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Liebesgeflüster #7

08.01.2021 • Mirko Baschetti • Aufrufe: 369

Meine Herzallerliebste, die Welt spielt verrückt, aber ich will nicht verrückt sein. Menschen singen gemeinsam von Balkonen und prügeln sich um Klopapier. Ich will schreien ob dieses Wahnsinns, doch meine zerrissene Stimme zeugt nicht von Talent.

08.01.2021
Mirko Baschetti
Aufrufe: 369

LiebesgeflüsterMeine Herzallerliebste,

die Welt spielt verrückt, aber ich will nicht verrückt sein. Menschen singen gemeinsam von Balkonen und prügeln sich um Klopapier. Ich will schreien ob dieses Wahnsinns, doch meine zerrissene Stimme zeugt nicht von Talent.

Alles, was ich von dieser Krise erwarte, ist, dass sie mich an die Dringlichkeit, zu handeln, erinnert. In diesen Tagen verstehe ich, dass die Angst ganz tief in uns steckt. Und dass ein Berg von Muskeln, die höchsten Mauern oder eine Million Soldaten nichts daran ändern können. Wo Sorge und Angst überhand zu nehmen scheinen, ist Liebe der beste Ratgeber. Und wenn ich dazu beitragen kann, dass die Welt ein guter Ort zum Leben ist, dann will ich dich lieben. Und wenn du dich geliebt fühlst, kleidest du dich darin und steckst andere damit an, die wiederum andere anstecken. Diese Kette ist die stärkste Infektion, die ich mir vorstellen kann, und langanhaltender als jede Erkrankung.

Hoffentlich bleibt dieser Wunsch nicht nur ein Traum – denn wenn ich träume, bin ich nicht. Weil ich mich meinen Träumen überlasse in der Nacht, bevor mich der Tag empfängt. Weil mich der Tag zu sehr sorgt und mein Kopf voll von Worten ist, dass ich daran zu ersticken drohe. Nur in der Nacht komme ich zur Ruhe und bin in Gedanken bei dir, gerade jetzt, da du dich in Quarantäne befindest. Hier in der Nacht, in diesen Träumen, sind wir zu zweit, sind beisammen, schlafen engumschlungen und ineinander und können uns ohne eine einzige Hürde lieben. Warum bloß muss diese Nacht vorübergehen? Warum hört diese Nacht nicht auf, zu vergehen? Warum bleibt diese Nacht nicht stehen und wird für immer eine Nacht, in die wir, wenn wir alt sein werden, eintreten können, eine Nacht, die wir besuchen können, wie man einen Dachboden aufsuchen kann? Denn hier kann ich dir Mann und Geliebter sein, wann immer ich will, und dich lieben ohne Unterlass.

Dort oben trinken wir Sambuca und Haselnussschnaps, erfinden Wörter wie „unterwaffelt“ oder „Hupenfieber“ und feiern diese kräftigende Oase für verliebte Herzen, dieses starke Fundament für kommende Abenteuer.

Ich will endlich wieder zu dir eilen, denn jeder Tag, den ich nicht in deiner Nähe weile, zehrt stark an mir und ist eine Prüfung meiner Geduld. Bitte lass diese krisengeschüttelte Zeit schnell vorübergehen, bevor ich mich vollende nach dir verzehre und mein Herz vor Sehnsucht zerbirst. Die Welt spielt verrückt. Und ich bin verrückt nach dir. Jeden einzelnen Tag.

Dein Liebster

PS: Wenn die Ärzte dich aus der MHH entlassen, werde ich die Kliniktüren und mein Herz öffnen und dich ohne Zögern küssen und beküssen, bis ich dem Schwindel entschwinde und meinen Körper an deinen presse, damit ich wieder atmen kann.

Dieser Liebesbrief erschien zuerst in Auepost #7 (April 2020)

 

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