Kurz nach 12.00 Uhr am 29. März wurden Schüler und Lehrkräfte an der derzeitigen Außenstelle der Wunstorfer evangelischen integrierten Gesamtschule (IGS) aus dem gewohnten Unterrichtsablauf gerissen. Uniformierte und mit Schlagstöcken ausgerüstete Polizisten fuhren im Luther Weg vor, um einen Schüler der 8. Klassenstufe zu begleiten, da dieser gemeinsam mit seiner Familie nach Georgien abgeschoben werden sollte. Die Familie lebt schon einige Jahre in Wunstorf. Die Klasse, die der betroffene Schüler besucht, ist derzeit in der Außenstelle der IGS im Luther Weg untergebracht, da der eigentliche Schulstandort erweitert und saniert wird.
Beamte der Vollzugsbehörde sprachen unangekündigt bei der Schulleiterin vor. Rektorin Elke Rothämel machte sich zunächst eine Kopie des Vollzugshilfeersuchens und hielt Rücksprache mit dem Landesschuldezernat und dem juristischen Dienst des Schulträgers, um sich von der Richtigkeit des Vorgehens zu überzeugen. Dann begleitete sie die Beamten der Polizei und der Aufnahmebehörde zur IGS-Außenstelle.
Die Maßnahme sollte sofort vollzogen werden, die anwesende Schulleiterin bestand jedoch darauf, dass sich der Schüler von seinen Klassenkameraden verabschieden durfte. Die zuständige Landesaufnahmebehörde in Braunschweig teilte auf Anfrage der Wunstorfer Auepost dazu mit:
„Dort äußerte die Direktorin den Wunsch, dem Schüler noch die Möglichkeit geben zu wollen, sich zu verabschieden. Diesem kamen die Beamtinnen und Beamten nach und warteten vor dem Klassenraum. Die Direktorin erklärte dem Lehrer die Sachlage.“Niedersächsische Landesaufnahmebehörde
Die Schulleiterin berichtete im Gespräch mit der Wunstorfer Auepost von einem korrekten, aber unsensiblen Vorgehen der beteiligten Beamten. So hätten die Beamten zunächst darauf bestanden, den Klassenraum selbst zu betreten, um den Schüler in Empfang zu nehmen. Dies habe sie sich jedoch vehement verbeten und die Polizisten schließlich davon überzeugen können, dass nicht die Gefahr bestünde, dass der Schüler durch das Fenster flüchten würde – was die Beamten offenbar befürchtet hätten. Auch hätten die Beamten sehr zur Eile gedrängt.
Rothämel konnte so den gerade unterrichtenden Lehrer der Klasse persönlich informieren. Die Beamten warteten vor dem Klassenraum. Die betroffene Klasse wurde anschließend von der Lehrkraft informiert, dass ihr Klassenkamerad nun wieder in seine Heimat zurückmüsse. Sie reagierte geschockt. Die Klasse verabschiedete sich in aller Eile von ihrem Mitschüler, es wurden noch Gruppenfotos gemacht und dem Betroffenen Mut zugesprochen. Tränen flossen. Dass die Polizei bereits auf den Jungen wartete, erfuhren die Schülerinnen und Schüler erst, nachdem ihr Mitschüler mitgenommen worden war.
Schulleitung, Lehrer und Schüler der IGS wurden von der Abschiebehandlung überrascht. Die zuständige Behörde sagte auf Anfrage der Wunstorfer Auepost, dass die gesetzlichen Regelungen vorgeben, dass weder die direkt Betroffenen noch das Umfeld informiert werden sollen. Daher war auch die Schule vorab nicht benachrichtigt worden.
Auf die Frage, warum auf den Schulbetrieb keine Rücksicht genommen wurde, teilte die Behörde mit, dass dies mit der Planung des Landeskriminalamtes zusammenhänge, welches die Abschiebungen per Flugzeug organisiert. Der Zeitpunkt des Abflugs bestimme dabei maßgeblich, wann abzuschiebende Personen abgeholt werden. Berücksichtigt werden müssten Vorbereitungs-, Anfahrts- und Wartezeiten rund um den Flughafen. Außerdem würden die Flüge so gebucht, dass die Abgeschobenen möglichst nicht während der Nacht in ihren Herkunftsländern ankommen, damit bürokratische Aufgaben und die Weiterbeförderung vor Ort gleich erledigt werden können und zusätzliche Wartezeiten vermieden werden.
Der gesamte Vorgang von der Vorstellung bei der Rektorin bis zur Abholung des Schülers aus dem Klassenraum dauerte etwa eine Stunde und hinterließ einen aufgewühlten bis verstörten Jahrgang. Die Folgen des überfallartigen Vorgehens der Behörden in der Schule halten noch immer an. Das gesamte Kollegium war in den letzten Tagen mit Krisenmanagement beschäftigt, zusätzlich zur Belastung durch gerade stattfindende Anmeldetage. Die Schulseelsorgerin und der Lehrkörper werden sich weiter mit den Schülern zusammensetzen, um das Geschehene zu verarbeiten.
Die Abschiebung der Familie des Jungen wurde unterdessen ausgesetzt. Die Gründe dafür sind derzeit nicht bekannt. Der aus der Klasse geholte Schüler besuchte nach einem Tag Pause am Freitag wieder den Unterricht.
Aufgrund der Umstände der in ihrer Schule durchgeführten Handlungen wird die Schulleitung nun auf politischer Ebene intervenieren. In der kommenden Woche finden dazu Gespräche in der Landeshauptstadt statt.
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