„Es gibt drei große Dinge in Haste: Bahnhof, Wald und Mittellandkanal“ – das sagt Lothar Oelkers, einer der „alten Hasen“ bei der Haster Runde, dem Verein, der sich seit 1999 um die Bewahrung und Erforschung der örtlichen Geschichte kümmert. Und gleich zwei dieser Dinge standen im Frühjahr 2024 im Mittelpunkt des Ortes, der tatsächlich auf eine ausgesprochen facettenreiche Geschichte zurückblicken kann. Wald und Mittellandkanal waren das Thema des zweitägigen Events, das zum Anziehungspunkt wurde und zeigte, wie Technik- und Forstgeschichte die rund 2.700 Einwohner zählende Ortschaft in der Samtgemeinde Nenndorf bis heute prägt.
Das Bürgerhaus in Haste hatte sich für zwei Tage in ein Ausstellungszentrum verwandelt – mit angeschlossenem Kino und Cafébetrieb – dazu Vorträge zum frühlingserwachenden Haster Wald und von den Jagdhornbläsern des Hegering Nord Musikeinlagen. Jedes Jahr im Februar richtet der Verein eine Ausstellung aus, doch dieses Mal wurde sie etwas ganz Besonderes, denn sie steckte voller Premieren. Erst im vergangenen Jahr das Ruder übernommen hat Sonja Reese und damit einen Generationenwechsel eingeleitet. Ein verjüngtes Team gibt nun den Ton an, ohne die altverdienten Mitglieder zu verdrängen. Aber die Haster Runde stand tatsächlich schon fast vor dem Aus, weil der Nachwuchs fehlte und viele ehemalige Mitstreiter in den vergangenen Jahren verstorben sind, erkrankten oder aus Altersgründen nicht mehr dabei sein können. Unter Reeses Regie geht es nun auch mit frischeren Ideen weiter, die man bereits in der vergangenen Ausstellung bemerkte.
In früheren Jahren zeigte man zum Beispiel oft nur unkommentiert alle Fotos – das hat sich geändert: Die Ausstellungstafeln sind professionell gestaltet und halten eine Fülle von Informationen bereit. Ein ganzer Tag im Bürgerhaus reicht im Grunde kaum, um alles wirklich zu lesen und zu erfassen – und auch zwei Tage nicht. Gut anderthalb Dutzend Mitglieder zählt der Verein, der früher nur Arbeitsgemeinschaft war und erst seit vergangenem Jahr Vereinsstatus hat. Umso beeindruckender ist, mit wie viel Aufwand und Einsatz die Geschichte des Ortes nun wieder erlebbar gemacht wird.
Ein gutes Dreivierteljahr wird an einer Ausstellung gearbeitet – und kaum ist sie vorbei, wird schon mit der Planung für die nächste begonnen. Reese, die bei der zurückliegenden Ausgabe selbst den Part über den Haster Wald zusammenstellte, koordiniert bis zum Schluss – sogar die 17 Kuchenspenden telefoniert sie noch persönlich zusammen.
Der Fundus, aus dem der Verein schöpfen kann, ist dabei nicht zu unterschätzen. 22.000 Bilddateien umfasst das zig Gigabyte große Archiv. Ganz zeitgemäß wird in der Cloud zusammengearbeitet – und auch Oelkers greift wie selbstverständlich zur Bildbearbeitung, um beispielsweise mehrere Motive auf nur einem gemeinsamen Foto zu arrangieren.
Bürgermeister Sigmar Sandmann (SPD) sah sich die Ausstellung natürlich ebenfalls an. Was interessierte ihn am meisten? Es war der Mittellandkanal, und zwar aus ganz persönlichen Gründen, wie er im Gespräch mit der Auepost verriet: Sandmann ist als Kanut regelmäßig unterwegs auf der Bundeswasserstraße – sie ist schließlich ähnlich zugänglich wie jede andere öffentliche Straße an Land, erklärt der Bürgermeister.
Auch Schwimmen ist im Kanal nicht verboten – und das haben zumindest in früheren Zeiten auch sehr viele Haster dort sogar gelernt – und mussten es auch wieder, als die alte Badeanstalt verschwand. Denn was außerhalb Hastes heute nicht mehr viele wissen: Auch Haste hatte einmal ein Freibad, direkt am Mittellandkanal. Es wurde zum Sommer 1952 errichtet, musste aber dreizehn Jahre später ab 1965 schon wieder abgerissen werden, als am Kanal weitergebaut wurde.
