Wenn man sich auf die Spuren der deutschen Technikgeschichte begeben will, dann muss man normalerweise weite Strecken in Kauf nehmen. Die großen Technikmuseen wie z. B. in Sinsheim, Speyer oder Berlin, die von den ersten mechanischen Musikautomaten über die ersten Lokomotiven und Autos bis zum „Space Shuttle“ der Sowjetunion und dem Überschalljet Concorde alles zeigen, was die Menschen bis heute auf besondere Weise an Technik fasziniert, liegen für die hiesigen „Nordlichter“ nicht gerade um die Ecke. Beschränkt man sich auf den Bereich Luftfahrt, dann wird es schon einfacher: Das Luftfahrtmuseum Laatzen-Hannover ist nicht weit, und in Wunstorf muss man nicht einmal die Stadt verlassen. Hier steht auf dem Gelände des Bundeswehr-Fliegerhorstes die „Ju-Halle“, die selbst schon Geschichte geschrieben hat.
Einer derjenigen, der seine Energie und Leidenschaft in das Museum steckt, ist Manfred Pickel. Den gebürtigen Nürnberger hatte die Bundeswehr für kurze Zeit von Landsberg am Lech nach Wunstorf versetzt. Aus der in Aussicht gestellten Rückkehr nach ein bis zwei Jahren wurde ein Daueraufenthalt. Seitdem lebt und arbeitet der Franke in Wunstorf. Pickel kam 1978 zur Luftwaffe, wurde Bordtechniker und flog viele Einsätze mit der Transall, auf der er später auch ausbildete. Für die Auepost hat der ehemalige Soldat und heutige Ausstellungsleiter die Türen zum Museum extra geöffnet. Und er warnt vor: „Zum Schluss wissen Sie, was ein Transportflieger macht – nicht, dass Sie dann einen Aufnahmeantrag stellen!“ Das ist der Anspruch des Museums: die gesamte Entwicklung der Transportfliegerei zu zeigen und die Begeisterung zu vermitteln, die die Flieger selbst dafür empfinden.
Die Faszination springt mit dem Betreten der Ausstellungshalle tatsächlich sofort über: In der Luft liegt der Geruch von über 100 Jahren deutscher Luftfahrtgeschichte. Die Halle, trotz oder gerade wegen ihrer Schlichtheit, lenkt die Wahrnehmung direkt auf die Historie. Die Geräuschkulisse ist gedämpft, die Gegenwart scheint einzufrieren, und man befindet sich vor allem unter dem Eindruck des die Ausstellung dominierenden metallischen Riesenvogels mittendrin in der Historie, von der jedes einzelne Exponat etwas zu erzählen hat. Das Museum beginnt mit den ersten Propellermaschinen und den Starrluftschiffen, den „Zeppelinen“, und hat sonst eine in vier Sektionen aufgeteilte Ausrichtung: Gezeigt wird die Geschichte des Fliegerhorstes ab 1934, dann der Lufttransport im Zweiten Weltkrieg, die Luftbrücke zu Zeiten der Berlin-Blockade – und die Bundeswehr-Geschichte der „Flugzeugführerschule S“ und des späteren Lufttransportgeschwaders 62 am Standort.
Man verknüpft auf diese Weise die Technikgeschichte mit der Transportfliegerei als rotem Faden – und betreibt auch gleich die Traditionspflege für das LTG 62. In den Wintermonaten hat man geschlossen, die meisten Besucher kommen im Sommer in der Ferienzeit.
