Derzeit sieht man sie wieder allerorten. Doch ob Wahlplakate in der heutigen Zeit überhaupt noch einen nennenswerten Einfluss auf das Wahlverhalten haben, ist umstritten. In der jungen Bundesrepublik war dies gewiss anders: Eine Plakatwand wie jene auf unserem Foto stellte einen besonderen Blickfang dar, mochte sie noch so grob aus Brettern zusammengezimmert sein. Aufgenommen wohl im April 1955, als ein neuer Landtag zu wählen war, zeugt das Bild von der Vielfalt der Parteienlandschaft. Um die Gunst der Wähler werben neben der SPD, der FDP und der CDU, die hier den Lokalmatador Wilhelm Pflüger als ihren Landtagskandidaten (rechte Bildmitte) präsentiert, auch die wenig später (im August 1956) durch das Bundesverfassungsgericht verbotene KPD. Mittlerweile längst vergessen ist dagegen die DP (rechts oben), die rechtskonservative, vor allem in Norddeutschland starke Deutsche Partei. Sie wirbt mit dem Konterfei Heinrich Hellweges, der nach dieser Wahl den Sozialdemokraten Hinrich-Wilhelm Kopf (sein Bild prangt ganz links auf der Plakatwand) für vier Jahre als Ministerpräsident ablösen wird. Der Plakatierer im Vordergrund hat just einige Wahlplakate in der Mitte mit einem großen DGB-Poster überklebt. Weitere liegen unten bereit. Vielleicht soll damit die gesamte Fläche bestückt werden. Mit dem Titel des großen Kinoerfolges „08/15“ spielend, stellt der Gewerkschaftsbund sein Aktionsprogramm vor. Versucht der DGB hier etwa, Einfluss auf die Landtagswahl zu nehmen, oder ist der Wahltag schon vorbei und die Werbefläche wieder verfügbar? Wo genau in Wunstorf dieses Foto entstanden ist, ist dem Verfasser nicht bekannt. Kann ein Leser der Auepost dem Stadtarchiv da weiterhelfen?
Hinrich Ewert, Stadtarchiv Wunstorf
zuerst erschienen in Auepost Nr. 20 (Herbst 2021)
Mittlerweile wurde das Rätsel gelöst: Heimatforscher Heiner Wittrock erkannte die Stelle auf dem Foto, das neben dem Abdruck im Auepost-Magazin Nr. 20 auch in der Ausstellung zum Stifts- und Stadtjubiläum gezeigt wurde. Wittrock stellte in der Folge einen Fotovergleich an und belegte damit den Entstehungsort des historischen Fotos: Es handelt sich bei dem im Hintergrund zu sehenden Gebäude um das Haus in der Hindenburgstraße 58b, das noch heute existiert und sich zwischen dem alten Kiosk und dem Wendekreis an der Einmündung zum Bahnhofsbereich befindet. Auch der Kiosk existierte damals schon, auf der Schwarz-Weiß-Aufnahme ist das Dach des Kiosk ganz links im Bild zu erkennen. In dem Haus wohnte der inzwischen verstorbene Schrankenwärter Friedhoff. Auch der Schriftsteller Bruno Dumschat („Der Bahnhofsvorsteher von Kukoreiten“) hatte hier einmal sein Zuhause. Die aufgestellte Wahlplakatwand befand sich aus gutem Grund auf der Grünfläche, die unmittelbar vor der damaligen Schranke der Bremer Bahn stand, erzählt Wittrock: So konnte sie von keinem der vielen Berufspendler auf dem Weg zum Bahnhof übersehen werden.
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