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Einmal Katze süß/sauer zum Mitnehmen

16.10.2020 • Daniel Schneider • Aufrufe: 2281

Verhinderte Kampfhunde, ausrangierte Fische und angeschwemmte Ziegen – im Wunstorfer Tierheim gibt es allerhand illustre Gäste. Doch das Tagesgeschäft bleiben Katze und Kaninchen, und Probleme machen meist nur die Zweibeiner.

16.10.2020
Daniel Schneider
Aufrufe: 2281
Tierheim Wunstorf
Hund Ivan im Wunstorfer Tierheim | Foto: Mirko Baschetti

Am Eingang hinter dem großen Tor wehen zwei Flaggen: die von Wunstorf und die von Neustadt. Denn das Wunstorfer Tierheim leistet die Tierfundversorgung für beide Städte. Das spiegelt sich auch im Namen wider. Zwar ist es der „Tierschutzverein Wunstorf und Umgebung von 1934“, der hinter der Einrichtung steht, doch am Eingang zu lesen ist „Tierheim Steinhuder Meer“. Im Alltag wird es trotzdem meist „Tierheim Wunstorf“ genannt. Es liegt von der Kernstadt aus gesehen am Ende der Neustädter Straße neben dem Frachtweg im Stiefelholz, am Rande von Klein Heidorn. Ein freistehender, moderner Bau in einer weitläufigen Anlage empfängt den Besucher. In der Tat ist man beim Tierheim stolz auf den Platz, den die Tiere hier haben. Das gelb gestrichene Haus mit vielen Holzanbauten wirkt auch an trüben Tagen nicht trist. Die Gebäude gehören dem Verein, das Gelände ist von der Stadt gepachtet. Der Blick aus dem Innern geht hinaus auf die weiten Felder und Alleen – ein ideales Auslaufgelände für Spaziergänge mit den Hunden.

Die Zwinger am Haus springen sofort ins Auge, in denen die Hunde rund ums Hauptgebäude untergebracht sind. Auch die Katzen haben ihre Freigehege, doch sie können selbst entscheiden, ob sie drinnen oder draußen sein möchten: über Katzenklappen streunern sie munter zwischen Innenraum und Freigehege herum. Ralf Klänhammer führt uns durch die Anlage. Er ist einer der Ehrenamtlichen im Tierheim. Angefangen hat er vor 16 Jahren als sogenannter Gassi-Geher: Das sind diejenigen, die regelmäßig im Tierheim mithelfen, indem sie den Hunden Auslauf verschaffen und mit ihnen über die Felder ziehen. Seit dem vergangenen Jahr ist der Berenbosteler Vorsitzender des Tierschutzvereins. Klänhammer selbst hat zwei Katzen. Er und seine Frau seien beide voll berufstätig, daher würde es keinen Sinn haben, Hunde zu halten. Diese wären dann tagsüber zu lange allein.

Da würden die Leute wahnsinnig werden!

Mit dem Generalschlüssel kann Klänhammer jede Tür und jede Box auf dem Gelände öffnen. Bei getrennten Schließanlagen würde man sonst wahnsinnig werden, sagt er. Fotografieren dürfen wir den Schlüssel nicht – die Sicherheitsstandards sind in diesem Punkt nicht anders als in einer Justizvollzugsanstalt. Nur wenige Tiere sind zu sehen auf den ersten Blick. „Zoo-Effekt“, merkt Klänhammer an. Denn tatsächlich wirkt es beinahe so, als würde das Tierheim leerstehen. Dabei beherbergt das Haus, obwohl es zu den kleineren dieser Einrichtungen zählt, im Jahr bis zu 1.000 Tiere. Kleine und große Tiere finden hier ein vorübergehendes und in Ausnahmefällen auch ein dauerhaftes neues Zuhause: Für ausgesetzte, entlaufene oder abzugebende Tiere ist das Tierheim die erste Anlaufstelle. Aber auch wie viele Menschen hier arbeiten, ist auf den ersten Blick nicht zu erkennen. Wir sind überrascht, als wir die Zahl hören: Zwölf Mitarbeiter in unterschiedlichen Formen der Festanstellung kümmern sich um die Tiere, dazu kommen unzählige Ehrenamtliche – zwei der Helferinnen leisten auch Sozialstunden ab.