Geschichte geschrieben hat das Museum, weil die Beschaffung des namensgebenden Exponates, einer Junkers-Ju-52-Maschine, die das Zentrum der heutigen Ausstellung bildet und überhaupt der initiale Grund für die Errichtung der Halle war, schon für sich genommen ein Husarenstück darstellte. Es war eine großangelegte Expedition in den 1980er Jahren, die zur Bergung von vier Flugzeugen aus einem norwegischen Gewässer geführt hatte: In der Anfangsphase des Zweiten Weltkriegs waren im April 1940 dreizehn Ju 52 der Wehrmacht gestartet, um Nachschub zu im norwegischen Narvik abgeschnittenen deutschen Einheiten zu bringen. Der Seeweg war von den Alliierten blockiert worden. Es war ein Freitag, der 13., berichtet Pickel – ein Unheilszeichen für die Flieger. Doch von Anfang an war der Auftrag als Mission ohne Wiederkehr geplant: Als Landeplatz wählte man den zugefrorenen Hartvikvannsee am Polarkreis. Starten konnte man jedoch wegen Treibstoffmangels nicht mehr, die Reichweite der Maschinen war zu gering, und so wurden die Flugzeuge bis auf eines, das man mit zusammengeschütteten Treibstoffresten wieder flottmachte, aufgegeben. Zehn der Ju 52 versanken bei der Schneeschmelze im Frühsommer 1940 endgültig im See.
Der Wunstorfer Expedition gelang es 1986 dann, vier Maschinen aus 50 Metern Tiefe zu heben. Eine dieser Maschinen steht heute restauriert in der Ju-Halle, eine ging später in die Junkers-Stadt Dessau und zwei blieben zunächst in Norwegen, von denen wiederum eine inzwischen tatsächlich in Sinsheim steht. Vom Abenteuer dieses Unterfangens berichtet das Museum ebenfalls ausführlich. Eine treibende Kraft in der damaligen „Interessengemeinschaft Ju 52“, der das fast Unmögliche gelang, die fast 46 Jahre im Wasser gelegenen Flugzeuge aus der Tiefe zu holen: Günter Leonhardt, der einige Jahre später sein eigenes Museum in Laatzen gründete. Als Inhaber einer Spedition sei Leonhardt der „goldrichtige Mann“ für die Unternehmung gewesen, sagt Pickel.
Werner Ashauer, der Bordmechaniker der in Wunstorf ausgestellten Maschine, der in ihr damals nach Norwegen geflogen war, hatte den Krieg überlebt – und erlebte die Rückkehr der Maschine nach Deutschland noch mit. Der letzte Überlebende der Junkers-Besatzung sei sehr ergriffen gewesen, als er plötzlich der Maschine wieder gegenüberstand. Ashauer hätten die Tränen in den Augen gestanden, als er sein Werkzeug in den Händen hielt, das jahrzehntelang im Wasser in der auf Grund liegenden Maschine überdauert hatte, berichtet Pickel. Ashauers Bordmechanikerbuch gehört nun zu den Ausstellungsgegenständen.
Nicht nur die Bergung war anspruchsvoll, auch die Restaurierung. Hier haben die Vereinsmitglieder ganze Arbeit geleistet: Wäre da nicht die Dokumentation als Beweis auf der Stellwand direkt nebenan, man könnte es kaum glauben, dass diese Maschine fast fünf Jahrzehnte auf dem Grund eines Bergsees am Polarkreis gelegen hat. Obwohl die Maschine an sich erstaunlich gut erhalten war, konnte man das vom Cockpit nicht sagen: Es war marode und wurde völlig neu aufgebaut.
Heute kümmert sich die Traditionsgemeinschaft Lufttransport Wunstorf um das Museum am Fliegerhorst. Gelände, Halle und Exponate gehören der Bundeswehr, betrieben und gepflegt wird die Ausstellung vom aktuell 450 Mitglieder zählenden Verein – das Kernteam bilden 12 Ehrenamtliche. 1990 stand praktisch nur die Junkers-Maschine in der Halle – seitdem wurde rund um das Flugzeug herum eine vollständige Sammlung zur Transportfliegereigeschichte aufgebaut. Traditionspflege, Technikmuseum und Militärfliegereigeschichtsschau gehen hier Hand in Hand. Die Besucher erhalten den Einduck eines großen Museumsgeländes – auch weil inzwischen die mächtige Silhouette einer Transall auf dem Freigelände hinter der Halle hervorschaut – die Ju 52 ist der Mittelpunkt, aber nicht das einzige Flugzeug in der Ausstellung. Da der Museumsbereich außerhalb des Sicherheitsbereiches des Militärgeländes liegt, ist es für Besucher frei zugänglich.
