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Das „neue Wunstorf“ ist 50 und feiert später

07.03.2024 • Achim Süß • Aufrufe: 2876

Das „neue Wunstorf“ ist 50 Jahre alt. Stadt und Stadtarchiv widmen dem Datum eine gleichnamige Ausstellung. Wunstorf in den aktuellen Grenzen ist das Produkt der Gebiets- und Verwaltungsreform vom 1. März 1974. Die Informationstafeln in der Abtei geben Einblicke und Fingerzeige. Veranstaltungen zu Stichtag und Geschichte ziehen sich durch die nächsten Monate. Eine Art Feier soll es erst beim Neubürgerempfang im Juni geben.

07.03.2024
Achim Süß
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Bürgermeister Carsten Piellusch und Klaus Fesche und Hinrich Ewert vom Stadtarchiv bei der Vorab-Eröffnung der Ausstellung | Foto: Achim Süß

Wunstorf (as). Ein halbes Jahrhundert ist ein kleiner Abschnitt in der Geschichte des Ortes, dessen Stadtrechte schon 750 Jahre zuvor belegt worden sind und dessen Ursprung in der Steinzeit liegt. Die Ereignisse der vergangenen Jahrhunderte füllen Bücher. Wer sich für die Geschichte seines Wohnorts interessiert, kann über Wunstorf in allen Episoden seiner Entwicklung Wissenswertes und Spektakuläres erfahren. Die staatlich verordnete Geburt der neuen Stadt ist trotzdem ein herausragender Zeitpunkt. Für das Stadtarchiv und die Ausstellungsmacher ist es nicht weniger als eine „Neugründung“.

„Zeitpunkt“ ist nicht ganz die passende Vokabel, denn der 1. März 1974 war nur der Stichtag für das Inkrafttreten dessen, was Reform genannt wird. Eine lange Vorbereitungsphase mit jahrelangem Hin und Her und heftigem Streit ging voraus. Die Geburt der neuen Städte wurde eingeleitet, der Geburtstermin willkürlich gewählt. Bürokraten und Landespolitiker, aber auch erfahrene Kommunalpolitiker waren schon in den 1960er Jahren der Ansicht, kleine Gemeinden – manchmal 100 oder 150 Einwohner „groß“ – seien nicht länger existenz- und leistungsfähig genug. Kleinkarierte Kirchturmspolitik sollte ein Ende haben. „Hauptverwaltungsbeamte“ mit profunden Kenntnissen sollten die ehrenamtlichen Bürgermeister ersetzen, deren Amtszimmer oftmals die Wohnstube war.

Keine reibungslose Reform

Reformen wie die von 1974 in Niedersachsen hatte es zuvor schon gegeben. Überall in Deutschland werden immer mal Verwaltungsstrukturen umgekrempelt und Grenzen verändert. Das war und ist oft mit Irritationen und Widerständen verbunden. So auch in den 70er Jahren. Die Geburt der Kommunen verlief nicht reibungslos, und die Väter der Neuordnung hatten nicht nur Grund zur Freude – von Müttern ist übrigens nichts bekannt. Eine Kommission um den Göttinger Verfassungsrechtler Werner Weber hatte nach gründlicher Arbeit schließlich das nach ihm benannte Gutachten vorgelegt, das zur Grundlage aller Beschlüsse im Landtag wurde. Es gab den Stichtag für die Städte, aber andere Teile der Gebiets- und Verwaltungsreform wurden schon vor 1974 und noch danach umgesetzt. Nicht alle Empfehlungen des Professors und seiner Kollegen wurden verwirklicht.

Zu den Kernpunkten der Reform zählten: Gemeinden sollten mindestens 7.000 Einwohner haben, in Ausnahmefällen mindestens 5.000. Sie sollten "raumstrukturell einen Versorgungsnahbereich" bilden. Die Entfernung von allen Punkten der Orte zur Kommunalverwaltung und zentralen Einrichtungen sollte 7 bis 8 Kilometer nicht überschreiten. Der Blick aus Wunstorfs Nachbarstadt Neustadt zeigt, dass das zum Teil nur ein hehres Ziel blieb: Neustadt wurde 1974 mit wenigen Federstrichen zur drittgrößten Stadt der Republik. Die Entfernung zwischen Stöckendrebber im Norden und Poggenhagen im Süden beträgt 27 Kilometer.

Kaum irgendwo im Land wurden die neuen Gemeindegrenzen ohne heftige Debatten und Zwist festgelegt. Viele Ortsfürsten wollten Einfluss und Pfründe nicht verlieren, manche Ortsgemeinschaft lieber einer anderen Region zugeordnet werden. Wunstorf war nicht nur keine Ausnahme, sondern ein schwerer Fall. Proteste, Prozesse, Politpoker gingen dem Zusammenschluss voraus und dauerten auch danach noch lange an.

Hinrich Ewert und Erste Stadträtin Wiebke Nickel in der Ausstellung | Foto: Achim Süß

Dass Steinhude partout nicht zu den „Prahlbürgern“ nach Wunstorf wollte, ist Legende. Aber noch heute sind nicht alle Gräben überbrückt. Dass Steinhude unter einem eigensinnigen Gemeindedirektor im Verein mit eigenwilligen Politikern Geld für ein Schwimmbad ausgab und unter staatliche Zwangsverwaltung geriet, ist eine weitere. Luthe investierte schnell noch vor der Fusion in großem Stil – eigentlich ohne es bezahlen zu können. Die neue Stadt musste es ausbaden, tatsächlich und im übertragenen Sinn. Die Opposition der Steinhuder wurde zu einem langen, heftigen Streit, der die kommunalen Instanzen beschäftigte, aber auch Bundesverfassungsgericht und Bundestag.