Tierheim Wunstorf
Eingang zum Tierheim. Es wehen die Wunstorfer und Neustädter Flaggen. | Foto: Mirko Baschetti
Tierheim Wunstorf
Ralf Klänhammer, Vorsitzender des Tierheims, mit Hund Ivan | Foto: Mirko Baschetti

Auf den zweiten Blick macht die Nähe zum Fliegerhorst stutzig, doch der Flugbetrieb auf den Landebahnen nebenan ist im Tierheim nicht wahrnehmbar. Zwischen dem Areal und dem Militärgelände ist ein hoher Erdwall errichtet, der akustische Emissionen schluckt. Wir hören jedenfalls nichts, was aber kein Wunder ist, da gerade gar kein Flugverkehr stattfindet. Umgekehrt hat sich vom Fliegerhorst aber auch noch niemand über Geräuschbelästigung durch das Tierheim beschwert. Denn dort ist man auch für die Aufnahme von Geflügel eingerichtet und hatte durchaus auch schon einmal einen Hahn im Außengehege zu Gast.

Laut geht es trotzdem zu, und das liegt vor allem an den untergebrachten Hunden. Für ein stetiges Kommen und Gehen sorgen zudem das Team und die Helfer, die mit den Hunden zu ihren Spaziergängen starten. Auch der Strom der Besucher, die ein Anliegen haben, Tiere anschauen wollen oder Futterspenden bringen, reißt nicht ab. Wenn man näher ans Haus tritt, wird man lautstark begrüßt. Die Hunde in den Zwingern verbellen jeden Neuankömmling, der es wagt, sich ihrem Habitat zu nähern. Da hilft auch kein Presseausweis.

Der erste Eindruck täuscht

Vor dem am harmlosesten aussehenden Hund warnt Klänhammer sogleich, ihm nicht zu nahe zu kommen – er schnappe gerne direkt in die Finger. Gefährlicher wirkt hingegen Shanti: Die Staffordshire-Bullterrierin ist um die 11 Jahre alt, lebt schon viele Jahre im Tierheim und hat eine traurige Vergangenheit: Sie kam über eine Beschlagnahmung nach Wunstorf, ihre Vorbesitzer hatten sie offenbar zum Kampfhund abzurichten versucht. Als einmal ins Tierheim eingebrochen wurde, zeigte sich jedoch, dass sie diesen Bemühungen erfolgreich widerstanden hatte. Shanti ließ sich von den Einbrechern einfach in die Küche tragen und dort einschließen.

Tierheim Wunstorf
Ungebetene Besucher werden verbellt | Foto: Mirko Baschetti

Für die Einbrecher lohnte sich der Raubzug trotzdem nicht: Obwohl sie großen Sachschaden verursachten und sogar einen massiven Tresor knackten, zogen sie lediglich mit etwas mehr als der Kaffeekasse wieder ab. Im Tresor hatten vor allem Akten gelegen. An Hunden und Katzen zeigten sie glücklicherweise kein wirkliches Interesse. Doch nicht nur mit Einbrüchen, auch mit Ausbrüchen muss sich das Tierheim herumschlagen, ist darauf aber gut vorbereitet: Die Kaninchen schafften es z. B. einmal, sich in anderthalb Stunden aus ihrem Freigehege auszubuddeln, scheiterten dann jedoch an der Steinbewehrung. Inzwischen ist auch der Gehegeboden ausbruchsicher gemacht.

Keine Fluchtgedanken hegt hingegen Shanti: Auch wenn sie bislang nicht vermittelt werden konnte, nahm ihr Schicksal doch noch ein gutes Ende: Trotz ihres schwierigen Charakters – wegen der offenbar einst schlimmen Erlebnisse – ist Shanti inzwischen die heimliche Hausherrin und der Star im Tierheim. Hier ist ihr Revier. Die Hündin ist über die Jahre zu einer Art Maskottchen des Teams geworden und muss auf nichts verzichten. Im Haus hat sie Narrenfreiheit, darf durch die Gänge laufen, leistet im Büro Gesellschaft oder ist beim Teamfrühstück dabei. Da sie ein dünnes Fell hat, ist sie gegen unvorteilhafte Witterung auch komplett ausgestattet: Sie hat ein eigenes Regenmäntelchen und einen Pulli. Von den Frauen im Team bekommt sie Kunststückchen beigebracht – mit Frauen kommt sie besser zurecht, offenbar auch ein dunkler Teil ihrer Vergangenheit.

