Das nächtliche Wunstorf ist an vielen Stellen ein ganz anderes, als man es bei Tage kennt. Man hört andere Dinge, man sieht andere Dinge. Manches wirkt bei Dunkelheit tatsächlich sehr anders – und manchmal leuchten Objekte auf und drängen sich in den Fokus, die man bei Tage vielleicht gar nicht wahrgenommen hätte.
Wir beginnen unsere Wanderung dort, wo man nachts in Wunstorf wahrscheinlich noch am meisten Leben für möglich halten würde. Am Bahnhof. Doch Fehlanzeige. Hier ist überhaupt nichts mehr los. Keine Menschenseele ist zu entdecken. Ein Güterzug wartet auf die Weiterfahrt, aber Gleise und Wartehalle sind leergefegt. Das Bahnhofsgebäude und die Unterführungen wirken wie aus einer anderen Welt – verlassen und leer.
Noch gespenstischer ist es nebenan, an Wunstorfs wahrscheinlich urbanster Ecke und gleichzeitig Angstraum für viele bei Dämmerung und einbrechender Dunkelheit: Die Fußgängerunterführung unter den Bahngleisen nahe der Hochstraßenbrücke. Mitten in der schwärzesten Nacht verwandelt sich die Unterführung jedoch geradezu in einen Lichtpunkt – sie wirkt im Dunkel der Nacht nun sogar fast anziehend und freundlich – auch dank der farbenfrohen Graffiti an den Wänden.
Die nächtliche Hindenburgstraße kann ebenfalls überraschen: Die Häuser an den Seiten verschwimmen im Dunkel, die Vegetation der Vorgärten überlagert das Übrige und verstärkt die großen alten Bäume. Auf einmal wirkt es, als wäre man hier auf einer Allee mitten in einem Wald unterwegs.
Ungewöhnlich ist auch der Blick von der Hochstraße über die Stadt. Am höchsten allgemein zugänglichen Punkt der Kernstadt sieht man nachts aber viel weniger als gedacht von der Umgebung. Der Fernmeldeturm in der Oststadt blinkt rot in der Nacht, der Bahnhof leuchtet mit tausenden Lichtquellen – und weiter entfernt scheinen die Lichter des Kalibergs herüber – und das war es. Wenn kein rotorangener Sonnenuntergang am Himmel über dem Steinhuder Meer zu sehen ist, wirkt Wunstorf in der Nacht von einer Anhöhe betrachtet wie ein großer dunkler Teppich.
Stattdessen hört man auf einmal Dinge, die sonst wohl nicht wahrnehmbar wären: Das leise Ding-Ding der Glocke am weiter entfernten Bahnübergang etwa, die das Schließen der Schranken am Luther Weg ankündigt. Auch näher im Zentrum warten ungewohnte Geräusche: Nahe des Bürgerbüros am Bauamt kann man auf einmal das leise Rauschen der Südaue hören, die dort unterhalb der Fußgängerzone in einem Kanal verläuft und erst am Klinikum wieder zu Tage tritt.
Ampeln sind in der Nacht überhaupt kein Problem mehr. Nur die ganz wichtigen sind nun überhaupt noch in Betrieb, zum Beispiel an der „Sölterkreuzung“. Die übrigen sind ganz abgeschaltet oder zeigen nur noch ein blinkendes gelbes Licht.
Ab und zu fährt ein Taxi auf den Straßen. Ein Milchtransporter ist unterwegs. Auch ein Schwertransport fährt nachts mit eingeschaltetem Warnlicht durch die Innenstadt. Auf der Hochstraße rast ein Sportwagen mit geschätzten 130 km/h Richtung Hannover. Ansonsten ruht auch der Straßenverkehr nachts in Wunstorf – obwohl sich hier nach wie vor zwei wichtige Bundesstraßen kreuzen.
Der einzige Mann, den man nachts noch in der Fußgängerzone trifft, ist die Schaufensterpuppe bei Tyfour. Niemand sonst ist unterwegs, die Innenstadt wirkt genauso verlassen wie zuvor die Szenerie am Bahnhof. Nicht einmal die Kirchturmuhr schlägt mehr in der Nacht. Es ist so still, dass sich das Laufen über den Schotterparkplatz neben dem Alten Markt anhört, als würde sich jeden Moment eine Lawine aus Geröll lösen. Man traut sich kaum, den nächsten Schritt zu tun – wer weiß schon, wie tief der Schlaf der Anwohner ist.
