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1150 Jahre Stift und Stadt: Die Äbtissinnen haben das Sagen

07.10.2022 • Achim Süß • Aufrufe: 968

Stadtgeschichte Extra zum Stadtjubiläum 1150 Jahre Wunstorf, Teil 2.

07.10.2022
Achim Süß
Aufrufe: 968
1150 Jahre Wunstorf

Das Frauenstift auf dem Hügel zwischen den beiden Aueläufen etablierte sich offenbar gut, seit König Ludwig es 871 unter seinen persönlichen Schutz gestellt hatte. Zeugnisse aus den Jahren danach sind nicht überliefert. Allerdings: Die Jahrhunderte andauernde Schlüsselrolle der Äbtissinnen in der Stadt ist urkundlich bezeugt. Vom Stiftshügel aus bestimmten sie die Abläufe um sie herum.

Aus der Zeit zwischen 871 und 1010 gibt es keine urkundlichen Belege. Erst in den Quedlinburger Annalen, einer ottonischen Chronik aus dem 11. Jahrhundert, wird vermerkt, dass die erste Stiftskirche nach einem Blitzschlag in Brand geriet und zum Teil zerstört wurde. Das Gotteshaus war die Eigenkirche des Stiftsgründers Dietrich von Minden. Der Neuaufbau begann offenbar bald danach – im romanischen Stil. Ein sogenanntes ottonisches Westwerk mit einem quadratischen Mittelturm und zwei seitlichen Treppentürmen wurde errichtet.

Westwerke sind die meist wuchtig wirkenden Vorbauten an der Eingangsseite von Kirchen, die der „weltlichen“ Seite zugewandt sind – die Altäre liegen dagegen normalerweise Richtung Osten.

Auch die zweite Stiftskirche hat die Zeit nicht überdauert. Die beiden äußeren Türme verschwanden. Genaues ist nicht bekannt. Nur wenige Teile des heutigen Westwerks sind Reste aus dem 11. Jahrhundert. Armin Mandel nennt den Turm, wie er heute steht, in seinem „Wunstorfbuch“ 1990 einen Torso des früheren Westwerks. Die Basilika ist trotz vieler Umgestaltungen – zum gotischen Stil im 14. Jahrhundert, nach dem Dreißigjährigen Krieg und im 19. Jahrhundert – nach wie vor im Wesentlichen ein Gebäude der Romanik. Sie ist mit bedeutenden Kirchen verglichen worden, und der Baukunstexperte Hans Thümmler bescheinigt ihr eine Sonderstellung: Sie vereine alle sächsischen Bauformen mit Elementen der hildesheimer-braunschweigischen Bautengruppe.

Stiftskirche über Häuserdächern
Der Sifts-Kirchturm über Wunstorf | Foto: Daniel Schneider

Die Stiftskirche ist aus Deistersandstein erbaut und 52 Meter lang. Die Höhe des Turmes – ohne Dach – beträgt 23 Meter, die des Mittelschiffs 13 Meter. Die Wände des Mittelschiffs werden zwischen je zwei Pfeilern von Säulenarkaden getragen. Der Wechsel von einem Pfeiler und zwei Säulen – der sogenannte sächsische Stützenwechsel – ist typisch für eine dreischiffige Basilika mit entsprechenden Altarräumen.

Die Stiftskirche beeindruckt auch wegen ihrer Größe, die wiederum Schlüsse auf die besondere Bedeutung des Stifts zulässt. Stadtarchivar Klaus Fesche berichtet in der „Geschichte Wunstorfs“, dass die Äbtissinnen, die gewählten Vorsteherinnen des Stifts, die einflussreichsten Persönlichkeiten der Stadt gewesen seien. Von der Stiftsgründung bis zur Reformation blieben sie eine wichtige Instanz. Eine von ihnen – Jutta von Oldenburg – war 33 Jahre im Amt. Wunstorf ehrte sie 1971 zur 1.100-Jahr-Feier mit der Benennung einer Straße. Auch Bischof Dietrich von Minden wurde bei diesem Anlass zum Namensgeber für eine Straße, ebenso Graf Erpo von Minden. Mandel nennt ihn „den zweiten Gründer der Stiftskirche“. Erpo brachte um 1020 Heiligengebeine nach Wunstorf. Die Reliquien spielten eine Rolle bei der neuen Kirchenweihe nach dem Wiederaufbau. Bei dieser Gelegenheit wurden auch neue Stiftsheilige ausgewählt. An die Stelle des Apostels Petrus, den die Mindener benannt hatten, traten Cosmas und Damian. Die frühchristlichen Zwillingsbrüder waren der Legende nach Heilkundige, die Kranke unentgeltlich behandelten und viele von diesen zum Christentum bekehrten.

So wie das Kanonissenstift im Lauf der Zeit immer weiter an Wohlstand und Einfluss gewann, wuchs die Ansiedlung in unmittelbarer Nähe. Händler und Handwerker spielten eine wesentliche Rolle, und es etablierte sich so etwas wie ein regionaler Handelsschwerpunkt – unter den Augen der Stiftsdamen. Dort lebten auch etliche Menschen, die im oder für das Stift arbeiteten. Der Ort war aber vom Stiftsbereich getrennt: Ein Wassergraben, heute noch als Senke in der Stiftsstraße erkennbar, signalisierte jedem, wo Stift und wo Stadt war. Ein Wall mit Planken vervollständigte die Anlage. Eine Klostertür diente als Eingang zur Klosterbrücke.

1.150 Jahre Wunstorf
Margareta von Chlum (auch Columna) war von 1550 bis 1553 Äbtissin in Wunstorf | Foto: Bildarchiv Foto Marburg

Grund und Boden im weiten Umkreis gehörte dem Stift. So spielte die Äbtissin die entscheidende Rolle im Gemeinwesen. Wunstorf blieb in dieser Zeit ein Einstraßenort, wie es Mandel nennt. Die meisten Gebäude standen zu beiden Seiten der heutigen Langen Straße, der Markt wurde wahrscheinlich etwa dort organisiert, wo heute der Alte Markt liegt. Die Entwicklung der Ansiedlung machte große Fortschritte: Handwerker und Händler kamen hinzu, Wunstorf wurde schließlich zu einem Wik, einer Handelsniederlassung mit Markt.

Die Geschichte der Stadt und des Stifts, der Stifts- und auch der Markt- oder Stadtkirche wären nicht korrekt umrissen, blieben die Geheimnisse unerwähnt: Ein paar Fragen sind ungeklärt – und bleiben es wohl auch: Stand die erste Stiftskirche vielleicht etwa dort, wo jetzt die Stadtkirche steht? Ist die Stadtkirche über der Ruine auch aus Trümmern der ersten Stiftskirche gebaut worden? Warum wurde die Stiftskirche offenbar versetzt?

Zuerst erschienen in Auepost 16 (Februar 2021)

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