Tierschutzgesetz: Wer ein Tier aussetzt, begeht eine Ordnungswidrigkeit: Wird er oder sie erwischt, ist eine Geldbuße bis zu 25.000 Euro möglich. Stirbt das Tier infolge der Aussetzung, kann sogar der Straftatbestand der Tierquälerei erfüllt sein, auf den bis zu drei Jahre Gefängnis stehen.

Die Ursachen, wie das Tierheim zu seinen Tieren kommt, sind völlig unterschiedlich. Den Großteil machen die Tiere aus, die abgegeben werden, weil sich ihre Besitzer nicht mehr um sie kümmern wollen oder können. Manchmal stecken dahinter für beide Seiten tragische Geschichten. Auftretende Allergien können z. B. ein Grund sein. Klänhammer erzählt, ihm habe einmal eine Besitzerin mit tränenden Augen gegenübergestanden, die sich von ihren vielen Meerschweinchen trennen musste – und die Tränen waren trotz des Anlasses keine der Trauer.

Aber es gibt auch die Fälle, in denen Leute vorbeikommen, die mit ihren Tieren nicht mehr zurechtkommen und sie deshalb abgeben wollen. Dabei muss das Tierheim nicht die beste Lösung sein, man versucht auch anderweitig Hilfe zu vermitteln, z. B. zu Tiertrainern. Man kennt die richtigen Spezialisten. Trotzdem gibt es die Extreme wie den Mann, der sagte, dass er sofort seinen Schäferhund loswerden müsse – und das ausgerechnet, als das Tierheim überbelegt war und keine Kapazitäten mehr frei hatte. Statt ein paar Tage zu warten, drohte der Hundebesitzer nun mit Einschläferung und ging tatsächlich zum Tierarzt. Dieser rief dann wiederum beim Tierheim an, und das Team organisierte noch eine Lösung.

Ich weiß nicht, wie jemand Meerschweinchen verlieren kann.

Ralf Klänhammer

An zweiter Stelle stehen die entlaufenen Tiere, manchmal wurden sie auch ausgesetzt. Denn wie z. B. ein Meerschweinchen auf der Straße landen könnte, die Frage kann auch Klänhammer nicht beantworten. Ideal wäre es, wenn ein Tier gechippt und registriert sei, dann gelinge die Wiederzusammenführung schnell, sagt der Tierschützer. Nur ein Drittel der Fundtiere gelangt am Ende wieder zu seinen Besitzern zurück. Manche Tiere scheinen auch von weither zu kommen: Ivan, der uns mit jungem Hundeblick durch die Gitter beobachtet, ist mit einem russischen Chip versehen, der jedoch leider nicht registriert ist. Daher verliert sich auch bei ihm die Spur zu seinen Vorbesitzern.

24-Stunden-Notdienst

Schließlich finden Tiere auch über Beschlagnahmungen ihren Weg ins Tierheim, wie im Falle von Shanti. Im vorletzten Jahr waren es 21 Tiere, die so nach Wunstorf kamen. Verwahrloste oder auch kranke Tiere werden dann vom Tierheim erst einmal wieder aufgepäppelt, bevor sie neu vermittelt werden können. Wenn die Tierschützer Pech haben, landen gleich Dutzende verwahrloste Tiere auf einen Schlag im Heim – beispielsweise bei einem Fall von Tierhortung, der von den Behörden beendet wurde. Für die Tiere ist es hingegen kein Pech, sondern oft die letzte Rettung.

Tierheim Wunstorf
Junge Katzen sind in der Regel sofort vermittelt | Foto: Mirko Baschetti
Tierheim Wunstorf
Eine Katze zur Beobachtung in der Krankenstation | Foto: Mirko Baschetti

