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Stolperschwellen erinnern an dunkles Kapitel der Stadtgeschichte

10.06.2024 • Achim Süß • Aufrufe: 882

Es war ein langer Weg, und nun wird ein wichtiges Etappenziel erreicht: Auf dem Gelände des Klinikums verlegt der Künstler Gunter Demnig am Mittwoch zwei Stolperschwellen. Sie sollen an die Menschen erinnern, die 1940 und 1941 als psychisch Kranke von Wunstorf aus in den Tod geschickt worden sind. Es sind die ersten Gedenksteine dieser Art in der Stadt. Weitere sollen im November in der Innenstadt folgen. Klinik und Stadtgesellschaft setzen damit öffentliche Zeichen lokaler Erinnerungskultur.

10.06.2024
Achim Süß
Aufrufe: 882
Wege auf dem Gelände der Psychiatrie Wunstorf (Archiv)

Wunstorf (as). Dokumentation, Aufarbeitung und Publizierung dieses dunklen Abschnitts in der Geschichte des Krankenhauses und der Stadt sind eng verbunden mit einem Namen: Asmus Finzen. Der habilitierte Soziologe und Mediziner hat von 1975 bis 1987 das Landeskrankenhaus geleitet. Er hat die zuvor abgeschottete „Anstalt“ im Wort- und im übertragenen Sinn für die Stadt und in die Stadt geöffnet. Zuvor zuweilen in Tübingen und in Fachkreisen als Revoluzzer bezeichnet, gilt Finzen längst als Reformer des deutschen Psychiatriebetriebs. Zu seinen herausragenden Leistungen in Wunstorf gehört, dass er die detaillierten Akten aus der Zeit des Nationalsozialismus aufgearbeitet hat. Die Unterlagen waren ihm von einem Klinik-Mitarbeiter ausgehändigt worden, und Finzen sorgte dafür, dass die Episode verbrecherischen Umgangs mit Kranken erforscht und öffentlich wurde.

Die Aufklärungsarbeit, die Finzen in seinen Wunstorfer Jahren begonnen hat, ist nicht beendet: Heute führt mit Dr. Andreas Tänzer ein engagierter und kundiger Fachmann den im Klinikum entstandenen Verein „Psychiatrie bewegt“. Ein interner Arbeitskreis konzentriert sich mit Unterstützung von Stadtarchivar Klaus Fesche auf das Kapitel Deportation und Euthanasie. Tänzer war Chefarzt der Klinik für forensische Psychiatrie und Psychotherapie und wirkt im Arbeitskreis Erinnerungskultur mit, in dem sich Bürgerinnen und Bürger, Vereine und Institutionen dafür einsetzen, dass die Opfer des Nationalsozialismus nicht vergessen werden. Das ist in jüngster Vergangenheit gut gelungen: Politik und Verwaltung stehen hinter dem Projekt Stolpersteine – was in früheren Jahren nicht der Fall war. Das ist nicht zuletzt das Verdienst des früheren Baudezernenten Andreas Varnholt, der als Vorsitzender des Arbeitskreises dafür behutsam aber zielorientiert den Boden geebnet hat. Er hat schnell und früh die Unterstützung von Bürgermeister Carsten Piellusch (SPD) erwirkt und mit einigen Unterstützern die Grundstückseigentümer dafür gewonnen, der Verlegung von Stolpersteinen zuzustimmen.

Verlegung am 12. Juni

Die pflastersteingroßen Metalltafeln sind von dem aus Berlin stammenden Gunter Demnig erdacht worden und werden auch von ihm produziert und verlegt – vor Häusern, in denen Opfer der Nationalsozialisten gelebt haben. So soll es auch in Wunstorf an mindestens 20 Stellen von November an geschehen. Seit 1996 sind in weit mehr als 1.200 Kommunen derartige Gedenksteine platziert worden. Die beiden Stolperschwellen für das Gelände des Klinikums sind eine eher seltene Variante. Demnig wird sie im Beisein geladener Gäste am Mittwoch ab 9 Uhr an öffentlich zugänglichen Stellen anbringen: am Übergang des Klinikgrundstücks in die Stadt und an einem Weg, der zum Bahnhof führt. Damit wird, für jeden sichtbar, auf die Verbrechen aufmerksam gemacht, die vor mehr als 40 Jahren geschehen sind und mit der Wunstorfer Klinik verbunden bleiben: 158 psychisch kranke jüdische Menschen aus Norddeutschland wurden zunächst in die „Landes-Heil- und -Pflegeanstalt“ gebracht.

Von Wunstorf aus wurden sie ins Zuchthaus Brandenburg transportiert. Dort stand die „erste Tötungsanlage in Deutschland“. So ist es 2001 im Deutschen Ärzteblatt zu lesen. Es folgten weitere Deportationen, deklariert als planwirtschaftliche Verlegung. Schließlich waren es 370 Menschen – als „lebensunwert“ eingestuft und in Einrichtungen wie Hadamar getötet. Die Anstalt in Wunstorf wurde im September 1941 geschlossen, verbliebene Kranke verlegt. Experten sind sich einig: Die Tötung psychisch kranker Juden in den Jahren 1940 und 1941 war so etwas wie der Probelauf für den Holocaust. Ein Thema war das jahrzehntelang nicht.

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