Das Wunstorfer Museum reiht sich ein bei den großen Technikmuseen, die alle eine Gemeinsamkeit haben: Eine Ju 52 darf nicht fehlen in der Sammlung. Ob im Deutschen Technikmuseum Berlin oder in Sinsheim – der markante Flieger gehört dazu, nicht ohne Grund. Denn wie kein anderes Flugzeug steht es als Sinnbild für eine bestimmte Epoche, mit ihm legt sich das internationale Flair der 1930er Jahre wie von selbst über die Szene. Aber es bedarf zur Begründung für seine Anwesenheit keiner romantischen Verklärung: Die Maschine hat Technikgeschichte geschrieben und markiert den Auftakt zur weltumspannenden Verkehrsfliegerei, als sich das Fliegen vom gefährlichen Abenteuer zum komfortablen Verkehrsmittel wandelte. Der Flugzeugtyp ist untrennbar mit dem Beginn der kommerziellen Fliegerei verbunden. Das Flugzeug trägt neben der offiziellen Bezeichnung viele Namen: Als „Mutter aller Passagierflugzeuge“ bis „Alukoffer“ hat man sie schon bezeichnet, meistens wird sie jedoch einfach kurz „Tante Ju“ genannt, von den damaligen Piloten geprägt wegen der gutmütigen Flugeigenschaften. Als Oldtimer fliegt die Ju 52 bis heute in sechs Ländern.
Ab den 1930er Jahren setzten viele Fluggesellschaften weltweit die Junkers Ju 52 ein – in über 40 Ländern flog die Maschine im Liniendienst – und ließen das deutsche Flugzeug zum Gesicht der Fliegerei werden. Nur wenige Jahre zuvor war Fliegen durchaus noch ein Wagnis gewesen: In offenen Maschinen, die ihre Ziele bei den gar nicht so seltenen Motorproblemem nicht sehr zuverlässig erreichten. Manfred Pickel weiß von manchen Kuriositäten in der Flugzeuggeschichte zu berichten, die vielen heute gar nicht mehr bewusst sind: Das Bild von offenen Pilotensitzen in Doppeldeckermaschinen hat man zwar vor Augen, aber dass auch die Piloten von Passagiermaschinen im Freien saßen, das wirkt aus heutiger Sicht sehr seltsam. Der Ju-52-Vorgänger F 13 war noch so konstruiert, ein Modell dieser Maschine ist ebenfalls in der Ausstellung zu sehen. In den 1920er Jahren war es bei der – damals noch getrennt geschriebenen – Luft Hansa zunächst noch verboten, die Cockpits ganz zu verkleiden – man ging allgemein davon aus, dass Piloten – damals noch Flugzeugführer genannt – die Orientierung verlieren könnten und unweigerlich abstürzten, wenn sie den Naturgewalten nicht ausgesetzt wären. Sogar bei Alpenüberflügen hatte man nur einen kleinen Windschutz wie etwa bei einem Motorrad vor sich. Das Vertrauen in den Instrumentenflug musste sich erst noch entwickeln. Erst als ein Pilot auf der Strecke München–Rom Cockpitscheiben durchsetzte, wurden auch geschlossene Kabinen für die Piloten gebaut.