Nicht selten rufen die Menschen selbst an, wenn sie ein herrenloses Tier finden, viele bringen es auch direkt selbst vorbei. Ebenso häufig meldet sich die Polizei beim Tierheim, wenn Haustiere unerwartet in freier Wildbahn auftauchen. Immer dann, wenn ein Tier nicht vorbeigebracht werden kann, rückt der Notdienst des Tierheims selbst aus, auch mitten in der Nacht, um Fundtiere einzusammeln. Das Tierheim leistet eine 24-Stunden-Bereitschaft, falls Tiere in Neustadt oder Wunstorf in Obhut genommen werden müssen. Dazu steht ein spezielles Fahrzeug bereit, das für den Tiertransport ausgestattet ist. Das kann jedoch manchmal etwas dauern, denn wegen der Zuständigkeit auch für Neustädter Gebiet fährt man schon mal bis nach kurz vor Schwarmstedt. Wenn der jeweilige Tierschützer dann auch noch in Garbsen wohnt, wenn in der Nacht das Notfallhandy vibriert und das Fahrzeug erst in Wunstorf geholt werden muss, dann ergibt sich eine ordentliche Strecke.

Kuriose Gäste

Zu Fällen, die aus dem üblichen Rahmen fallen, kursiert natürlich auch die ein oder andere Geschichte im Tierheim. Eines Tages kam Klänhammer zum Dienst und traute seinen Augen nicht, als eine Ziege auf der Wiese des Tierheims herumlief und sich gerade mit den Hunden anzufreunden begann. Das sei bislang der seltsamste Fall während seiner Zeit im Tierheim gewesen, sagt er. Die Ziege war zuvor von der Feuerwehr aus dem Mittellandkanal gefischt worden, nachdem sie von ihrer Weide ins Wasser gefallen und abgetrieben worden war.

Ich habe euch da gerade ein paar Fische reingeworfen

ein Ex-Fischbesitzer

Aber auch Tierbesitzer kommen auf die merkwürdigsten Ideen. Einmal warf jemand erst seine Fische in den Feuerlöschteich des Tierheims und meldete sich anschließend an der Pforte mit dem Hinweis, dass er schon Fakten geschaffen hatte. Auch wenn Fische nicht zum Aufgabenbereich des Tierheims zählen, durften sie bleiben. Sie leben bis zum heutigen Tag im Teich und erfreuen sich zahlreicher Nachkommen.

Generell gehören Wildtiere eigentlich nicht zum Aufgabenbereich des Tierheims, wenn, dann werden sie nur provisorisch aufgenommen, bis sie an die Wildtierstation in Sachsenhagen weitergereicht werden, mit der man eng zusammenarbeitet. Das war zum Beispiel bei den aufgefundenen Schildkröten der Fall gewesen, die jemand in Neustadt ausgesetzt hatte. Igel gehören damit z. B. auch nicht ins Tierheim. Für tote überfahrene Tiere ist das Tierheim ebenfalls nicht zuständig, um diese Fälle kümmert sich die Straßenmeisterei.

Themenwochen im Tierheim

Alle Tiere im Tierheim haben einen Namen, dafür sorgen die Mitarbeiter auch bei Fundtieren. Die Namen denkt man sich gemeinsam aus, oft hat man „Themenwochen“. Dann tragen die Tiere auf einmal Namen aus „Game of Thrones“ oder aus der Disney-Welt. Statt auf Pocahontas und Daenerys Targaryen treffen wir aber auf Dr. Kolosso und Günther, ihres Zeichens Kaninchen.

Tierheim Wunstorf
Buddy mit Hundeblick | Foto: Mirko Baschetti
Tierheim Wunstorf
Linda Kreye mit Shanti | Foto: Mirko Baschetti

Neuankömmlinge werden erst einmal separiert und durchgecheckt – junge und kranke Tiere bleiben danach auch weiterhin zunächst von den anderen getrennt. Auch zur Abklärung wird isoliert. Auf der „Krankenstation“ befindet sich an diesem Tag etwa eine kleine Katze – sie hat eine Infektion am Ohr. Wenn Tierfamilien Ruhe brauchen, dann werden sie auch schon einmal aus- bzw. einquartiert: Im oberen Stockwerk des Tierheims gibt es dazu Extra-Räume, in denen sich z. B. Katzenmütter mit ihren Kitten abseits des Trubels im Erdgeschoss eine Verschnaufpause gönnen können, und auch im Freien gibt es ein zusätzliches „Miezhaus“, eine Blockhütte, die Rückzugsmöglichkeiten bietet. Hier haben die Katzen ein weiteres Refugium.

