Es fällt heute schwer, sich den Bürgerpark in seinen Anfangstagen vorzustellen. Das liegt jedoch nicht nur daran, dass die einstigen Zeiten des Wunstorfer Stadtparks in Vergessenheit geraten sind, sondern rührt auch daher, dass sich das Erscheinungsbild des Parks im Laufe der Geschichte stark gewandelt hat.
Heute nimmt man den Park im Wunstorfer Stadtbild als beiläufige Grünfläche wahr, als gelegentlichen Veranstaltungsort. Meist sind jedoch nur einzelne Spaziergänger oder Jogger unterwegs, und die Wege des Parks werden eher als Durchgangsweg genutzt – um zur Aue, zur Stadtschule oder anderswohin zu gelangen. Er liegt zwar im Zentrum, aber doch auch am Rande des eigentlichen Stadtmittelpunkts, der grob rund um die Stadtkirche zu verorten ist.
Als der Bürgerpark im Jahre 1905 auf Initiative von Heinrich Magnus von seinen Schülern und weiteren Helfern angelegt wurde, war das auch schon der Fall gewesen: Sehr dicht an der Stadt, und doch am Rande der historischen Bebauung, entstand das Areal durch Neuanpflanzung vieler Bäume. Zuvor war das Gelände eine Brache gewesen, sumpfiger Boden zwischen der damals dort noch fließenden Mühlen- und Kolkaue und der Westaue. Bäume gab es zwar schon, doch vorwiegend Pappeln.
Aus dem unbefestigten Gelände sollte nach Vorstellung von Magnus nun ein Aushängeschild der Stadt werden. Denn im Unterschied zu heute gab es damals keinen zentralen Anlaufpunkt, wie es heute Marktplatz und Fußgängerzone sind. Wo nun eingekauft und in der Sonne beim Latte Macchiato gesessen wird, befanden sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts Durchgangsstraßen. Die Lange Straße war kein Ort zum Verweilen, sondern eine Zweckstraße.
Am 14. Mai 1905 fand die feierliche Eröffnung statt. Der Bürgerpark entwickelte sich dann tatsächlich schnell zum Treffpunkt – und zwar zum Treffpunkt der Bürgerlichen. Er war ein Kunstprodukt, ein bewusst gestaltetes Areal im Zeichen der Zeit. Bäume und Sträucher wurden gepflanzt, Wege angelegt und Promenaden befestigt. Bei der Einweihung des Scharnhorst-Denkmals am 5. Mai 1907 sprudelte ein Springbrunnen im Park.
Von der wilhelminischen Ära ist heute nicht mehr viel zu entdecken, doch vor hundert Jahren war es ein typischer Park der Kaiserzeit. Das spiegelt schon der Name wider, der nicht im heutigen Sinne verstanden werden kann. Denn um 1900 wurde noch unterschieden zwischen Bürgern und anderen, die einfach nur in Wunstorf wohnten.
Im Bürgerpark der ersten Jahre wurde gesittet flaniert. Wer im Bürgerpark spazieren ging, der galt etwas in Wunstorf. Zur profanen Freizeitgestaltung ging man eher in den „Arbeiterpark“, wie man den eigentlichen Wunstorfer Stadtpark später in Abgrenzung zum neuerrichteten Bürgerpark nannte. Der Arbeiterpark befand sich am heutigen Jahnplatz, wo später auch das Wunstorfer Freibad errichtet wurde. Dort wurden „Leibesübungen“ gemacht oder Fußball gespielt, es gab einen Tennisplatz, Pavillons und eine offene Kegelbahn – die Büste von Turnvater Jahn erinnert noch an diese Zeiten. Es war damit zugleich das erste sportliche Zentrum Wunstorfs.
Im Bürgerpark wäre das unschicklich gewesen. Hier war das Betreten des Rasens verboten. Noch in den 1930er Jahren war die Einhaltung der Gepflogenheiten im Bürgerpark oberstes Gebot. Das Verlassen der Wege war untersagt, und ein Parkwächter wachte über die Ordnung im Bürgerpark.
Das gesamte Erscheinungsbild war auch ein deutlich anderes als heute: Die Mühlenaue floss durch den Bürgerpark und machte zu einem großen Teil den Reiz des Parks aus. Den Auedamm gab es noch nicht, kleine Holzbrücken führten über die Wasserläufe von Mühlen- und Kolkaue und ließen den Park pittoresk wirken.
In der Nähe der Stelle, wo heute das Gelände des Altenheims „Haus am Bürgerpark“ ist, stand noch bis Mitte der 1950er Jahre ein Ausflugslokal: Die Georgshalle, die einen großen Außenbereich zum gepflegten Kaffeetrinken bot. Auch wer in Richtung Steinhude spazieren wollte, nahm den Weg durch den Bürgerpark.
