Wunstorf (ds). Wenn man einen Grund sucht, in Norddeutschland gern Rundfunkgebühren zu zahlen, dann kann man dafür – noch vor der Tagesschau – die Existenz von Extra 3 nennen. Die NDR-Satiresendung ist gefühlt genauso alt wie Deutschlands erste TV-Nachrichtensendung, aber tatsächlich „erst“ seit 1976 im Programm. Im alltäglichen Sprachgebrauch gilt sie mittlerweile als Synonym für Realsatire. Wenn irgendwo etwas schiefläuft im Zusammenspiel von Gesellschaft und Bürokratie, dann kommt schnell der Hinweis: „Ein Fall für Extra 3“.
Schon immer frech und politisch, hat sie Höhen und Tiefen erlebt, doch im Jahre 2011 geschah etwas Bemerkenswertes: Mit Christian Ehring übernahm nicht einfach nur ein neuer Moderator oder Journalist das Format, sondern ein Künstler, ein Kabarettist. Hatten die Extra-3-Moderatoren bislang vor allem nur lustig moderiert, wanderte mit Ehring die Sendung in Richtung Stand-up-Comedy, so dass sie sogar ins ARD-Hauptprogramm aufrückte – und dabei trotzdem ihren norddeutschen Einschlag und ihre Eigenheiten nicht verlor. Inzwischen hält Ehring, der im klamaukigeren Stil der ZDF-Heute-Show irgendwie immer zwischen unterfordert und fehl am Platze wirkt, den Rekord als langjährigster Moderator bei Extra 3. Seit 13 Jahren macht er dort schnelle Gags, aber bringt den Zuschauern auch tiefgründige Gedanken näher, mit einer launigen Intonation, die ihm kaum jemand nachmacht.
Darauf konnte sich auch das Wunstorfer Publikum verlassen, als Christian Ehring mit seinem aktuellen Programm „Stand jetzt“ ins Stadttheater kam. Aquesto Events hatte ihn wieder in die Stadt geholt, und es geschah, was im Wunstorfer Theater trotz vieler hochkarätiger Produktionen selten geschieht: Das Haus war bis auf den letzten Platz – restlos – ausverkauft. Vor dem Theater bildete sich eine Schlange, die erst kurz vor Beginn der Vorstellung abgebaut war. Ehring-Fans, die, vor der Abendkasse anstehend, auf vielleicht doch noch frei werdende Plätze gehofft hatten, kamen nicht mehr zum Zuge.
Einige Pointen aus Ehrings Programm sind auch Teil der Fernsehsendung – oder umgekehrt. Aber er beginnt, ganz wie im Fernsehen, mit aktuellem politischen Tagesgeschehen, spricht von der Bühne des Stadttheaters über Taurus-Lieferungen an die Ukraine. Marie-Agnes Strack-Zimmermann, auch jüngst erst mal wieder in Wunstorf gewesen, muss einstecken. Und auch der norddeutsche Einschlag gilt selbstverständlich fürs Stadttheater, als etwa Bayerns Ministerpräsident Markus Söder sein Fett abbekommt. Markus Lanz‘ Sendung kann er kritisieren, ohne Markus Lanz selbst zu kritisieren.
Politisch wird es, persönlich wird es. Auch das ist Ehrings Markenzeichen. Zwischen allem Humor und Witz, zwischen jeder zielsicher zündenden Pointe, kann es auf einmal ganz ehringlich werden: Wenn etwa auf der Bühne zugegeben wird, als junger Mann den Dienst an der Waffe verweigert zu haben, es auch heute in Zeitenwendezeiten wahrscheinlich wieder zu tun – aber dann wohl nicht mehr aus Überzeugung, sondern aus Angst.
Andere Künstler stellen oft gleich zu Beginn ihres Auftritts einen persönlichen Bezug zum Publikum her, indem sie den Stadtnamen erwähnen – Ehring macht auch das tiefgründiger, mit doppeltem Boden: Er lässt im Verlauf des Programms einfach die Charaktere, mit denen er arbeitet, über Wunstorf reden. Auf diese Weise machen Rolf und Shanti, Ehrings (hoffentlich) fiktive Nachbarn und Coaches, mit denen er das esoterisch angehauchte Beraterbusiness auf die Schippe nimmt und sich Begriffe wie Mindset verbittet, beispielsweise auch Bekanntschaft mit der Auestadt.
Eine Ausnahme gibt es: Ehring ist skeptisch, dass es in 10 Jahren noch gedruckte Zeitungen gibt, aber in seinem jetzigen Programm gehört die Beschäftigung mit den örtlichen Lokalzeitungen zum festen Bestandteil. In diesem Fall ist es die aktuelle Ausgabe der HAZ, die dran glauben muss, damit Ehring auf das Wunstorfer Lokalgeschehen zu sprechen kommen kann – und den Jüngeren im Publikum erklärt er bei dieser Gelegenheit selbstverständlich, was das überhaupt ist, eine gedruckte Zeitung. Allein das Aufblättern der Zeitung wird, nur mit messerscharfer Betonung, dem richtigen Blick und dem exakten Tempo, zur brillanten Nummer.
Ganz Kabarettist, setzt sich Ehring zwischendurch ans Klavier, spielt und klimpert, aber erwartet von seinem Publikum auch in ruhigen Momenten vollste Konzentration: „Hören Sie wirklich zu?“ Der Düsseldorfer spielt meisterhaft mit den Erwartungen, im Grunde ein ganz simples Humorprinzip, aber doch für Fortgeschrittene: Beim Erzählen einer Geschichte läuft alles darauf hinaus, dass man meint, die Pointe schon zu ahnen – nur um in genau diesem Moment von der eingeschobenen Ironie überrascht zu werden, die ihren Witz aus dem in die Übertreibung gesteigerten Gegenteil bezieht. Die berühmte Inkongruenz. Ehring beherrscht sie wie beiläufig.
Bei einem Sprachjongleur darf auch etwas Sprachkritik nicht fehlen, doch mit der derzeit unter Comedians angesagten Gender-Ablehnung hält sich Ehring nicht auf. Er sieht den Punkt, fragt sich, was falsch an den Leuten ist, und fühlt damit allzu wörtliche Übersetzungen aus dem Englischen.
Nach einem langen Abend gibt Ehring im Foyer noch ein Autogramm nach dem nächsten, macht Fotos mit den Fans. Aquesto-Chef Rademacher hilft persönlich beim Fotografieren. Darauf einen Ingwer-Shot fürs Mindset.
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