Dr. Karin Kobusch ist Leitende Oberärztin Krankenhaushygiene im KRH-Institut für Medizinische Mikrobiologie und Krankenhaushygiene. Prof. Dr. Thomas Fühner ist Chefarzt der Klinik für Pneumologie, Intensiv- und Schlafmedizin am KRH-Klinikum Siloah in Hannover, einer der größten Lungenfachkliniken in ganz Norddeutschland. Beide sind ausgewiesene Experten auf ihrem Gebiet: die eine für den Schutz vor der Übertragung von Infektionskrankheiten, der andere für Erkrankungen der Atemwege.
Das Land Niedersachsen und auch die Region Hannover haben viele einschneidende Maßnahmen ergriffen, beispielsweise das Verbot von Großveranstaltungen oder auch ein Besuchsverbot in Krankenhäusern. Kommen diese Maßnahmen zu früh oder zu spät?
Dr. Kobusch: Vermutlich gerade noch rechtzeitig und auf keinen Fall zu früh. Wir haben einen gewissen Vorsprung im Vergleich zu anderen Ländern, wie beispielsweise Italien, weil wir die ersten Fälle schnell entdeckt haben. Dieses Zeitfenster muss jetzt aber auch genutzt werden, um die Ausbreitung zu verlangsamen.
Warum sind diese Maßnahmen überhaupt notwendig? Man hört oft, dass das neuartige Coronavirus letztlich kaum anders ist als die Grippe.
Prof. Fühner: Der entscheidende Unterschied zwischen Grippe und neuartigem Coronavirus ist, dass es keine Grundimmunität in der Bevölkerung gegen letzteres gibt, weder durch Impfungen noch dadurch, dass das Immunsystem das Virus bereits einmal abgewehrt hat. Dadurch wird dieses Virus vermutlich, darauf deuten zumindest alle Daten aus anderen Ländern hin, sehr weite Teile der Bevölkerung infizieren. Manche Szenarien gehen von einer Durchseuchung aus, das heißt, dass 60-70 Prozent der Bevölkerung damit über einen noch teilweise beeinflussbaren Zeitraum in Kontakt kommt. Die meisten der Betroffenen werden milde bis mittelschwere Symptome erleiden und können sich in häuslicher Quarantäne auskurieren. 2-5 Prozent der Bevölkerung können schwerer erkranken und teilweise intensivmedizinische Maßnahmen benötigen. Die Anzahl der schwerer erkrankten Menschen muss für das Gesundheitssystem versorgbar sein. Die Intensivkapazitäten können zum Nadelöhr werden. Letztlich gilt es, die nach WHO jetzt offizielle Pandemie zu „timen“. Je schneller die Ausbreitung stattfindet, desto unwahrscheinlicher wird es, dass die Intensivstationen jeden Patienten behandeln werden können.
„Wir haben im internationalen Vergleich vielleicht relativ hohe Zahlen an Infektionen, weil wir mehr testen.“
Prof. Fühner
Aber wieso ist es denn gefährlicher, an einem Fußballspiel teilzunehmen als beispielsweise zur Arbeit zu gehen?
Dr. Kobusch: Da spielen zwei Aspekte mit hinein: Zum einen ist es tatsächlich die Anzahl der Kontakte, die eine Infektion wahrscheinlicher machen. Die meisten Menschen haben auf der Arbeit weniger persönliche Kontakte auf kurze Distanz als auf Großveranstaltungen oder auch in Clubs und Discos. Der andere Aspekt ist, dass hier eine Abwägung im Sinne des Gemeinwohls stattfindet. Die tagtägliche Arbeit vieler Menschen ist von zentraler Bedeutung für die Bewältigung der Epidemie und grundsätzlich für das Funktionieren der Gesellschaft. Auf Großveranstaltungen und das Zusammenkommen mit Freunden kann man – auch wenn es nicht schön ist -eine gewisse Zeit verzichten.
Sie wären einer der Spezialisten für die Behandlung von Patienten, wenn es bei einer Corona Sars-CoV-2-Infektion zu einem schweren Verlauf kommt. Was könnten Sie als Intensivmediziner tun?
Prof. Fühner: Uns steht leider zum jetzigen Zeitpunkt keine nachgewiesene medikamentöse Therapie zur Verfügung. Auch verfügen wir über keinen Impfstoff. Kommt es also im Rahmen der Infektion zu einer schweren Lungenentzündung mit Funktionsstörung der Lunge, können wir diese Patienten zunächst mit Sauerstoff versorgen. Sollte es zu einem schweren Organversagen kommen, müssten Patienten in ein künstliches Koma gelegt werden, um sie zu beatmen. Im Prinzip soll durch diese Maßnahmen Zeit gewonnen werden, bis sich das Immunsystem gegen das Virus durchsetzt und sich die Lunge dann wieder erholt. In der Zwischenzeit werden diese Patienten auch medikamentös behandelt. Ältere und geschwächte Patientinnen und Patienten haben ein höheres Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf. Auch wenn das Virus für den Großteil der Bevölkerung kein Risiko darstellt, müssen wir jetzt auf die gefährdeten Menschen achten.
Wie gehen derzeit Ihre Kolleginnen und Kollegen und Patienten und Angehörige mit der Thematik um?
Dr. Kobusch: Mein Eindruck ist, und der bestätigt sich auch im täglichen Austausch mit Experten aus anderen Krankenhäusern und den Gesundheitsbehörden, dass sich alle des Ernstes der Lage bewusst sind und trotzdem mit viel Verständnis und Sachlichkeit reagieren. Natürlich stellt die Situation für alle eine Belastung dar. Die einen müssen im Moment sehr viel arbeiten, die anderen müssen Gewohnheiten hinterfragen und Verhaltensweisen anpassen. Es zahlt sich aber im Moment aus, dass wir seit Jahren eine intensive Aufklärung betrieben haben, was Maßnahmen zur Hygiene und zum Eigenschutz betrifft. Konkret: Fast alle Menschen wissen, dass es etwas bringt, sich die Hände regelmäßig zu waschen, unbewusste Berührungen des eigenen Gesichts mit den Händen zu vermeiden und bei Kontakt mit anderen Menschen vorsorglich einen größeren Abstand einzuhalten.
Wie wird sich die Ausbreitung von Corona Sars-CoV-2 weiter entwickeln?
Prof. Fühner: Wir haben in Deutschland drei Vorteile. 1. Anhand der Geschehnisse in den anderen Ländern wissen wir, was auf uns zukommt, wenn wir nicht schnell und rechtzeitig entsprechende Maßnahmen ergreifen, um eine zu schnelle Übertragung zu unterbinden. 2. Wir haben in Deutschland vergleichsweise früh angefangen zu testen und Maßnahmen eingeleitet, um eine weitgehend unkontrollierte Verbreitung zu verlangsamen. Ich will damit sagen: Wir haben im internationalen Vergleich vielleicht relativ hohe Zahlen an Infektionen, weil wir mehr testen. 3. Wir haben trotz aller ökonomischen Zwänge der letzten Jahre ein vergleichsweise sehr gutes und leistungsfähiges Gesundheitssystem. Es wird jetzt wichtig sein, die Verbreitung zu verlangsamen, damit das Ausbruchgeschehen für unser Gesundheitssystem, die Krankenhäuser und hier vor allem die Intensivstationen, beherrschbar bleibt. Außerdem steigt die Wahrscheinlichkeit, wirksame Medikamente zu finden, die uns beim Kampf gegen das Virus helfen.
Offenlegung: Das Interview wurde der Auepost von den KRH-Kliniken zur Verfügung gestellt.
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