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Die Stiftskantorin

16.09.2020 • Mirko Baschetti • Aufrufe: 2482

Die 57-jährige Claudia Wortmann ist die einzige hauptamtliche Organistin im Kirchenkreis Neustadt/Wunstorf. Das musikalische Multitalent aus Stade ist Stifts- und Kreiskantorin und hat bereits mit 12 Jahren Kirchenorgel gespielt.

16.09.2020
Mirko Baschetti
Aufrufe: 2482

Die 57-jährige Claudia Wortmann ist die einzige hauptamtliche Organistin im Kirchenkreis Neustadt/Wunstorf. Das musikalische Multitalent aus Stade ist Stifts- und Kreiskantorin und hat bereits mit 12 Jahren Kirchenorgel gespielt.

Claudia Wortmann

Kantorin Claudia Wortmann vor der Orgel der Stiftskirche | Foto: Mirko Baschetti

Wenn die vierfache Mutter sich auf die kalte Bank setzt, vor die aus Holz und Knochen geformte Tastatur, und der erste Akkord auf den Pfeifen erklingt, durchströmt ein gewaltiger Klangteppich die weitläufige Stiftskirche. Eine Rückenlehne gibt es nicht. Sie muss sehr auf ihre Körperhaltung achten, denn das Spiel auf der Orgel erfordert den Einsatz von Rumpf, Händen und Füßen. Sie geht nicht ins Fitnessstudio, aber die allmorgendliche Gymnastik ist notwendig, um ihren Körper auf die Arbeit vorzubereiten.

Schon früh hat sich bei Claudia ein musikalisches Talent gezeigt. Sie sang bereits im Kinderchor, als sie 7-jährig mit dem Klavierunterricht begann. „Ich fand Klavierspielen aber nicht so spannend“, sagt sie schmunzelnd. Fünf Jahre später jedoch entfachte dann das Orgelspiel ihre wahre Leidenschaft. Sie lernte direkt in einer Kirche und „fand das sofort total faszinierend“, sagt Claudia rückblickend, denn ihre Lehrorgel war etwas Besonderes. „Experten aus der ganzen Welt reisten an, um dieses Exponat zu bewundern“, schwärmt sie.

Vom Gottesdienst nicht zu trennen

Überhaupt hatte sie stets internationales Flair geschnuppert, nicht zuletzt durch ihren Mentor, den damaligen Leiter der norddeutschen Orgelakademie, der ihr diese Welt nahebrachte. Mit 16 Jahren hatte sie das erste Mal bei einem internationalen Orgelkurs mitgemacht und ein Konzert gegeben. Viele weitere sollten folgen. Nach dem Abitur studierte Claudia 6 Jahre Kirchenmusik in Hannover, bei der auch der Gesang eine zentrale Rolle einnimmt. Für sie ist Orgelspiel und Gesang Ausdrucksform ihres Glaubens, so wie die Kirchenmusik unverzichtbarer Bestandteil des Gottesdienstes ist. Dabei muss es nicht immer mittelalterlich zugehen. Auch Popularmusik spielt sie auf der Orgel, und wenn Claudia bei einer Exkursion von Schulklassen die Titelmelodie von Star Wars spielt, werden „die Augen und Ohren der Kinder immer sehr, sehr groß“, sagt sie.

Wenn ich Star Wars spiele, werden die Augen und Ohren immer groß

Claudias Beruf ist vielfältig und nimmt viel Zeit in Anspruch. Sie spielt Orgel in der Stifts- und Stadtkirche, leitet einen mittelalterlichen Chor, spielt die Konzertreihe „Nachtkonzerte bei Kerzenschein“, lehrt Orgelschüler, pflegt die Orgel und spielt sie bei Gottesdienst, Trauung, Taufe und Beerdigung. Bei der Auswahl der Lieder spricht sie sich grundsätzlich mit den Pastoren ab, aber sie hat durchaus freie Hand in der Ausgestaltung. Sie selbst komponiert wenig, aber lässt ihrer Phantasie beim Vor- und Nachspiel im Gottesdienst umso mehr freien Lauf. „Ich begleite die Predigt und lasse diese in der Musik aufleben“, sagt Claudia. Jeden Sonntag ab 10 Uhr sitzt sie so auf der kleinen hölzernen Bank und spielt auf ihrem Lieblingsinstrument. Bis vor kurzem war das auch in der Stiftskirche möglich, doch diese wird derzeit renoviert, so dass die etwa 2.500 und bis zu 4,80 Meter hohen Pfeifen ruhen.