Damals waren die Wege – typisch für preußische Parkanlagen – noch mit Metallbändern eingefasst, um Gehwege von Rasenflächen streng zu trennen. Spuren davon sind noch heute zu finden. Rund um den Stamm der Magnuseiche, die zu Ehren des Parkbegründers neben dem Scharnhorstdenkmal gepflanzt wurde, stecken Eiseneinfassungen noch immer im Boden. Sie sind auch der Grund, weshalb sich die Wurzeln des Baumes nicht richtig ausdehnen konnten und er, statt sich zu einer mächtigen Eiche zu entwickeln, ein eher unscheinbarer Stamm blieb.
Der Zutritt zum Bürgerpark war beschränkt: Morgens um 7 Uhr wurde aufgeschlossen, abends um 9 Uhr wieder zugesperrt. Am Nordwall befand sich ein großes Eingangstor. Nachts war der Besuch im Bürgerpark nicht gestattet, um ihn vor Vandalismus zu schützen.
Aber auch die Moderne hielt schon recht früh Einzug: Ende der 1920er Jahre war man stolz darauf, bereits einen Spielplatz im Bürgerpark eingerichtet zu haben. 1929 wurde der erste „Kinder-Spiel- und Tummelplatz“ im Bürgerpark eingeweiht. Er bestand aus Sandkasten, Wippe und Schaukel und befand sich in der Mitte des Parks auf einer Wiese neben dem Hauptweg. Das Verbot, den übrigen Rasen zu betreten, blieb bestehen. Schon damals lungerten dort dann allerdings eher ältere Jugendliche herum und trieben „Unfug“ auf dem Bürgerpark-Spielplatz, wie es in den Dokumenten von einst heißt.
Nicht nur Spaziergänger mit Kindern, auch Vereine nutzten den Bürgerpark. Dem Turnverein hatte man ebenfalls eine Wiese zur Verfügung gestellt, und auch die Schützen der Wunstorfer Schützengesellschaft trafen sich im Bürgerpark, veranstalteten hier ihre Sommerfeste – und unterhielten sogar Schießstände. 1932 wurde eine Kleinkaliber-Schießsportanlage im westlichen Bürgerpark eingeweiht.
Auch in späteren Jahren setzte die Stadt alles daran, die Ordnung im Park aufrechtzuerhalten. Dazu wurden auch Familien in „Sippenhaft“ genommen. So hieß es etwa in einer Bekanntmachung Mitte der 30er Jahre:
Es ist in letzter Zeit wiederholt die Wahrnehmung gemacht worden, dass Kinder in dem städtischen Bürgerpark auf den Rasenflächen umherlaufen und dortselbst Zweige von den Sträuchern oder Blumen und Gras vom Rasen abpflücken. Wir bitten die Eltern ihrer Kinder ernsthaft, darauf aufmerksam zu machen, dass eine derartige Schädigung (…) unterbleibt, andernfalls werden die Eltern (…) von uns unnachsichtlich zur Verantwortung gezogen werden. Bekanntmachung der Stadt Wunstorf, 1930er Jahre
Wenn Kinder im Bürgerpark Fußball spielten, schritt der Parkwächter ein und konfiszierte den Fußball. Radfahren war natürlich auch verboten. Und der Bürgermeister ließ 1938 verlauten:
Die Eltern werden ersucht, ihre Kinder strengstens anzuweisen, sich bei dem Aufenthalt im Bürgerpark so zu betragen, wie es unbedingt erwartet werden muss. Bekanntmachung des Wunstorfer Bürgermeisters, 1938
Nicht nur herumtobende Kinder, auch Pferdefuhrwerke setzten dem Bürgerpark gelegentlich zu. In den Archiven der Stadt findet sich etwa der Briefwechsel mit der Versicherung eines Großenheidorner Landwirts, von dem die Stadt 21 Reichsmark und 8 Pfennige verlangte, weil seine Pferde durchgegangen waren und die Eisenband-Einfassungen des Bürgerparks beschädigt hatten.
Nach dem Zweiten Weltkrieg drängten viele Geschäftsleute in den Bürgerpark – sie versuchten es jedenfalls. 1949 wollte der Besitzer der Mühle Langhorst einen Teil des Bürgerparks kaufen, um dort Hühner halten zu können. Auch ein Jugendheim sollte im Bürgerpark errichtet werden. Sogar ein Fischverkäufer wollte in der Nachkriegszeit einen Teil des Bürgerparks nutzen, um dort einen Verkaufspavillon zu betreiben. Die Stadt lehnte all diese Ansinnen jedoch kategorisch ab, mit der Begründung, dass der Bürgerpark in seiner Form und Größe als Grünfläche erhalten bleiben solle.
Ab den 50er Jahren ging es dann rapide bergab mit dem Bürgerpark. Das Scharnhorstdenkmal, das zu Ehren des preußischen Heeresreformers Gerhard von Scharnhorst in den Park gesetzt worden war, war nun heruntergekommen und die Steinanlage drumherum verwahrlost. 1951 nahmen sich die Schüler der Scharnhorstschule des Denkmals an, welches dann Mitte der 1950er Jahre sogar an die Scharnhorstschule versetzt wurde. Zurück blieben nur die Steine, aus denen später die Naturbühne angelegt wurde.
