotaph mit konvexer Deckplatte. Im oberen Bereich befindet sich ein Balkenkreuz, das bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs das Kennzeichen der Wehrmacht und ihrer Truppengattungen war.
Im Zentrum der Platte befinden sich Zeilen aus dem Gedicht „Auf seinem Schild sterben“ von Josef Weinheber. Weinheber, Parteigenosse der NSDAP und berühmt/berüchtigter Propagandaautor, galt als „reiner“ Poet. Auffällig ist, dass in den wenigen Zeilen auf der Deckplatte das „S“ jeweils durch eine Si(e)g-Rune dargestellt wird, das Symbol der SS. Es fällt auf, dass das Wort „fallen“ hier durch „sterben“ ersetzt wurde, vielleicht, um so wieder eine SS-Rune setzen zu können. Die Inschrift auf dem Kenotaph schließt mit „1939 – 1945“.
Das Kenotaph ist nach (!) dem Zweiten Weltkrieg errichtet worden. Und es „feiert“ für mich anschaulich und eindeutig die NS-Zeit. Die für die Errichtung Verantwortlichen hingen offensichtlich nach wie vor der faschistischen Naziideologie an: Nichts kapiert und weiter so wie bisher.
Verstörend wirkt auf mich auch, dass Ratsvertreter, Abordnungen des Fliegerhorstes, die Freiwillige Feuerwehr und weitere gesellschaftliche Gruppen nach wie vor in großer Einmütigkeit an diesem Ort, vor diesem Hintergrund, der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft gedenken wollen. Diese Ignoranz, diese Geschichtsvergessenheit ist beschämend. Oder ist das die Richtung, die den „Wunstorfer Weg“ kennzeichnet?
Ich werde nicht wirklich schlau aus Ihrem Beitrag:
Wollen sie bezüglich der für Sie beschämenden Geschichtsvergessenheit die Straßen-Namen vergessen machen oder beibehalten wie wiederherstellen und an die Geschichte zu erinnern?
Von welcher konkreten Verantwortung der heute lebenden Wunstorfer sprechen Sie?
Bildung schadet nie – aber statt die ungebildeten mit Stolpersteinen und Infotafeln mit (teils nicht wirklich objektivem) Geschichtswissen zu konfrontieren, würde auch ein QR-Code zu den Webseiten wie z.B. den entsprechenden Wikipedia-Artikeln reichen. Andernorts wird das auch gemacht.
Aber so ist es allemal besser, als z.B. in Hannover, wo es immer mehr Auswüchse an Cancel-Culture, Bildersturm und neben Bücherzensur wohl der Tendenz nach möglicherweise bald wieder Bücherverbrennungen gibt.
Apropos: meiner Meinung nach hat Hindenburg als Staatschef deutlich mehr zum Wohle dieses Landes getan als einige, die diesen Job seit Kriegsende hier getan haben.