Im Idealfall befinden sich fünf bis sieben Katzen in einem Raum, doch wenn sie sich nicht vertragen oder jeweils Spezialfutter benötigen, sind es auch nur ein oder zwei Katzen pro Raum. Notfalls könne man auch 30 Katzen auf einmal aufnehmen, vierzig sollten es aber nicht sein. Hunde brauchen mehr Platz, nur bis zu zehn können gleichzeitig im Tierheim untergebracht sein. Eine Box muss zudem immer frei bleiben für eventuell eintreffende Fundhunde.

Mein Hund hat gerade Durchfall

ein Anrufer

Eine Veterinärin aus Frielingen kommt zweimal in der Woche zum „Hausbesuch“ ins Wunstorfer Tierheim. Früher sei man noch mit allen Tieren zum Tierarzt gefahren, das wäre enormer Stress für die Tiere gewesen, berichtet Klänhammer. Doch seit mittlerweile zwei Jahren kommt die Ärztin direkt vorbei. Nur Operationen und Ähnliches werden noch in der Tierarztpraxis durchgeführt.

Einen diensthabenden Tierarzt, der ständig oder sogar in der Nacht für Auskünfte bereitsteht, gibt es vor Ort im Tierheim jedoch nicht. Trotzdem verwechseln manche die Einrichtung mit einer Tierklinik. Anrufe wie „mein Hund hat gerade Durchfall“ gehen daher leider ins Leere.

Der Niedlichkeitsfaktor hilft

So gut man sich um die Tiere auch kümmert, so bestrebt ist man, sie schnell wieder loszuwerden: Das Tierheim soll nur eine Übergangsstation sein. Je eher ein Tier wieder in die richtigen Hände kommt, desto besser. Doch das ist manchmal gar nicht so leicht. Niedliche Tiere sind in der Regel sehr schnell vermittelt. Junge Katzen bleiben nie lange im Tierheim. Der Niedlichkeitsfaktor („klein, flauschig, guckt süß“) sorgt dafür, dass sich die Interessenten um die Jungtiere geradezu reißen.

Tierheim Wunstorf
Geschäftsführer Andreas Bornemann mit begehrtem Tierheimbewohner | Foto: Mirko Baschetti

Alte, kranke und weniger ansehnliche Geschöpfe haben es schwerer, ein neues Zuhause zu finden. Manchmal scheitert es aber auch an den Menschen selbst: Die Tierheimmitarbeiter sagen auch schon einmal kategorisch Nein, wenn jemand mit einer 60-Quadratmeter-Wohnung im 8. Stock einen großen Hund adoptieren möchte. Im ersten Moment verstehen das viele nicht, aber nach einigen Erklärungen wird es oft eingesehen. Im Glauben, dass es das Tier bei ihnen selbst perfekt hätte, sind manche aber auch nur schwer vom Gegenteil zu überzeugen. Die, die es nicht verstünden, seien dann diejenigen, die im Internet schlechte Bewertungen über das Tierheim schreiben, sagt Klänhammer. Manchmal stimme die Selbstwahrnehmung nicht mit der Realität überein. Als Tierschutzverein sehe man sich in der Pflicht, vernünftige Vermittlungen sicherzustellen. Denn die Tiere sollen dauerhaft ein neues Zuhause finden.

Da machen wir uns immer sehr „beliebt“ mit

Ralf Klänhammer

Die Interessenten selbst würden meist für geeignet gehalten, doch auch die übrigen Bedingungen müssten eben passen. Zuletzt wollte jemand im dritten Obergeschoss ohne Fahrstuhl einen Bernhardiner halten, „das hätte keinen Sinn gehabt“, erzählt er weiter. Das wäre auf Dauer nicht gutgegangen, und dem Tier werde damit auch kein Gefallen getan. Wer einen großen Hund halten wolle, müsse idealerweise einen ebenerdigen Zugang benutzen können und sollte schon 70 bis 80 Quadratmeter Wohnfläche zur Verfügung haben. Für kleinere Hunde seien auch 60 Quadratmeter in Ordnung.