Hätte die Geschichte einen anderen Verlauf genommen – Flugzeuge würden heute vielleicht nicht von Boeing und Airbus, sondern von Junkers gebaut. Deutschland sei damals weltweit führend gewesen im Flugzeugbau, sagt Manfred Pickel, und es schwingt eine leichte Mischung aus Wehmut und Verbitterung in seiner Stimme mit. „Was hätte aus der deutschen Flugtechnik werden können, wenn es diesen Krieg nicht gegeben hätte?“, sagt er. Die Nationalsozialisten hatten die Junkers-Werke letztlich enteignet, weil sich Hugo Junkers gegen eine Vereinnahmung zu Kriegszwecken gesperrt hatte. Obwohl später auch zum Symbol des Zweiten Weltkriegs geworden, untrennbar verbunden mit dem Balkenkreuz der Wehrmacht auf Rumpf und Tragflächen, war die Ju 52 ursprünglich kein Militärflugzeug. Doch weil es passende Transporteigenschaften hatte, wurde es auch als Kriegsflugzeug zweckentfremdet. 1934 wurde das Flugzeugmodell beim Kampfgeschwader Bölke zum Bomber umfunktioniert, die Nationalsozialisten wollten eine Drohkulisse aufbauen. „Sie hatten ja nichts anderes“, sagt Pickel. Dabei wäre die Ju 52 zu Beginn des Zweiten Weltkriegs eigentlich schon veraltet gewesen. Der Nachfolger Ju 90 stand schon bereit, mit vier Motoren, Raucherabteil, Bordbistro und Schlafsitzen – die „große Dessauer“, erklärt Manfred Pickel. Der Krieg bedeutete das Ende der Entwicklung.
Hugo Junkers hatte etwas anderes im Sinn als Kriegsflugzeuge. Der als Pazifist geltende Unternehmer strebte nach der Verwirklichung des komfortablen Fliegens für die kommerzielle Luftfahrt. Es war die Zeit, als immer mehr Menschen überall in der Welt fliegen wollten, aber die alten Doppeldecker aus Holz eigneten sich vor allem in Ländern mit hoher Luftfeuchtigkeit kaum. Die Ju 52 wurde auch in Hinblick auf den südamerikanischen Markt konzipiert. Der Schlüssel dazu: Große, stabile Flugzeuge, gebaut vollständig aus Metall. Angesichts der damaligen Motoren mit geringer Leistung hatte das lange als technisch unmöglich gegolten – bis Junkers die Lösung fand: Er nutzte Verstrebungen mit dünnem Aluminium, das leicht genug für die vorhandenen PS blieb, durch die Wellenbauweise aber dennoch sehr stabil war. Der Fachmann spräche bei dieser Konstruktion von Sicken, erklärt Pickel. Die Technik war ein Meilenstein im Flugzeugbau und ermöglichte erst die Entwicklung der Ju 52.
Es war nicht die einzige Innovation: Die erstmals in dieser Form bei einem Flugzeug eingesetzten Flügelklappen – neudeutsch „Flaps“ – und die Staudruckturbine, ein Extra-Propeller zur Energieerzeugung, werden bis heute in der Luftfahrt verwendet. Pickel gerät regelrecht ins Schwärmen. Viele der damals „genialen Erfindungen“ würden in ihrem Prinzip unverändert genutzt. Auch wenn Flugzeugsysteme heute längst nicht mehr mit Druckluft arbeiten, sondern hydraulisch oder elektronisch, sind manche Begriffe, die mit der Ju 52 eingeführt wurden, in der Fliegerei erhalten geblieben. Auch der Flugzeugkörper selbst war damals eine Revolution: Die Tragflächen wurden nicht mehr oben am Rumpf angebracht, sondern unten, die Kabine war als Sicherheitszelle entwickelt – der Tiefdecker war geboren.
Bis heute ist das bei Passagiermaschinen so geblieben, die Kabine liegt sozusagen auf den Flügeln auf. Passagiere hatten nun eine Heizung, eine Toilette. Stewards – erst später kamen die Stewardessen hinzu – servierten Getränke. Die Begeisterung über die „Weltneuheiten“ schwingt bei Pickel während der Erzählung mit, was die Tragweite dieser Veränderungen in der Luftfahrt deutlich werden lässt. Der Wechsel zur Dreimotorigkeit war ein Sicherheitsgewinn: Fiel ein Triebwerk aus, war in größerer Höhe auch das Fliegen mit zwei Triebwerken möglich.
