Heute kommen Nachrichten über Internet und Satellit – vor über 100 Jahren war das noch etwas anders. Pressemitteilungen etwa wurden da noch telegraphiert – und ab 1913 auch „kabellos“ über Radiowellen verschickt. Von Deutschland in die USA nahmen sie dabei ihren Weg auch vom Steinhuder Meer aus, gefunkt wurde aus dem Moor bei Eilvese. Hier gelang der erste gegenseitige Funktelegrammkontakt vom Deutschen Reich in die USA.
Für damalige Verhältnisse war die ab 1913 errichtete Anlage gewaltig, aber auch nach aktuellen Maßstäben riesig. Den Sender kann man sich nicht wie eine heutige Antenne oder einen Funkturm vorstellen. Da eine ganz spezielle Funktechnik genutzt wurde, benötigte man damals nicht einfach nur einen Mast, sondern stellte gleich 7 Masten auf: Einen großen (zuletzt 258 Meter hoch) und zunächst 6 kleinere, die geradezu ein Geflecht von Antennen trugen. Das Antennengeflecht setzte sich aus einer Schirmantenne samt Ringantenne zusammen. Allein der Hauptmast – 40 Tonnen Stahl – wurde von 8 Spannseilen gesichert, die wiederum von weiteren Seilen gehalten wurden.
Es wirkte wie ein Gebilde aus einer anderen Welt, wie ein riesiger durchsichtiger Falter aus Eisen und Stahl. Die damaligen Zeitungen sprachen von der Konstruktion als dem „deutschen Eiffelturm“. Die „Funkenstation Eilvese“ oder der „(Tele-)Funkenturm“, wie der Überseesender damals genannt wurde, war in seiner ersten Zeit damit das höchste Bauwerk in Deutschland, bis 1920 der Hauptmast der vergleichbaren Großfunkstelle in Nauen 265 Meter erreichte.
Es war der erste Sendemast, von dem aus dem Deutschen Reich in die USA gefunkt wurde. Zuvor war nur mit Unterseekabeln telegraphiert worden. Nun wurden Telegramme auch durch die Luft verschickt. Am 13. Oktober 1913 ging das erste Telegramm (in gegenseitiger Übermittlung) von Deutschland in die Staaten.
Für Eilvese und Neustadt bewirkte vor allem der Bau der Anlage einen wirtschaftlichen Boom – später kamen dann auch die Touristen zum Überseesender. Nicht zuletzt der Besuch des deutschen Kaisers zur verspäteten symbolischen Einweihung 1914 war ein Ereignis, das die Gegend in dieser Form nicht wieder erlebte. Der Bau und Betrieb des Senders Eilvese brachte dem ganzen Landkreis Neustadt Ansehen und Bekanntheit – im gesamten Deutschen Reich und auch weltweit.
Die treibende Kraft hinter dem Sender, Rudolf Goldschmidt, zu Zeiten des Überseesenders hoch angesehen, sah sich als Jude später gezwungen, Deutschland zu verlassen. 1934 ging er mit seiner ganzen Familie ins Exil nach England, arbeitete dort weiter als Forscher und Erfinder. Fünf Jahre darauf wurde er britischer Staatsbürger. Im Zweiten Weltkrieg trafen deutsche Bomben sein Wohnhaus. Goldschmidt starb 1950 mit 74 Jahren.
Nicht Kurz-, nicht Mittel-, nicht Langwelle: gefunkt wurde auf Längstwelle. In einer großen Maschinenhalle standen mehrere von Goldschmidt erfundene Hochfrequenzmaschinen, die aus Wechselstrom konstant abgestrahlte Wellen (sogenannte ungedämpfte Wellen) erzeugten – die für den reichweitenstarken Funk benötigt wurden. Der Strom für die Maschinen kam von Dieselmotoren. Dementsprechend nannte man diese Art von Sendeanlagen auch „Maschinensender“.