Wer einen Hund aus dem Tierheim haben möchte, „beschnuppert“ ihn erst einmal – und der Hund ihn. Man kommt vorbei, schaut sich das Tier an, füllt einen Fragebogen aus, geht ein paarmal mit ihm Gassi und darf es später auch mehrmals für einen Tag mit nach Hause nehmen. Aber auch wenn alles passt, bleibt das Tier zunächst im Eigentum des Tierheims. Zunächst wird ein Pflegevertrag unterschrieben, wenn der Hund dauerhaft zum neuen Herrchen oder Frauchen zieht. Nach einiger Zeit kommen die Tierheimmitarbeiter dann noch einmal vorbei und schauen sich vor Ort an, ob weiterhin alles in Ordnung ist. Erst dann gehört der Hund auch dem neuen Besitzer.

Kostenlos gibt es die Tiere nicht, für einen Hund liegen die Abgabegebühren zwischen 200 und 380 Euro. Rassehunde kosten auch hier mehr als Mischlingshunde. Für eine Katze sind zwischen 50 und 110 Euro zu zahlen, auch hier abhängig von Rasse, Alter, Geschlecht/Kastration.

Im „Hundeknast“

Das Tierheim finanziert sich über Mitgliedsbeiträge der knapp 650 Vereinsmitglieder, Spenden – und die städtischen Zahlungen aus Wunstorf und Neustadt. Die Spendenbereitschaft ist groß, auch was Sachspenden angeht: Die Versorgung der tierischen Gäste mit Futter kann oft vollständig aus diesen Zuwendungen realisiert werden. Einen Flohmarkt gibt es auch, den man selbstverständlich nicht wörtlich nehmen sollte – die kleinsten Tiere, die im Tierheim vermittelt werden, sind Mäuse und Vögel. Stattdessen kann man sich im Schuppen mit Kratzbäumen, Transportboxen, Hundekörbchen oder Nagerkäfigen eindecken. Während der Öffnungszeiten ist gegen eine kleine Spende nahezu alles auch rund ums Tier erhältlich.

Tierheim Wunstorf
Die Hunde entscheiden selbst, ob sie sich innen oder im Außenareal aufhalten | Foto: Mirko Baschetti
Tierheim Wunstorf
Katzenklappe | Foto: Mirko Baschetti

Eher symbolischen Charakter hat der eine Euro, der für die Benutzung der Freilaufflächen fällig wird. Das große eingezäunte Areal neben dem Tierheim wirkt für den Außenstehenden wie für den Hofgang im Hochsicherheitsgefängnis gemacht, doch die Nutzer lassen sich auch vom Stacheldraht nicht abschrecken, der vom ehemaligen Außenzaun des Tierheims als Einbruchsschutz übriggeblieben ist. Der „Knast“ entpuppt sich als Hundespielplatz. Damit kein Tier ausbüxt, sind die untereinander abgetrennten Bereiche mit hohem Maschendrahtzaun umschlossen. Wer sich mit dem besten Freund des Menschen austoben möchte, während z. B. noch Leinenpflicht gilt und der eigene große Garten fehlt, der kommt hierher. Die Flächen stehen auch allen Nichtmitgliedern zur Verfügung. Wer zum ersten Mal kommt, muss jedoch den Impfpass seines Hundes mitbringen. Vor allem am Wochenende ist das Areal begehrt. Bis zu einem Dutzend Hunde toben dann hier herum. Agility gibt es jedoch nicht, nur die Plätze werden angeboten, die Hundehalter können sich mit ihren Tieren eigenverantwortlich beschäftigen.

Nicht zuletzt gibt es auch noch die Tierpensionssparte, die jedoch nur Mitglieder nutzen können, zum Beispiel, wenn sie in Urlaub fahren. Pro Tag kostet das für einen Hund 17,50 Euro, für eine Katze ab 9,50 Euro. Das Futter ist darin enthalten, manche Halter bringen aber auch die gewohnte Nahrung ihrer Tiere selbst mit. Auch Vögel können auf diese Weise Urlaub machen. Manchmal ist die Pension sogar ein letzter Rettungsanker: Einmal habe man zwei alte Hunde – blind und taub – fünf Monate lang aufgenommen, weil die Besitzerin lange ins Krankenhaus musste, sich aber nicht von ihren Hunden trennen wollte, berichtet Klänhammer. Sie habe nicht gewusst, wohin mit den Tieren, wollte sie aber später unbedingt wiederhaben. Trotz der enormen Kosten sei die Tierfreundin überglücklich gewesen, nach überstandener Krankheit ihre Tiere wieder bei sich aufnehmen zu können.