Während das Telefon am Empfangstresen klingelt, sprintet Pickel von der Junkers-Maschine zum Eingang, doch der Anrufer hat schon aufgelegt. So lässt sich weiter berichten, wie es damals war in den Cockpits der Wellblechflugzeuge. Gesteuert wurden die Flugzeuge zu dritt: rechts saß der Flugzeugführer, daneben der Co-Pilot, der gleichzeitig auch der Bordmechaniker war. Dahinter saß der Navigator und Bordfunker. Das war in den militärisch genutzten Maschinen nicht anders als in der Verkehrsfliegerei. Gegen Geschichtsklitterung verwahrt sich Manfred Pickel jedoch deutlich. Die ehemals als Militärmaschine eingesetzte Ju zu kaschieren, käme für ihn und die Museums-Crew niemals in Frage. Andernorts wird das durchaus gemacht: Militärmaschinen, die im Zweiten Weltkrieg als solche im Einsatz waren, werden dann als zivile Passagiermaschinen hergerichtet und dem Publikum die historischen Fakten vorenthalten. Das vermeidet die unbequeme Auseinandersetzung mit dem Zweiten Weltkrieg.
Aber auch in der Wunstorfer Ausstellung agiert man punktuell zurückhaltend, was zu Irritationen führen kann: Warum zeigt das deutsche Original-Junkers-Plakat eine offensichtlich japanische Flagge am Heck? Den Irrtum beim Besucher kann Pickel zwar schnell aufklären, aber es macht die Problematik deutlich: Dort, wo ursprünglich ein Hakenkreuz zu sehen war, wurde es wegretuschiert, so dass nur noch ein roter Kreis übrig blieb. Auch in der Ju-Halle befindet man sich im ständigen Spagat zwischen authentisch vermitteltem Geschichtsbild und der Gefahr, sich der Kritik auszusetzen für die Darstellung verfassungsfeindlicher Symbole. Rechtlich sind Museen zwar auf der sicheren Seite: Zu Bildungszwecken dürfen Hakenkreuze gezeigt werden. Viele Museen reagierten in der Vergangenheit dennoch übervorsichtig und klebten solche Symbole ab oder retuschierten sie von Ausstellungsstücken. Vor allem ausländische Besucher können darüber jedoch oft nur den Kopf schütteln, berichtet Pickel, die Deutschen würden für verkrampft gehalten im Umgang mit ihrer Geschichte. Die anderen Länder haben aber eben auch nicht die Geschichte, die die Deutschen haben. Jeder Anschein von Glorifizierung des Dritten Reiches wird daher strikt vermieden. So werden im Museum z. B. auch keine Orden aus dem Zweiten Weltkrieg gezeigt. „Dabei gehört auch das eigentlich zum vollständigen Geschichtsbild dazu“, verdeutlicht Pickel die Schwierigkeit der Abgrenzung.
„Das hat mit Bombern überhaupt nichts zu tun“
„Geschichte hat stattgefunden, wie sie stattgefunden hat“, beschreibt Pickel seine Haltung. Sie zu unterdrücken helfe niemandem, denn Geschichte sei dazu da, um aus ihr zu lernen. Und: Wer die Geschichte kenne, werde eines ganz sicher nie werden: ein Nazi. Doch als solcher hat er sich schon beschimpfen lassen müssen, allein wegen seiner Arbeit im Museum, das selbstverständlich auch die Zeit des Dritten Reiches nicht ausklammert. Pickel schwankt zwischen Entrüstung, Bedrücktheit und Fassungslosigkeit. „Ich war Bundeswehroffizier und habe einen Eid geleistet, damit solche Sachen nie mehr passieren“, sagt er nachdrücklich. Frieden und Soldatenlaufbahn sind für ihn kein Widerspruch: „Der Soldat ist der Letzte, der einen Krieg will.“ Die Soldaten seien es, die für die Politik im Falle des Falles ihr Leben riskieren, sagt Pickel. Pickel hat inzwischen eine Geheimnummer, um Beschimpfungen auch am Telefon zu entgehen. Immer wieder wurde er als Ausstellungsleiter zur Zielscheibe von Protesten, die sich auch an der ausgestellten Ju 52 entzünden.
