Im November 2016 wurde das Denkmal für die beiden jüdischen Wunstorfer Gymnasiasten Ernst und Ludwig Lazarus enthüllt – direkt vor dem Schulgebäude, entstanden nach dem Entwurf einer ehemaligen Schülerin. Die Denkmaleinweihung war der Anlass, die jetzt im Heimatverein gezeigte Ausstellung nach Wunstorf zu holen.
Die Ausstellung mit dem etwas sperrigen Namen, die derzeit in Wunstorf gezeigt wird, hatte vor fast genau einem Jahr Premiere; zum ersten Mal wurde sie am Jüdischen Gymnasium in Berlin gezeigt. Ausgerichtet ist sie auf die Oberstufe – was man der Ausstellung auch anmerkt. Die Lebenswirklichkeit junger Menschen steht im Vordergrund.
Schicksale oder die Familienhistorie kommen eher am Rande vor, der schulbuchartige Brückenschlag vom Dritten Reich in die Gegenwart wird weitgehend vermieden. Dennoch zielt die Ausstellung gerade auf Schüler und Pädagogen; das lässt sich vor allem dem Begleitheft zur Ausstellung entnehmen, das weniger auf den beliebigen Besucher als auf den Studienrat zugeschnitten ist.
Der Besucher erhält neben dem Einblick in die jungen Biographien der modernen jüdischen Generation auch einen generellen Überblick über das heutige Leben von Juden in Deutschland. Vor allem die Zahlen können dabei überraschen. So zogen etwa nicht wenige Juden in den 90er Jahren nach dem Zerfall der Sowjetunion nach Deutschland. Es trafen neue alte Vorstellungen auf die bereits in Deutschland bestehenden jüdischen Gemeinden, mit teils ganz anderen Vorstellungen von jüdischem Leben. Viele der gezeigten jüdischen Jugendlichen haben damit nicht nur den jüdischen Glauben, sondern auch osteuropäische Wurzeln.
Auch allzu kritische Töne vermeidet die Ausstellung eher, politische Betrachtungen wie eine Einbettung in den Palästina-Konflikt werden nicht direkt angesprochen. Die Probleme, mit denen sich Juden heute im eigentlich ganz normalen Alltag in Deutschland konfrontiert sehen, kommen eher beiläufig zur Sprache. Dass es auch in diesem Jahrtausend noch oder wieder ein Problem sein kann, sich öffentlich zu seinem Glauben zu bekennen, sei es durch Tragen einer Kippa oder Schmuck in Davidstern-Form – das steht nicht im Fokus der Ausstellung.
Vermittelt wird ein Bild der Normalität, das von jungen jüdischen Deutschen, die sich gerade in den urbanen Zentren mit großen jüdischen Gemeinden einfach nur zuhause fühlen. Eine Normalität, die aber doch immer wieder dagegen ankämpfen muss, etwas Besonderes zu sein – sei es als Jude in Deutschland vor dem geschichtlichen Hintergrund oder sei es als Angehöriger einer Glaubensgemeinschaft, die eben nicht alltäglich, vielleicht sogar exotisch erscheint.
Die Biographien der Eltern und Großeltern sind immer wieder Anknüpfungspunkt auch in der Ausstellung, ebenso wie die Vermittlung von jüdischer Lebenswelt als etwas selbstverständlich Alltägliches – ob nun kulturell oder religiös bestimmt. Die Idee, die Ausstellung nach Wunstorf zu holen, ins Kleinstädtische, wo es keine jüdische Community gibt, trägt gerade diesem Umstand Rechnung.
Die zur Ausstellung gehörenden Videos werden vor Ort nicht gezeigt, sind aber im Netz abrufbar.
Wer sich einen Eindruck verschaffen möchte, wie sich jüdisches Leben in Deutschland definiert, wie junge Juden sich und ihr Umfeld wahrnehmen, kann dies noch bis Ende Januar 2017 in den Räumen des Heimatvereins.
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