Ohne ihn gebe es sie nicht: die Demokratiedemos in Wunstorf. Als Anfang 2024 das Schlagwort „Remigration“ die Republik in Aufruhr versetzte, überall Menschen gegen Rechtsextremismus auf die Straßen gingen, war auch Dirk Kribbe unter ihnen. In Hannover beteiligte sich der Klein Heidorner an der dortigen Demonstration und stellte sich dabei die Frage: Warum nicht auch in Wunstorf? „Mensch, man muss doch in Wunstorf was machen“, war der Gedanke.
Politisch war der 59-Jährige zuvor nie aktiv gewesen, schon gar nicht hatte er Versammlungen organisiert. Einer Partei gehört er nicht an. Und er hatte weder Mitstreiter noch eine Vorstellung davon, wie man das überhaupt macht: eine Demonstration auf die Beine stellen. Seine Erfahrung diesbezüglich beschränkte sich etwa auf die Teilnahme an einer IG-Metall-Demo. Doch er war überzeugt von der Idee, dass es das Richtige für Wunstorf sei – es sollte nicht bei einer bloßen Idee bleiben.
Aufs Geratewohl schrieb Kribbe eine Nachricht an die Zeitung, die ihm den Tipp gab, sich für grundlegende Infos ans Wunstorfer Ordnungsamt zu wenden. Dort half man ihm freundlich weiter, erklärte die „Basics“ wie Versammlungsanmeldung und Co. Auch ein Nachbar erwies sich als Glücksfall: Der war in der Kommunalpolitik aktiv und trug Kribbes Idee weiter in sein Netzwerk – und mit einem Schlag kam die Sache richtig ins Rollen. Mit seiner Idee hatte Dirk Kribbe offene Türen eingerannt. Erst da war ihm bewusst geworden: „Scheiße, das wird ja ein Riesending.“
„Scheiße, das wird ja ein Riesending“
Auch seine Mitstreiter hatten alle gedacht: „Das geht doch gar nicht. Aber lasst es uns versuchen.“ Innerhalb von dreieinhalb Wochen stand eine neue Bewegung in Wunstorf. Aus einer kleinen Idee war eine Demo erwachsen, die bis dahin größte in der Wunstorfer Geschichte – der Rest ist Geschichte.
Kribbe ist ins Presse-Café der Auepost gekommen und erzählt die Geschichte. Zum Interview kommt er mit dem E-Bike gefahren. Im blauen Seemannspullover – fast so, als würde er sich die Farbe von einer bestimmten Partei nicht streitig machen lassen wollen – bestellt er einen Kaffee. Schwarz, ohne Zucker.
Am Montag, den 17. Februar, wird er wieder als Veranstalter vor der Stadtkirche stehen und das Gesicht der Demokratiedemo werden, schon etwas erfahrener. Aber auch ein Jahr zuvor hatte er schon den Eindruck erweckt, als würde er so etwas jedes Wochenende machen. Der Eindruck täuschte. „Ich habe einen Ruhepuls von 50 normalerweise … und da hatte ich vielleicht so dreistellig“, blickt er auf den Februar 2024 zurück.
Viel ändern soll sich nicht in diesem Jahr. Anti-AfD-Plakate bleiben erlaubt. „Die AfD gehört nicht zum Bündnis – darum geht es ja“, betont Kribbe, obwohl gleichzeitig betont wird, dass die Demonstration keinen parteipolitischen Charakter haben soll. Es war ein Kritikpunkt im Vorjahr gewesen. „Wahlpropaganda“ war den Demonstranten vorgeworfen worden, oder „Es geht ja nur gegen Nazis und AfD – sonst war da kein Inhalt!“. Der Vorwurf, ein von der Regierung bezahlter nützlicher Idiot zu sein, so etwas trifft ihn am meisten. Er hat damals entsprechende Hassbriefe bekommen – aber auch ein Mutmachschreiben, zum Beispiel von einer Dame aus Bückeburg. Dass es heutzutage Mut brauchen soll, um politische Demonstrationen abzuhalten, das kann er selbst kaum fassen.
Um „Schwurblern und Stammtischtrollen“ erst gar keine neue Angriffsfläche zu bieten, wird nun ganz genau darauf geachtet, dass wirklich niemand Parteifahnen zeigt. Und auch die Situation, dass eine Hauptrednerin von den Grünen kam, soll sich nicht wiederholen. „Keine Partei macht irgendwas“, sagt Kribbe. Unterstützung von Parteien ja, aber keine Partei soll bei der Demonstration eine hervorgehobene Rolle einnehmen. Es sei trotz des bewusst 6 Tage vor der Bundestagswahl gewählten Termins keine Wahlveranstaltung, er selbst normaler Bürger und handele auf eigene Motivation. Der Bürgermeister als Redner sei zwar von der SPD – aber in seiner Funktion spreche er für die ganze Stadt.