Auch deshalb ist es Pickel wichtig, zu betonen, dass hier kein Bomber gezeigt wird. „Das hat mit Bombern überhaupt nichts zu tun“, sagt er. Die ausgestellte Junkers, die 1939 gebaut wurde und ein Jahr später zum Lufttransport nach Norwegen abkommandiert wurde, wo sie für immer gelandet war und auf dem Grund des Sees blieb, hat nie an Kampfhandlungen teilgenommen, wie dem Museum bisweilen vorgehalten wird. Die Maschine war bis auf ihre letzte Mission nicht einmal im Kriegseinsatz gewesen.
Die in Wunstorf stehende Ju 52 war ein Ausbildungsflugzeug – mit dieser Maschine wurden Funker und Navigatoren unter Realbedingungen geschult, berichtet Pickel. Im Grunde war sie ein echtes „fliegendes Klassenzimmer“. Mit Verallgemeinerungen kann Pickel entsprechend wenig anfangen. Das Inverbindungbringen der „Wunstorfer“ Ju 52 mit dem Angriff auf Gernika findet der Ausstellungsleiter deplaziert – und auch Vorwürfe, dass man diesen Aspekt in der Ausstellung verschweigen würde. Zu Recht: Die Rolle des damals in Wunstorf stationierten Kampfgeschwaders im Spanischen Bürgerkrieg wird in einem Bereich der Ausstellung detailliert dargestellt – dieser geht sogar deutlich über den Aspekt Gernika hinaus. Gernika sei nicht die einzige Stadt gewesen, die im Spanischen Bürgerkrieg von der Legion Condor bombardiert wurde, unterstreicht Pickel. Auch auf das baskische Durango fielen Bomben, was im Museum thematisiert wird.
Von der Historie der Ju 52 berichtet Pickel bei seinen Führungen von Besuchern mit fränkischem Zungenschlag detailliert, gibt Einblicke in die damalige Militärtaktik, die Technik, aber auch das Leben der Soldaten. Nicht alles ist bekannt, zum Beispiel die Spur der damals weitergeflogenen Maschine verliert sich in Schweden, wohin sich die Besatzung durchgeschlagen hatte. Seine Vergangenheit als Ausbilder für die Transall kommt nun den Besuchern zugute: Zusammenhänge zu erklären und Wissen zu vermitteln, das liegt ihm im Blut. Das Abfragen von vorhandenem Wissen gehört zum Frage-und-Antwort-Spiel dazu, mit dem Pickel seine Gäste durch die Ausstellung führt, und das ist ziemlich unterhaltsam. Manchmal foppt Pickel seine Zuhörer und führt sie auf sympathische Art aufs Glatteis, testet, ob historische Begebenheiten von Fliegerlatein unterschieden werden können. Wer glaubt ihm, dass die winzigen Sitze für die Soldaten im Passagierraum der Ju 52 Kindersitze („wenn Kinder mitfliegen!“) waren? Wer kauft ihm ab, dass die bayerischen Piloten die preußischen Kameraden nicht mitfliegen ließen? Und Pickel ist akribisch, jemand, der auf Details achtet – im Museum eine unabdingbare Gabe. Dass er einmal eine fest aufgeklebte Fotografie in der Ausstellung – für den Besucher ohne Weiteres gar nicht erkennbar – in chronologisch falscher Reihenfolge anbrachte, ärgert ihn bis heute.