Eilvese im Landkreis Neustadt, zu dem damals auch Wunstorf gehörte, wurde als Standort gewählt, weil das sumpfige Gebiet eine gute Abstrahlung der sogenannten Bodenwellen ermöglichte. Der heutige Funkverkehr nutzt die Effekte der Ionosphäre zur Verbreitung von Funksignalen – damals verwendete man für große Distanzen jedoch noch Bodenwellen, die sich vor allem im Wasser oder feuchtem Boden gut ausbreiten. Das Örtchen am Steinhuder Meer war dafür ideal: Eine Sandinsel bot außerdem eine gute Möglichkeit für den festen Stand der Antennenmasten und Gebäude im Moor. Die Alternative wäre ein küstennaher Standort gewesen, doch dort gab es damals bereits andere Sender. Diese hätten sich gegenseitig gestört, es wurden deshalb große Abstände zwischen den einzelnen Sendeanlagen benötigt. Daher wurde am Steinhuder Meer gebaut.
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In der Satellitenansicht gut erkennbar: Hier stand bis 1931 der Überseesender. Die Sandinsel mitten im Torf zeichnet sich grün bewachsen ab, auch die ehemaligen Spannseilverankerungen, die aufwändig ins Moor betoniert wurden, lassen sich als kleine grüne Inseln drumherum erkennen.
Dass vor über 100 Jahren eine technische Großleistung quasi in der Nachbarschaft stattfand, ist in unserer Gegend fast völlig in Vergessenheit geraten. Die Stelle, auf der der Sender stand, ist heute wieder Privatbesitz und nicht zugänglich. Am Wegesrand erinnern zwei Gedenksteine an die Existenz des einstigen Senders, und die Straße „Zum Funkenturm“ gibt noch einen deutlichen Hinweis auf die früheren Zeiten.
Doch es gibt Menschen, die die Geschichte wieder zum Leben erwecken und dafür sorgen, dass ein faszinierendes Kapitel aus den Pioniertagen der Technik nicht vollends zugeschlagen wird. Einer von ihnen ist Fritz Bredthauer vom DARC-Amateurfunk-Ortsverband Steinhuder Meer. Im März 2018 nahm er eine staunende Zuhörerschaft bei einem Vortrag im Wunstorfer Heimatverein mit auf die Spuren der Großfunkstelle Eilvese, die achtzehn Jahre lang östlich des Steinhuder Meeres die Landschaft dominierte. Die Resonanz auf den Vortrag „Deutschlands höchstes Bauwerk in der Nähe von Wunstorf im Toten Moor, ein Meilenstein der Kommunikation“ im Rahmen der Winterhalbjahrs-Vortragsreihe war groß – viele (Technik-)Geschichtsinteressierte, aber auch Amateurfunkbegeisterte saßen im Publikum.
Die Pläne der Obrigkeit seien ambitioniert gewesen, erzählte Bredthauer, man war zunächst begeistert von der neuen Technik. Kaiser Wilhelm persönlich ließ sich die Ingenieursleistung in Eilvese vorführen. Nicht nur in die Neue Welt wollte man funken, sondern auch eine unabhängige Verbindung zu den deutschen Kolonien in Afrika etablieren. Der Sender Eilvese wurde dann jedoch im Wesentlichen für die Kommunikation über den Atlantik genutzt.
Das US-Gegenstück des Senders Eilvese stand – praktisch baugleich – in Tuckerton in New Jersey in den Vereinigten Staaten. Auch hier wurde in einen Sumpf gebaut. Eilveses Schwestersender in Tuckerton war doppelt so lange in Betrieb, bis 1948. Erst 1955 wurden der 250-Meter-Mast und die Antennen demontiert. Die Gebäude stehen noch heute. Nach der Übertragungsqualität gefragt, sagt Bredthauer, man müsse sich den Klang der mit Maschinensendern ausgestrahlten Bodenwellen wie eher dumpfe Zischlaute vorstellen, mit denen man die Morsezeichen, die später auch automatisiert mit Lochstreifen übermittelt wurden, gut habe empfangen können. Durch Modulation konnte man sogar Sprachnachrichten oder Musik übertragen.
Nur knapp zwei Jahrzehnte hatte die Anlage Bestand. Der rasante technische Fortschritt holte den Sender Eilvese bald ein: Kurzwellenfunk über die aufkommenden Röhrenverstärker machten Längstwellensender unrentabel, Maschinensender waren auf einmal zu riesig und aufwändig. Der ehemalige Standortvorteil wurde nun zum Nachteil, denn eine Umrüstung auf Kurzwelle hätte das Aufstellen weiterer Masten im sumpfigen Boden nötig gemacht. Am 15. April 1929 wurde der letzte Funkspruch von Eilvese abgegeben, die Anlage 1931 abgerissen. Der große Antennenmast selbst wurde einfach ins Moor gekippt, große Teile davon drangen tief ein in den Boden – theoretisch könnten Reste dort noch immer liegen. Anbauteile kamen beim Torfabbau immer wieder zum Vorschein. Der Großteil des hochwertigen Stahls dürfte jedoch bereits damals weitergenutzt und wieder eingeschmolzen worden sein.