Gemeint sind natürlich die demokratischen Parteien. Ist die AfD für ihn keine demokratische Partei? „Absolut nicht“, zögert Kribbe keine Sekunde mit der Antwort. Die „Blauen“ seien für ihn antidemokratisch. „Es gibt Nazis in der Partei, und solange das so ist, ist das für mich keine demokratische Partei.“ Kribbe sieht Parallelen zur Weimarer Republik: „1930 war der NSDAP-Balken bei 15 Prozent, und 1932 war er schon über 30 Prozent. Irgendwie hab ich das Gefühl, das ähnelt sich alles – ob der Balken nun braun oder blau ist.“
„Irgendwie hab ich das Gefühl, das ähnelt sich alles – ob der Balken nun braun oder blau ist.“
Was würde er tun, wenn die AfD wirklich die Regierung stellen würde? „Dann wandere ich aus“, kommt es wie aus der Pistole geschossen aus Kribbes Mund. Es ist kein Scherz, kein salopp dahingesagter Satz. Er meint es ganz ernst. In ein europäisches Nachbarland würde er gemeinsam mit seiner Frau emigrieren, nach Dänemark zum Beispiel, wenn in Deutschland die ganz Rechten an die Macht kämen. Leben im Land unter AfD-Regierung? Nicht vorstellbar für ihn. Er sähe dann auch die Auepost in Gefahr: „Wenn die AfD an die Macht kommt, können sich Journalisten einen neuen Beruf suchen.“ Freie Presse würde es dann nicht mehr geben, das habe sich dann erledigt, ist Kribbe überzeugt. Lernt er schon Dänisch? „Oh, das ist schwer“, gibt Kribbe zu. Er würde sich im Ernstfall wohl auf die Deutschkenntnisse der Dänen verlassen. Die hätten sowieso diesen „Hygge-Style“.
Die neue Demo war schon geplant, bevor Friedrich Merz im Bundestag den Mörtel an der „Brandmauer“ herauszukratzen zu beginnen schien. Ist die CDU jetzt noch willkommen auf der Demo – oder wird sie schief angesehen? „Von mir nicht“, sagt Kribbe, zum Beispiel sei mit Petra Peter eine Christdemokratin im Organisationsteam. Die CDU und ihre Wähler seien herzlich willkommen.
Im Gespräch fällt auf, dass Kribbe konsequent gendert. Demoteilnehmer und Redner gibt es bei ihm nicht, nur „Teilnehmer_innen“ und „Redner_innen“. Ist das ein Zeichen des Respekts oder doch Hinweis auf eine politische Überzeugung? Es ist ein Zeichen, dass Kribbe auf seine Tochter hört. „Papa, du musst auch gendern. Wenn du deine Ansprache hältst, kannst du nicht sagen ‚Liebe Bürger‘!“, habe die zu ihm gesagt. Darauf will er nun achten.
In Dänemark hängt vor jedem Haus die Nationalflagge. Könne er sich das auch vorstellen? Hat er in seinem Vorgarten schon die Deutschlandflagge gehisst? „Nein“, sagt Kribbe und kommt ein wenig ins Grübeln. „Es hat so den Touch: Ach guck mal, das ist auch ein Nazi!“ Angesichts der deutschen Geschichte bleibe das schwierig und verpönt. Aber identifizieren mit seinem Land solle man sich schon. Der Spagat falle schwer. Im Organisationsteam habe jemand auch den Vorschlag gemacht, ob man nicht auf der Demo gemeinsam das Deutschlandlied singen solle, um sich die nationalen Symbole nicht von rechts wegnehmen zu lassen, erzählt Kribbe. Aber man habe sich dagegen entschieden.
„Ganz Europa guckt auf uns.“
Nationalbewusstsein und Patriotismus sind das Stichwort. Was soll jemand aus seiner Sicht tun, der sich beispielsweise gegen weitere europäische Integration positionieren möchte, aber diese Position nur von der AfD abgedeckt sieht? Jemand, der sich inhaltlich vom Wahlprogramm der AfD angesprochen fühlt? Dann lieber gar nicht wählen, zum Nichtwähler werden, bevor er an einer demokratischen Wahl teilnimmt – aber dann AfD wählt? Kribbe überlegt einen Moment, diese Frage kommt überraschend. „Kleinparteien“, sagt Kribbe schließlich. Es gebe so viele Parteien, die sollte man dann unterstützen, wenn man seine Positionen sonst nur bei der AfD wiederfände. Persönlich stellt sich die Frage für ihn nicht. „Wir Europäer sollten uns schon zusammentun. Wir brauchen Europa“, sagt Kribbe.
Nichtwählen sei für ihn aber in keinem Fall eine Option. Er sehe Wählen als Pflicht eines jeden Bundesbürgers. Wer sage „Scheiß Wahl“, weil Wählen angeblich nichts verändern würde, der solle sich auch hinterher nicht beschweren, sondern sich lieber vorher Gedanken machen.