Jede Orgel ist Handarbeit

Die Kosten für eine Kirchenorgel sind immens. Etwa 150.000 Euro kostet eine Orgel für eine mittlere Dorfkirche und benötigt zur Herstellung etwa 4.000 Arbeitsstunden. Denn trotz fortgeschrittener Technisierung muss eine Orgel immer noch in Handarbeit für den zur Verfügung stehenden Raum hergestellt und angepasst werden. „Die Kirche eignet sich durch die Akustik besonders für den Klang einer Orgel durch Höhe, Weite und klangliche Abstrahlung“, sagt Claudia, die seit 2003 in Wunstorf die Vollzeitstelle übernahm. „Aber jede Orgel klingt anders“, ergänzt sie.

Claudia spielt Klavier, Geige, Posaune, Fidel, Portativ und Cembalo, doch zum kirchlichen Tasteninstrument hat sie eine besonders innige Beziehung. Der Reiz des Orgelspiels hängt dabei auch stark mit ihrem Glauben zusammen. „Das Spielen ist für mich eine Kraftquelle“, sagt sie. In Verbindung mit dem erhabenen Raum einer Kirche entfaltet die Musik eine ganz spezielle Qualität. „Wenn ich spiele, ist es kein Selbstzweck, sondern ich will Menschen emotional bewegen. Ich habe eine Gabe bekommen, und diese Gabe will ich weitertragen. Ich bin dankbar, aber ich trage auch Verantwortung.“

All dies geschehe zum Lobe Gottes. Überhaupt nimmt der Glaube großen Raum in ihrem Leben ein. „Er hat mich durch alle Stürme des Lebens geführt.“ Auch als sie als vierfache alleinerziehende Mutter nach Wunstorf kam und sich verpflichtet fühlte, besonders viel leisten zu müssen. Eine Erschöpfungsphase zwang sie zu einer einjährigen Zwangspause und mahnte sie, „mit ihren Kräften hauszuhalten“.

Er hat mich durch alle Stürme des Lebens geführt

Claudia ist sehr engagiert darin, Schulkindern ein Gespür für Musik beizubringen. In Kürze baut sie mit Schulklassen eigene Miniorgeln, welche aus 130 Einzelteilen bestehen. Sie sieht darin eine große Herausforderung an Konzentration, Verständnis für Mechanik und Teamarbeit. „Das Zusammenspiel von Mechanik, Windzufuhr, Pfeifen, Ventile, Tastatur bedarf der Kooperation“, sagt sie. Ihre größten Glücksmomente hat Claudia, wenn sie „eine schöne Probe hatte“ oder mit ihren Schülern eine tolle Unterrichtsstunde. „Ich werde so sehr beschenkt durch meinen Beruf“, sagt sie begeistert. „Ich würde nichts anderes machen wollen.“ Natürlich müsse auch sie üben, und manchmal sei es „echte Knochen- und Konzentrationsarbeit“, aber sie fühlt sich gesegnet, diesen Beruf ausüben zu können. Diesen will sie bis zu ihrer Berentung mit „viel Herzblut ausfüllen“, wie sie sagt. Bis zum 1. Februar 2030. Danach hat sie wieder mehr Zeit für ausgiebige Spaziergänge. Oder ihre Leidenschaft fürs Nähen.

Dieser Bericht erschien zuerst in Auepost #7 – 04/2020

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