Wunstorf (ds). Manche ehemalige Siedlungen auf heutigem Wunstorfer Gebiet existieren als solche nur noch in der Erinnerung – oder leben lediglich in Straßenbezeichnungen weiter. Cronsbostel in Bokeloh weist zum Beispiel auf das ehemalige eigenständige Dorf hin, das bereits vor knapp 100 Jahren nach Bokeloh eingemeindet wurde.
Andere Siedlungen wurden hingegen schon vor langer Zeit ganz aufgegeben. Auf dem westlichen Gebiet der heutigen Kernstadt Wunstorf – und nicht weit entfernt vom damaligen mittelalterlichen Wunstorf – siedelten ab der Mitte des 13. Jahrhunderts Menschen – und bauten sogar eine Kirche. Dort, wo heute Kommandeurallee und Fährstraße aufeinander zulaufen, lag Hemmendorf. Nur 200 Meter weiter nordöstlich stand die Spreensburg der Grafen von Wunstorf.
Direkt vor den Toren des damaligen Wunstorfs existierte damit nicht nur die gräfliche Burg, sondern über Jahrhunderte auch ein Dorf, von dem heute nur noch wenige Eingeweihte wissen. Damit sich das ändert, ist seit der vergangenen Woche ein Gedenkstein aufgestellt am Ende der Fährstraße – die heute nicht mehr nach Hemmendorf, sondern zu den Schrebergärten und weiter Richtung Bokeloh führt. Aber wer dort entlanggeht, läuft direkt durch das untergegangene Hemmendorf.
Viele taten das in der Vergangenheit tatsächlich, ohne etwas von dem verschwundenen Dorf an dieser Stelle zu ahnen. Der „Hemmendorfstein“ lädt nun dazu ein, die Geschichte zu entdecken. In die Wege geleitet hat das der Wunstorfer Heimatverein, der den Stein mit finanzieller Unterstützung der Stadtsparkasse und der tatkräftigen Unterstützung des Baubetriebshofes an Ort und Stelle organisiert hat.
Bis vor knapp 70 Jahren wusste man nicht viel von Hemmendorf, auch wenn es bereits als ehemalige Stätte auf historischen Karten verzeichnet ist und sein Name in alten Dokumenten auftaucht. Das änderte sich erst, als 1956 bei Ausgrabungen Spuren der alten Siedlungsstätte gefunden wurden: Zahlreiche Keramikscherben wiesen auf die Siedlung hin. Eine weitere, genauere Untersuchung bestätigte es im Jahre 2005. Es waren so viele Funde, dass ursprünglich eine hochmittelalterliche Töpferei an dieser Stelle vermutet worden war, doch die spätere Untersuchung deutete eindeutiger auf eine Siedlung. Es dürften dort Behausungen aus Holz und Lehm gestanden haben – aus diesen Baumaterialien könnte auch die Kirche bestanden haben. Denn Eisen fand man bei den Ausgrabungen beispielsweise nicht.
Die Siedlung dürfte genauso alt sein wie Wunstorf selbst – darauf deutet ihr Name mit der Endung „-dorf“ hin, sagt Professor Manfred Rasche vom Heimatverein. Hemmendorf bedeute „Siedlung des Hammo und seiner Leute“.
Der nun aufgestellte Stein zur Erinnerung an Hemmendorf hat selbst auch eine Geschichte: Er stammt vom Gelände des ehemaligen Schulzentrums Steinhude, wo der Findling zuvor gestanden hatte. Damit hat er denselben Weg genommen, den einst die Bewohner Steinhudes im Mittelalter nahmen: Sie sollen wie die Bokeloher und Cronsbosteler zur Kirche nach Hemmendorf gegangen sein, während die Wunstorfer in die Stadtkirche gingen.
Wann und warum die Bewohner Hemmendorfs ihre Siedlung verließen, weiß man nicht. Geschätzt wird, dass Hemmendorf um 1350 zur Wüstung wurde. Rasche hält einen Zusammenhang mit der damaligen ersten großen Pestepidemie oder der Magdalenenflut für denkbar, einer Hochwasserkatastrophe im Jahre 1342, die es seitdem in dieser Form nicht mehr gegeben hat – Hemmendorf lag nah an der Westaue.
Ernteausfälle, Hungersnöte und Krankheiten sind mögliche Ursachen für das Ende von Hemmendorf. Nicht zuletzt seien die Beschützer der Region um Wunstorf – der Graf von Wunstorf und der Bischof von Minden – in Bedrängnis gewesen, die Fehden der damaligen Zeit machen Plünderungen und Überfälle auf Hemmendorf denkbar. Die Hemmendorfer Kirche, über die Genaueres ebenfalls nicht überliefert ist, soll noch gut 150 Jahre länger gestanden haben – und wahrscheinlich während der Hildesheimer Stiftsfehde zerstört worden sein.
Von der Existenz der Hemmendorfer Kirche wurde später noch lange in einer Sage erzählt, doch auch dieses Wissen ging in neuerer Zeit fast verloren. Der Findling könnte dazu beitragen, dass die Geschichte wieder neu erzählt wird.
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