Wunstorf (ds). Am Dienstag kam Niedersachsens Innenminister, Boris Pistorius, nach Wunstorf, zur Zentrale der Johanniter in den Düendorfer Weg. Natürlich spielt der Wahlkampf eine Rolle, der SPD-Minister wird von Wiebke Osigus, Thomas Silbermann, Carsten Piellusch und Steffen Krach empfangen. Doch eigentlich soll es um die Helfer gehen, die in den letzten Wochen bei der Flutkatastrophe in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen geholfen haben – teils tagelang ehrenamtlich im Einsatz in den betroffenen Gebieten waren. Die Johanniter stellen den Rahmen an ihrer Zentrale im Düendorfer Weg, wo sich nicht nur die Rettungswache, sondern auch die Hauptverwaltung und der Stützpunkt der Ehrenamtlichen befindet. Eingeladen sind dazu ebenfalls die Feuerwehr, Technisches Hilfswerk und die Polizei.
Es soll ein Danke sein und Anerkennung ausdrücken für den Einsatz der Wunstorfer – gemeinsam mit anderen Hilfskräften waren sie unter den Ersten gewesen, die in den betroffenen Bundesländern eingesetzt wurden. Davon erzählt etwa Timo Helke vom THW: Nachts habe sein Pieper gepiept, dann sollte es sofort für 3 Tage nach NRW gehen. Am Ende waren daraus 9 Tage geworden. Das Wunstorfer THW pumpte etwa im rheinischen Leichlingen Tiefgaragen leer und sicherte die Stromversorgung. Statt Behelfsbrücken für kürzere Schulwege zu errichten, bauten die Zivilschützer Brücken über Hauptverbindungswege wieder auf. Die Zusammenarbeit vor Ort mit freiwilligen Helfern und anderen Einsatzkräften war gut, doch man habe auch die Schattenseiten erlebt: Medienvertreter vom Fernsehen gaben sich als Anwohner aus, um vertrauliche Infos aus den Helfern herauszukitzeln.
Alle „Blaulichtsparten“ an einem Ort versammelt, das kommt selten vor und zeigt eindrucksvoll, wie viele Organisationen Wunstorf vereint. Auch Innenminister Pistorius darf in dringenden Fällen mit Blaulicht fahren – doch seine Kolonne ist normalerweise zivil unterwegs. So auch an diesem Nachmittag. Als die dunkle Limousine des Innenministers eintrifft, geht es zunächst mit den Führungskräften in die Remise, dem Verwaltungshauptsitz der Johanniter. Geschildert werden Pistorius dort die gesammelten Eindrücke der Wunstorfer:
„Nur der Arzt war noch da, sonst nichts mehr.“
Mit Todesopfern war nicht jeder Verband konfrontiert, doch einige der Helfer erlebten menschliche Tragödien – etwa den Fall einer Frau, die sich im Wasser in einem Fahrradständer verfangen hatte und vor den Augen ihres Mannes ertrunken war. Timo Brüning berichtete für die Johanniter von den Eindrücken aus Ahrweiler. Etwa, wie man eine zerstörte Arztpraxis wieder betriebsbereit machte: „Nur der Arzt war noch da, sonst nichts mehr.“ Manchmal waren es auch kleine Dinge, die große Dankbarkeit bewirkten: So habe man einen im Rollstuhl sitzenden Mann, der zwei Wochen nicht mehr geduscht hatte, eine Duschgelegenheit organisiert und zu dieser gefahren. Eine Kleinigkeit für die Johanniter, aber mit großer Wirkung: In der Nachbarschaft sei man danach hochangesehen gewesen.
Eine Urlaubsspende aus Wunstorf gaben die Johanniter direkt weiter: Ein nach der Katastrophe in Ahrweiler geborenes Kind kann mit seinen Eltern nun Urlaub am Steinhuder Meer machen, damit sich die Familie in Ruhe kennenlernen kann. Ehrfurcht vor den Naturgewalten habe man im Einsatz in Ahrweiler erfahren, erzählte Brüning weiter: Der Moment, als man auf dem Deich stand, unter sich die Ahr, und nach oben blicke und dann dort die Hauswand sah, an der das Wasser zuvor acht Meter hoch gestanden und bis in den ersten Stock Spuren hinterlassen hatte – da sei den Helfern das Ausmaß so richtig bewusst geworden. So viele Meter über normal sei eben nicht normal.