Aber manches scheint unglaublich und stellt sich dann doch als Wahrheit heraus. Als die alten Varta-Batterien des Flugzeuges von der Restaurierung zurückkehrten und im Flugzeug ausprobiert wurden, staunte man nicht schlecht: Der Landescheinwerfer begann zu leuchten. Der Bitte, den Beweis anzutreten, kommt Pickel nach – und wirft den Generator an der nächsten Wand an. Gelbliches Licht, das genau so schon vor 90 Jahren leuchtete, als das Flugzeug in ein Meter hohem Schnee auf dem gefrorenen See landete, erhellt den Hallenboden vor der Maschine. Original-Batterien von damals werden dazu aber nicht mehr genutzt, die stehen inzwischen in der Vitrine. Ein Umformer sorgt für die nötigen 28 Volt Bordspannung. Aber die Lampe leuchtet weiterhin für die Museumsbesucher – immer noch mit der Originalbirne von damals.
Direkt hinein in die Ju 52 können die Besucher inzwischen jedoch nicht mehr – 30 Jahre lang ging es gut, berichtet Pickel, nun aber ist der Einstieg mit Gittern gesichert. Ein Besucher hatte einen unbeobachteten Moment genutzt, um Teile des Cockpits als persönliches Erinnerungsstück auszubauen. Gegen die dreisten Souvenirjäger hat man auch in Wunstorf noch kein Mittel gefunden – die Aschenbechereinsätze aus den Flugzeugsitzen der Bundeswehr-Boeing, die man jüngst am Eingang als Wartebereich installiert hatte (die Sitze, nicht die Boeing!), sind ebenfalls bereits alle verschwunden.
Zwei Stunden dauert eine typische Führung – und sie findet nicht nur in der Halle statt, denn die zweite Attraktion steht dahinter, auf dem Außengelände: Die Sammlung der Junkers-Nachfolger in der Transportfliegerei. Die Noratlas und die Transall sind es, die die Blicke auf sich ziehen. Die beiden Flugzeugtypen stehen sich unter anderen Maschinen direkt gegenüber. Auf der einen Seite die 50er und 60er Jahre, auf der anderen die 70er und 80er. Die Transall ist begehbar, nur das Cockpit musste wegen der Souvenirinteressierten wieder mit Glas verdeckt werden. Manfred Pickel schließt die Einstiegsluke auf – mit einem Schlüssel, der auch zu einem Briefkasten gehören könnte, statt zu einem so großen Flugzeug.
Die ursprünglich leer übernommene Maschine wurde vom Verein wieder mit der Original-Innenverkleidung versehen. Manfred Pickel wird dafür selbst zum Souvenirjäger und organisiert mit seinem gewinnenden Wesen Raritäten, aber auch ganze Flugzeuginterieure nach Wunstorf. „Ich versuche, jedem etwas abzuschwätzen“, sagt er lachend in breitem Fränkisch. So hängen nun auch wieder 90 Rettungswesten für 90 mögliche Passagiere in der Kabine. „Solch eine ausgestattete Transall gibt es nicht noch einmal“, sagt er stolz. Etwas stickig ist es im Innenraum, und auch das ist nicht unauthentisch. Bei Auslandseinsätzen wurden manchmal 70 Grad im Innenraum erreicht. Abhilfe schafft die Ladeklappe am Heck: Die Hydraulik springt an und macht einen Höllenlärm, bevor sich der „Schwanz“ des Flugzeuges auseinanderschiebt und den Blick freigibt auf das Passagierabfertigungsgebäude des Fliegerhorstes nebenan. „Das ist ein wenig Spielerei“, sagt Pickel, denn den Mechanismus hat er sich extra für die Besucher einfallen lassen, um auch in dem stillgelegten Flugzeug einen Eindruck von der Funktionsweise vermitteln zu können. Inzwischen wollen auch andere Museen diese Hydraulik haben.
