Wunstorfer Auepost
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„Erinnern, auch an furchtbare Epochen“: Wunstorfer Hindenburgstraße wird zum Geschichtslehrpfad

06.11.2023 • Achim Süß • Aufrufe: 2015

Hindenburg und die Folgen: Manche denken bei diesem Namen womöglich eher an den Anfang vom Ende der Zeppeline als an den Untergang der ersten deutschen Demokratie. Doch die Hindenburgstraße in Wunstorf erinnert nicht an das Luftschiffunglück in Lakehurst, sondern an Reichspräsident Paul von Hindenburg. Die einstige Ehrung wird nicht rückgängig, stattdessen die Straße nun bewusst zum Ort erlebbarer Geschichte gemacht.

06.11.2023
Achim Süß
Aufrufe: 2015
Hindenburgstraße Wunstorf | Foto: Daniel Schneider

Wunstorf (as). Der 9. November vor 85 Jahren: Die NSDAP systematisiert die Juden-Verfolgung – in der Reichspogromnacht – im Nazi-Jargon „Reichskristallnacht“ – wurden Juden attackiert, getötet, verhaftet, ihre Geschäfte und Synagogen geplündert und zerstört. Wunstorf bildete keine Ausnahme. Der Jahrestag ist Anlass für eine besondere Aktion: An der Hindenburgstraße werden Informationstafeln über den ehemaligen Reichspräsidenten und Hitler-Förderer angebracht.

Vor 90 Jahren wird Adolf Hitler Reichskanzler. Der betagte Reichspräsident Paul von Hindenburg, der Held der Schlacht von Tannenberg, hat ihn ernannt, um – wie er meint – Schlimmeres zu verhindern. Hitler hat am 30. Januar 1933 ein erstes großes Ziel erreicht. Was die „Machtergreifung“ für das „Reich“ bedeutet, auch für Wunstorf und die Menschen dort, zeigt sich erst Wochen und Monate später.

Hitler steht am Abend des 30. Januar an einem Fenster der alten Reichskanzlei und blickt auf den Fackelzug, den seine Büchsenspanner von der NSDAP organisiert haben – mit seltsam ausdruckslosem, fast versteinerten Gesicht. Die Bilder der marschierenden braunen Formationen, die später um die Welt gehen, entstehen nicht in dieser Nacht. Propagandachef Josef Göbbels lässt sie später nachstellen. Das Regime der Nationalsozialisten beginnt mit Fälschung und Täuschung.

NS-Zeit in Wunstorf

Auch in Wunstorf gibt es Versammlungen und Kundgebungen der NSDAP, Hakenkreuzfahnen werden aus den Fenstern gehängt. Aber der Wandel vollzieht sich langsam, die lokale Machtergreifung geschieht schrittweise. Stadtarchivar Klaus Fesche hat in „Geschichte Wunstorfs“ die sogenannte NS-Zeit nach gründlicher Recherche mit vielen Details nachgezeichnet.

Mit Texten zu den diversen Jahres- und Gedenktagen in diesen Wochen wird die Auepost Schicksale von Verfolgten aus Wunstorf in Erinnerung rufen und Entwicklungen schildern, die auch in Wunstorf nationalsozialistische Verbrechen ermöglicht haben.

Der 9. November 1938 hat eine Vorgeschichte – in Deutschland, in Wunstorf. Eine zentrale Rolle spielt Paul Ludwig Hans Anton von Beneckendorff und von Hindenburg, Generalfeldmarschall und Reichspräsident. Seinen Namen kannte einst jedes Kind in Deutschland. So steht es auf der ersten einer Reihe von Informationstafeln, die jetzt am Donnerstag, den 9. November, an der Hindenburgstraße offiziell installiert werden zwischen Klinikum und Regiobus-Gelände. Früher ein Kriegsheld und Namensgeber für viele Straßen, steht Hindenburg heute im Zwielicht, und somit auch das Festhalten an den Straßennamen. Dazu ist am Informationspfad zu lesen:

„Heute denken die Menschen beim Namen Hindenburg oft nur noch an ein brennendes Luftschiff – oder an eine Straße in ihrem Wohnort. Doch dies ist vielerorts umstritten: Viele Menschen fragen sich, warum es immer noch Hindenburgstraßen oder -plätze gibt. Denn der Namensgeber hat im Januar 1933 Hitler zum Reichskanzler ernannt und damit die schlimmste Phase deutscher Geschichte eingeleitet.“

Stadtarchivar Klaus Fesche, maßgeblich an der Erarbeitung der Tafeln beteiligt, erinnert daran, dass auch in Wunstorf immer wieder Initiativen gestartet wurden, die hiesige Hindenburgstraße umzubenennen: „Als in Wunstorf im Jahre 2019 eine vom Stadtarchiv und anderen Kooperationspartnern erarbeitete Ausstellung über Wunstorf in der Weimarer Republik gezeigt wurde, beteiligte sich auch das Hölty-Gymnasium mit einer kleinen Sonderschau zur Person Hindenburgs und veranstaltete parallel eine Umfrage unter den Anwohnern der Hindenburgstraße. Diese stimmten mehrheitlich gegen eine Umbenennung, waren aber dafür, in der Straße Informationsorte zu schaffen, an denen über den umstrittenen Namensgeber aufgeklärt werden sollte.“

4 Infotafeln in der Straße, Webseite informiert weitergehend

Diese Initiative wurde vom Wunstorfer Ortsrat 2022 aufgegriffen und in den politischen Gremien weiter verfolgt bis hin zum Ratsbeschluss im Mai 2023, einen „Informationspfad Hindenburgstraße“ zu installieren. Dieser wurde – in Abstimmung mit dem Hölty-Gymnasium – vom Stadtarchiv entwickelt und ausgearbeitet.