Überraschend ist auch: Viele Lichtquellen, die abends noch leuchten und die man typischerweise in Wunstorf gewohnt ist, sind tief in der Nacht aus Stromspargründen ganz abgeschaltet. Das gilt nicht nur für die Kuhbrunnenbeleuchtung und Ampelanlagen, sondern offenbar auch für viele andere Objekte und Schilder.
Lebende Wesen trifft man erst wieder im Norden der Kernstadt: Die Hagenburger Straße scheint das nächtliche Zentrum der Stadt zu sein. Hier hat noch eine Tankstelle geöffnet, und an der nächsten Kreuzung ist Wunstorfs einzige durchgehend geöffnete Gastronomie zu finden – ein Schnellrestaurant. Doch auch hier ist die Anzahl der noch nachtaktiven Bevölkerung überschaubar. Bei McDonald’s starten ein paar Freunde gerade auf ihren E-Scootern Richtung Bokeloh, und nun ist auch hier alles ruhig. Die Tische im Restaurant sind komplett leer.
Durch die Nebenstraßen der Wohngebiete streunen Katzen, auch Feldhasen sind unterwegs. Nicht Fuchs, sondern Katze und Hase sagen sich Gute Nacht. An der Kolenfelder Straße fällt auf einmal ein hell erleuchteter Snackautomat auf, den man eher am Bahnhof oder ZOB vermutet hätte. Aber er steht hier direkt einfach so am Straßenrand vor einem Ladenlokal und ist von uns am Tage noch nie bemerkt worden. Aber passendes Bargeld sollte man bereits dabeihaben – der nächste Geldautomat am Ende der Kolenfelder Straße hat nämlich bereits geschlossen. Ein Rollladen versperrt den Zugang zum Bedienfeld und wird erst am Morgen wieder hochfahren.
Am Himmel im Osten gen Hannover zeigen sich allerdings nun erste helle Stellen – die Nacht neigt sich bereits wieder dem Ende und es wird nicht mehr lange dauern, bis die Geschäftigkeit in die Stadt zurückkehrt. Zeit, den Spaziergang zu beenden. Fortsetzung folgt.
PS.: und nun stellt euch mal vor, ihr seid Zeitungszusteller. Die erleben das täglich, außer sonntags. Hut ab vor euch Zustellern!!! Meine Zeitung ist nämlich schon da, wenn ich kurz nach vier Uhr morgens das Haus verlasse und auf der Kolenfelder Straße sehe ich oft noch eine Zustellerin. Was die Zusteller wohl so alles im nächtlichen Wunstorf erleben?
Mein zweiter Kommentar ging wohl nicht durch…
Stellt euch vor, ihr seid Zeitungszusteller, dann bekommt ihr Wunstorf bei Nacht täglich außer sonntags zu sehen. Meine Zeitung ist schon kurz nach vier Uhr da und wenn ich zur Arbeit fahre, sehe ich auf der Kolenfelder Straße eine Zustellerin. Was die Zusteller wohl erleben?
Mir hüpft höchstens mal ein Karnickel am Ortsausgang vors Auto.
Vielen Dank für diesen tollen Bericht!
Wir sind auf die Fortsetzung sehr gespannt.
So eine schöne Idee, mit klasse Fotos.
Danke dafür
Ganz tolle Geschichte und so schöne Fotos dabei. Wir wohnen zwar in Barsinghausen, sind aber gerne in wunstorf. Jetzt habe ich entdeckt dass ihr sogar ein tolles Stadtmagazin habt. Super, bitte so weiter machen….
Update: Wir haben nun wieder Licht in unserer Straße. Danke schön!
Tolle Bilder und eine schöne Geschichte, wirklich, das finde ich beeindruckend. Eine Mischung aus Faszination und Grusel. Ich finde es toll, was ihr euch immer so einfallen läßt.
In ‚meiner‘ Straße erlebt man übrigens das echte Wunstorf bei Nacht. Hier ist nämlich seit vorletztem Montag die Straßenbeleuchtung ausgefallen, entsprechend hab ich es vorletzten Dienstag der Stadt gemeldet. Interessiert dort leider niemanden. Wer also richtig im Dunkel abhängen bzw. tappen möchte, der ist in dieser Straße willkommen.