Martin Ohlendorf berichtete für die Feuerwehr. Er erzählte vom fehlenden Telefonnetz und davon, dass die eintreffenden Helfer auf ihre erste Ruhepausen verzichteten, um sofort ans Werk gehen zu können. Steffen Krach mahnte ein Umdenken an – wie aussichtslos es vor der Katastrophe gewesen wäre, Geld zur Krisenprävention zu investieren. Nun seien 30 Milliarden Euro zur Beseitigung der Folgen bereitgestellt worden. Pistorius nickt. Man könne den Einsatzkräften gar nicht genug danken, dass sie sich in den Einsatz begeben hätten, und das auch noch unter Coronabedingungen, sagte Osigus.
Aus Coronagründen sprach man zunächst im kleinen Kreis, die meisten der Einsatzkräfte warten unterdessen im Hof. Dann aber richtete Pistorius das Wort direkt an die versammelte Menge aus den Reihen von Feuerwehr, Polizei, des Technischen Hilfswerks und der Johanniter.
Was man jetzt erlebt habe, sei die größte Naturkatastrophe seit der Sturmflut in Hamburg vor 60 Jahren gewesen. Der Innenminister knüpfte an die Rede Krachs an und sprach sich dafür aus, die Krisenprävention auszubauen. Es gebe ein deutlich zu schwach ausgeprägtes Bewusstsein der Menschen in Mitteleuropa für Gefahren, sagte Pistorius. Andere Gefahren – außerhalb des Haushaltes und des Straßenverkehrs – würden kaum noch vergegenwärtigt, weil die Menschen sie nicht erlebten. Katastrophen- und Zivilschutz sollte unter einem gemeinsamen Dach Bevölkerungsschutz gesehen werden.
Der Termin mit dem Innenminister wurde auch gleich genutzt, um zwei neue Fahrzeuge der Johanniter zu begrüßen: In Ahrweiler waren sie bereits zum Einsatz gekommen: ein Sanitätsgerätewagen und ein Einsatzleitwagen. Während sich Pistorius noch das Interieur des Sanitäts-LKWs erklären lässt, wird nebenan langsam die Teleskopantenne der mobilen Einsatzleitstelle ausgefahren, die nicht nur dem Funk dient, sondern auch das rote Blinklicht zur Kennzeichnung der Einsatzleitung weithin sichtbar macht. Das neue Fahrzeug ist auf dem letzten Stand der Technik – fahren könnten ihn die meisten Johanniter, aber bedienen nur eine Handvoll, erklärt Ortsbeauftragter Thomas Silbermann.
Nach einer guten Stunde steigt der Innenminister wieder in seinen Dienstwagen und fährt zum nächsten Termin – das Kaffee-und-Kuchenbuffet ist nun auch für die Helfer freigegeben. Carsten Piellusch wirbt noch einmal für sein Thema eines runden Tisches Blaulicht, und Wiebke Osigus versichert, immer ein offenes Ohr für die Freiwilligen zu haben – und sich auch dann zu kümmern, wenn die Presse nicht dabei ist.
Impressionen und Video:
Für mich ist es eine Selbstverständlichkeit, dass #Boris Pistorius in seiner Funktion als niedersächsischer Innenminister den Dank an die zahlreichen Einsatzkräfte sämtlicher Organisationen, die sich in den Katastrophengebieten bis zum Umfallen nahe engagiert hatten, überbrachte.
Obwohl:
Für deren Einsatz gibt es genau genommen keine angemessenen Worte des Danks-
Was dort geleistet wurde, lässt sich kaum in Worten ausdrücken.
Es mag eine Art Ehre gewesen sein, auch aus dem Mund eines ranghohen Politikers eine Danksagung zu hören. Zweifellos.
Mit einem üppigen Scheck für die Ehrenamtlichen hätte #Pistorius bestimmt größere Freude hervorgerufen.