Ein besonders faszinierendes Kapitel Technikgeschichte ist der Bau des Mittellandkanals, der über die Jahrzehnte immer wieder verändert wurde. Ein Großteil der 2024-Ausstellung widmet sich dem Wasserstraßenbau. Manches sticht dabei heraus, wie etwa die Durchführung der Aue unter dem Kanal. Das Bauwerk dazu wurde 1978 in Kolenfeld errichtet und dann schwimmend zur heutigen Stelle transportiert.
Buchstäblich einschneidend für den Ort war die Verbreiterung des Kanals in den 1970er Jahren. Zum zweiten Mal in der Geschichte fraß sich der Kanal durch Haster Gebiet, forderte mehr Land und machte die Änderung vieler Bauwerke nötig. Nicht nur die Badeanstalt verschwand, auch Straßen- und Bahnbrücken mussten verbreitert und erhöht werden. Als Nebenprodukt des neuen Bahndammbaus am Kanal entstand sogar ein neuer See in Haste: Der Heidornsee. Wo früher das Schwimmbecken neben dem Kanal lag, legen heute Binnenschiffe zum Ankern an.
Als Glücksfall für den Verein hat sich auch Antje Lübke-Schweer entpuppt. Die gelernte Krankenschwester hatte über das Hobby Ahnenforschung Interesse an altdeutscher Schreibschrift bekommen und deshalb erst vor Kurzem das Lesen und Schreiben von Sütterlin gelernt. Nun arbeitet sie ehrenamtlich und akribisch die alten Forstbücher durch und fördert dabei neben plattdeutschen Sprachjuwelen manche Erkenntnis zu Tage, die bis dato noch unbekannt war.
Wer wüsste etwa auf Anhieb, was das Wort „Ellern“ bedeutet? In Wunstorf ist danach sogar die Straße am Schützenplatz benannt. Zuletzt wurden fast 150 Seiten Archivmaterial auf den Punkt genau in teils aufwändiger Detektivarbeit transkribiert. Das alte Wissen aus dem Haster Wald wird dadurch wieder zugänglich gemacht, was auch der weiteren Vereinsarbeit wiederum zuträglich ist.
Es blieb für die vergangene Ausstellung nicht nur bei der Detektivarbeit. Lübke-Schweer erklärte auch die alten Akten und bot sogar einen Crashkurs in Kurrentschrift an: Die Besucher erhielten zur Inspiration auf Wunsch ein Kärtchen mit dem eigenen Namen in altdeutscher Schreibschrift zum Mitnehmen.
Auch Eike Mross ist bei der Ausstellung dabei. Der Naturfotograf zeigt seine Wildtieraufnahmen bei der Haster Runde – passend zum Oberthema Haster Wald. Mross kommt selbst aus Haste, fotografiert aber nicht nur im Haster Wald: Um Wölfe abzulichten, muss er mindestens ins Nienburgische.
Sein Lieblingstiermotiv ist allerdings ein anderes: Der Dachs. Manchmal gelingen die Tieraufnahmen ad hoc, manchmal wartet er aber auch Monate darauf, bis das gesuchte Tier als gewünschtes Motiv vor die Kamera kommt, berichtet er. Auch das gezeigte Reh bekam er nicht weit von Haste vor die Linse: In Rehburg-Loccum erwischte er es, während er – getarnt in der Natur – auf seine Motive wartete.
Gab es bei der letzten Ausstellung schon Planungen für das Folgejahr? „Nein, noch wirklich nicht“, sagte Reese, konnte sich aber vorstellen, auf die Wünsche der Haster zu hören, die bereits auf eine Wiederauflage des Themas Bahnhof hofften. Die Hoffnung war berechtigt: Am 8. und 9. Februar 2025 wird es wohl nicht nur die Einheimischen, sondern auch viele weitere Eisenbahnenthusiasten nach Haste ziehen, wenn das Thema Eisenbahngeschichte groß aufgezogen wird. Es werden noch Wetten angenommen, wie viele Kuchenspenden dann wieder von den Hastern benötigt werden.
Schreibe einen Kommentar