Die Stadtpolitik war noch Männersache

Politik war Männersache in diesen Jahren. Vor der Neugründung und danach. 1972 saßen zwei Frauen im letzten Rat der alten Stadt Wunstorf: Thea Nolle für die SPD und Ruth Pflüger für die CDU, die spätere stellvertretende Bürgermeisterin. Im Interimsrat von 1974 bis 1976 ist Pflüger weiterhin dabei, zweite Frau ist Hannelore Beulke von der SPD. Beide gehören auch dem ersten Rat des neuen Wunstorf an, der von 1976 bis 1981 tagt. 1980 rückt Marie-Theres Kutzer (SPD) nach.

Die ersten 50 Jahre der neuen Stadt von 1974 bringen auch in diesem Bereich der Lokalpolitik einen spürbaren Wandel: Unter den 41 Ratsmitgliedern der aktuellen Amtszeit sind 14 Frauen – mit Kirsten Riedel (SPD), Christiane Schweer (CDU), Anne Dalig und Birgit Mares (beide Grüne) haben vier auch Führungsämter. In den Ortsräten ist die Entwicklung ähnlich: War Helga Bode (CDU) als Großenheidorner Ortsbürgermeisterin in den Anfangsjahren noch eine Ausnahme, sind Frauen an der Spitze der Ortsräte längst gewohnt.

Männer sind in jener Zeit auch die Bestimmer in den Verwaltungen. Frauen, wie sie heute in Rathäusern als Führungskräfte selbstverständlich sind, finden sich nicht in den Gründerjahren. Männer handeln die Gebietsänderungsverträge aus – Kritiker meinen, Feilschen und Schachern sei zutreffender. Männer bestimmen die Geschicke in Kernstadt und Umland, Männer besetzen die wichtigsten Ämter. Einmal ist es eine Zeit lang anders: Ruth Pflüger wird 1974 Stellvertreterin des Bürgermeisters und bleibt es gut zwei Jahre.

Eine „große Geschichte“

Vorgeschichte, Ablauf und Wunstorfer Spezialitäten haben eine wichtige Rolle gespielt, als Bürgermeister Carsten Piellusch (SPD) gemeinsam mit den Stadtarchivaren Klaus Fesche und Hinrich Ewert die aktuelle Ausstellung in der Abtei der Lokalpresse präsentierte. Es sei eine „große Geschichte“ gewesen, sagte Piellusch beim „Pre-Opening“. Und „spannend“, denn in den Orten um Wunstorf herum hätten „Angst, Sorge und Befürchtungen“ geherrscht, der Widerstand sei groß gewesen.

„Kräftig gebaut“ worden sei in einigen Orten, und zu den „wilden Dingen“ habe eine Vertragsunterzeichnung gehört, die die Steinhuder noch in der Nacht vor dem 1. März abgewickelt haben. Gegenstand des vermeintlichen Husarenstücks: Der Bau des Schulzentrums. Dass viele Befürchtungen unbegründet gewesen seien, ist für den Bürgermeister keine Frage. Etliche Ortsbürgermeister seien jetzt auch Mitglieder des Rates, und diese „Verzahnung“ stelle die Vertretung aller Interessen sicher. Der Stadtarchivar goss während des Rundgangs ein wenig Wasser in den Wein: Mit der Reform in Niedersachsen und anderen Bundesländern seien 250.000 kommunale Mandate weggefallen, ein Stück demokratische Mitbestimmung abgebaut worden.

Stadtarchivar Klaus Fesche schildert Details | Foto: Achim Süß

Fesche, der mehr als ein Jahr mit Ewert an der Vorbereitung der Ausstellung gearbeitet hat, stellte die Reform von 1974 in eine Reihe mit früheren Neugliederungen und reicherte die Präsentation mit vielen Details an. Er schilderte auch die technischen Schwierigkeiten, die bis in die letzten Stunden vor der Eröffnung gereicht haben. Fehlende Schautafeln seien erst zwei Tage zuvor eingetroffen. Fesche: „Die Hälfte war Schrott und die andere auch nicht schön.“ Allerdings seien die Stücke nach der Reklamation sofort neu produziert worden.

Die Tafeln werden in der Abtei noch bis einschließlich 11. März gezeigt und noch einmal zum Neubürgerempfang im Juni, wenn auch die Ortsteile Gelegenheit bekommen sollen, sich im Stadtzentrum öffentlich zu präsentieren. Nach der Sitzung des Verwaltungsausschusses soll es am 11. März zudem eine Führung für die Kommunalpolitiker geben. Zur Voraberöffnung waren sämtliche Ortsbürgermeisterinnen und Ortsbürgermeister eingeladen worden. Teilgenommen hat nur Elke Rodloff (SPD) aus Klein Heidorn.

Die Tafeln behandeln Vorgeschichte, Planungsalternativen, die Ortsteile, die Entwicklung seit 1974 und besondere Aspekte. Die Ausstellung kann bis Montag, 11. März 2024, zwischen 15 und 18 Uhr besichtigt werden, erneut vom 5. bis zum 22. Juni 2024.
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