Auch wenn er im Moment überparteilich agiert – wird er in Zukunft womöglich selbst einmal einer Partei angehören, vielleicht sogar Politiker werden? Kribbe antwortet so entschieden und fix, dass der Kaffeebecher zu wackeln scheint: „Nein.“
Was wünscht er sich von den Parteien der Mitte? „In vier Jahren wird wieder gewählt. Und wenn das weiter in die Hose geht, dann kommen die Rechten doch dran“, sagt Kribbe. Man müsse jetzt „echt mal den Schalter umlegen“ und was machen. Was müsste passieren? Junge Menschen, Arbeitnehmer und Familien sollten sich wieder in Deutschland gut aufgehoben fühlen, sagt Kribbe. Das dürfe nicht schiefgehen. „Ganz Europa guckt auf uns.“
Auch ein Lichtermeer will man auf der zweiten Demo wieder bilden. Aber nur mit Handylichtern „oder so“. Für Gänsehaut-Feeling müssen ansonsten die Musikbeiträge allein sorgen. „Ein Vorschlag war auch, ob wir was mit Fackeln machen“, sagt Kribbe. „Um Gottes willen – und dazu dann noch das Deutschlandlied …“ Kribbe lacht laut bei dieser Vorstellung.
Ja. Ciao!
Ja wohin will Hr. Kribbe dann auswandern? In die USA zu Präsident Trump, oder nach Russland, oder zu Fr. Meloni nach Italien, oder gar nach Dänemark wo überal Nationalflaggen (Nazi-Flaggen im Kribbe-Sprech) gehisst werden und die Sozialdemokraten mit den härtesten Asylkurs in ganz Europa fahren? Es wird langsam eng mit sehr links regierten Ländern auf der Erde, die zu seiner Ideologie passen, ich sehe da nur Venezuela, Kuba oder Nordkorea.
Wenn er ehrlich wäre, bräuchte er die Demos nicht als überparteilich zu kaschieren sondern würde klar sagen, dass es hier um die Unterstützung linker Regierungsparteien geht, sowie Parteien und, teils von der Regierung geförderten, Organisationen, die noch deutlich weiter links im politischen Spektrum stehen.
In Wirklichkeit sind das keine ‚Demokratiedemos‘ sondern Aufmärsche gegen die Opposition und alle sonstigen Andersdenkenden.
Interessanter Artikel… mir kam auch schon der Gedanke, dass es sich dabei im Grunde genommen nur um eine regierungsfreundliche Versammlung „nützlicher Idioten“ handelt, denn mal im Ernst: was genau soll so eine Veranstaltung bringen? Glaubt wirklich irgendjemand, dass sich AfD-Wähler davon beeindrucken lassen und plötzlich ihr Wahlverhalten ändern werden, nur weil sich ein paar Leute in der Fussgängerzone treffen?
Das Gegenteil wird der Fall sein: die Leute, die sich durch derartige „Demos“ ausgegrenzt fühlen, werden sich umso mehr an ihre Weltanschauung klammern und umso intensiver Leute aus ihrem Umfeld beeinflusse mit dem Ergebnis, dass die AfD weiter Stimmen gewinnt.
Aus meiner Sicht sind derartige Veranstaltungen daher vollkommen sinnfrei und sogar kontraproduktiv.
Sinnvoller wäre ein offener Dialog ohne Vorbehalte und eine inhaltliche Diskussion.
Die klassische Gratismut Veranstaltung halt
Anstatt auszuwandern,schickt lieber diese Rechtsradikalen in die Wüste.
Warum wird nicht gegen die vielen Gewalttaten und Gewalttäter, die fast täglich in Deutschland stattfinden, demonstriert?
Daher muss man leider davon ausgehen, dass den Demonstranten, die vermeintlich für die Demokratie auf die Straße gehen, die vielen Überfälle, Morde etc. völlig egal sind. Zumindest solange, bis sie selbst vielleicht einmal betroffen sind.
Sehr geehrter Herr Kribbe,
wenn in zwei bis drei Jahren Weidel Kanzlerin sein wird, werde ich darauf bestehen, dass Sie zu ihrem Wort stehen. Ich helfe Ihnen sogar mit Koffer packen.
Sehr geehrter Herr Kribbe,
die Teilnehmer Ihrer Demo helfen Ihnen dann hoffentlich beim Packen Ihrer Koffer. Es ist heute für Sie ja gerade nochmal gut gegangen. Sie haben ja jetzt etwas länger Zeit. Aber fangen Sie schon mal an…
Ich stimme @Brigitte vollkommen zu.
Warum demonstriert niemand dagegen, dass beinahe täglich ein Messerangriff stattfindet? Man mag ja kaum noch in die Nachrichten gucken, weil wieder irgendjemand mit einem Messer losgezogen ist, oder meint, dass es eine tolle Idee wäre, mit dem Auto in eine Menschenmenge zu fahren.
Ist das den Menschen egal?
Da steht also ein Traktor, um die Demonstranten vor denen zu schützen, für die sie demonstrieren?
Klingt logisch – dann muss es halt so sein…
Eure Demo war lächerlich
Koffer schon gepackt
Viel Spaß