Auch der Bürgerpark als Ganzes verwahrloste weiter. Der Schießstand der Schützengesellschaft wurde 1955 gesprengt. Jugendliche fuhren nun Radrennen auf den Wegen, Kinder schleppten Gerümpel heran und bauten sich Bretterbuden. Die Parkbänke wurden immer wieder aus ihren Verankerungen gerissen. Von einst 15 Parkbänken war nur noch eine übrig geblieben – und die wurde dorthin geschoben, wo man sie gerade haben wollte. Die restlichen waren in die Westaue geworfen worden. Gegen die „randalierenden“ Kinder, die im Park Fahrrad fuhren, wollte die Stadtverwaltung dann sogar die Polizei einsetzen – die sich von den Stadtoberen jedoch nicht derart einspannen ließ.
Einen wirklichen Stellenwert hatte der Bürgerpark in diesen Zeiten längst nicht mehr. Der Grünbereich zwischen den zwei Auen sei auch in den späteren Jahren ein „halber Dschungel“ gewesen, erinnert sich beispielsweise Heiner Wittrock. Die goldenen Zeiten waren vorbei, doch der eigentliche Todesstoß wurde dem Park in den 70er Jahren versetzt, als die Wasserläufe zugeschüttet wurden und die Westaue hinter einem Damm verschwand. Zwar wurde der Bürgerpark bei Hochwasser nun nicht mehr überflutet, doch aus dem zuvor offenen und weitläufig wirkenden malerischen Gelände war nun ein eingehegter Bereich geworden, eine Art baumbewachsenes Tal hinter einem Erdwall. Mit der Aueregulierung verschwanden die letzten Reste des früheren Charmes des Parks, der landschaftliche Reiz war passé. Er wurde sich selbst überlassen. Spuren der alten Mühlenaue waren noch bis in die 1980er Jahre erkennbar. Heute befindet sich dort nur noch eine Wiese.
In den 90er Jahren bekam der Park dann ein ernstes Vermüllungsproblem. Christine Hoffmann beschrieb 1995 im Stadtspiegel, dass die Parkanlage als Müllplatz zweckentfremdet sei, am Auedamm Sperrmüll abgelagert würde und privater Kompost in den Büschen lande. Trampelpfade bestimmten das Bild. Der Bürgerpark lade „nicht gerade zum Verweilen ein“, stellte die Autorin fest.
Erst 1983, als die Stadtschule neu gebaut wurde, zog wieder etwas Leben ein in den alten Bürgerpark. Es sollte allerdings noch fast ein weiteres Vierteljahrhundert dauern, bis man sich an die alte Funktion des Bürgerparks erinnerte und begann, das Gelände wieder für kulturelle und sportliche Zwecke zu nutzen. Erst seit den letzten Jahren wird der Bürgerpark Stück für Stück wieder in einen Ort verwandelt, der sich sehen lassen kann. Der Verein Kultur im Bürgerpark und der Arbeitskreis Bürgerpark arbeiten Hand in Hand für die Weiterentwicklung zu einer modernen und urbanen Parkanlage.
Vieles hat sich bereits getan, es finden wieder Veranstaltungen unter den altehrwürdigen Bäumen statt, Sportgeräte wurden installiert, Skulpturen in den Park geholt, neue Wege angelegt und die Vegetation angepasst – der Prozess ist weiter in vollem Gange. Als Nächstes sollen Discgolf-Körbe im Bürgerpark aufgestellt werden. Doch obwohl der Bürgerpark nun wieder zeitgemäßere Züge trägt, langsam zum wieder aktiv genutzten Park wird, wandelt man in ihm auf über 100 Jahren Wunstorfer Geschichte, die an vielen Stellen durchschimmert, wenn man genau hinsieht.
~ Dank für Unterstützung bei der Recherche an Klaus Fesche/Stadtarchiv Wunstorf, Thomas Silbermann, Heiner Wittrock und Heike Leitner. ~
Dieser Artikel erschien zuerst in Auepost 10/2019.
Schöner Artikel über den Bürgerpark, der wieder seinen Stellenwert erlangt hat! Es gibt jedoch noch mehr ehrenamtliche „Leuchttürme“ Wunstorfs, die der 1. Ehrenbürger Wunstorfs – Heinrich Magnus – initiierte, zu feiern. Der von ihm gegründete Arbeiterverein feierte in diesem Jahr seinen 130igsten Geburtstag seiner Gründung. Im letzten Jahr feierte der Sport- und Spielplatz der Präperanten, der Stadt- bzw. Arbeiterpark benannt wurde – der keinen Tennisplatz besaß – seinen 125 jährigen Geburtstag. Am 25. Juni 2023 feierte das Wunstorfer Freibad seinen 90igsten Geburtstag.