Seit 1990 kümmert sich Manfred Pickel nun schon um das Museum. Viel Dank hat er in den drei Jahrzehnte aus Wunstorf dafür nie bekommen. Man fühlt sich etwas vergessen im Verein, dafür, dass man das größte Museum im Umkreis ist. Es scheint ein wenig das Los der Transportflieger zu sein: Ihre Geschichte erfährt nach Ansicht der Museumsmacher viel zu wenig Beachtung. Das sei schon vor 80 Jahren so gewesen: Transportflieger bekamen selten Orden, und die Ausbildungsstätte hieß „Verkehrsfliegerschule S“ – S wie „Sonder“. Pickel würde sich manchmal mehr Anerkennung wünschen für die Ehrenamtlichen, die in Wunstorf ein Museum dieser Größe auf die Beine gestellt haben. Denn trotz der institutionellen Nähe zur Bundeswehr versteht man sich im Museum als Ehrenamtler wie überall sonst auch.
Den Antrag auf Aufnahme in die Militärfliegerei haben wir nicht gestellt – aber sehen die Geschichte nun mit anderen Augen. Man ist immer ein Kind seiner Zeit, blickt im eigenen zeitlichen Kontext auf die Welt. Museen wie die Ju-Halle helfen, den Blick zu erweitern. Die Geschichte endet nicht, sondern wird stetig weitergeschrieben. Was jetzt noch ganz modern erscheint, wird auch irgendwann einmal zur Historie zählen. Auch ein Airbus A400M soll einmal im Wunstorfer Lufttransportmuseum stehen. „Die Wiese dafür haben wir schon“, sagt Pickel.
Diese Reportage war Titelgeschichte im gedruckten Auepost-Magazin Nr. 24.
Kann man ein Flugzeug entnazifizieren? Natürlich nicht! Ein Flugzeug ist ein technischer Gegenstand, der von Menschen zu unterschiedlichen Zwecken eingesetzt werden kann. Ich frage mich, weshalb die Hüter der „Tante Ju“ so sehr darauf bedacht sind, diesen Militärflieger, und das war nun einmal Sinn und Zweck, diesen Flugzeugtyp für die Luftwaffe der Wehrmacht in hoher Stückzahl zu produzieren und in den Einsatz zu bringen, in ein positives Licht zu rücken („Prototyp der modernen Verkehrsfliegerei“ etc.). Ehrlicher wäre es gewesen, hier von „Tante Ju und Gevatter Tod“ zu sprechen.
Aber das hieße, sich offen mit der NS-Maschinerie, mit den Tätern in Luftwaffenuniform, mit den Verantwortlichen und den Ausführenden für den ersten (und bis dahin beispiellosen) Einsatz der Luftwaffe bei der Terrorisierung der Zivilbevölkerung auseinanderzusetzen (Guernica ist wohl das bekannteste Beispiel).
Es waren Flieger der Legion Condor, die über eine Luftbrücke große Teile der faschistischen Franco-Truppen im Rahmen einer Luftbrücke von Marokko auf das spanische Festland transportiert haben und somit maßgeblich den Sieg Francos ermöglichten. Daher empfinde ich es als synisch, die Straße, die in einem Halbbogen die Ju-52-Halle umschließt, als „Zur Luftbrücke“ auszuweisen (es liegt nahe, dass hier bewußt mit doppeldeutigen Bezeichnungen bzw. Zuordnungen gearbeitet wurde).
Auch die Anmerkung, dass die ausgestellte Ju-52 als Schulungsmaschine lediglich als eine Art „Fliegendes Klassenzimmer“ fungierte, irritiert. „Das Fliegende Klassenzimmer“ ist ein Schul-Roman von Erich Kästner von 1933. Die Bücher von Kästner wurden von den Nazis verbrannt, und er selbst mit einem Publikationsverbot belegt. „Das Fliegende Klassenzimmer“ ist ein Plädoyer für Mitmenschlichkeit und für Zivilcourage. Also in keiner Weise vergleichbar mit der Schulung dumpfer Befehlsempfänger, die ihr Schicksal an ein verbrecherisches System gebunden haben.
Vielen Dank für die herrlichen Artikel. Spannend und interessant und ohne langweilige Passagen.