An diesen Stationen (blaue Pfeile) wird in der Hindenburgstraße künftig informiert | Quelle: Stadt Wunstorf

Parallel und ergänzend zu den Inhalten auf den Informationstafeln wurde auf der städtischen Internetpräsenz auch eine Webseite eingerichtet, die noch weitergehende Informationen bereithält, eine „Kleine Straßengeschichte“ erzählt, die Informationstafeln und Verschiedenes zum Download zur Verfügung stellt. Die Webseite wird ab dem 9. November freigeschaltet. Zu ihr leitet auch ein QR-Code, der auf den Informationstafeln in der Hindenburgstraße zu finden ist.

Am 9. November 2023 um 11 Uhr soll der Pfad am Hölty-Gymnasium, Hindenburgstraße 25, eröffnet werden. Das Hölty-Gymnasium ist Standort von einer der insgesamt fünf Informationstafeln, auf denen das Thema „Hindenburg und Wunstorf“ behandelt wird. Anwohner und Interessierte sind zur Eröffnungsveranstaltung ausdrücklich eingeladen.

Ein Anwohner ist Andreas Varnholt, der ehemalige Baudezernent der Stadt. Er gehört zu den Bürgern Wunstorfs, die sich im Arbeitskreis Erinnerungskultur vehement gegen Verdrängen und Vergessen engagieren und für 2024 die Verlegung von Stolpersteinen in der Stadt vorbereiten. Mit diesen kleinen Metalltafeln soll an jüdische Wunstorfer erinnert werden, die verfolgt, deportiert oder ermordet worden sind. Für die Auepost fasst Varnholt seine Motivation und die der Arbeitskreismitglieder zusammen: „Solche Dinge wie die Machtergreifung der Nazis dürfen nie wieder passieren.“ Der Arbeitskreis wolle in Wunstorf an geschichtliche Epochen erinnern, „auch an furchtbare Epochen“. Deshalb die Stolpersteine. Varnholt: „Wie kann eine Gesellschaft dafür sorgen, dass so etwas nicht wieder passiert? Antwort: reden, sich darüber unterhalten, austauschen – immer wieder – gesellschaftliche Tendenzen erkennen, aufgreifen, einordnen.“ Ganz wesentlich sei dabei immer „auch der Rückgriff auf das, was schon passiert ist“.

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Kommentare


  • Benny sagt:

    In dem Zuge wäre es doch mal an der Zeit gewesen über Oswald Boelcke aufzuklären. Die Ehrung dieses Militärfliegers mit einem Straßennamen ist eine Beleidigung und ein Tritt ins Gesicht der Erben von Gernika. Hindenburg kennt jeder, aber bei Oswald Boelcke denken die meisten jüngeren Wunstorfer doch dass es sich um einen Kneipenwirt handelt..

    • Michael Evers sagt:

      Hm, ich weiß nicht worauf Sie hinaus wollen.
      Oswald Boelcke ist 1891 geboren und 1916 verstorben.
      Die Stadt Guernica wurde 1937 von der „Legion Condor“ und von italienischen Einheiten bombardiert.

  • Michael Evers sagt:

    Dann bitte ich Sie die anderen und mich doch bitte auf, was Oswald Boelcke denn mit Gernica zu tun hatte.
    Wenn ich das richtig sehe ist der Herr Boelcke 1891 geboren und 1916 verstorben.
    Die Stadt Guernica ist 1937 von der „Legion Condor“ und italienischen Einheiten fast vernichtet worden.

  • Lydia Bertani sagt:

    Ich lobe in ganz besonderer Weise die Auepost, dass Sie nie unangemessen zensiert und stets objektiv gemäß ihrer Kommentarrichtlinien verfährt.
    Ein „Leuchtturm“ der Meinungsfreiheit und der Faktenliebe!

  • Bernd-Michael Rosenbusch sagt:

    Sehr geehrter Benny. Oswald Bölcke hat mit Guernicanichts zu tun. Er war ein hochdekorierter Jagdflieger im 1. Weltkrieg der bereits 1916 nach einem Zusammenstoß tödlich verungklückte Mal besser recherieren , bevor man sich äußert.

  • Bernd-Michael Rosenbusch sagt:

    Ich finde es richtig, dass in Wunstorf keine Straßen umbenannt werden und stattdessen auf die Geschichte aufmerksam gemacht wird. Doch dazu bedarf es auch Bürger, die diese Hinweistafeln lesen. Ich finde es immer wieder schön, dass auch zu historischen Gebäuden in unserer Stadt Hinweistafeln aufgestellt bzw. angebracht wurden. Aber öleider interessieren sich zu wenige Menschen für die Stadtgeschichte. Bitte mehr davon.

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