Vom einstigen Technikmonument ist heute nicht mehr viel übrig. Ein Nebengebäude der damaligen Anlage ist erhalten geblieben und wird heute als Wohnhaus genutzt. Auch die Reste der massiven Betoneinfassungen für die Hauptspannseile, die damals aufwändig ins Moor gebaut wurden, sind noch vorhanden. Sie konnten nicht beseitigt werden, der spätere Torfabbau erfolgte um sie herum. Auf Luft- oder Satellitenaufnahmen sind sie daher noch heute gut als grün bewachsene Punkte erkennbar, die ein Dreieck um den ehemaligen Standort des Hauptmastes bilden. Auch die Sandinsel zeichnet sich mitten im Torf grün bewachsen ab.
Der „Meilenstein der Kommunikation“, wie Fritz Bredthauer den Überseesender Eilvese einordnet, ist heute nur noch wenigen Historikern und Funktechnikinteressierten ein Begriff. Dass einmal Deutschlands höchstes Bauwerk nicht weit entfernt von Wunstorf stand, bleibt jedoch auch für alle anderen ein Fakt, den es sich zu wissen lohnt.
~ Dank für die Unterstützung unserer Recherchen an: Heimatverein Wunstorf, Fritz Bredthauer, Museum Neustadt am Rübenberge,
Dorfchronik Eilvese e. V. ~
Dieser Artikel erschien auch in der Rubrik Stadtgeschichte in Auepost 11/2019
Zugegebenermaßen haben (digitale) Technik und ich kenne Duz-Freundschaft, dennoch war auch für mich die Lektüre dieser Historie eine ausgesprochen spannende, lehrreiche und interessante Angelegenheit.
Ich hoffe auf weitere Zeitreisen in die/unsere Vergangenheit.
Gerade unsere Jugend bekommt durch diese Art der Berichterstattung vielleicht doch noch den Zugang zu unserer Geschichte.
Und das ist dringend notwendiger denn je.
Vielen Dank für Ihre Informationen!
Schade, sehr Schade, dass dieses historische Monument und Zeugnis technischer Ingeneurskunst schon so früh komplett wieder beseitigt wurde und heute fast vollständig in Vergessenheit geraten ist. Statt solche bahnbrechenden Meilensteine ( hier: der Informationstechnologie) zu würdigen und so weit wie möglich der Nachwelt zu erhalten, wird alles vermeintlich Überholte- und somit als nutzlos Erachtetes schnellst möglich (restlos), beseitigt und der Vergessenheit preisgegeben. Ein besonders, wie ich meine, deutscher Wesenszug, schon in den frühen dreißiger Jahren, aber auch gegenwärtig, wie sich an vielen Beispielen im Großüen und im Kleinen zeigen lässt: Abschaltung und Beseitigung der übertragungssicheren Mittelwellensender, Entsorgung älterer aber funktionierender Elektronik, Fernseher, Stereoanlagen usw.. Es geht aber auch anders: Nehmen wir Schweden. Hier wird der alte Maschinensender SAQ komplett mit allen Komponenten, Gebäuden und Antennen in Ehren gehalten und ist als als einzigartiges Weltkulturerbe anerkannt.
Vom Funkengroßsender Eilvese hingegen ist so gut wie nichts erhalten, kaum etwas in der Literatur zu finden und selbst am Standort Eilvese findet man auf der Touristeninformationstafel am Bahnhof nur einen knapp gehaltenen Hinweis mit Bild der Anlage, es fehlen Informationen zum Standort und Hinweise auf weitere Informationsquellen (Museum?) für den Technikinteressierten. Sehr Schade! (Wolfgang Palme, DL8ABH, DOK H13 am 08.04.22)
Sehr interessante und lehrreiche Technikgeschichte. Da lacht das Ingenieursherz.