Das Tier findet den Menschen

Der Stadtanzeiger schickt alle zwei Wochen jemanden vorbei, auch die HAZ berichtet regelmäßig über Neuzugänge bzw. das „Tier der Woche“. Diese „Tierannoncen“ funktionieren tatsächlich: Oft melden sich Leser danach und wollen den betreffenden Tieren ein neues Zuhause geben. Manche Leute wissen daher schon genau, was sie wollen, wenn sie ins Tierheim kommen, weil sie Zeitung gelesen oder im Internet gestöbert und sich in ein bestimmtes Tier verliebt haben. Andere schauen sich auch einfach nur so einmal um. Das halte sich in etwa die Waage, sagt Klänhammer.

Für diejenigen, die ihr Wunschtier nicht bekommen können, versucht das Tierheim auch immer, Alternativen anzubieten, doch als kleines Haus hat man nicht endlose Möglichkeiten. Im Schnitt sind beispielsweise nur drei bis sechs Hunde im Tierheim untergebracht. Wer sich auf einen Hund fixiert hat, geht nicht unbedingt mit einem Kaninchen nach Hause. Interessenten werden dann durchaus auch an andere Tierheime weiterverwiesen. Aber auch von Privatleuten werden Tiere über die Seiten des Wunstorfer Tierheimes angeboten. Nur vor Weihnachten braucht man es gar nicht erst zu versuchen. Dann herrscht aus gutem Grund Vermittlungssperre: Tiere als Geschenke will man hier nicht sehen.

Tierheim Wunstorf
Günther, das Kaninchen | Foto: Mirko Baschetti
Tierheim Wunstorf
Wurde in der Vergangenheit schon zur Fischabgabe missbraucht, ist aber eigentlich kein Bestandteil der Einrichtung | Foto: Mirko Baschetti

Es geht aber auch andersherum: So kommt es immer mal wieder vor, dass jemand mit dem Gedanken ins Tierheim kommt, eine junge Katze mitzunehmen, dann aber Mitleid bekommt und sich gleich zwei alte Kater „einpacken lässt“ und mit nach Hause nimmt. Das sind für das Tierheim die schönsten Momente, wenn weniger begehrte Tiere in gute Hände vermittelt werden können. Das müssen nicht einmal kranke oder alte Tiere sein, auch „normale“ Tiere haben es schwerer. Viele suchten nach Extravagantem, nach „etwas fürs Auge“, erzählt der Tierschutzvereinchef. „Jung, beißt nicht, sieht nett aus“ allein reiche dann oft schon gar nicht mehr. Schon schwarz-weiße Katzen gelten als normal und unspektakulär, und wenn das Tier dann auch noch das Katzenklo ignoriere, würde es richtig schwierig. Manche hätten aber auch mit schwierigen Tieren kein Problem, wüssten, auf was sie sich einließen, und wollten diesen Tieren bewusst ein neues Zuhause geben. Nicht immer ist also der Süßheitsfaktor ausschlaggebend. Auch alte Tiere bekommen so noch einmal in einem neuen Zuhause ihr Gnadenbrot. Dass Tiere tatsächlich ihren Lebensabend im Tierheim verbringen müssen, kommt seltenst vor.

Abgeben in gute Hände würde man schweren Herzens sogar Shanti, doch es müsse dann zu „200 Prozent“ passen, sagt Klänhammer. Shanti lebt nun schon seit zehn Jahren im Tierheim und ist damit die große Ausnahme. „Normale“ Hunde werden meist innerhalb einiger Monate weitervermittelt. Unter den Katzen waren zweieinhalb Jahre der längste Zeitraum, die ein Tier im Heim verbringen musste, weil es grundlos „prügelte“. Aber auch diese Katze fand letztlich ein neues Zuhause und kam wieder in gute Hände.

Im Jahr 2018 kamen 134 Fundtiere aus Wunstorf ins Tierheim: 62 Kleintiere, 48 Katzen, 16 Hunde und 8 Vögel.
1/3 der gefundenen Tiere können ihren Besitzern zurückgegeben werden.
2/3 der Tiere werden nicht gesucht, waren ausgesetzt oder streunten herum.
21 Tiere kamen aus Beschlagnahmungen.

Dieser Artikel war Titelstory in Auepost 03/2020

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